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59. Jahrzang.

kernsprech-Anschluß Nr. 10.

Paderborn, Samstag, den 26. Oktober 1907.

Geschäftsstelle: Jühenplatz 3.

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Politische Tagesübersicht.

Paderborn, den 26. Oktober 1907.

Der Entwurfeines Schecgesetzes wird vor­aussichtlich schon in nächster Zeit dem Bundesrat zugehen. Da verschiedentlich Bedenken gegen die Einräumung des selbständigen Klagerechts gegen den Bezogenen an jeden Scheckinhaber erhoben wurden, ist von der Aufnahme eines solchen Rechtes in dem Entwurf abgesehen worden. Ebenso wurde laut der Kreuzztg. davon Abstand ge­nommen, dem Aussteller im Falle des Ueberziehens seines Guthabens eine besondere die Vorschkiften des allgemeinen Rechts verschärfende Schadenshaftung auf­zuerlegen.

Die Polenvorlage sollte, wie eine Korre spondenz wissen will, zur Einbringung in das Abgeord­netenhaus reif sein. Die Deutsche Tagesztg. dementiert diese Nachricht und fügt hinzu:Die Vorlage war bereits im Frühjahrereis, ist aber inzwischen wieder unreif geworden. Jedenfalls ist von den entscheidenden Stellen noch kein endgiltiger Beschluß gefaßt worden.

Auf dem Handwertstag in Eisenach ist von einigen Reichstagsabgeordneten die Mitteilung gemacht worden, daß das Kriegsministerium die Aufhebung der Militärwerkstätten plane. Bei der großen Bedeutung der Sache für das gesamte Handwerk wandte sich die Berliner Handwerkskammer an das Kriegs ministerium mit einer darauf bezüglichen Anfrage. Der Bescheid des Kriegsministeriums lautet:Es besteht die Absicht, die bei der Mehrzahl der Truppen noch be­stehenden Schneiderhandwerkstätten allmählich ein­gehen zu lassen. Die Werkstätten der Befleidungs­ämter bleiben dagegen bestehen. Die hier noch beschäftig­ten Oekonomiebandwerker sollen aber, wie dies bei einigen Bekleidungsämtern schon geschehen ist, allmählich durch Zivilhandwerker ersetzt werden. Diese Maßnahme erfolgt im Interesse des Schneider= und Schuhmacherhandwerts. Die Nordd. Allg. Ztg. schreibt: Von einer Korre­spondenz ist die Nachricht verbreitet worden, der komman­dierende General des 7. Armeekorps, General der Ka­vallerie Frhr. v. Bissing, beabsichtige, sein Abschieds­gesuch einzureichen. Die Nachricht ist, wie uns mitge­teilt wird, völlig unzutreffend.

Da die Erwägungen an den zuständigen Stellen jetzt abgeschlossen sind, steht, wie die Voss. Itg. hört, die Entscheidung über die neuen Fünfmarkstücke im Lause nächster Woche zu erwarten.

Unpolitische Zeitläufe.

(Nachdr. verb.) A Berlin, 24. Okt.

Ueber den Fremdenverkehr in Berlin macht die Polizei Aufrechnungen, die trotz aller Sorgfalt un­vollständig bleiben müssen. Nur diejenigen Fremden wer den amtlich gebucht, die in Gasthöfen oder Herbergen ab­steigen und dort die Meldezettel ausfüllen. Deren Zahl beträgt jetzt über 1 Million jährlich. Vor 17 Jahren war es erst eine halbe Million. Wenn der Fremdenstrom so weiter anschwillt, wird im zweiten Viertel dieses Jahr­hunderts auf je einen Berliner ein Gasthofsfremdling pro Jahr kommen. Und dazu noch wenigstens ein wei terer Gast, der nicht auf der Herbergsliste steht. Denn erstens werden längst nicht alle gemeldet, die in den Gasthöfen absteigen, und zweitens suchen und finden zahl­reiche Besucher der Hauptstadt ein anderes Unterkommen bei Verwandten und Bekannten. Wer seinen Aufenthalt auf eine Woche und noch weiter ausdehnen will, nimmt oft ein möbliertes Zimmer bei Privatleuten oder in einer von den zahlreichenPensionen. So kann man mit Sicherheit zwei Millionen Fremde auf das Jahr an­neumen. Und das sind erst die Uebernachtenden. Wer au naheren Umgebung kommt oder wer bei einer Fernfahrt morgens aussteigt, um abends weiter zu fahren, gehört in das große Heer der Tagesgäste, die überhaupt nicht gebucht werden können.

Nun mache man einmal einen Ueberschlag, wie viel Geld diese Massen von Fremden in Berlin lassen. In den Gasthösen und den Wirtschaften, in den Theatern und den sogenannten Vergnügungsetablissements, bei allerhand Sehenswürdigkeiten und in Tausenden von Kaufgeschäften, überall fließt das Geld der Fremden in kleinen und größeren Bächlein, um im ganzen einen Geldstrom von Hunderten von Millionen zu bilden. Eine ganze Menge von Geschäften lebt mehr von den Fremden. 2 v., den Einheimischen. Zum Beispiel sind die seineren ###ste in der bekannten StraßeUnter den Linden auf

. Fremdenverkehr zugeschnitten; der richtige Berliner pflegt dort keine Einkäufe zu machen.

Sieheer##not Berlin prayn gern damit, daß sie mehr

* auftringe, als manche große Provinz. Kein

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vee num Ternnn, daß die Berliner das bischen Steuer feut vur beruchen önnen. Der Fremdenverkehr ist keines­wegs die einzige und auch nicht einmal die reichste Geld quene. Welch' eine Menge von Waren wird an die

Die Berliner Handelskammer teilt folgen­des mit: Die Handelskammer ist bei dem Finanzmi­nister vorstellig geworden, er möge auf die Steuer­behörden dahin einwirken, daß bei dem Einfordern der Auskünfte über das Einkommen der Angestellten und Arbeiter gemäß§ 23 des Einkommensteuergesetzes von der Froderung der Bezeichnung derjenigen Angestell­ten und Arbeiter, welche ein Einkommen von mehr als 3000 G. beziehen, nach Namen, Wohnort und Wohnung Abstand genommen werde. In umgehender Erledigung des Ersuchens der Handelskammer ist von dem Finanz= minister die Mitteilung zugegangen, daß die Arbeitgeber nicht vervflichtet sind, die vorerwähnten Angaben zu erteilen, und daß die Königliche Direktion der Ver­, waltung der direkten Steuern und die Magistrate darauf aufmerksam gemacht worden sind, eine derartige An­forderung an die Arbeitgeber nicht zu stellen.

Die sozialdemokratische Parteileitung versteht es so gut wie derLelievenste kapitalisti­sche Ausbeuter, Geld zusammenzubringen, viel Geld immer mehr Geld. Schon jetzt, so schreibt die Kons. Korr., charakterisiert sich die sozialdemokratische Bewegung

als ein recht einträgliches kapitalistisches Unternehmen. DieGenossen sind in der Hauptsache Ausbeutungs­objekte für sozialdemokratische Kassen und für sozial­demokratische Geschäftsleute. Wie dieCenossen Krämer, Gastwirte und Budiker keineKonjunktur versäumen, um mit Extraprofitchen zu machen sei es mit Bebel­Bildern, Singer=Zigarren usw. oder durch Partei= oder Arbeiterfeste, so ist auch der sozialdemokratische Par­teivorstand auf dem Posten, wo es möglich ist, Geld zu verdienen. Gegenwärtig wird die Liebknecht=Konjunk­tur von ihm kapitalistisch ausgebeutet. Mit der Hoch­verratsbroschüre wird ein so großes Geschäft, wie gehofft worden war, wöhl nicht zu machen sein. Dafür hat das Stuttgarter Parteigeschäft einen acht Wochen alten Vor­trag Liebknechts überRechtsstaat und Klassenstaat als Broschüre herausgegeben, und hofft auf die Zugkraft der neuerdings mit dem Namen deskleinen Liebinecht gemachten Reklame. DieGenossen haben natürlich die Pflicht, diese Broschüre zu kausen. Ebenso werden die Genossen zur Gratiskolportage des Vor­wärts einfach durch Parteiorder befohlen.Sonn­tag gilt es so wird in dem Zentralorgan verfügt die neuen Abonnenten für den Vorwärts zu sammeln. Parteigenossen! Wir erwarten, daß sich keiner von Euch dieser wichtigen Parteipflicht entzieht! DieGenossen werden also von Partei wegen dazu angehalten, den freien Sonntag für das sozialdemokratische Parteigeschäft zu verwenden. Welcher andere ka­pitalistische Unternehmer könnte es wagen, die Arbeits­kraft noch dazu an Sonntagen unentgeltlich in Anspruch zu nehmen? Das sozialdemokratische Parteigeschäft macht es den Genossen sogar zur Pflicht. Wenn das sozial­demokratische Geschäftsunternehmen wenigstens für die pflichtgetreuen Gratiskolporteure etwas abwürfe, weiin beispielsweise der Vorwärts wenigstens etwas Besseres böte und etwas billiger würde, dann hätten dieGe­nossen etwas für ihre Sonntagsarbeit. Daran wird aber nicht gedacht. Die Hauptsache ist das Geschäft.

Der Vorwärts hat im vergangenen Jahre der Partei­kasse über 170000 Mk. gebracht, im nächsten Jahre sollen es 200000 Mark werden und daneben müssen dieGenossen Beiträge zahlen, daß ihnen die Augen übergehen. Ja, die antikapitalistische Sozialdemokratie versteht sich auf den kapitalistischen Geschäftsbetrieb!

Ein neuer internationaler Anarchisten= kongreß ist für Weihnachten nach Luxemburg ein­

berufen worden, um Beschlüsse über die Durchführung einer internationalen antimilitaristischen Propaganda zu fassen.

Die holländische Regierung hat beim Parlament eine Vorlage auf Begründung einer staatlichen Al­tersversicherung eingebracht. Jeden Arbeiter, dessen Jahreseinkommen tausend Culden(1667 Mk.) nicht übersteigt, will dieser Gesetzentwurf verpflichten, sich auf eine Altersrente zu versichern. Zu der Prämie müssen die Arbeitgeber beisteuern. In den ersten 75 Jahren wird der Staat, wenn der Entwurf Gesetz wird, alljährlich 10½ Mill. Mk. beisteuern. Im Ansange war geplant, die Versicherung ganz nach deutschem Muster zu organisieren. Davon hat die Regierung aber jetzt Ab­stand genommen; sie versucht, die in Deutschland in der Praxis zutage getretenen Fehler zu vermeiden.

Das neue französische Kirchengesetz, dessen Behandlung in der Kammer am Donnerstag begonnen hat, verfolgt den Zweck, den Uebergang der Kirchengüter an Staat, Departements und Gemeinden zu erleichtern und ist durch die Unterlassung der Gründung von Kirchen­vereinen verarlaßt worden. Das Trennungsgesetz vom 9. Dezember 1905 hatte in seinen Artikeln 6, 9, 10 Kirchenfabriken auf die Kirchenvereine geregelt; nun sind die Fabriken verschwunden, ohne daß katholische Kirchen­und 14 den Uebergang aller Nutznießungsrechte von den Kirchenfabriken auf die Kirchenvereine geregelt; nun sind die Fabriken verschwunden, ohne daß katholische Kirchen­vereine ins Leben getreten sind. Die betreffenden Artikel des Trennungsgesetzes sind deshalb in der Hauptfache gegenstandslos geworden und sollen nun durch neue Dis­politionen ersetzt und geändert werden. Die Vorschläge der Negierung beruhen auf dem Prinzip, daß die Kir­chen seibst dem Gottesdienst erhalten bleiben und daß die übrigen kirchlichen Immobilien mit ihrem Mobiliar enteignet werden zu Gunsten des öffentlichen Armen= und Unterstützungswesens. Diese Enteignung soil aber durch die neue Vorlage wesentlich erleichtert und vereinfacht werden. Die beweglichen und unbeweglichen Güter sollen innerhalb eines Jahres veräußert(wohl rich­tioer: verschleudert) und ihr Ertrag den Unterstützungs­anstalten überwiesen werden können, unter Beobachtung folgender Bedingungen: Gegenstände, die einen künst­lerischen oder historischen Wert besitzen, werden durch Dekret des Staatsrats den staatlichen Museen und Ar­chiven oder Bibliotheken überwiesen; aus dem Ertrag der übrigen Güter werden Diözesan=Kassen gebildet, welche alle an den Gütern haftenden Anspruche zu befriedigen haben; der verbleibende Rest fällt den Departements und Gemeinden anheim. Um zu verhindern, daß diese von den Präfekten zu verwaltenden Diözesan=Kassen mit un­zähligen und langwierigen Zivilprozessen belastet werden, wird bestimmt, daß dasJournal officiell ein Inventar aller diesen Kassen anheimfallenden Güter zu veröffent­lichen hat; wer glaubt, Rechtsansprüche auf diese Güter geltend machen zu können, hat sie innerhalb drei Mo­naten zu betätigen. Der Präfekt hat die unzweiselhaften hypothekarischen Verpflichtungen ohne weiteres anzuer­kennen; nach Ablauf von sechs Monaten können aber über­haupt keine Rechtsansprüche mehr geltend gemacht werden. Die ganze Vorlage ist ziemlich umfangreich und wird in der Kammer auf starken Widerstand bei der konser­vativen Opposition stoßen, durchgehen wird sie aber

sk Englische und deutsche Levensmittelpreise.

Bei einer Steigerung der Lebensmittelpreise wird im allgemeinen in erster Linie die Landwirtschaft für

Provinzler verkauft! Und nicht bloß im Großhandel an die Kaufleute der Provinz, sondern auch in den Postpaketen oder Stückgütern, welche von Berlin aus direkt an die Verkäufer geschickt werden. Preislisten und Kundenjäger gehen fortwährend in alle Welt. Der Kaufmann in den kleineren Orten seufzt hinter seiner mageren Kasse, daß gerade die zahlungsfähigen Mit­bürger ihr Geld den Berliner Geschäften zuwenden. Letz­tere sagen zur Entschuldigung, ihre örtlichen Kaufleute hätten nicht die große Auswahl und die niedrigen Preise der Berliner Lieferanten; der übergangene Kaufmann aber sagt, die Vorzüglichkeit und Billigkeit der fremden Ware beruhe meistens auf Einbildung und jedenfalls würden die örtlichen Geschäfte auch das beste leisten können, wenn man sie nur nicht von vornherein links liegen ließe. So lange das 50 Pfg.=Paket und die Liebhaberei für das wasweit her ist, noch fortbestehe, wird sich dieses Uebel schwerlich beseitigen lassen; höchstens kann durch zähe Arbeit und Geschicklichkeit der Geschäftsleute in klei­neren Orten eine Milderung erreicht werden. Inzwischen müssen beide Teile sich bewußt bleiben, daß Berlin von dem Tribut der Provinzen und der Kleinstaaten lebt und reich wird.

Daraus folgt, daß die weltstädtische Hochnäsigkeit und die Geringschätzigkeit des platten Landes durchaus nicht am Platze sind. Die Kuh, die so reichlich Milch gibt, darf man nicht verachten.

In gewissem Umfange trifft das Gesagte auf die anderen Groß= und Mittelstädte auch zu. Keiner von den Orten, in denen sich die Menschen so dicht zusammen­häufen, kann aus sich allein blühen und gedeihen. Sie müssen das Geld aus ihrer näheren oder weiteren Um­gevung an sich ziehen. So ist es kein Wunder, wenn schließlich dasplatte Land auch mal den Kopf in die Höhe wirft und sagt: Ich ernähre euch doch alle!

Nun hat der riesige Fremdenverkehr in Berlin auch noch eine andere Seite. Man klagt mit Recht über die Ge­nußsucht und die Ausschweifungen, namentlich über das liederliche Nachtleben. Nun, sind etwa die Berliner allein daran schuld? Nein, gerade die Fremden stellen fort­während neue Rekruten der Bummelei und des bösartigen Vergnügens. Viele kommen geradezu in der Absicht nach Berlin, sich in den Strudel zu stürzen, und noch viel mehrere besorgen dasnebenbei, nachdem sie am Tage ihr Geschäft erledigt haben. Dagegen ist nichts zu machen, so lange die Polizei nicht endlich sich zu einem vernünftigen System aufschwingt, das die Verführung und das Aerger­nis wenigstens von der Straße und aus den öffentlichen

Wirtschaften verdrängt. Für die guten Leute in der Provinz ergibt sich aber daraus eine doppelte Lehre. Erstens sollen sie nicht pharisäisch aburteilen über die verlotierten Berliner, sondern immer bedenken, daß bei dem bedenklichen Treiben in Berlin auch ihre engeren Landsleute recht kräftig beteiligt sind. Und zweitens sollen sie es nicht der Motte nachmachen, die sich an die Flamme drängt, bis sie sich die Flügel verbrannt hat. Bleibe in der Heimat und verzehre dort dein Geld in ver­nünftiger Weise. Geh nicht in die Weltstadt, wenn du nicht einen ernsten Grund hast, und wenn du doch hingehen mußt, so sorge dafür, daß du als anständiger Mensch heimkehrst, ohne innerliches Erröten deine Familie wieder begrüßen und ohne Lügen deine Erlebnisse erzählen kannst.

Wer richtige Vergnügungs= oder Erholungsreisen machen will, der braucht das große Heer der Fremden in Berlin oder anderen Großstädten nicht zu vermehren. Reise lieber in eine schöne Gegend oder an das Ufer des Weltmeeres, wo du in frischer Luft und Natrbewunde­rung dich erbauen kannst. Und willst du durchaus Bau­werke sehen, so geh in Städte von einer großen Vergangen­heit, wo dich die Denkmäler einer ehrwürdigen Vorzeit packen. In Berlin ist verzweifelt wenig altes und ehr­würdiges; die Stadt ist ein Emvorkömmling mit alten Eigenschaften der modernen Schneklreife. Das Sehens­werteste in Berlin ist die Arveit, die rastlose, viel­seitige, wohlorganisierte Werktätigkeit, der sich 1 bis 2 Millionen fleißige Hände und fleißige Köpfe widmen. Aber von dem arbeitsamen Berlin bekommt der größte Teil der Fremden viel weniger zu sehen als von dem bummelnden Berlin.

Ein alter Praktikus stellte mal die Regel auf: Wer Berlin oder sonst eine Weltstadt besuchen will, soll seine Frau mitnehmen, und wenn er jetzt noch nicht mit Mut­tern zusammenreisen kann, so soll er ruhig warten, bis er und sie es können.

Fteupel sehen und dann sterben. Solche Ueberschmeinglichkeiten passen auf das prosaische Berlin gar nicht. Wenn man es gesehen hat, kann man recht behaglich in seinem gemütlichen Heimatsnest weiter leben, und sollte man vor der Berliner Forschungsreise das Leben beschließen müssen, so wird die Todesstunde durch diese Versäumnis gewiß nicht erschwert. Was in Berlin los ist, kann man ja aus den Beschreibungen und Ab­bildungen zu Hause erforschen. Leider ist man in der Provinz über das Berliner Leben und Treiben nur zu genau informiert, nämlich durch die Berliner Klatsch­und Skandalblätter. Wenn doch bloh die seitenlangen

dieselbe verantwortlich gemacht, ohne daß dabei bedacht wird, daß der Anteil am Kleinhandelspreise, den die Zwischenglieder zwischen den Produzenten und Konsu­menten beanspruchen, immer größer geworden ist. So wird z. B. für Berlin, wie wir einem Referate Prof. Dr. Dades auf der letzten Vollversammlung des deut­schen Landwirtschaftsrates, das sich mit den Lebens­mittelpreisen in England und Deutschland befaßte, ent­nehmen, nachgewiesen, daß der Aufschlag der Mäller und Bäcker auf Roggenpreise von 30 Proz. in den Jahren 18891892 auf 46 Proz. in den Jahren 19011904, fernerhin, daß der Unterschied zwischen den Preisen für Schweinefleisch und Schweine von 17 Mk. für 100 Kilo anfangs der 80er Jahre auf 35 Mk. in den letzten fünf Jahren gestiegen ist. Es ist weiter ermittelt worden, daß von dem Kleinhandelspreise, den die Berliner Haus­frauen für 1 Pfund Schweinefleisch im Schlächterläden oder in der Markthalle zahlen, zwei Fünftel bis drei Fünftel auf den Zwischenhandel und den Fleischer ent­fallen, so daß für den Landwirt als Viehprodu#enten vielfach kaum die Hälfte des Kleinhandelspreises übrig bleibt.

Der Grund hierfür liegt hauptsächlich darin, daß sich einmal immer mehr Zwischenglieder zwischen Er­zeuger und Verbraucher der Waren eingeschoben haben, andererseits auch, weil die Löhne, Gehälter, Mieten und sonstigen Unkosten, die diese Zwischenglieder zu zahlen haben, dauernd gestiegen sind. Hieraus folgt, daß schließ­lich die Lebensmittelpreise steigen können, ohne daß oer Landwirt für seine Erzeugnisse einen höheren Preis be­kommt. Nun darf man wohl annehmen, daß in den industriell höher stehenden Ländern oder in den Ländern mit starker Industrie diese Verteuerungsmomente ganz besonders ins Gewicht fallen. In seinem Reserat suchte Prof. Dr. Dade dieses für England nachzuweisen. Bei dieser Feststellung kam noch als Schwierigkeit die Tat­sache hinzu, daß die einzelnen Lebensmittel eine ver­schiedene Rolle in der Ernährung bei dem englischen und deutschen Volke spielen.

In der landwirtschaftefeindlichen Presse wird es viel­fach als etwas Selbstverständliches hingestellt, daß die Lebensmitteipreise in England wegen der Zollfreiheit niedriger sein müßten als in Deutschland. Solche An­sichten werden hier bei einer eintreienden Teuerung immer und immer wieder vertreen. Was zunächst die Fleisch­preise anbetrifft, so sind nach Dade die Kleinhandelspreise für einheimisches englisches Fleisch in England mindestens ebenso hoch als die Preise in Deutschland für deutsches Fleisch. Die Preise für in gekühltem aber nicht ge­frorenem Zustande eingeführtes Fleisch, also für Fleisch von lebend eingeführtem Vieh, das bekanntlich an der Grenze sofort geschlachtet werden muß, sind im allge­meinen ebenso hoch wie bei uns. Jedoch herrscht in ganz England eine gewisse Abneigung gegen dieses Fleisch. Es ist bemerkenswert, daß die Konsumvereine der Ar­better, soweit sie eigene Verkaufsstellen für Fleisch er­richtet haben, grundsätzlich dieses Fleisch nicht verkaufen. Nun darf man aber nicht verkennen, daß auch in Eng­land Fleisch zu sehr niedrigem Preise verkauft wird, welches bei uns in Deutschland wahrscheinlich wegen der Untaug­lichkeit zum menschlichen Genuß gar nicht für den Verkauf zugelassen würde. Aber in England besteht keine ge­ordnete Fleischbeschau. Auch die deutsche Arbeiterkom­mission, die im Mai vorigen Jahres England bereist hat. teilt in ihrem Bericht mit, daß das billige Fleisch von 20 Pfg. und auch die folgenden Sorten von 25, 30 und 40 Pfg. m der Hauptsache das Fleisch ist, welches in Deutschland zu Wurstzwecken verarbeitet wird. In dem

Berichte über die hiesigen Schmutzprozesse nicht in alle Welt gingen und nicht auch dort gelesen würden, wo man bisher von solchen Abscheulichkeiten nichts wußte! Gerade jetzt schießt das Aergernis erschrecklich weit und hoch hinauf! Unsere Zustände gewinnen eine ganz ver­zweifelte Aehnlichkeit mit den sumpfigen Verhältnissen in der Zeit, als das alte römische Heidentum in äußerem Glanz und innerer Fäulnis zugrunde ging. Immer von neuem gibt es Gerichtsverhandlungen, bei denen Dinge verhandelt werden, die einen Kürassier schamrot machen müssen. Die sensationslustigen Blätter bringen den Un­flat so breit wie nur möglich; in vielen Hunderttausenden von Eremplaren wird der giftige Schmutz in die Städtcen und in die Dörfer getragen. Man muß ernstlich allen Eltern und Pflegern zurufen, daß sie Acht haben sollen auf die Jugend, damit sie nicht an dieser Lektüre ihr Gemüt und ihre Sittlichkeit verderbe. Man braucht nicht einmal nach Berlin zu reisen, um die Berliner Sumpf­luft einzuatmen. Die gewissenlose Presse sorgt schon dafür, daß das Aergernis hinausgetragen werde bis in des kleinste Nest und auf das platte Land. Haltet wenigstens eure Familienstube rein! Gebt euren Kin­dern keine Zeitung in die Hände, die ihr nicht vorher selbst auf ihre Inträglichkeit geprüft habt!

Buntes Allerlei.

Der Papagei als Entlastungszeuge.

Im Wiener Extrablatt liest man folgendes: Zu einer komtschen Gerichtsverhandlung gab die Klage der Näherin Anna Glockner gegen den mit gedruckten Pro­phezeiungen handelnden Hausierer Wolfner in Wien An­laß. Der Mann hat einen Kompagnon in Gestalt eines gut dressierten Papageis, der diePlanetenzettel her­vorzieht und stets mit dem Schnabel den Käufern prä­sentiert. Die Klägerin Glockner, die aus einem solchen Planetenzettel ihr Schicksal erfahren wollte, fand den Preis von vier Hellern für diese Prophezeiung zu hoch. legte dem alten Wolsner nur zwei Heller hin und wollte fortgehen da habe er ihrdumme Gans" nachge­rufen, daher der Strafantrag. Angeilagter:Das is ja gar nicht wahr, Herr Richter! Ich werd doch meine Kundschaften nicht perdumme Gans titulieren; fällt mir gar nicht ein! Klägerin:Dasdumm" beschwör' ich an die Gans kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Angeklagter:Ah so! Dumm allein jetzt geht mir a Licht auf. Herr Richter! Das is mein Papagei sein Lieblingswort! Er plaudert viele Wörter aberTepp unddumm das red't er wie