Erscheint täg nahme der So
ch mit Ausu. Feiertage.
Organ für die Interessen des arbeitenden Volkes.
Eingetragen im Postzeitungs Katalog unter No. 6829.
nahme der So= u. Feierlage.„—
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. Fr. Diederich.— Expedition: Tortmund, Lindenstraße 25.— Druck und Verlag von Siebel, Block& Co. beide in Dortmund.
Nr. 74.
Abaumentspreis
für Dor'n und 60 Pfg., für Auswärts 65 Pfg. monatlich frei us Haus durch die„on bezogen pro Quartal 2 Mk
Sonntag, 27. Klärz 1892. vie
Inserttonspreis
oder deren Ruum 15 Pfg. Rabatt. Reklamen 30 Pfa.
3. Jahrg.
Arbeiter, Genossen!
Arbeiter von Dortmund und Umgegend, das Organ, welches ihr geschaffen habt durch eure eigenen, mühsam errungenen Mittel für eure hohen Zieie, ist die
„Westfälische Freie Presse“.
„Westfälische Freie Presse“ wird bestrebt sein, allen billigen Anforderungen, die an ein wirkliches Volksblatt gestellt werden, Rechnung zu tragen durch vortrefflich geschriebene Leitartikel, durch wahrheitsgetreue Berichte aus der Arbeiterbewegung, aus dem Vereinsund Versammlungsleben, aus dem Parlamente. Besondere Aufmerksamkeit wird der Registrirung aller Tages ereignisse im Land und im Reiche gewidmet, endlich wird auch auf den unterhaltenden Theil, sowie auf die Auswahl spannender Erzählungen die größte Sorgfalt verwendet.
Die„Westfälische Freie Presse“ wird an jedem Werktage in der Mittagstunde ausgegeben.
Der Abonnementspreis beträgt für Dortmund 60 Pfennig, für Auswärts 65 Pfennig monatlich frei ins Haus, durch die Post bezogen pro Quartal 2 Mark.
Probe= und Agitationsnummern werden jederzeit gratis abgegeben.
Arbeiter und Genosfen! Wir legen es euch noch mals ans Herz: laßt es eure Ehrenpflicht sein, in jedem Hause eurem Blatte Eingang zu verschaffen, damit es das einzige in Proletarierkreisen gelesene Blatt im hiesigen Gebiete werde. Die Presse ist euer bestes Schwert. Sorgt dafür, daß ein jeder die Hand nach demselben ausstrecke, um es zu seinem Kampfmittel zu machen!
Recht zahlreichen Abonnments sehen wir entgegen.
Politische und soziale Rundschau.
Deutschland.
— Aus dem preußischen Landtage. Dem Herrenhause ist ein Gesetzentwurf, betreffend Abänderung wegepolizeilicher Vorschriften für die Provinz Schleswig=Holstein mi: Ausnahme des Kreises Herzogthum Lauenburg, zugegangen.
Dem Abgeordnetenhause ist ein Gesetzentwurf, betreffend die Deklaration der Vorschriften§ 72 Abs. 1 des Einkommen steuergesetzes vom 24. Juni 1891 und§ 51 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes von demselben Tage, zugegangen.
Der Gesetzentwurf über die Bergarbeiter, welcher dem Abgeordnetenhause zugegangen ist, hat einen bedeutenden Umfang. Im Allgemeinen sollen die in der neuen Gewerbeordnungsnovelle festgestellten Grundsätze auch auf die Bergarbeiter ausgedehnt werden, doch sind mit Rücksicht auf die Eigenthümlichkeiten des Bergbaues Aenderungen nothwendig. Der ganze dritte Abschnitt des Aklgemeinen preußischen Berggesetzes vom 22. Juni 180., welcher von den Verhältnissen der Bergleute und der Betriebsbeamten handelt, erfährt eine große Erweite rung und durchgreifende Umg staltung. Beispielsweise werden aus dem§ 80 elf Paragraphen in Folge der eingehenden Vorschriften über die Bestimmungen, welche die Arbeitsord
nung enthalten muß. Der Erlaß einer Arbeitsordnung wird für alle Bergwerke für obligatorisch erklärt. Weiterhin er fährt der§ 85 acht Zusatzparagraphen, indem für alle minder jährigen Bergleute ein Arbeitsbuch eingeführt wird. Ferner werden die Bestimmungen der Gewerbenovelle über Fortbildungsschulen auf die Bergleut ausgedehnt. Sehr eingehende Bestimmungen werden getroffen über die Fördergefäße, welche maßgebend sind für die Lohnabrechnung auf Grund abgeschlos sener Gedinge. In der Gründung des Entwurfs wird viel fach auf die Erfahrungen hingewiesen, die man aus den Er hebungen nach den Ausständen im Jahre 1889 gemacht hat.— Die Wahl von Arbeiterausschüssen ist auch für den Bergbau nicht für obligatorisch erklärt worden. Auf denjenigen Betrieben, für welche besondere Kassen vorhanden find, sollen die Kassenvorstände aus den Reihen der Arbeiter gewählt werden und die Funktionen der Arbeiterausschüsse versehen. Ebenso haben die Knappschaftsältesten diese Funktionen wahrzunehmen dort, wo die Organisation der Knappschaften mit den Werken zusammenfällt. Den Oberbergämtern wird das Recht beigelegt, Dauer, Begian und Ende der täglichen Arbeitszeit und der zu gewährenden Pausen vorzuschreiben, wenn durch übermäßige Dauer der täglichen Arbeitszeit die Gesundheit der Arbeiter gefährdet wird.
Eine Sentimentalität neunt die Münchener„Allgemeine“ die Treue zum„angestammten Herrscherhaus“— natürlich zum hannoverschen! Man lese und staune:„Man begreift vollständig die Gefühle der Hannoveraner, welche ihr früheres Königshaus gern im Besitz seines Vermögens oder doch der Erträgnisse desselben sähen, aber derartige sentimentale Erwägungen können in politischen Fragen nicht entscheidend sein. Die„Klarheit der Situation“ mun von Seiten des Herzogs von Cumberland geschaffen werden.“„Teutsche Mannen= und Basallentreue“ ist also gut, so weit der Lehnsherr den Erfolg für sich hat! Pfui Teufel über solche„teutsche Treue“, die bei Prüfungen und Unglück als„Sentimentalität“ abdankt. Die doppelte Moral der Herren tritt hier in aller Schamlosigkeit zu Tage. Man sieht übrigens daraus indirekt, wie gewisse geschichtliche Ereignisse dazu beigetragen haben, die sittlichen Begriffe der Erbpächter aller Loyalität zu verwirren.
— Ueber de anonymen Rathaeber, die nach der„Kreuzzeitung“ den deutschen Kaiser„angelogen“ haben, plaudert der„Reichsbote“ Folgendes aus:
„Das Schlimmste bei diesen anonymen Rathgebern ist, daß sie ihre Weisheit im gemüthlichen Plaudertone anbringen und dabei von den Ministern in einer Weise reden, daß dieselben wie ergebene Diener erscheinen, die nur Befehle auszuführen hätten. Dadurch wird die Stellung der Minister herabgedrückt, aber der Rath jener Anonymen erhebt sich in der Regel wenig über den Werth eines Geplauders bei Kaffee und Zigarre nach dem Diner. Diese Rathgeber waren das Unglück Friedrich Wilhelms IV., den sie so lange hin= und herzerrten, bis der unglückliche König selbst schwankend und willenlos wurde. Kaiser Wilhelm I. hat es, gewarnt durch die traurigen Erfahrungen seines sonst so hochbegabten Bruders, verstanden, sich die unverantwortlichen Rathgeber fern zu halten, indem er nie mit anderen Leuten. als mit seinen Ministern
fachpolitische Gespräche führte, und auch unter den Ministern immer nur mit jedem das berieth, was in sein Ressort gehörte.“
Kaiser Wilhelm I. gehörte als Prinz von Preußen dekanntlich mit zu den Rathgebern, welche Friedrich Wilhelm IV. „hin= und herzerrten.“
— Der 18. März ist, wie wir schon bemerkten, eigentlich ein Gedenktag für die Bourgeoisie, die aber bezüglich dieses Ereignisses einen außerordentlichen Gedächtnißschwund erlitten hat. Wie die heutige Bourgeoisie sich zum 18. März stellt, das zeigt auf's Deutlichste— und, wenn man es liest, muß man Mitleid empfinden mit diesen Heldenseelen— das Vorgehen der Schwartzkoff' schen Metallwaaren= abrik in Berlin gegen ihre Arbeiter, die es gewagt hatten, das Andenken der achtundvierziger Märtyrer zu feiern und auf ihrem Grabe einen Kranz niederzulegen. Daroh gerieth die Direktion dieser Fabrik außer sich, und um zunächst ein Exempel zu statuiren, wurden sechs Arbeiter, die im Verdacht standen, jene Kranzspende gefördert zu haben, Knall und Fall entlassen. Nachdem man auf diese Weise mit der Hungerpeitsche gewinkt hatte, wurde folgender Ukas angeschlagen, dessen Niedrigerhängen genügen dürfte:
„Zu unserem höchsten Bedauern haben wir durch die Zeitung davon Kenntniß erhalten, daß am 18. März ein Kranz mit rother Schleife, die Aufschrift enthaltend:
„Gewidmet von den Arbeitern der Schwartzkoff'schen Fabrik Sibirien“—
in demonstrativer Weise auf dem Kirchhof im Friedrichshain niedergelegt worden ist. Erst vor wenigen Tagen nahmen wir bei dem, die Fabrik, ihren Chef betroffenen herben Trauerfall Veranlassung, unserem gesammten Beamten= und Arbeiterpersonal unseren Dank für ihr theilnehmendes und würdevolles Verhalten auszusprechen. Wir sind auch heute noch der Ansicht, daß die überwiegende Mehrzahl unserer Arbeiter mit uns in ihren Gesinnungen, der Treue zu unserem Kaiser und König und der Treue zu unserem Vaterland eins ist, und Recht und Ordnung und Frieden, welche ihr Beruf und ihre Familien erheischen, wie wir zu wahren sucht.— Wir können daher nur annehmen, daß einige unberufene Feinde der Ordnung und des Friedens, in rücksichtsloser Vergewaltigung, das heißt, ohne das erforderliche Einverständniß aller Arbeiter einzuholen, in deren Namen sich erkühnt haben, diese Erklärung öffentlich abzugeben.
Um solchen unwürdigen Uebergriffen in gerechter und erfolgreicher Weise ebenso öffentlich entgegentreten zu können, haben wir angeordnet, daß bei den einzelnen Meistern unseres neuen Werkes Listen ausliegen, in welche wir alle Diejenigen ersuchen, ihren Namen einzusetzen, welche Protest gegen die oben angeführten Demonstrationen einlegen wollen.
Berlin, den 19. März 189—. Die Direktion.“
Das heißt in nackten Worten: Die Hungerpeitsche dazu benutzen, um den Arbeiter zur öffentlichen Verleugnung seiner Gesinnung zu zwingen. Wenn irgend eine Bezeichnung für eine solche Fabriksleitung begreiflich ist, so ist es das Wort „Sibirien“, welches die Arbeiter auf ihren Kranz setzten.
— Aus Ostafrika ausgewiesen ist nach der„Freisinnigen Zeitung“ der Vertreter Wißmanns in Ostafrika, de la Fremoire, der zugleich der Vetter desselben ist. Die Ausweisung erfolgte
Drei Todesarten.
Frei nach dem Russischen des Grafen Leo Tolstoy.
I.
Es war Herbst. Auf der Landstraße fuhren im raschen Trab zwei Equipagen. In dem vordern Wagen saßen zwei Frauen. Die eine war die Herrin— mager und bleich, die andere die Kammerfrau— mit glänzend rothen Wangen und vollem Busen. Kurzes, trockenes Haar sah unter dem verblichenen Hut heivor, und die rothe Hand in dem zerrissenen Handschuh strich es von Zeit zu Zeit zurecht. Der mit einem gehäkelten Tuch bedeckte Busen strotzte von Gesundheit, die lebhaften, schwarzen Augen verfolgten bald durch das Fenster die vorbeifliegenden Fenster, bald blickten sie verstohlen auf die Herrin, bald spähten sie unruhig im Wagen umher. Vor der Nase der Kammerfrau schaukelte sich der an das Wagennetz befestigte Hut der Herrin, auf ihrem Schoße lag ein Hündchen, ihre Füße ruhten auf den Schachteln, die auf dem Boden standen und auf demselben klapperten, während die Wagenfedern unter den Stößen knarrten und die Fenster klirrten.
Die Hände im Schoß gefaltet, die Augen geschlossen, wiegte sich die Herrin leicht in den Kissen, mit denen man sie gestützt hatte, und leicht die Stirn runzelnd, stieß sie einen unterdrückten Husten hervor. Ihren Kopf bedeckte ein weißes Häubchen, und ein blauseidenes Halstuch war um den zarten bleichen Hals geschlungen. Ein gerader Scheitel, der sich unter dem Häubchen verlor, theilte das blonde, glatte, pomadifirte Haar, und die weißliche Haut dieses Scheitels hatte etwas Trockenes. Welke, etwas gelbliche Haut bedeckte die feinen, schönen Gesichtszüge und war auf den Wangen heftig geröthet. Der Mund war trocken und unruhig, die Wimpern schütter, und der wollene Reisemantel siel in geraden Falten über die eingefallene Brust. Die Augen waren geschlossen, und Müdigkeit, Nervenüberreizung und Leiden prägten sich in dem zarten Gesicht aus.
Der Bediente, der mit dem Ellbogen auf seinem Sitz
lehnte, schlummerte auf dem Kutschbock, und der Postillon trieb das kräftige, ganz in Schweiß gebadete Gespann an, dann und wann nach dem zweiten Postillon zurückblickend, der hinter ihm in der Kalesche durch Geschrei seine Pferde anspornte. Parallele, breite Radspuren zogen sich gerade hin in dem kalkigen Koth der Straße. Der Himmel war grau und kalt, feuchter Nebel senkte sich auf die Felder und auf die Straße herab. Im Wagen herrschte eine erstickende Luft, und es roch nach Eau de Cologne und Staub.
Die Kranke bog das Haupt zurück und öffnete langsam die Augen. Ihre große Augen hatten hellen Glanz und eine prächtige dunkle Farbe.
„Schon wieder!“, sagte sie, indem sie mit der schönen, magern Hand den Mantel der Kammerfrau zurückstieß, der ihren Fuß streifte. Und ihr Mund verzog sich schmerzlich.
Matrioscha raffte mit beiden Händen ihren Mantel zusammen, erhob sich auf ihren kräftigen Füßen und setzte sich ein wenig weiter weg. Ihr frisches Gesicht war ganz roth.
Die prächtigen, tiefdunkeln Augen der Herrin folgten gierig den Bewegungen der Kammerfrau. Die Herrin stützte sich mit beiden Händen auf den Sitz und wollte sich erheben, um sich höher zu setzen, aber die Kräfte versagten ihr. Ihr Mund verzog sich abermals, und in ihrem Gesichte prägte sich ohnmächtige, böse Ironie aus.
„Wenn du mir doch helfen würdest!—— Ach, es ist
nicht nöthig! Ich kann es selbst— nur sei ein andermal
so gut und lege nicht deine Säcke hinter mich————
so!——— rühre mich nicht mehr an, wenn du es nicht
verstehst—————“
Die Herrin schloß die Augen, aber rasch wieder aufblickend, sah sie die Kammerfrau an. Matrioscha blickte sie ebenfalle an und biß sich dabei in die volle rothe Unterlippe.
Ein schwerer Seufzer entrang sich der Brust der Kranken, aber ehe er sich ganz losgerungen, ging er in Husten über. Sie wandte sich ab, runzelte die Stirn und griff mit beiden Händen nach ihrer Brust. Als der Hustenanfall vorüber war, schloß sie wieder die Augen und saß regungslos da.
Der Wagen und die Kalesche fuhren in ein Dorf ein.
Matrioscha streckte den dicken Arm unter dem Tuche hervor und bekreuzte sich.
„Was ist das?“ fragte die Herrin.
„Eine Station, Barina.“
„Weßhalb bekreuzest du dich, frage ich.“
„Da steht eine Kirche, Barina.“
Die Kranke wandte sich zum Fenster und begann, sich langsam zu bekreuzen, indem sie mit ihren dunkeln Augen die große Dorfkirche verschlang, an welcher der Wagen vorbeifuhr.
Der Wagen und die Kalesche hielten am Stationsgebäude. Aus der Kalesche stiegen der Gatte der Kranken und ein Arzt. Sie traten an den Wagen.
„Wie befinden Sie sich?“ fragte der Arzt, den Puls befühlend.
„Nun, wie geht's dir, meine Liebe?— Bist du nicht müde?“ fragte der Gatte auf französisch.„Willst du nicht aussteigen?“
„Matrioscha hatte die Packete zusammengerafft und drückte sich in eine Ecke, um das Gespräch nicht zu stören.
„So so——— immer gleich“, erwiderte die Kranke;
ich werde nicht aussteigen.“
„Nachdem der Gatte eine Weile bei dem Wagen gestanden, ging er in das Stationsgebäude. Matrioscha sprang aus dem Wagen und lief auf den Fußspitzen durch den Koth zum Thor.
„Wenn ich krank bin, so ist das kein Grund für Sie, nicht zu frühstücken“, sagte die Kranke schwach lächelnd zum Arzte, der neben dem Wagen stand.
Der Arzt entfernte sich erst langsamen Schrittes und sprang dann rasch die Stufen vor dem Stationsgebäude hinauf.
„Keiner von ihnen kümmert sich um mich“, sprach sie zu sich selbst.„Ihnen ist wohl, alles andere ist ihnen gleich. Oh Gott! Gett!“
Der Gatte trat auf den Arzt zu und rieb sich mit heiterm Lächeln die Hände.
(Fortsetzung folgt.)