Organ für die Interessen des arbeitenden

Für die Redaktion verantwortlich: Dr. Fr. Diederich. Expesition: Dorrmund, Lindenstraße 25. Druck und Verlag von Siebel, Block& Co. beide in Dortmund.

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Eingetragen im Postzeitungs Katalog unter No. 6826.)

Nr. 45.

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Dienstag. 25. Februar 1898.

Insertionspreis

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3. Jahrg.

Ncues Material zum Kapitel der Soldaten­mißhandlungen.

München, 13. Dezember 1891.

K. B. Kriegsministerium.

Betreff:

Mißbrauch der militärischen Dienstgewalt.

Nachstehendes erging an das kgl. General Kommando des II. Armee=Korps:

Das kgl. General Kommando hat bei Verlage der Akten über die strafrechtlichen Untersuchungen wegen Mißbrauch der Dienstgewalt gegen:

a) den Unteroffizier Kißkalt des 2. Ulanen Reg. und

b) den Gefreiten Beck d. 1. Chevauxl.=Regiments in den bezüglichen Vorlageberichten vom 8. September und 7. Nov. v. Jahres Nr. 13,646 und 16,692 die bei der prozessualen Durchführung dieser beiden gerichtlich erledigten Strafrechts­fälle festgestellten und mit demselben zusammenhängenden Vor­kommnisse bei den betreffenden Truppentheilen einer ein­gehenden dienstlichen Verurtheilung unterzogen. Das Kriegs­ministerium ist im Allgemeinen mit dieser Verurtheilung einverstanden, dasselbe sieht sich jedoch veranlaßt, aus den Untersuchungsakten die nachstehenden Momente besonders her­vorzuheben und aus dem Gesichtspunkte allgemeiner dienstlicher Interessen generell zu würdigen und zwar:

I. Aus den unter a erwähnten Akten.

1. In dem untergerichtlichen Strafverfahren gegen den Gemeinen Kugler wegen Achtungsverlitzung gegen den Unter­offizier Kißkalt wurde festgestellt, daß die dem Kugler zur Last gelegte, in passivem Widerstreben gegen einen unberech tigten wiederholten Befehl des 2c. Kißkalt bestehende Handlung durch brutale Bedrohung des Kugler seitens des genannten Unteroffiziers veranlaßt wurde. Während nun das Unter­gericht des 2. Ulanen=Regts. durch richtskräftig gewordenes Urtheil vom 4. April 1890 über den Gemeinen Kugler eine Strafe von 21tägigen strengen Arrest verhängte, welches Urtheil durch oberstrichterliches Erkenntniß des Generalaudi­toriats vom 21. Oktober v. Jahres als auf Gesetzverletzung beruhend gerügt wurde, hat nach Aktenlage das Verfahren des Unteroffiziers Kißfalt dem damaligen Kommandeur des

2. Ulauen=Regiments keine Veranlassung gegeben, hiergegen einzuschreiten.

2. Die von Unteroffizier Kißkalt gegen den Gem. Kugler in der Zeit vom 5. Oktober 1889 bis 8. April 1890 in der Eigenschaft als Berittführer und Zimmerältester verübten zahlreichen Ausschreitungen, wie z. B. die Auferlegung vor­schriftswioriger Uebungen während des Stalldienstes, haben zum Theil unter Anwesenheit älterer Unteroffiziere, insbesondere des Vizewachtmeisters stattgefunden, ohne daß sie dieselben abstellten oder dienstliche Meldung darüber erstatteten. wurde aber weder vom damaligen Eskadronchef noch vom Regiments=Kommandeur beim Anhängigwerden der Unter­suchung gegen Kißkalt vom dis splinären Standpunkt aufge­griffen.

II. Aus den unser b erwähnten Aktea ist hervorzuheben:

I. Gefreiter Beck der 1. Estadr. des 1. Chev. Reg. hat als Berittführer am 4. Februar v. Jahres früh unter An­wesenheit eines Sergeanten den Gemeinen Kurzmann ge­schlagen und herumgestoßen und zur Strafe mit über dem Rücken zu haltenden Seitengewehr in die Kniebeuge befohlen, ohne daß der Sergeant dagegen eingeschritten ist oder Anzeige machte.

2. Als der Gemeine Kurzmann nach etwa drei Minuten in Folge tonischer Krämpfe nicht mehr aus der Kniebeuge sich erheben konnte und hierauf in anscheinend bewußtlosem Zustande in ein Zimmer getragen und dort auf ein Bett gelegt wurde, ist über diese auffallende Erkrankung dem vorgesetzten Rekrutenoffizier bei dessen Eintreffen keine dienst­liche Meldung gemacht, auch von letzteren nicht verlangt worden.

Derselbe begnügte sich mit einer unbestimmten Antwort auf die diesbezügliche Frage, ohne dem Erkrankten nähere Beachtung zu widmen oder ärztliche Hilfe zu requiriren. Es geschah dies erst mehrere Stunden später durch den zufällig hinzugekommenen Wachtmeister.

3. Der herbeigerufene Arzt begnügte sich mit einer un­verantwortlich oberflächlichen Besichtigung des Erkrankten und überließ denselben ohne nähere Untersuchung und ohne ersten Versuch zu ärztlicher Hilfeleistung seinem Zustande bis zum darauffolgenden Tage Abends, zu welcher Zeit Kurzmann sodann erst in das Lazareth verbracht wurde.

4. Gelegentlich der gerichtsichen Untersuchung gegen den Gefreiten Beck ist festgestellt worden, daß bei einer früheren, in unmittelbaren Anschluß an Laufübungen stattgehabten Uebung in der Kniebeuge der Gemeine Zegula oonmächtig umfiel, worauf zwar ein Lazarethgehülfe herbeigerufen, eine dienstliche Meldung seitens des Rekrutenabrichters Gefreiten Beck jedoch unterlassen wurde, mit der nachttäglichen Be­gründung, daß die Sache hiefür zu unbedeutend gewesen sei.

5. Besonders bemerkenswerth ist, daß der betreffende Arzt bei den späteren Vernehmungen als Zeuge über die unter 3 und 4 erwähnten Fälle hinsichtlich seiner persinnlichen Be­theiligung bezw. ärztlichen Thätigkeit keinerlei bestimmte Auf­schlüsse ertheilen konnte und nicht in der Lage war, seine auf dem Gedächtniß beruhenden Angaben aus irgend welchen dies bezüglichen Aufzeichnungen zu ergänzen.

6. Auch die in Ziff. 1 mit 4 erwähnten Momente, melche größtentheils schon bei der ersten dienstlichen Feststel­lung des Thatbestandes ins Auge fallen mußten, sind nach Inhalt der Akten und der bezüglichen Berichte weder vom Eskadr.=Chef noch vom Regts.=Kommandeur, bezw. dem oberen Truppenarzt beachtet und im Sinne des Kriegs=Ministerial= reskriptes vom 5. Oktbr. 1882 Nr. 13 627 weder sofort, noch im Verlaufe der Untersuchung rechtzeitig aufgegriffen und ge­würdigt worden.

Aus den unter I und II angeführten Vorkommnissen im Zusammerhalt mit früheren Straffällen und mehrfachen, dem Kriegsministerium vorliegenden Berichten muß die Ueberzeu gung gewonnen werden, daß bei den Truppentheilen trotz dee Erlasses des Kriegsministeriums vom 12. März 1888 Nr. 4703 noch immer gewisse vorschriftswidrige Ausbildungs= Praktiken in Anwendung sind und geduldet werden, sowie

daß an und für sich erlaubte und in den Reglements vorge­schriebene Uebungen theils ihrer Dauer, theils ihrer Reihen­folge nach von Unteroffizieren und selbst von Offizieren in höchst zweckwidriger, für die Gesundheit und die Entwickelung der physischen und technischen Leistungsfähigkeit der auszu­bildenden Mannschaften schädlicherweise betrieben werden. Hierunter zählen unverhältnißmäßig langes Verharren der Mannschaften in der Kniebeuge oder in anderen anstrengen­den oder ermüdenden Körperhaltungen bei Turn=, Fecht= 2c. Uebungen, unmittelbater Uebergang in solche Körperhaltungen aus den Laufübungen u. s. w.

Außerdem wurden solche Uebungen von Unteroffizieren häufig eigenmächtig, in mehreren Fällen sogar in Verbindung mit anderen unerlaubten Erschwerungen als Strafmittel bei den Mannschaften in einer Weise angewendet, welche sich als geplante und öfters rohe Quälerei der betreffenden Mann­schaften charakterisirt.

Es sind denn auch hierdurch, wie durch andere brutale Korrekturmittel wiederholt schwere und dauernde Gesundheits­beschädigungen an Untergebenen herbeigeführt worden.

Die Mehrzahl der erwähnten Ausschreitungen kann keines­wegs als Ausfluß einer durch Augenblickseindrücke verursach­ten hochgradigen Erregung des betreffenden Vorgesetzten be­trachtet werden, es müssen vielmehr, abgesehen von der indi­viduellen Verschiedenheit der Charaktere, allgemeinere Ur­sachen hierfür gegeben sein.

Wie sich schon aus obigen und aus anderweitigen Wahr­nehmungen des Kriegsministeriums ergiebt, sind die wesent­lichsten dieser allgemeinen Ursachen in Mängeln des

Dienstbetriebes, in Unterschätzung der Nothwendigkeit einer durchgreifenden Regelung und Handhabung desselben innerhalb jedes Truppenverbandes und ferner darin zu suchen, daß Schädlichkeit und Verwerflichkeit der angedeuteten, vorschrifts­widrigen Gepflogenheiten, selbst von Offizieren noch nicht allseitig erkannt wird. Infolge davon erfahren viele Unge­hörigkeiten keine oder keine nachhaltige Korrektur und werden beim Truppentheil förmlich zur hergebrachten Urbung, so daß sie auf die dienstlichen und rechtlichen Anschauungen der unteren, namentlich der jüngeren Chargen geradezu verwir­rend einwirken, bis sie durch irgend eine Katastrophe in ihren Wirkungen offenkundig werden.

Eine weitere Ursache mag, wie in einzelnen Fällen nach­gewiesen wurde, noch darin liegen, daß die Detail=Ausbil­dung 2c. der Mannschaften außer den unerläßlichen Forde­rungen bezüglich der kriegerischen Fertigkeiten des Einzelnen und der Truppe noch anderweitige Anforderungen seitens der Vorgesetzten hinsichtlich äußerer Gleichförmigkeit der Leute 2c. gestellt werden, welche Forderungen wegen vorhandener

Mängel und Verschiedenheit der Körperbildung in gegebener Zeit und mit den vorgeschriebenen Mitteln nicht zu erfüllen sind und wodurch dann das untere Ausbildungspersonal zur Anwendung gewaltsamer Mittel gelangt.

Durch Vorangeführtes wird es auch erklärlich, daß trotz des anzuerklnne. den Pflichteifers der Gesammtheit der Offi­ziere die gegen Mißbrauch der Dienstgewalt gerichteten bis­herigen Erlasse die bezweckte nachhaltige Abminderung der gerügten Mißstände noch nicht bewirkten.

Das Fräulein von Seuderi.

Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten.

Von E. T. Hoffmann.

(Fortsetzung.)

Glaube nicht, Olivier, daß ich darum, weil ich thun muß, was ich nicht lassen kann, jenem Gefühl des Mitleids. des Erbarmens, was in der Natur des Menschen bedingt sein soll, rein entsagt habe. Du weißt, wie schwer es mir wird, einen Schmuck abzuliefern; wie ich für manche, deren Tod ich nicht will, gar nicht arbeite, ja wie ich sogar, weiß ich, daß am morgenden Tage Blut mein Gespenst verbannen wird, heute es bei einem tüchtigen Fauftschlage bewenden lesse, der den Besitzer meines Kleinodes zu Boden streckt, und mir dieses in die Hand liefert. Dies alles gesprochen, führte mich Cardillac in das geheime Gewölbe und gönnte mir den Anblick seines Juwelenkabinetts. Der König besitzt es nicht reicher. Bei jedem Schmuck war auf einem kleinen, daran­gehängten Zettel genau bemerkt, für wen es gearbeitet, wann es durch Diebstahl, Raub oder Mord genommen worden. An deinem Hochzeitstage, sprach Cardillac dumpf und feier­lich,an deinem Hochzeitstage, Olivier, wirst du mir, die Hand gelegt auf des gekreuzigten Christus Bild, einen hei­ligen Eid schwören, sowie ich gestorben, alle diese Reichthümer in Staub zu vernichten durch Mittel, die ich dir dann be­kannt machen werde. Ichwill nicht, daß irgend ein mensch­lich Wesen, und am wenigsten Madelon und du, in deu Besitz des mit Blut erkauften Hoits komme. Gefangen in diesem Labyriuth des Verbrechens, zerrissen von Liebe und Abscheu, von Wonne und Entsetzen, war ich dem Verdammten zu vergleichen, dem ein holde: Eugel mild lächelnd hinauf­

winkt, aber mit glühenden Krallen festgepackt hält ihn der Satan, und des frommen Engels Liebeslächeln, in dem sich alle Seligkeit des hohen Himmels abspiegelt, wird ihm zur grimmigsten seiner Qualen!

Ich dachte an Flucht ja an Selbstmord aber Madelon! Tadelt mich, tadelt mich, mein würdiges

Fräulein, daß ich zu schwach war, mit Gewalt eine Leiden­schaft niederzukämpfen, die mich an das Verbrechen fesselte; aber büße ich nicht dafür mit schmachvollem Tode? Eines Tages kam Cardillac nach Hause ungewöhnlich heiter. Er liebkoste Madelon, warf mir die freundlichsten Blicke zu, trank bei Tische eine Flasche edlen Weines, wie er es nur an hohen Fen= und Feiertagen zu thun pflegte, sang und jubilirte. P##adelon hatte uns verlassen, ich wollte in die Weikstatt:Bleib' sitzen, Junge, rief Cardillac,heut' keine Arbeit mehr, laß' uns noch eins trinken auf das Wohl der allerwürdigsten, vortrefflichsten Dame in Paris. Nachdem ich mit ihm angestoßen und er ein volles Gjas geleert hatte, sprach er:Sag' an, Olivier! wie gefallen dir die Verse: Un amant, qui craint les voleurs, nest point digne damour.

Er erzählte nun, was sich in den Gemächern der Main­tenon mit euch und dem Könige begeben, und fügte hinzu, daß er euch von jeher verehrt habe, wie sonst kein mensch liches Wesen, und daß ihr, mit solch hoher Tugend begabt, vor der der böse Stern kraftlos erbleiche, selbst den schönsten von ihm gefertigten Schmuck tragend, niemals ein böses Ge spenst, Mordgedanken in ihm erregen würdet.Höre, Oli vier, sprach er,wozu ich entschlossen. Vor langer Zeit sollt' ich Halsschmuck und Armbänder fertigen für Henriett. von Englaus und selbst die Steine dazu liefern. Die Arbeit gelang wir wie keine andere, aber es zerriß mir die Bruft, wenn ich daran dachte, mich von dem Schmuck, der mein Herzeuskleinod geworden, treunen zu müssen. Du weißt der Prinzessin unglücklichen Tod durch Meuchelmord. Ich belielt den Schmuck und will ihn nun als ein Zeichen meiner Ehr­furcht, meiner Dankbarkeit dem Fräulein von Scuderi senden im Namen der verfolgten Bande. Außerdem, daß die Scuderi das sprechende Zeichen ihres Triumphes erhält, der höhne ich auch Desgrais und seine Gesellen, wie sie es per dienen. Du sollst ihr den Schmuck hintragen. Sowie Cardillac euern Namen nannte, Fräulein, war es, als wür­den schwarze Schleier weggezogen, und das schöne, lichte Bild meiner gläcklichen, frühen Kinderzeit ginge wieder auf in

bunten, glänzenden Farben. Es kam ein wunderbater Trost in meine Seele, ein Hoffnungsstrahl, vor dem die finstern Geister schwanden. Cardillac mochte den Eindruck, den seine Worte auf mich gemacht, wuhrnehmen und nach seiner Art deuten.Dir scheint, sprach er,mein Vorhaben zu be­hagen. Gestehen kann ich wohl, daß eine tief innere Stimme, sehr verschieden von der, welche Blutopfer verlangt wie ein gefräßiges Raubthier, mir befohlen hat, daß ich solches thue. Manchmal wird mir wunderlich im Gemüthe eine innere Angst, die Furcht vor irgend etwas Entsetzlichem, dessen Schauer aus einem fernen Jenseits herüberwehen in die Zeit, ergreift mich gewaltsam. Es ist mir dann sogar, als ob das, was der böse Stern begonnen durch mich, meiner unsterblichen Scele, die daran keinen Theil hat, zugerechnet werden könne. In solcher Stimmung beschloß ich, für die heilige Jungfrau in der Kirche St. Eustache eine schöne Dia­mantenkrone zu feitigen. Aber jene unbegreifliche Angst über­fiel mich stärker, so oft ich die Arbeit beginnen wollte, da unterließ ich's ganz. Jitzt ist es mir, als wenn ich der Tugend und Frömmigkeit selbst demuthsvoll ein Opfer bringe und wirksame Fürsprache erflehe, indem ich der Tcuderi den schönsten Schmuck sende, den ich jemals cearbeitet. Cardillac, mit eurer ganzen Lebensweise, mein Fräulein, auf das genaueste bekannt, gob mir nun Art und Weise, sowie die Stunde an, wie und wann ich den Schmuck, den er in ein sauberes Käsichen schloß, abliefern solle. Mein ganzes Wesen war Entzücken, denn der Himmel selbst zeigte mir durch den fteven#tlichen Cardillac den Weg, mich zu retten aus der Hölle, in der ich, ein verstoßener Sünder, schmachte. So dacht ich. Ganz gegen Cardillacs Willen wollt' ich bis zu euch dringen. Als Arne Brußons Sohn, als euer Pfleg­ling gedacht' ich, mich euch zu Füßen zu werfen und euch alles alles zu entdecken. Ihr hättet, gerührt von dem namenlosen Elend, das der armen, unschuldigen Madelon drohte bei der Entdeckung, das Geheimniß beachtet. (Fortsetzung folgt.)