Lokal=Anzeiger

für die Amter Dr. Oldendorf, Levern u. Dielingen(Wehdem

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Nr. 1!

Amtlicher Anzeiger des Kreises Lübbecke

(Bisher:Tageszeitung für den Kreis Lübbecke)

Verantwortlicher Schriftleiter: Dr. Hugo Schlüter, Bad Essen Druck und Verlag: Franz Schlüter, Bad Essen

Preußisch Oldeudorf, Mittwoch 17. Jannar 1923

Anzeigen kosten für 34 mm Breite(Ispaltig) 1 mm 10.44, Reklamen für 90 mm Preite und 1 mm Höhe 40 4. Schluß der Anzeigen=Annahme: 12 Uhr mittags.

größere Aizeiger tage zavor.

Kohlen oder weitere Besetzung

Die Industriellen bleiben standhaft. Ein ganzes Armeekorps im Anzuge. Die Reparationskommission stellt neueVerfehlungen fest.

Dortmund besetzt!

Fortdauer des französischen Vormarsches.

Die bekannten Vormarschabsichten der Franzosen wer­den nunmehr rasch durchgeführt. Durch das ganze In­dustriegebiet und bis an die Tore Dortmunds stießen die französischen Kolonnen vor.

Am Dienstag mittag kurz vor 12 Uhr ist auf dem Dortmunder Hauptbahnhof der erste Transportzug mit französischen Truppen entladen worden und damit die Be­setzung des Ruhrbezirks auch auf Dortmund aus­

gedehnt worden. 1 65

Die Eisenbahnlinien des Ruhrbezirks sind jetzt sehr stark durch französische Truppentransporte in Anspruch ge­nommen, doch ist der Verkehr noch einigermaßen normal. Poincaré erwartet Nachgiebigkeit.

Poincaré hat den französischen Pressevertretern erklärt, die Besetzung Dortmunds habe sich als notwendig er­wiesen, weil die Dortmunder Kraftzentrale das In­dustriegebiet mit elektrischem Strom versorge. Ferner sei Dortmund der Ausgangspunkt des Eisenbabnnetzes im Nuhrgebiet. Poincaré fuhr fort, die französische Regie­rung habe Grund zu der Annahme, daß die Reichs­regierung baldigst zur Einsicht der von ihr be­gangenen Fehler gelangen werde. Die Industriellen des Ruhrgebiets würden beim Reichskanzler vorstellig werden, und es werde ihnen jedenfalls gelingen, die Re­gierung zu einer weniger unnachgiebigen Haltung zu be­stimmen.

Ein ganzes Armeekorps

Essen. Für den Umsang des bisherigen militärtschen Aufgebots ist bezeichnend, daß der kommandierende General in Bredeney den deutschen Behörden die bevorstehende An­kunft eines Armeckorps=Kommandos angekündigt hat in drei­fachem Umsange seines Stabes, und daß er die Bereitstellung der notwendigen Unterkunftsräume in Bredeney verlangt. Zur Besetzung Dortmunds

Dortmund. Die Bahnhöse, die Eisenbahnbetriebsämter und andere öffentliche Gebäude sind von den Franzosen besetzt worden. Um 2 Uhr fand zwischen elner Abordnung von französischen Offizieren und dem Oberbürgermeister von Dortmund eine Besprechung statt.

Dortmund. Gestern mittag 1 Uhr wurde Dortmund auch von Süden durch Kavallerie und Panzerwagen besetzt. Die Truppen nahmen am Südbahnhof Aufstellung. Der Einmarsch vollzog sich in aller Ruhe.

Die Überwachung des Verkehrs Berlin. Wie den Blättern von zuständiger Stelle mit­getellt wird, sind bis jetzt keine Elngriffe der Besatzung in den Betrieb der Eisenbahn zu verzeichnen. Eine Reihe von Bahnhösen wurde mit französischen Feldeisenbahnern besetzt. Eine Kontrolle der Güterzüge ist durchgeführt worden Heme wurden 3 Tankzüge in Dutsburg verladen, von denen zwei nach Carnap und einer nach Gladbeck geführt worden sind.

Requisition und Kontrolle.

Auf Grund dieser deutschen Erklärung beabsichtigen die Franzosen zu weiteren Gewaltmaßnahmen zu schrei­ten. In der letzten Pariser Ministerkonferenz wurde be­schlossen, wenn die Bergwerksbesitzer im Ruhrgeblet ihre Haltung nicht veränderten, die Kohlen= und Koksmengen, die für die Reparationen ersorderlich seien, durch Regus­sitionen zu verschaffen. Die Zahlung für die Löhne sel Sache der deutschen Regierung. Für die Löhnung der Bergleute, die einstwellen direkt durch die verbündeten Be­satzungsbehörden in Papiermark erfolge, werde so rasch als möglich ein besonderes Zahlungsmittel ge­schafsen werden. An der Pariser Meldung, daß die Nuhr­industriellen sich bereit erklärt hätten, die Kohlenlieserungen auszunehmen, wenn der Requlsitionsbeseill zurückgenom­men werde, ist keln wahres Wort. Inzwischen haben die Franzosen auch mit der Kontrolle der Kohlen­züge begonnen. Diese wird in der Weise durchgeführt, #0h, Keutrollgruppen in Essen=Hauptbahnhof, Werden, Mülheim=Eppinghosen, Bottrop=Sild und Oberhausen ein­gei.### worden Aind, die durch Kontrollposten die collen­den Züge und den Ausgang der Kohlen= und Kokszüge zu überwachen haben.

Kohlenlieferung oder Sanktionen

"paneldorf. An der gestrigen Sitzung nahmen von

Vsteihten##### alerungspräsident Dr. Geützner und 9

Vertreter der bedeutendsten Zechen dee rheintsch=westfältschen Industriegebiets tell, von französischer Seite General Simon, General Davignes und die interalliierte Kontrollkommission General Simon tellte mit, die deutschen Herren hätten einen

Befehl des Generals Degoutte in Empfang zu nehmen. Er verlas dann den Befehl, durch den die Zechenbesitzer zum letzten Mal aufgeforbert werden, spätestens heute früh die Kohlenlieferungen an Frankreich u. Belgien wieder auf zunehmen. Als eiste Sanktion für das Verbot der deutschen Reglerung, Kohlen zu liefern, sei Dortmund besetzt worden. Sollte der Widerstand andauern, so werden weitere Sanktlonen folgen. Versuche des Regierungspräsidenten und der Zechenbesitzer, zu Worte zu kommen, wurden in brüsker Weise verhindert und die Sitzung für geschlossen erklärt.

Drohung mit dem Gericht

Düsseldorf. Friedrich Thyssen wurde gesternemittag vor den Generalstab des Brückenkopfes Düsseldorf geladen. Im Auftrage des Generals Degoutte erklärte General Simon ihm und den mit ihm geladenen Herren, Generaldirektor Kesten, Bergassessor Runge und dem Direktor Wüstenhöfer, daß sie, wenn sie bei ihrer ablehnenden Haltung blieben, von jetzt unter gerichtlichem Verfahren stehen würden. Sämtliche Herren erklärten auf Befragen, daß sie auf ihrem bisherigen Standpunkt verbleiben müßten.

NeueVerfeblungen!

Nach Berlin! Englands Zurückhaltung.

Polncaré wünscht, daß die Reparationskommission sein militärisches Vorgehen politisch unterstütze. Er hat daher einen Brief an Barthon gerichtet und spricht darin von vier Arten von Verfehlungen, deren sich Deutschland schuldigmacht habe:

1. Die absichtliche Einstellung der Lieserungen von Kohlen an Frankreich und Belgien selt einigen Tagen, 2. die Ein­stellung der Lieferung von Vieh an vieselben Länder, 3. die Versehlungen in bezug auf die Lieserungen von Pflaster­steinen und 4. die Versehlungen hinsichtlich der Ausführung der großen öfsentlichen Arbeiten.

Die französischen Radikalen sordern von Poincaré bereits, daß er sich mit der Besetzung des Ruhrgebiets nicht begnügen solle, sondern nach Berlin marschie­ren möge. Ferner werden in Paris wieder lebhaft Pläne erörtert, das Rheinland mit dem Ruhrgebiet als einen autonomen Pufferstaat von Deutschland loszu­reißen. Aus Lonvon kommt immer wieder nur die Nachricht, daß die englische Reglerung die weitere Ent­wicklung der Dinge abwarte und in keiner Weise zu inter­venieren beabsichtige.

Berlin. Die Reparatienskommission hat gestern der Krlegs­lastenkommission mit getellt, daß sie auf Grund der Einstellung der Kohlen= und Viehlleserungen mit 3 gegen eine Stimm­enthaltung, die des englischen Delegierten, eine Verfehlung festgestellt und die alltierten Regierungen gemäß§ 17 Anlage 2 Teil 8 des Versailler Vertrages in Kenntnis gesetzt habe. In der von der Repto berausgegebenen offiziellen Mittellung wird erklärt, daß die Anhörung deutscher Delegierter nicht mehr erfordeilich erschienen sei, da vorsätzliche Ver­fehlung offensichtlich sei.

Was tut Italien?

Mussolin über die Nuhrakiion.

Im itallenischen Ministerrat erklärte Mussolini über die Besetzung des Ruhrreviers, Itallen gewähre Frank­reich nur seine polltische und technische Solidarität. Der Plan eines kontinentalen Blocks gegen England bestehe nicht. Es sel im Gegenteil wahr, daß die ttallenische Re­gierung Frankreich geraten hat, so viel als möglich den militärtschen Charakter in der Ruhrfrage zu be­schranken und in dieser Hinsicht nicht die Möglichkeit von übereinkommen zurückzuweisen. Wenn eine derartige Entente, die Europa den Frieden geben würde, zustande käme, so würde sie nach Ansicht Italiens doch nicht zum Ziele gelangen können ohne die Teilnahme und die Zustimmung Englands. Itallen habe keine Kohle und könne sich nicht den Lurus von Ver­zichtleistungen oder Isolierung gestatten. Die Italienische Regierung sei der Ansicht, daß die Möglichtell von über­einkommen vorhanden Ist, und die Italienische Megierung arbeite in diesem Sinne. Es würde eln schwerer Fehler von Deutschland sein, wenn es eine solche Möglichteit zurückwiese. Es scheine, daß die Arbeitermassen den Kon­trollmaßnahmen seine übermäßig großen Schwierigkeiten bereiten. Eine Annäherung Frankreichs an den In London vorgelegten italienischen Plan über die Reparationsfrage sei nicht unwahrscheinlich.

Fernruf Bad Essen Nr. 7

17. Jahegang

Nemel und

Aus unterrichteten Kreisen wird uns aus Berlin ge­schrieben:

Drei Ereignisse der letzten Tage wersen auf die augew blickliche gesamtpolitische Lage in Europa ein grelles Licht Litauische Freischärler haben Memel gestürmt. Die französische Besatzung, die sich durch ihre Führer ver­pflichtet halte, die dem Memellande verpfändete Ehre Frankreichs und der Alltierten bis auf den letzten Mann zu verleidigen, hat im gegebenen Augenblick die weiße Fahne aufgezogen. Memel ist in der Gewalt der Er­oberer. Das zweile Ereignis ist die Nachricht, daß die Polen eine Teilmobilisterung angeordne# haben mit der Begründung, daß Polen den Auftrag er­halten könnte, im Namen der Entente den bisherigen Zu­stand in Memel wiederherzustellen. Ins Deutsche übersetzt heißt das natürlich: man mobilisiert, obwohl es offiziel abgeleugnet wird, well man in Warschau wüllend darüber ist, daß die Litauer schneller bei der Hand gewesen sind als die Polen. Das dritte Ereignis ist die Reise des Mos­kauer deutschen Botschafters bei der Sowjet­regierung Grafen Brockdorfs=Rantzau nach

Berlin. Zweck: Berichterstattung on die Zentran. Als Graf Brockdorff in Berlin elntraf, wurde er bereits au dem Bahnhofe von Staatssekretär v. Malyan in Empfang genommen. Herr v. Maltzan ist der bisherige Verweser des sogenannten Ostreferates des Auswärtigen Amtes und bekannt als Vater des Rapallo=Vertrages und der Verständigung mit Sowjetrußland.

Wenn ein Botschafter zur Berichterstattung aufgefordert wird oder diese Berichterstattung selber für nötig hält, so ist klar, daß dazu irgend ein Anlaß vorliegen muß. Nun erinnere man sich daran, daß von englischer Seite die Nachricht verbreltet wurde, daß Polen die Gelegenhelt, die Frankreich durch die Besetzung des Ruhrgebietes ge­schaffen habe, in dem Sinne für sich auszunützen gedenke, daß es die Hand nach dem bel Deutschland verbliebenen Teile von Oberschlesien ausstrecken werde. Daran war die Frage geknüpft worden, wie sich Sowjetrußland in diesem Falle verhalten würde, von dem man nicht nur In London weiß, daß ihm die Existenz eines selbständigen und eine stete Drohung darstellenden Polens ein Dorn im Ange ist. Heute nun, nach dem litanischen Husarenstück gegen Memel, behauptet man in Warschau zur Begründung der millitärischen Vorbereitungen, daß hinter Litauen Rußland stünde. Aus alledem ersteht man also mit Deutlichkelt, daß im Nordosten zweisellos recht bedenkliche Wetterwolken sich zusammenballen. Man kann es sich nun In der Tat nicht gut vorstellen, daß die Litauer ihren Hand­streich ohne eine sichere Rückendeckung unternommen haben sollten. Eine sonderbare Idee, die man in Warschau aus durchsichtigen Gründen vertritt und der zufolge Deutsch= land an dem litanischen Vorstoß die Schuld tragen soll, ist zu töricht, als daß man sie zu widerlegen brauchte. Von sowno ist es nach Berlin viel wetter als nach Moskau, und da die Litauer sich sagen mußten, daß Frankreich die Blamage einer Niederlage und mehrerer französlscher Toter kanm ohne wetteres hinnehmen würde, wenn es wüßte, daß das kleine Litauen ganz allein vorgegangen sei, so lag es deshalb nahe, daß die erwähnte Rückendeckung da ge­sucht wurde, wo sie am ebesten zu haben war. Das dürfte aber ohne Frage in Moskan der Fall gewesen seln. Nimmt man das als wahrscheinlich an, dann würde also der polnische Zorn sich naturgemäß in erster Linie gegen Rußland richten müssen. Man würde serner in Warschau auf weitere Absichten Nußlands schlieben können und drli­tens würde die offene oder versteckte Mobilisterung Polens also als direkte Vorsichtsmaßregel gegen Rußland zu be­trachten sein. Moskau hat aber, und auch das gehört in diesen Nahmen, in scharfer Weise gegen das Vorgehen der Franzosen im Rubrgebie protestiert, so daß an seiner gegen Frankreich gerich­teten Haltung kaum eln Zweifel zulässig ist. Wenn man Augenzeugen glauben darf, die In letzter Zeit in Rußland gewesen sind und das gutgenährte und vor allem gut be­zahlte russische Milttär gesehen haben, dann wäre die russische Bedrohung für Polen oder, was dasselbe ist, für Fraukreich wirklich nicht gering zu schätzen. In Deutsch­land hat man aber selbstverständlich keinerlei Ursache, in einer solchen Betrachtung der Lage mehr als eln Gedanken­spiel zu sehen

In Memel sind französtsche Soldaten zum höheren Ruhme von Frankreichs Vorherrschaft in Europa gefallen Auch die Abtrennung des Memellandes war, wie alles in Versailles, nur ein Ausfluß der französtschen Vernichtungs­politik gegen Deutschland. Die Besetzung des Nuhrgebietes stellt zurzelt die zweifellos höchste Steigerung des französt­schen Machtwahnsinns dar. DieTimes sagt dazu, daß die europäische Polltik eine schroffe Wendung er­fahren habe. Und es ist In der Tai so. Der Arng geht so lange zum Wasser, bis er bricht. Der Widerstand gegen Frankreichist in der ganzen Wertin den letzten Tagen beinahe sichtbar ge­wachsen. Ist es wirklich nur eine grundlose Phautasse, daß der Tag doch einmal kommen könnte, der die Wendun­der europkischen Polltik, von der dieTimes spricht, an zu einer Wende der europäischen Stellung Frankreich

werden kännte?