Nr. 283.
Bezugspreis vierteljährlich M. 2.50. Anzeigenpreis
die einfache Spaltenzeile oder deren Raum 15 Pfennig. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 39. Schriftleitung Nr. 42.
Samstag den 3. Dezember.
1910.
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonnund Festtage.
Druck und Verlag: Gustav Butz in Hagen, Mittelstraße 22 Fernsprecher: Geschäftestelle Nr. 39. Schriftleitung Nr. 42.
Erstes Blatt.
Tagesrundschau.
In Süddeutschland gehen infolge der Einfuhr französischen Schlachtviehes die Fleischpreise erheblich zurück.
Die englischen Parlamentswahlen begannen gestern. In der Londoner City sind die beiden konservativen Kandidaten Balfour und Sir Frederick Banbury gewählt. Die Liberalen gewannen 1 Sitz.
Die persische Regierung hat der russischen die verlangte Genugtuung für die Insultierung des russischen Konsularagenten in Kasan durch Bachtiaren nunmehr gegeben.
Infolge Howwassers ist der Verkehr im Duisburger Innenhafen eingestellt. Die Magazine wurden geschlossen. Im Ruhrorter Hafen ist der Verladeverkehr gestört.
Die Reichstagsersatzwahl in Labiau=Wehlau ergab Stichwahl zwischen dem konservativen und fortschrittlichen Kandidaten. Die Konservativen erlitten eine große Einbuße an Stimmen.
Der General des 16. Armeekorps erließ eine
scharfe Verordnung gegen die Rekrutenmißandlungen.
In Krefeld feierte das Ehepaar Adam Binnewirtz das Fest der eisernen Hochzeit. Beide sind körperlich und geistig rüstig. Der Ehemann ist 94 Jahre, die Frau 91 Jahre alt.
Im Dorfe Lodi an der Südgrenze Tirols starb eine Frau Maria Bondi im Alter von 107 Jahren.
Letzte Meldungen siehe Depeschendienst.
Von der Reichsversicherungsreform.
Von H. Hormann, Mitglied des Reichstages.
(Nachdruck verboten.)
Mehrfach habe ich mich an dieser Stelle der Aufgabe unterzogen, von der Arbeit der Reichsversicherungskommission zu berichten und die Ergebnisse dieser Arbeit kritisch zu betrachten und weiteren Kreisen gegenüber zu erläutern. Bei der Erfüllung diese Aufgave dürfen auch die Beziehungen der „Versicherungsträger“ untereinander und die Beziehungen der„Versicherungsträger“ zu den anderen Verpflichteten nicht unerwähnt bleiben. Glücklicherwetse hat der Versicherte selbst kein allzu großes Interesse an dem Geheimnis jener Beziehungen, und das fünfte Buch der Reichsversicherungsordnung
Zied voraussichtlich allen, die nicht von Berufswegen damit zu befassen haben, ein Buch mit sieben Sien bleiben.
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Rechtsüberganges kraft Gesetzes. Die Einheitlichkeit der Instanzen bei Streitigkeiten ist nahezu erreicht, indem nach Möglichkeit die Streit
fragen vor den Bersicherungsbehörden hre Erledigung finden sollen
Das fünfte Buch behandelt im einzelnen das Berhältnis
1. der Krankenversicherung zur Unfallversicherung,
2. der Krankenversicherung zur Invaliden= und Hinterbliebenenversicherung,
3. der Unfallversicherung zur Invaliden= und Hinterbliebenenversicherung,
4. der Knappschaftsvereine, knappschaftlichen Krankenlassen, Ersatzkassen, Sterbe= und anderen Unterstützungskassen zur Unfallversicherung und
5. der Armenpflege zu den verschiedenen Zweigen der Reichsversicherung.
Alles das ist mit größter Konsequenz durchdacht und festgelegt worden. Interesse hat das 5. Buch aber nur für die Versicherungsträger selbst; für den Versicherten ist es ganz gleichgültig, ob die Krankenkasse, die Berufsgenossenschaft, die Versicherungs anstalt oder sonst jemand für ihn die Kosten aufbringt, wenn er nur zu seinem Rechte kommt. Und dafür ist gesorgt.
Mehr allgemeines Interesse beansprucht das 6. Buch, welches
das Verfahren
regelt. Wird die Unfallentschädigung nicht von Amtswegen festgestellt, was auf dem Gebiete der Unfallversicherung stets der Fall ist, so ist der Anspruch zur Vermeidung des Ausschlusses spätestens 2 Jahre nach dem Unfall bei dem Versicherungsträger anzumelden. Nach Ablauf der Frist kann der Anspruch noch geltend gemacht werden— hier ist die Kommission über die Vorlage hinausgegangen— wenn 1. eine neue Folge des Unfalls, die einen Entschädigungsanspruch begründet, erst später, oder eine innerhalb der Frist eingetretene Folge nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall in höherem Maße bemerkbar geworden ist, 2. der Berechtigte an der Anmeldung durch Verhältnisse verhindert worden ist, die außerhalb seines Willens liegen. Der Anspruch ist in diesen Fällen binnen drei Monaten anzumelden, nachdem die Unfallfolge bemerkbar geworden oder das Hindernis weggefallen ist.
Der sogenannte
Vorbescheid
hat sich nach Ansicht der Regierung in der Praxis nicht bewährt. Die Vorlage läßt ihn deshalb fallen. „Gegen die Streichung dieser Vorschrift bestanden um so weniger Bedenken, als nach dem Entwurfe dem Versicherungsamte die Entscheidung in erster Instanz übertragen worden ist,“ sagt die Regierung in der Begründung zu§ 1565. Nun hat aber das Versicherungsamt in der Kommission einen ganz anderen Charakter bekommen, als die Vorlage ihm zugedacht hatte. Es waren gerade die Vertreter der Berufsgenossenschaften, die auf Wiedereinführung des Vorbescheides hinarbeiteten. In Wahrheit bedeutet das nur eine Verzögerung der Erfüllung der Ansprüche des Verletzten, der im Endbescheid noch einmal dieselben Gründe entgegenzunehmen hat, die ihm bereits im Vorbescheide mitgeteilt wurden. Die Praktiker des Versicherungswesens wissen von einer Verbitterung der Verletzten, die„nicht selten die Rentensucht krankhaft werden läßt, schließlich zur Neurasthenie führt und es erklärt, wenn bei den späteren. Rentenherabsetzungen trotz eingetretener Besserung die erbittertsten Kämpfe gegen die mit Mißtrauen angesehenen Berufsgenossenschaften geführt werder".
Es ist ganz unzweifelhaft richtig, daß durch Beseitigung des Vorbescheides viel Zeit und Arbeit erspart werden würde, ohne daß irgend jemand Nachteil daurch hätte. Nach dem amtlichen Zahlenmaterial des Reichsve. cherungsamts sind im Jahre 1909 von 422076 ergangenen Feststellungsbescheiden nur 76352 durch Berufung angesochten worden. 345 724 blieben unangefochten und wurden nach Ablauf eines Monats von selbst rechtskräftig. Für diese große Zahl von Unfällen wäre ein Vorbescheid nicht nötig gewesen.— Warum das überflüssige Schreibwerk! Warum die ganz unnötige Belästi
gung der Post! Warum die Verschwendung von Porto! Hier ist eine Vereinfachung dringend am Platze, und es ist wirklich wünschenswert, daß die Kommission in zweiter Lesung den Vorbescheid wieder beseitigt und die Vorlage in diesem Punkte wieder herstellt. Das Einspruchsrecht bleibt dem Versicherten ja auf alle Fälle. Er wird sogar persönlich gehört und kann, wenn er mit dem Einspruchsbescheid noch nicht einverstanden ist, an das Oberversicherungsamt und gar an das Reichsversicherungsamt appellieren. Der Vorbescheid ist weiter nichts als eine Belastung der Industrie. Warum manche industrielle Kreise so sehr darauf erpicht sind, ist ganz unerfindlich.
Gegen die Bescheide der Träger der Unfall=, Invaliden= und Hinterbliebenenversicherung, sowie gegen die Urteile des Versicherungsamtes ist das Rechtsmittel der Bernfung an das Oberversicherungsamt(Spruchkammer) zulässig. Die Unfallversicherung ist seitens der Kommission in diese Bestimmung mit ausgenommen worden. Da das ärztliche Attest bei der Berufung eine große Rolle spielt, so hat die Kommission ausdrücklich beschlossen, daß die als Sachverständige fungierenden Aerzte in keinem Vertragsverhältnis, auch nicht vorübergehend, zu den Trägern der Unfall= und Invalidenversicherung stehen, auch nicht von diesen re gelmäßig als Gutachter in Anspruch genommen wer den dürfen. Hier ist eine Quelle begreiflichen Mißtrauens von vornherein abgefangen.
Um das Reichsversicherungsamt zu entlasten, hat die Vorlage das Rechtsmittel des Rekurses, das für die Unfallversicherung zurzeit besteht, fallen lassen. Als einheitliches Rechtsmittel für alle Zweige der Reichsversicherung ist nur
die Revision
vorgesehen. Daß das Reichsgericht entlastet werden muß, wird allgemein anerkannt, doch befürchtet man vielfach eine Verschlechterung der Rechtsprechung, wenn der Rekurs auch in Unfallsachen beseitigt wird. Die Kommission hat darum das geltende Recht devehalten, und sie hat den K 1651 wie folgt gefaßt:„Gegen die Urteile der Spruchkammern ist in Sachen der Unfallversicherung Rekurs, im übrigen Revision zulässig.“ Ob sich die Regierung mit diesem Beschluß abfinden wird, dürfte davon abhängen, ob es gelingt, das Reichsversicherungsamt auf andere Weise genügend zu entlasten. Zu diesem Zwecke ist in den§§ 1652 ff. eine Reihe Punkte von minderer Bedeutung aufgeführt, bei denen auch die Revision ausgeschlossen ist.
Bei Ansprüchen auf Leistungen der Krankenversicherung ist die Revision ausgeschlossen, wenn es sich handelt um: 1. die Höhe des Krankenoder Sterbegeldes, 2. Unterstützungsfälle, in denen der Kranke nicht oder weniger als 8 Wochen arbeitsunfähig war, 8. Wochenhilfe, 4. Familienhilfe, 5. Abfindung, 6. Kosten des Verfahrens.
Bei Ansprüchen auf Leistungen der Unfallversicherung ist der Rekurs ausgeschlossen, wenn es sich handelt um: 1. Krankenbehand lung, 2. Renten für eine unstreitig oder rechtskräftig festgestellte vorübergegangene Erwerbsunfähigkeit, 3. Rententeile, die bei dauernder Erwerbsunfähig keit auf Zeit zu gewähren sind, 4. Heilanstaltspflege, 5. Angehörigenrente, 6. Sterbegeld, 7. Kapitalabfin dung, 8. Kosten des Verfahrens.
Bei Ansprüchen auf Leistungen der Invaliden= und Hinterbliebenen=Versicherung ist die Revision ausgeschlussen, wenn es sich handelt um: 1. Höhe. Beginn und Ende der Rente, 2. Kapitalsabfindung, 3. Witwengeld, 4. Wai senaussteuer, 5. Kosten des Verfahrens.
Hei Ersatzansprüchen ist die Revision aus
geschlossen, wenn es sich um vorübergehende Leistungen handelt. Die Revision ist aber zulässig, wenn es
sich um Ersatzansprüche der Versicherungsträger oder anderer Verpflichteten gegen einander handelt.(5. Buch.)
Nach dem Entwurf sollte die Revision auch ausgeschlossen sein, wenn zwei übereinstimmende Entscheidungen vorliegen, d. h. wenn die Entscheidungen des Versicherungsamts und Oberversicherungsamts zu dem gleichen Resultat gelangt sind. Die Kommission hat diese Bestimmung gestrichen, obgleich zugegeben werden muß, daß sich zutreffende Gründe dafür anführen lassen. Es würde aber zweisellos eine Beschränkung des Instanzenzuges damit verbunden sein, und da auch die juristische Kommission des Reichstages sich bei Beratung der Justizgesetze auf den Standpunkt gestellt hatte, daß selbst in solchen Fällen die Revision zulässig sein müsse, hat die Kommission für die Versicherungsordnung sich dieser Auffassung angeschlossen.
Die erste Lesung der Reichsversicherungsordnung ist beendet. Auf Grund des Ganges der Verhandlungen darf man annehmen, daß es zwischen Regierung und Reichstag zu einer Verständigung über das gewaltige Gesetzeswerk kommen und daß seine Verabschiedung noch in dieser Session gelingen wird.
Labiau=Wehlau ein konservatives Menetekel.
kr. Die Küche der Fürstlichkeiten.
(Nachdruck verboten.)
Bunderdinge werden aus alten Zeiten von Königstaseln berichtet. Ein Tatarenkhan, Nachkomme des berühmten Dschingis Khan, soll in sei nem Palaste zu Samarkand mitten in seinem Speise saale einen gewaltigen silbernen Springbrunnnen errichtet haben, zu dessen Füßen vier Löwen kauernd zu sehen waren. Diesen Brunnen krönte eine bewegliche Figur, eine Trompete in der Hand; und wenn die Stunde der fürstlichen Mahlzeit kam, dann erklang aus dieser Trompete ein Signal und zu gleicher Zeit begannen die 4 Löwen der eine Wein, der andere Stutenmilch, der dritte Meih und der vierte Reisbranntwein zu speien. So sah es dereinst in einem fürstlichen Speisesaale aus. Heute haben die Mahlzeiten der Fürstlichkeiten alles Märchenhafte abgestreift, aber der Betrieb, der zu ihrer Vorbereitung und Herstellung dient, und die verschiedenen Eigentümlichkeiten, die die Fürstentafeln in den verschiedenen Ländern bieten, bilden noch heute einen interessanten Gegenstand.
" Kein lebender Monarch verfügt über eine so berühmte Küche wie der König von Engsieben Jahrhunderten befindet sich die englische Küche in denselben Gewölben von Windsor, die unter Georg III. mit oder menr####fwande von 10000 Pfund Sterling getätelt mur“ 200 000 Mark mit schwarzer Eiche ausInsisäßi#urden. In dieser Küche hat jede einzelne Sissscht führen..sonderen Generalstab, die Oberdes Ganzen iner königliche Köche und der Chef noch zwei eigene I.,Oberkoch. Die Konfiserie bat Focefgane. zim ganzen sind es etwa
Rüstzeug der engst: die Gerichte zubereiten. Das 800 Töpfen urdes JFönigsküche setzt sich aus
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wacht wird. Es enthält berühmte Stücke, von noch Hunderte das Tudorwappen, andere Hindu Embleme zeigen; die letzteren stammen aus Schatze Tivou Sahibs. Zu dem Eilberschate gehört ein Service aus massivem Golde. 8000 Gabeln und Löffel dienen für die königliche Tafel und eine gleiche Anzahl wird für den besonderen Bedarf der Küche gebraucht. Im ganzen schätzt man das TafelUlher des Königs auf etwa 35 Millionen Mark während der ganzen Regierung Eduards VII. ein Franzose, Herr Ménager, der ein Jahresgehalt von 40000 Mark bezog, sich aber
nach dem Tode seines königlichen Herrn vom Amte zurückzog. Die letzte Mahlzeit, die er zubereitete, war die, die den zur Beisetzung Eduards VII. in London versammelten Fürstlichkeiten gegeben wurde. Doch ist auch sein Nachfolger ein Franzose: es ist der Maitre Henri Cédard, der den König Georg schon bei seinen großen Weltreisen begleitet hat. Die privaten Mahlzeiten des Königspaares dauern nie länger als 40—50 Minuten, dabei werden von jedem Gange zwei verschiedene Gerichte zur Wahl vorgelegt, nach einem mehrere Jahrhunderte alten, auf einen Rangstreit der Köche zurückgehenden Brauch ist bei jedem Gerichte der Name des Kochs vermerkt, der es„geschaffen“ hat. Beiläufig verbietet ein gleichfalls alter Aberglaube, wonach das Spülen der Finger bei Tische Unglück bringt, noch heute die Einführung dieser Sitte an der Tafel des Königs von England.
..###e. Monatsschrift„Lectures pour tous“, die diese Mitteilungen über Küche und Tisch des Königs von England bringt, ist auf die Tafel des deutschen Kaisers wenig gnädig zu sprechen. Das macht, weil der Kaiser die Leitung seiner Küche einem Deutschen übertragen hat und weil er gar s9„weit„### Mangel an Ehrfurcht vor der fran zösischen Küche getrieben hat, die Speisekarte zu verDie französische Zeitschrift macht sich über dies Verfahren mit weniger Witz als Unwissenheit lustig— wir können über diese Auslassungen der #eranzösischen Eitelkeit hinweggehen.
Uebrig. ist der Kaiser nicht die einzige Fürstlich
die auf die Mitwirkung eines französischen Meisterkoches verzichtet. Bekannt ist z. B., daß der Papst nichts lieber ißt als seine altgewohnten venezianischen Leibgerichte, und der Oberküchenchef des greisen, übrigens in seinen Lebensgewohnheiten äußerst bescheidenen Kaisers Franz Joseph ist ein Ungar, Namens Perski. Wie dieser Mann zu seiner Stellung beim Kaiser gekommen ist, das ist jedenfalls nicht gewöhnlich. Der Kaiser speiste eines Tages bei dem Grafen von Rheingaum einen Wildschweinkopf, der ihm ganz besonders mundete. Kurz darauf traf am kaiserlichen Hoflager ein großes Paket ein, dem sich, als es geöffnet wurde, etwas schweratmend, sonst aber frisch. Perski, der bisherige Koch des Grafen, entschälte. Der Kaiser nahm diese Sendung an und seither ist der Ungar sein Leibkoch Ein Kummer für die Vertreter der klassischen französischen Küche und ihres Ruhmes ist es, daß sie zurzeit im Elnsée nicht gebührend gewürdigt wird Maitre Tesch, der unter der Präsidentschaft von Carnot, Felix Faure und Loubet lange Jahre im Elnsée seines Amtes gewaltet hat, hat in den Tagen des Herrn Fallières brüsk seinen Abschied genommen und ist— o Schande!— durch eine Köchin ersetzt worden. Das macht, daß Herr Fallières ein ausgesprochener Liebhaber der gascognischen Küche
ist: und man munkelt, die Ursache der Demission Meister Teschs sei die gewesen, daß er sich geweigert habe, in die Gerichte bei einem Galadiner Knoblauch zu tun! Uebrigens hat besagte Köchin nur die privaten Mahlzeiten der Familie Fallières zuzubereiten, während alle großen Diners fix und
je tig von einem der ersten Pariser Restaurateure ins Elnsée geliefert werden.
Eine fürstliche Tafel, wo der französische Einfluß unbedingt herrscht, ist die von St. Petersburg. Schon seit Jahrhunderten regieren in den Küchen des Zaren französische Oberköche. Im Mittelalter konnte es dem Leibkoch des Zaren freilich passieren, daß er vor seinen Schmortöpfen kurzerhand an seinem eigenen Bratspieße aufgespießt wurde, wenn der Zar übler Laune über ihn war. Das hat nun Meister Pierre Cubat, der Oberkoch des Zaren Nikolaus II., ein großer Herr, der so etwa 80 000 Mark Jahresgehalt bezieht, nicht zu befürchten. Für nichts erhält er diese Summe allerdings nicht, denn er hat, vom Zaren und seiner Familie bis zu den ungezählten Offizieren und Beamten des kaiserlichen Haushaltes herab, täglich etwa 300 Personen zu speisen. Und welche Verantwortung lastet nicht auf diesem Manne! Die kaiserlichen Küchen wimmeln von Geheimpolizisten, und die Gerichte für die kaiserliche Familie werden unter unerhörten Vorsichtsmaßregeln zubereitet, von denen die Außenwelt kein Sterbenswörtchen erfährt.
In dieser Hinsicht ist allerdings das, was in der Küche des Exsultans Abdul Hamid geleistet wurde, nicht zu überbieten. Im innersten Winkel von Jildis Kiosk lag die Küche, halb Festung, halb Gefängnis, streng bewacht, dick ummauert und fest vergittert, und ein einziger Koch sowie der Generalintendant wohnte der Zubereitung der Speisen für den Beherrscher der Gläubigen bei, die sie ihm außerdem vorronen mußten. Uebrigens betrug der Etat der Küche des Sultans infolge der ungeheueren Zahl von Bedienten, Frauen und Schmarotzern aller Art, die zu beköstigen waren, jährlich etwa 40 Millionen Mark! Und dabei genoß der arme Sultan fast ausschließlich Eier und Milch, wie denn überhaupt bei weitem die meisten Fürstlichkeiten ganz einfache Gerichte am liebsten haben. Das Lieblingsgericht des Zaren z. B. ist Dorsch in Oel gebacken, Königin Wilhelmina von Holland kennt nichts Besseres als einen simplen Schokoladen= Creme, und Alphons XIII., in dessen Küche übrigens die französische und die nationale Schule im heftigen Kampfe gegeneinander liegen, erzählt gern. daß das beste Mahl, dessen er sich erinnern könne, das gewesen sei, das er im Juli 1908 mit ein paar Fuhrleuten in einem höchst einfachen Dorswirtshause geteilt habe, als er infolge eines Schadens an seinem Kraftwagen seine Fahrt zu unterbrechen genötigt war.
W Labian, 2. Dezember. Bei der Reichstagsersatzwahl in Labiau=Wehlau wurden bis 11 Uhr abends für Burchard(kons.) 7064, für Bürgermeister Wagner(Fortschr. Vv.) 5441 und für Linde(Soz.) 3594 Stimmen abgegeben. Drei Bezirke stehen noch aus. Es ist Stichwahl zwischen Burchard und Wagner erforderlich. Im Jahre 1907 siegte der konservative Kandidat mit 6636 Stimmen Mehrheit in der Hauptwahl.
Die Konservativen wußten, was auf dem Spiele stand, als sie unter Aufbietung aller finanziellen und behördlichen Machtmittel den Kampf um LabiauWehlau aufnahmen. Lyk=Oletzko war dem Liberalismus zur Beute geworden, es mußte ein„Zufallssieg" bleiben, wenn nicht im Osten die Götterdämmerung der konservativen Partei beginnen sollte. Labiau=Wehlau mußte gehalten werden, und sei es selbst mit verwerflichen Mitteln. Seit Wochen haben die Konservativen mit allen Waffen gekämpft, die sie sonst als„sozialdemokratischen Terrorismus" auf das schärfste zu brandmarken wissen. Eine Massenabtreibung der Lokale für liberale Wählerversammlungen begann. Bis zu 50 Mk. boten die Agrarier den Lokalinhabern als Entschädigung, wenn sie ihr den Liberalen gegebenes Wort zu brechen versprachen. Offen wurde mit dem Boykott gedroht. Ein Amtsrat in der Nähe der Stadt Tapian rechnete den Tapiauern in einem Eingesandt in den öffentlichen Blättern vor, was er an Waren und Leistungen von ihnen alljährlich entnehme, und gestand in der sich darauf entspinnenden Polemik, daß es wohl zu überlegen sei, ob er seine Geschäftsbeziehung zu freisinnigen Lieferanten nicht auflösen solle. Ein Pfarrer warnte in seiner Sonntagspredigt öffentlich vor den„liberalen Wölfen und Hunden in Schafspelz“ und empfahl die Wahl des konservativen Kandidaten. Bier und Schnaps, Zehrgeld und Leiterwagen, das waren die Lockmittel, mit deren Hilfe die Konservativen ihre sonst ziemlich schlecht besuchten Versammlungen mit Arbeitern und Instleuten zu füllen suchten. Die Einsicht in die Wählerlisten wurde den Liberalen verweigert, sodaß es erst eines min steriellen Machtspruches bedurfte. und als an allen diesen unlauteren Mitteln noch nicht die gewünschte Wirkung zutraute, da wurde in der gemein
Städtisches Schauspielhaus.
„Alt=Heidelberg“.
Schauspiel in 5 Akten von W. Meyer=Förster.
Hagen, 2. Dezember.
Das Märchen von der unglücklichen Liebe zwischen dem Königssohn und der Gänsemagd, ins Moderne übertragen und mit einem guten Schuß Sentimentalität verdünnt und mundgerecht gemacht,— schon will es nicht mehr recht schmecken. Trotz des entschieden glücklichen, volkstümlichen Einschlags in den frisch belebten Studentenszenen. Seinem allzu starken Erfolge war das zartbesaitete Volksstück selbst nicht gewachsen und jetzt führt„Alt=Heidelein verhältnismäßig recht stilles, schüchternes Bühnendasein. Die Aufführung im Stadttheater konnte sich nicht einmal eines besonderen Besuches erfreuen. Indessen wurde recht anregend gespielt und der Stimmungsgehalt des Werkes, soweit als möglich, herausgehoben. Als Erbprinz Karl Heinz war Herrn Kämpff Gelegenheit geboten, einen glaubwürdigen modernen Gesellschaftsmenschen von edler Haltung und einem freilich nicht allzu überfließenden Maß von Gefühlswärme zu verkörpern Fräulein Sackersdorf als Käthie stellte stärker hervorbrechende Gefühlsmomente ein, ließ es aber etwas an dem echten Dialektgefühl der Oesterreicherin fehlen. Dessen ungeachtet vermochten beide Darsteller nicht nur lebhaft zu fesseln, sondern auch
zu ce und zu exgreifen und zwei sehr sympathische Menschengestalten zu schaffen.
Von den übrigen Kräften erfreute Herr Holtmann als Dr. Jüttner und Herr Boeker als Kellermann durch gut abgestimmte Leistungen in erster Linie, der Lutz des Herrn Waldeck war gleichfalls zu billigen. Mit bestens angebrachter Drastik unter
utrich Frau Neumeister ihre Frau Dörffel. Gut am Platze waren ferner der Staatsminister von Haugk des Herrn Dittmar und der Rüder des Herrn Platz. Das durch gute Bühnenbilder leben
unterstützte Spiel fand den offensichtlichen Beifall des Hauses. Sch.
Morgen Sonntag, 4. Dezember, gelangen 2 Lustvielneuheiten zu ermäßigten Preisen zur Aufführung. Nachm. 3½ Uhr.„Der dunkle Punk!“. abends 8 Uhr:„Das Leutnantsmündel“. Dienstag bringt uns ein Gastspiel der Elberfelder ###irfland“. Oper von Eugen d'Albert. Mittwoch nachm. 4 Uhr gelangt als 1. Kindervorstel
lung zu kleinen Preisen das Weihnachsmärchen Prinzessin Herzlieo; zur Aufführung.