Ausgabe 
(31.10.1910) 255
Seite
356
 
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Montag den 31. Oktober.

1910.

Bezagsbreis

vierteljährlich M. 2.50. Anzeigenpreis die einfache Spaltenzeile oder deren Raum 15 Pfennig.

Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 39. Schriftleitung Nr. 42.

Erstes Blatt.

Tagesrundschau.

In Naris wurde eine Gedenkfeier für Ferrer von Anarchisten durch Tumulte gewalt­sam gesprengt.

Rußland hat den Bau zweier Festungen zum Schutze Petersburgs und des Finnischen Meer busens beschlossen.

In Berlin kam es am Wedding gestern abend zu Ausschreitungen von Dumultanten, die die Po lizei tätlich angriffen. Es wurden viele Verhaftungen vorgenommen und viele Personen verletzt.

Der neue deutsche Botschafter in Paris Freiherr v. Schoen überreichte gestern dem Präsidenten Fallières sein Beglaubigungsschreiben.

In der französischen Kammer kam es Samstag nach einer heftigen Rede von Jaurès zu stürmi schen Auftritten, bei denen Ministerpräsident Briand von seinen Freunden gegen tätliche Angriffe geschützte werden mußte.

Auf der Brüsseler Weltausstellung brach gestern bend neuerlich ein Brand aus, durch den das ansarestaurant zerstört wurde.

Bei einem internationalen Wettfliegen um den Gordon=Bennett=Pokal ist der englische Aviatiker Graham White Sieger geblieben.

In der gestrigen Kammersitzung wurde dem Ministerium Briand mit großer Mehrheit ein Vertrauensvotum erteilt.

In Dortmund fand gestern der Verbandstag der rheinisch=westfälischen Presse unter starker Beteiligung statt.

Die portugiesische Regierung ließ den früheren Diktator Franco verhaften.

In Lütgendortmund wurde ein auslän discher Arbeiter ermordet aufgefunden.

Zwei zugereiste Burschen verübten in Elber­felb einen Ueberfall auf einen Geldbriefträger

Letzte Meldungen siehe Depeschendienst.

alte Lied.

Zeitung

Erscheiet

mit Ausnahme der Sonn­und Festtage.

Druck und Verlag: Gustav Butz in Hagen. Mittelstraße 22. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 39. Schriftleitung Nr. 42.

Man hat sich nachgerade daran gewöhnen müssen, dieSonntagspredigten derNordd. Allg. Ztg. zu lesen, wenn man über die Ansichten und Absichten des Kanzlers etwas erfahren, aus den dort verzapften philosophischen Ergüssen und Ermahnungen ersehen will, wie denn eigentlich Herr v. Bethmann­Gollwea die weitere Entwicklung unserer inne ren Politik sich denkt. Als vor mehreren Wochen dieFrkf. Ztg. behauptete, daß der Kanzlerdie Sammlung der positiv schaffenden Kräfte zu seiner Wahlparole machen werde, da wurde die amtliche Dementiermaschine in Bewegung gesetzt und mit einem großen Aufwand an Worten zu beweisen versucht, daß Herr v. Bethmann=Hollweg eine solche Parole nicht ausgegeben habe, weil er sich mit der Formulierung einer solchen noch gar nicht beschäftigt habe. Man hörte die Botschaft und mußte ihr um so eher Glauben schenken, als der jetzige Kanzler noch mehr als sein Vorgänger kein Freund innerer Krisen ist und sich in der gottgewollten Abhängig­keit vom schwarzblauen Block wohler fühlt, als wenn er verdächtigt wird, bereit zu sein, dem Liberalismus Zugeständnisse zu machen, die ihn der konservativ klerikalen Rache ausliefern müßten. Daher auch die schleunige Widerlegung, als kürzlich, anscheinend von einem Witzbold, verbreitet wurde, der Kanzler habe einem nationalliberalen Abgeordneten gegen­über erklärt, daß er eigentlich den Nationalliberalen am nächsten stehe. Nein. Herr v. Bethmann=Hollweg wird nie erklären, daß er vom liberalen Gedanken auch nur im entferntesten angekränkelt sei, er wird

eten stehen, aber nie die konser vativ=klerikalen Kreise stören.

Und dennoch zieht sich durch die vom Kanzler inspirierten Ergüsse derNordd. Allgem. Ztg. wie ein roter Faden der Sammlungsruf, die Mah nung zur Einigung derpositiv schaffenden Kräfte. Allerdings ist das wirtschaftliche Programm des Kanzlers, Aufrechterhaltung der bisherigen, ein­seitig agrarischen Schutzzollpolitik, nicht ge­eignet, eine Politik der Sammlung zu fördern, mit klugem Bedacht weicht der Kanzler deshalb einer klaren Stellungnahme zur künftigen Handelsp aus und überläßt es den einzelnen Parteien, aus der Phrase vom Schutze der nationalen Arbeit jede beliebige Folgerung zu ziehen. Dafür aber um so eingehender wird die Frage derroten Gefahr er­örtert, um so eindringlicher wird den liberalen Par teien der Schrecken der sozialdemokratischen Hochflut vor Augen geführt. Daß jede Wirkung ihre Ursache haben muß und daß man einer Krank­heit nur Herr werden kann, wenn man ihre Ursachen kennt und beseitigt, diese Binsenwahrheit hat an­scheinend in unserer inneren Politik keinen Kurs wert, man vertraut mehr einer Kur nach Dr. Eisen

durch eine Gewaltkur die Krank stehen bleiben eu können, wenn die Ursachen be G#enr Wm#rtönt in der konservativen

Helagenswerten, Vorgänge in Moabit mös= zur

So fordert

Wir bedürfen scharfer, bis zur tung gehender Ausnaymemanreae! wir sie ähnlich schan gehaßt uK#mabregeln, wie

tion sicherzustellen? Eine Regierung, pie

ständig handelt, auf die Gefahr bin, einesStaats­streichs verdächtigt zu werden, ist des Dankes de Besten der Nation sicher. Eine andere Frage freilich ist es, ob die leitenden Kreise im Reich hier dem Volke habnbrechend voranschreiten wollen. Wei will diesen Zukunftswechsel girieren?

Hier handelt es sich nicht um Entgleisungen ein zelner Blätter, es liegt System in der Sache, Herr von Oldenburg=Januschau forderte in den letzten Tagen in seiner blumenreichen Sprache zum Kampfe gegen die Sozialdemokratie auf, und tadelte die Regierung, daß sie nicht scharf genug gegen die Partei des Umsturzes vorgehe. Herr von Olden burg hält anscheinend nicht viel von jener Weisheit eines großen Staatsmannes, der erklärte, daß mit Ausnahmegesetzen jeder Esel regieren könne. Die Vorwürfe des Junkers von Oldenburg haben aber den Reichskanzler sofort auf den Plan gerufen.

In ihrer gestrigen Sonntagspredigt schreibt die Nordd. Allgem. Ztg.: Der Abgeordnete von Olden burg habe kürzlich mit besonderem Nachdruck die Notwendigkeit einer scharfen Bekämpfung der Sozialdemokratie betont. Der Reichskanz­ler sehe darin eine der Aufgaben der Regie­rung und Parteien. Die ernsten Symptome von Moabit und anderwärts sprächen deutlich von den Fortschritten, der revolutionären Massenverhetzung deren Uebermut durch die Zwietracht der staatserhal tenden Kräfte nur erhöht werden könne.

Noch betrübter als Herr von Oldenburg sieht der ungekrönte König Preußens Herr v. Heyde brand und der Lase in die Zukunft. Ihm ist nicht allein die Sozialdemokratie die Gefahr, der Li­beralismus scheint ihm ebenso gefährlich, des­halb beschwört er die Regierung.

Wenn bei den künftigen Wahlen die Regierung vom Reichskanzler bis zum letzten Beam ten, der Verbetzung, die von liberaler Sei betrieben wird, nicht entgegentritt, so wird die Kam­pagne für die Regierung so ungünstig werden, daß ihr die Augen übergehen.

Ordentlich erfrischend wirkt die Naivität, mit welcher Herr von Heydebrand hier die Regierung mit der konservativen Partei identifiziert. Nicht gegen die Regierung wendet sich der Liberalismus, sondern gegen die Konservativen, gegen die Macht der konservativen Partei, welche die Re gierung zwingt, konservative Politik zu treiben. Die Regierung aus diesem Banne zu befreien, die Herr­schaft des konservativ=klerikalen Blocks zu brechen und durch eine andere Zusammensetzung des Reichs­tages die Mehrheitsverhältnisse so zu gestalten, daß Herr v. Bethmann=Hollweg wirklich über den Par­teien stehen und auch berechtigten liberalen Forde­rungen Geltung verschaffen kann, oder aber, wenn ihm seine konservative Ueberzeugung das nicht ge­stattet, einem anderen Leiter unserer Geschicke Platz machen muß, das ist die Absicht des Liberalismus.

Natürlich wird der Kanzler seine Politik der Sammlung weiter betreiben, trotzdem sie weder auf konservativer Seite noch auf liberaler Entgegenkom­men findet und so die Garantie des Mißerfolges in sich trägt. Selbstverständlich wird sich der Kanzler nie dazu verstehen, auch einmal Politik gegen die Konservativen zu treiben. Wie eine eiserne Kugel schleppen unsere regierenden Kreise die ver­hängnisvolle Meinung mit sich, daß dem Bestande des Staates Gefahr drohe, wenn die Regierung ihre tütze nicht in jenen Kreisen suche, die den unver­dienten Ruf genießen, patentierte Stützen von Thron und Altar zu sein. Vor einigen Tagen feierte Preußen den 150. Geburtstag eines der Größten unseres Vaterlandes, Neithardts v. Gneisenau. Den Rat, den jener Mann in schwerer Zeit als Heil­mittel seinem König gab, möchte ihn auch Herr von Bethmann=Hollweg in unserer schweren inneren Krise beherzigen:

Die stärkste Stütze der Macht des Regenten ist unstreitig das Volk... Die neue Zeit braucht mehr als alte Namen, Titel und Pergamente; sie braucht frische Tat und Kraft. C. H.

mit zunehmendem Alter in höhere Lohnbe züge einrückte. Dieser Personenkreis zahlt also heut. in den untersten Lohnklassen Beiträge und rückt in höheren Lebensjahren in die höchsten Lohnklassen ein. Hieraus würden sich unübersehbare finanzielle Schwierigkeiten für die Versicherungsträger und auch große Nachteile für die übrigen Versicherten ergeben. Unter diesen Umständen erscheint es also nicht möglich, die Pensionsversicherung der Privatangestellten, die in der Jugend meist in den untersten Lohnklassen Beiträge entrichten und mit steigendem Alter in die höchsten Lohnklassen ein­rücken, im Zusammenhang mit der Invalidenver­sicherung zu regeln.

zuständigen Reichsbehörde kommissarische Beratungen stattfinden, an denen die beteiligten preußischen Ressorts teilnehmen sollen.

* Danzig, 29. Oktober. In Anwesenheit des Justizministers Beseler fand heute vormittag die Einweihung des neuen Justizgebäudes statt, mit einem Kostenaufwand von Millionen Mark erbaut und annähernd 600 Bureauräume und e4 große Sitzungssäle enthaltend.

Empfang des deutschen Botschafters beim französischen Präsidenten.

haben: einer ner­festen, ziel­sie unser großer

Stunde leider nur zu früh wieder aufgegeben* und wir bedürfen zu ihrer Durchführur

venstarken, unerschütterlich bewußten Regierung, wie Kaiser in der Konflirtszett in Männern wie Bismarck und Roon zur Seite hatte nnern wie

n##eselbe Kerbe haut derReichsbote, wenn

Staatsstreich, hat in allen Fällen Regierungsmaßnahme gegen den Tenor oder

unkesgersallii enmachtig dem Ziele zugewandt

Suena nhs thars Zustände zu beseitigen, um der Fesit­u.## bestehenden, Staats= und Gesellschaftsordnung oder sonstigen großen Staatsinteressen eine Förderung angedeihen zu lassen, für das deutsche sollte#a# b.## 5###en Klang mehr. Und wie aum### S##r abstoßend wirken, wo es sich nur um das von der a%h 2a hand kann, das deutsche Parlament freien und za neiges Parteigeistes zu be freien und gegen die Umtriebe der roten Reak­

NP. Zur kommenden Vorlage über die Privatbeamtenversicherung

schreibt man uns:Auf der in Berlin abgrhaltenen Tagung der Verbände der selbständigen Kaufmann­schaft, welche über 200000 Mitglieder umfassen, ist die Forderung aufgestellt, die Pensiondversicherung der Privatangestellten auf dem Wege des organischen Ausbaues der bestehenden Invalidenver­sicherung durchzuführen. Diese Forderung dürfte Aussicht auf Verwirklichung durch die kommende Vorlage nicht haben, da sowohl die Reichsregierung wie auch die überwiegende Mehrheit des Reichs­tages auf dem Standpunkt stehen, daß die Frage nur durch Errichtung einer besonderen Pen sions- und Hinterbliebenen=Versicherungsanstalt zu lösen ist. Der Ausbau der bestehenden Invaliden versicherung durch Anfügung neuer Lohnklassen ist auch von verschiedenen Seiten als Forderung zur Reichsversicherungsordnung erhoben worden. Und trotzdem hat in der Kommission gerade mit Rücksicht auf die zu erwartende Vorlage für die Privat beamtenversicherung die Schaffung höherer Lohn­klassen nicht mehr den Gegenstand von Erörterungen gebildet. Denn es sprechen sehr schwerwiegende Be denken finanzieller und versicherungstechnischer Art dagegen. Das Invalidenversicherungsgesetz läßt al­lerdings die Versicherung in einer höheren Lohnklasse zu, als derjenigen, welche für den Versicherten eigentlich in Frage kommt. Auch die Selbstversiche­rung und die freiwillige Fortsetzung der Versicherung in für alle Lohnklassen freigestellt. Der Versicherte kann also seine Ansprüche erheblich verbessern, wenn er beim Einrücken in höhere Lebensjahre Bei­rage in der höchsten Lohnklasse zahlt. Ein solcher Uebergang in höhere Lohnklassen in vorgerücktem Alter verschlechtert aber natürlich die Finanzlage des Versicherungsträgers. Denn die erhöhten Bei­träge werden auf diese Weise nur wenige Jahre ge­zahlt, während für die gesamte übrige Zeit nur die niedrigen Beiträge entrichtet werden. Würde heute von dem freiwilligen Uebertritt in höhere Lohn­klassen ein stärkerer Gebrauch gemacht, als es tat­sächlich geschieht, so würde schon bei der gegenwär­tigen Invakidenversicherung sich ein ungünstiger finanzieller Einfluß geltend machen. Dieser Ein­fluß wäre aber naturgemäß noch viel stärker, wenn der Invalidenversicherung neue Lohnklassen angefügt würden, wie es die Angliederung der Privatbeam= tenversicherung notwendig machen würde. Es kommt weiter hinzu, daß der Kreis der Personen, der in den neuen Lohnklassen Aufnahme fände, meist

Paris, 29. Oktober. Präsident Fallières empfing heute nachmittag den deutschen Botschafter Freiherrn von Schön in offizieller Audienz. Der Anführer des diplomatischen Korps Mollard holte den Botschafter in der deutschen Botschaft ab und geleitete ihn mit dem Botschaftspersonal in den von einer Eskadron Kürassiere geleiteten Wagen der Präsidentschaft in das Elysee. Ein Bataillon In fanterie erwies dem Botschafter, als er vor dem Elysee eintraf, Ehrenbezeugungen. Der dienst tuende Offizier Hellot und der Palastkommandant Jacquillat empfingen ihn am unteren Ende der Freitreppe, während Mollacd ihn zum Präsidenten geleitete.

Bei der Ueberreichung seines Beglaubigungs schreibens richtete der deutsche Botschafter an den Präsidenten

folgende Ansprache.

Herr Präsident, indem ich Ihnen das Schreiben überreiche, durch das der Kaiser, mein erhabener Souverän, mich bei Ihnen als Botschafter beglau­bigt, mag es mir zunächst erlaubt sein, Ihnen zu sagen, wie sehr ich die Ehre der mir anvertrauten Mission empfinde. Entsprechend den bestimmten Befehlen Seiner Magistät hat die Mission die Auf gabe, die guten Beziebungen, die in so glücklicher Weise zwischen Frankreich und Deutsch land bestehen, zu erhalten und zu festigen und die schon so zahlreichen gemeinsamen In­teressen beider Länder zu fördern. Ebenso wie meine Vorgänger, deren Mitarbeiter ich ge wesen bin, werde ich nicht aufhören, alle meine Be trebungen auf die Erreichung dieser so wünschens er#en Resultate zu richten. Ich werde mich glück­lich schätzen, wenn ich in der Erfüllung meiner Auf­gabe dahin gelange, Ihr Vertrauen, Herr Präsi dent, und die Unterstützung der Regierung der Republik zu gewinnen. Der Kaiser beauftragte mich, bei Ihnen der Dolmetsch der Gefühle der Achtung und Sympathie zu sein, die Seine Majestät in so hohem Grade für Ihre Person empfinden, und Ihnen die Wünsche zu übermitteln, die er für die Wohlfahrt Frankreichs hegt. Ich habe die Ehre, Herr Präsident, meine ehrerbietigste Hul­digung für den ersten Beamten der Republik aus. zusprechen.

Die Antwort des Präsidenten Fallières.

W Paris, 29. Oktober. Präsident Fallières antwortete auf die Ansprache des deutschen Bot­chafters: Herr Botschafter, ich habe das große Vergnügen, das Schreiben, das Sie als den außer ordentlichen Botschafter und bevollmächtigten Mi nister des deutschen Kaisers beglaubigt, entgegenzu­nehmen und Sie willkommen zu heißen. Die Wünsche für die Aufrechterhaltung und Befestigung der guten Beziehungen, die zwischen unseren beiden Ländern bestehen, und für die Entwickelung der gemeinsamen In eressen, denen Sie so eben Ausdruck gegeben haben, entsprechen den Intentionen der Regierung der Republik. Es war mir um so angenehmer, den Ausdruck dieser Wünsche aus Ihrem Munde zu ver­nehmen, als diejenigen, die den Vorzug gehabt aben, Sie während Ihres ersten Aufenthaltes in rankreich zu kennen, die Gesinnungen nicht ver­gessen haben, welche Sie stets an den Tag gelegt haben. Wie Ihr hervorragender Vorgänger wer den Sie bei uns nur das beharrliche Bestreben finden, Ihnen die Aufgabe zu erleichtern, deren Erfüllung Sie die Bemühungen widmen wollen. Als Kaiser Wilhelm Sie zum freien Dolmetsch seiner Gedanken erwählte, konnte er nicht daran zweifeln, daß hier ein sympathischer Empfang Ihrer harrte. Ich bin ganz besonders empfänglich für die Wünsche, die Seine Majestät mir durch Sie hat übermitteln lassen, ebenso für die Form, in welcher Sie die Mission erfüllt haben. Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie Seiner Majestät mit meinen besten Wünschen meinen aufrichtigsten Dank zum Ausdruck bringen würden.

Nach Beendigung des offiziellen Empfanges entwickelte sich zwischen dem Präsidenten und dem Botschafter ein sehr herzliches Gespräch. Der deutsche Botschafter wurde dann unter demselben Zeremoniell, wie er gekommen, nach der deutschen Botschaft zurück geleitet.

Partei=Nachrichten.

Berlin, 30. Oktober.

* Für den Reichstagswahlkreis Göttingen­Münden ist, wie dasBerl. Tageblatt erfährt, Geheimrat Rießer, der Präsident des Hansabun­des, als nationalliberaler Kandidat für die nachsten Reichstagswahlen in Aussicht ge­nommen. Die Fortschrittliche Volkspartei werde die Kandidatur unterstützen.

* Professor Schloßmann=Düffeldorf hat laut B. Tabl. die ihm im Wahlkreise Siegen=Witt­genstein angebotene volksparteiliche Reichs­tagskandidatur abgelehnt.

* In einer öffentlichen Zentrumsversammlung erklärte der Zentrumsabgeordnete Uebel von Al­zey=Bingen, daß die Zentrumsfraktion des Reichstages bei einer Wiedereinbringung der Erb­schaftssteuer avermals dagegen stimmen wird.

Parlamentarische Nachrichten.

Berlin, 30. Oktober.

* Die Justizkommission des Reichstages hat zu dem§ 147 der Strasprozeßnovelle folgende Bestimmung einstimmig angenommen: So­bald der Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens gestellt ist, darf dem Verteidiger die Einsicht aller dem Gericht vorgelegten Akten nicht versagt werden.

* Außerordentliche Reichstagsdiä­ten sind den Mitgliedern der beiden Kommissionen des Reichstags zur Vorberatung der Strafprozeß­reform und der Reichsversicherungsordnung, die während des ganzen Sommers Sitzungen abgehalten haben, für die ursprünglich in Aussicht genommene Zeit der Vertagung bis zum 8. November bewilligt worden. Nach derPost hat die Regierung sich für die Weiterzahlung dieser Kommissionsdiäten auch über den 8. November hinaus bis zum Tage der Wiederaufnahme der Reichstagsarbeiten am 22. No­vember entschieden.

Eine stürmische Sitzung in der französischen Kammer.

Deutsches Reich.

* Berlin, 30. Oktober.

Der Großherzog von Baden ernannte den Fi­nanzminister Rheinbold zum Bundesrats­bevollmächtigten.

Im neuen Reichsetat sind, wie verlautet, Mittel für die Veteranen fürsorge noch nicht eingestellt worden. Die Regierung hofft, daß die Reichswertzuwachssteuer die Mittel für die Veterauenfürsorge bringen wird. Das Reichsamt des Innern hat die meisten Abstriche zu er­leiden gehabt, nämlich 60 Prozent der Gesamtab­striche. Kriegsminister von Heeringen ließ sich nach längeren Verhandlungen mit Staatssekretär Wer­muth herbei, 20 Prozent der Gesamtabstriche zu tra­gen. Der Kaiser Wilhelm=Kanal benötigt im neuen Reichsetat 50 Millionen Mark, das sind 30 Millionen Mark mehr als im Etatsjahre 1910/11.

Die Summe von 18 Millionen Mark, als Kaufgeld für die beiden von der Türkei er­worbenen Panzer der Brandenburgklasse, ist bereits bei der Reichskauptkasse abgeliefert und vom Reichsschatzamt als vereinnahmt verrechnet wor­den.

Die Regelung des Waffentragens wird durch das Reich auf gesetzlichem Wege geordnet

Die Samstags=Sitzung der französischen Devu­tiertenkammer war eine der stürmischsten, die man seit langem erlebt hat. Verschiedene Zwischen­fälle haben die Lage des Kabinetts ungün­stig beeinflußt, und wenn man auch nicht bezweifelt, daß Briand ein Vertrauensvotum erhalten wird, so verhehlt man sich doch nicht, daß der Ministerprä­sident mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird.

Ueber die Kammersitzung meldet uns ein Tele­gramm:

W Paris, 29. Oktober. Die Deputiertenkammer setzte nachmittags die Besprechung der Inter­pellationen über den Eisenbahneraus­stand fort. Willm(geeinigter Sozialist) sprach sich tadelnd darüber aus, daß die verhafteten Mit­glieder des Streikkomitees noch nicht verhört worden seien. Dadurch sei das Gesetz verletzt worden. Nach­dem noch mehrere Redner der äußersten Linken An­griffe gegen die Regierung erichtet hatten, er­klärte der Justizminister, allen Verhafteten seien die gegen sie erhobenen Beschuldigungen be­kannt. Niemand sei gerichtlich verfolgt worden, weil er am Ausstande beteiligt war. Er halte das auf­recht, was er im Senat über das Streikrecht der Eisenbahner gesagt habe. Die Verhaftungen sind er­folgt wegen der Angriffe auf die Freiheit der Arbeit und wegen Sabotage. Der Unter­suchungsrichter zog erst Erkundigungen ein und be­gann dann die Verhafteten zu verhören. Das Gesetz sei also nicht verletzt worden.(Beifall.) Im wei­teren Verlauf der Sitzung kam es zwischen Reinach und mehreren Deputierten

zu einem Zwischenfall.

Als diese ihm vorwarfen, er erhebe gegen Ungesetz­lichkeiten, deren Opfer die Eisenbahner geworden seien, keinen Einspruch, erwiderte Reinach, die Ungesetzlichkeiten seien nicht erwiesen; er warte auf Beweise. Die Sozialdemokraten antworteten mit dem Rufe:

Nieber mit den Inden

Jaurés machte eine Anspielung auf den Fall Dreyfus, wofür Reinach eingetreten ist, und be­merkte: wir haben keine weiteren Beweise verlangt, um Dreyfus aus dem Bagno zu befreien, wir werden ebenso die Eisenbahner aus dem Gefängnis be­freien. Jaurès sprach dann über eine in einem Ar­tikel derHumanité gebrauchte Redewendung, welche als eine Aufforderung zur Ermordung Briands gedeutet wurde. Jaurés bestritt diese Ab­sicht. Er warf der Regierung vor, sie habe keine An­strengungen gemacht, um einen Ausgleich herbeizu­führen. Millerand protestierte abermals.(Bei­fall.) Jaurés warf in heftigen Worten den Ministern Millerand, Viviani und Briano vor, sie hätten früher den nordfranzösischen Arbeitern das Versprechen gegeben, sie wollten mit ihnen für das Recht auf Streiks kämpfen. Die Regierung habe nicht das Recht, die Eisenbahner einzuberufen, um den Streik zu verhindern. Redner bestritt die von Briand aufgestellte Behauptung, daß der Eisen­bahnerausstand eine Verschwörung wäre.

Im weiteren Verlaufe seiner Rede spricht Jaurés über die Auskunftsmittel einer Regierung, deren Chef seit 1890 als ein Verbreiter der Idee eines Generalstreiks bekannt sei. (Briand zuckt mit den Achseln). Jaurés fuhr fort: Briand besitzt nicht die notige moralische Autorität, um die Ausstandsbewegung zu un­terdrücken. Uebrigens verlangt Briand das Ver­trauen für Vergangenes und macht Vorbehalte für die Zukunft. Dadurch beweist er, daß die Regierung weder in ihrem Programm, noch in ihrer

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