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Nr. 92.

Bezugspreis vierteljährlich M 2.50. Anzeigenpreis die einfache Spaltenzeile oder deren Raum 15 Pfennig. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 35. Schriftleitung Nr. 42.

Donnerstag den 21.

1910.

Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn­und Festtage.

Druck und Verlag: Gustav Butz in Hagen. Mittelstraße 22. Fernsprecher: Geschäftsstelle Nr. 39. Schriftleitung Nr. 42.

L

Tagesrundschau.

Der Halleysche Komet wird vom neuen Teneriffa=Observatorium aus jetzt tag­lich beobachtet.

Der russische Minister Iswolski soll dem­nächst zurücktreten und Botschafter in Rom werden.

Die Wahlprüfungskommission des Reichstages erklärte die Wahl des nationalliberalen Abgeordne­ten Sievers für ungültig.

Im Handelsministerium wird ein Starr­stromgesetz ausgearbeitet, wonach Privatge­sellschaften das Recht zustehen soll, öffent­liche Straßen für ihre Leitungen zu benutzen.

Theodore Roosevelt ist heute nacht von Bu­davest nach Paris abgereist.

Wie der Türkische Flottenverein bekannt gibt, ist der Vertrag mit der Schichauwerft be­treffend den Ankauf von vier Torpedobootzerstörern unterzeichnet worden.

Das kanadische Unterhaus beschloß, daß im Falle der Not alle Docks und Werften den britischen Behörden überlassen werden sollen.

Letzte Meldungen siehe Depeschendienst.

Aus dem Reichstag.

fb. Berlin, 20. April 1910.

Dem Reichstag ist es heute gelungen, nachdem er noch weitere 4 Stunden der Debatte über die neue eichsversicherungsordnung gewidmet, die erste Lesung der Vorlage zu Ende zu führen. Das Haus war freilich wenn möglich noch leerer wie an den vorangegangenen Tagen. Die Verhandlung schloß damit, daß die Vorlage einer Kommission von 28 Mitgliedern überwiesen wurde, die bekanntlich auch während der Sommerferien sie sollen, wie jetzt verlautet, am 3. Mai beginnen und bis zum 8. November dauern arbeiten soll.

Die Fortschrittliche Volkspartei stellte heute als zweiten Redner den Abg. Schuldirektor Enders­Sonneberg hinaus. Er gab die Erklärung ab, daß er ein Scheitern oder auch nur eine Verschleppung der Vorlage deshalb beklagen würde, weil sie immerhin wenigstens zwei erfreuliche und wichtige Bestand­teile in sich schließe, die Hinterbliebenenversorgung und die Ausdehnung der Kranken=Versicherung auf die ländlichen Arbeiter. Dann folgten noch zwei Reden, die sich ganz im Rahmen des Fraktions­schemas hielten. Der sozialdemokratische Abg. Schmidt(Berlin) konstatierte in einer sehr, sehr langen Rede, daß die Regierung in der Vorlage alle Unternehmerwünsche weitgehend berücksichtigt, alle Arbeiterwünsche aber ignoriert habe. Der Red­ner wandte sich ferner besonders gegen die Beibehal­tung der Landesversicherungsämter, die nach der Neuorganisation keine Existenzberechtigung mehr hätten. In der letzten großen Rede endlich gab auch der Reichsparteiler Linz zu, daß bei der so verschie­denartigen Kritik, die der Regierungsentwurf im Lande wie im Hause gefunden, an eine glatte und unveränderte Verabschiedung nicht mehr zu den ben sei.

Unter der zunehmenden Ermüdung des Hauses, die bereits seit einigen Tagen in die Erscheinung tritt, hatte auch die Diskussion über die Krätkesche Fernsprechreform zu leiden, die die zweite Hälfte der Sitzung ausfüllte. Der Zentrumsabgeordnete Nacken, der wie die meisten anderen Redner aus dem Hause die geplante Beschränkung und Belästi­gung des Verkehrs mit lebhaften Worten beklagte, regte unter anderem an, ob es nicht zur Bekämp­sung des Telephonmißbrauchs zweckmäßiger wäre, die Gesprächsdauer auch für den Ortsverkehr nach oben hin zu begrenzen. Der konservative Graf Westarv wandte sich gegen den Vorwurf, daß auch diese Vorlage wieder ausgesprochen agrarischen Charakter trage. Dabei bewies er sofort selbst aufs neue die angeboreneBescheidenheit unserer Agra rier: in dem Augenblick, da die Postverwaltung über die Erhöhung ihrer Selbstkosten Klage führt und damit die Verteuerung der Gebühren motiviert, verlangt Graf Westarp für das platte Land die Aus­dehnung der einzelnen Netze von 5 Kilometer Ra­dinslänge auf 25 Kilometer, d. h. um 500 Prozent. Der fortschrittliche Abg. Kaempf, bekanntlich der Präsident des Deutschen Handelstages, kennzeichnete mit Recht diese und ähnliche Forderungen als charakteristisch für die rechte Seite des Hauses, die immer, wenn Handel und Gewerbe für ihre Inter essen kämpfen, alsbald von einemEntrüstungs= rummel sprechen, wenn aber die Landwirtschaft mit derselben Energie für ihre Forderungen ein­tritt, das immer nur als eineberechtigte Vertre tung berechtigter Interessen erklärt. Nicht gegen die größere finanzielle Belastung wende sich die all gemeine Empörung, so empfindlich diese Belastung in vielen Fällen auch sei, als vielmehr gegen die neue Reglementierung und Bureaukratisierung des Verkehrs. Daß die neue Vorlage die Kritik, die in der Oeffentlichkeit an der geplanten Reform geübt worden, völlig unberücksichtigt gelassen habe, habe die Erregung und Erbitterung im Lande natürlich nur noch verstärken müssen. Auch die beiden noch folgenden Redner waren mit dem Krätkeschen Vor gehen nichts weniger als einverstanden: der natio­nalliberale Abg. Beck(Heidelberg) erklärte mit

Recht, daß die bessere Ausgestaltung des Fernsprech­verkehrs auf dem platten Lande unmöglich allein auf Kosten der anderen Teilnehmer erfolgen könne, und der sozialdemokratische Abg. Südekum vollends lehnte die Volage a limine ab.

Staatssekretär Krätke führte zur Verteidi­gung seines Entwurfs vor allem ins Feld, daß das System der Gesprächszählung sich in der bisherigen Praxis durchaus bewährt habe: während sich die Zahl der Pauschalgebühren=Anschlüsse in den letzten Jahren nur um 136000 vermehrt habe, habe die Zahl der Anschlüsse gegen Einzelgebühr um 264 000 zugenommen. Von einer Benachteiligung gerade des kleinen Gewerbetreibenden könne man aber deshalb nicht sprechen, weil alle Teilnehmer, die nicht mehr als siebenmal am Tage sprechen, über­haupt nicht mehr als bisher zu bezahlen hätten. Die Beredsamkeit des Staatssekretärs wirkte aber diesmal nicht überzeugend. Die Kritik, die die Vor­lage in diesem Jahre fand, war und das war der allgemeine Eindruck noch weit schärfer als im vergangenen. Um ¾7 Uhr schloß die Sitzung da­mit, daß die Fernsprechgebühren=Ordnung der Budgetkommission überwiesen wurde.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 20. April.

[68. Sitzung. Eröffnung 12.15 Uhr.]

Am Tische des Bundesrats: Caspar.

Die erste Lesung der Reichsrersicherungsordnung.

Abg. Enders(Volksp.): Mage im übrigen das

Schicksal dieser viel umurmenen Vorlage sein, wie

es wolle, auf jeden Fall müssen die unzweifelhaften Verbesserungen, die sie enthalt, unee: Dach und Fach ebracht werden: die Hinterbliebenenver­icherung und die Ausdehnung der Kraulenver­sicherung auf Land= uno Hauvarbeiter. Wir lehnen die Landkrankenkasse ab, und erst recht den Anschluß der Hausarbeiter an diese. Schon heute machen die Ortskrankenkassen der Aufnahme von Hausarbeitern keine Schwierigkeiten.

Abg. Schmidt=Berlin(Soz.): Die Reichsver sicherungsordnung kommt allen Interessenten wei entgegen, nur nicht den Interessen der Arbeiter. In jüngster Zeit sehen wir ein Zusammengehen der Schwerindustrie mit den einseitigsten Agrariern. Auch die Nationalliberalen haben da mitgemacht. Material über die angebliche sozialdemokratische Mißwirtschaft in den Krankenkassen existiert nicht.

Abg. Linz(Reichsp.): Eine organisatorische und materielle Verschmelzung der einzelnen Versiche­rungszweige würde uns bedenklich erscheinen, da schon die jetzige Vereinigung auf gemeinsamem Unterbau vielfach nicht gebilligt wird. Der über­wiegende sozialdemokratische Einfluß auf die Kran­lenkassen erscheint uns als eine Herabsetzung einer Einrichtung des öffentlichen Wohls.(Beifall.) Die Mitgliederversammlungen der Ortskrantenkassen sind Unteroffizierschulen für die Sozialdemo­kraten geworden.(Sehr gut! rechts.) Die Forde­rung, die Beiträge zu halbieren und doch die Ren­ten in derselben Höhe aufrechtzuerhalten, kann nicht erns genommen werden, wir werden uns bemühen, in der Kommission dem Entwurse eine brauchbare Gestalt zu geben.(Beifall rechts.)

Abg. Dr. Burkhardt(Wirtsch. Vereinig.): Die Heranziehung der Zahntechniker ist an vielen Orten notwendig, da dort gar kein Zahnarzt eristiert. Die Lage der Apotheker ist vielfach eine sehr prekäre. Die Vorlage würde für viele Apotheken geradezu ruinös wirken.

Hierauf wird ein Schlußantrag angenom­men. Die Vorlage geht an eine Kommission von 28 Mitgliedern.

Es folgt die Fortsetzung der ersten Lesung der Fernsprechgebührenordnung.

Abg. Nacken(Zentrum): Trotz der scharfen Kritik, die von allen Seiten an der Vorlage geübt wurde, hat die Regierung sie wieder unverändert einge­bracht. Die Vorlage ist kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt. Sie wird eine Einschränkung des Verkehrs zur Folge haben, die in diesem Zeitalter des Verkehrs geradezu betrübend ist.

Abg. Graf Westarp(k.): Die Vorlage hat in weiten Kreisen große Erregung hervorgerufen. Bei aller Uebertreibung, die bei der Entrüstung über die Vorlage zutage getreten ist, verhehlen auch wir uns nicht, daß wir in der Kommission bemüht sein müssen, den Interessen dieser Kreise Rechnung zu tragen. Unrichtig ist allerdings die Behauptung, daß die Vorlage die Interessen von Handel und In dustrie schädige zugunsten der landwirtschaftkichen Bevölkerung. Wir legen Wert darauf, daß den Ortsgesprächen auf dem platten Lande ein größerer Spielraum eingeräumt wird.

Abg. Kaempf(Fortschr. Vp.): Der Widerspruch gegen die Vorlage richtet sich in der Hauptsache gegen das Zuviel an Reglementierung und Bureaukratis­mus, nicht so sehr gegen die Verteuerung des Fern­sprechverkehrs. Das ist es auch, weshalb sich Han­del und Industrie den neuen Vorschlägen wider­setzen. Die Vorlage will das Sustem der Einzel gespräche. Im Jahre 1899 war die Reichspostver­waltung gerade der diametral entgegengesetzten An sicht. Der Staatssetretär aber geht davon aus, daß durch die Vertenerung auch eine Verringerung des Verkehrs eintreten würde. Wenn die Techniker alles tun, um den Verkehr zu einem fortschreitenden zu machen, so ist es am allerwenigsten Sache einer Verkehrsverwaltung, durch künstliche Maßnahmen den Verkehrsfortschritt zu hemmen.

Staatssekretär des Reichspostamts Kractke: Ich erkenne dankbar an, daß die drei Vorredner in ruhiger und sachlicher Weise kritisiert und sich fern gehalten haben von den Uebertreibungen, die heute vielfach an der Tagesordnung sind. Der Wunsch nach einer Aenderung der Fernsprechgebührenord nung ist vom Reichstag ausgegangen, das muß immer wieder betont werden. Ursprünglich hatten wir das reine Pauschalfystem. Dann sind wir über gegangen zu einem Doppelsystem. Neben dem Pan schalfnstem ließen wir das Einzelgesprächssustem zu. Nun ist gesagt worden, von diesem Einzelgesprächs­sustem wollte das Pablikum nichts wissen, sondern empfinde das ständige Zählen als eine Belästigung. Dabei hat das Einzelgesprächssystem um das Dop­

pelte zugenommen gegenüber dem Pauschalsystem. Bei der Einführung des gestaffelten Pauschalsystems etwa von 1000 auf 1000 Gespräche müßten die Teil nehmer, die zum Beispiel nur 50 Gespräche mehr

als 1000 Gespräche führen, für diese 50 Gespräche denselben Betrag zahlen, wie ein anderer für 1000 Gespräche. Ist die Postverwaltung dazu da, allen Kunden von Geschäftsleuten umsonst das Telepho­nieren zu gestatten? Unter dem gegenwärtigen Zu­stande haben gerade die ganz armen Geschäfts­leute zu leiden, die nicht einmal das Abonnement für das Telephon aufbringen können. Die Kunden werden natürlich am liebsten dahin gehen, wo ihnen das Telephon zur freien Versügung steht. Jedes Gespräch kostet dem Staate Geld. Es wird so hin­gestellt, als ob diese Fernsprechgebührenordnung das Rigorofeste wärt, was sich denken läßt. Für alle Teilnehmer, die täglich ihr Telephon bis zu sieben­mal benntzen, wird das Telephonieren nicht um einen Psennig teuerer. Von einer Belastung des ittelstandes kann daher nicht gesprochen werden.

der Kommission wird sich zeigen, daß viele Be­denken gegen die Gebührenordnung hinfällig und daß die meisten hier geäußerten Wünsche undurch­führbar sind.

Abg. Beck=Heidelberg(nationallib.): Es ist ganz erllärlich, daß auf dem Lande das Bedürfnis nach dem Telephon immer mehr hervortritt. Aber diese Erleichterungen zugunsten des platten Landes dürfen nicht zu agrarischen Maßnahmen werden. Sie dürfen nicht auf Kosten der Städte erfolgen. Schon der verstorbene Graf Oriola, der im vorigen Jähre im Namen unserer Partei hierzu sprach, er­klärte, es dürfe keine Liebesgabe für das Land auf Kosten der Stadt werden. Ihm lam es lediglich darauf an, dem Lande die Benutzung des Telephons zu erleichtern, ohne Schädigung der Teilnehmer. Man soll nicht enuherzig hier Ausgaben und Einnahmen gegenüberstellen, sond auch bedeuten, welche wirtschaftlichen Güter und Werte mittelbar aus solchen Einrichtungen zu ziehen sind. Wichtige und bedeutungsvolle Kreise der mitt­

leren gewerblichen Unternehmungen haben auf die schädliche Wirkung der neuen Einrichtung hinge­wiesen. Das gibt doch zu denken. Die Postverwal­tung beruft sich auf die von ihr einberufene Konfe­renz. Diese Konferenz in aber ein Musterbeispiel dafür, daß derartige ad hoe berufene Konferenzen nicht geeignet sind, die richtige Stimmung aus dem Volke wiederzugeben. Viel zweckmäßiger wäre es, wenn man für solche Fragen den von uns vor­geschlagenen Postbeirat hatte. In der Budgetkom­mission, an die wir auch die Vorlage überweisen wollen, werden wir Vergleiche mit dem Auslande zu ziehen haben. Wir werden dafür sorgen müssen, daß wir auch hier an der Spitze stehen.(Beifall bei den Nationalliberalen.)

Abg. Südekum(Soz.): Wir wünschen keine Er­schwerung und Verteuerung des Verkehrs und vor allem keine neuen agrarischen Vorrechte. Die Vor­lage ist für uns total unbrauchbar.

Abg. Linz(Reichsp.) spricht im Namen einer Minderheit seiner Fraktion gegen die Vorlage.

Abg. Herzog(Wirtschaftl. Vereinig.): Der Ent­wurf ist von der F#ritik hart mitgenommen worden. Trotzdem sind die Grundgedeelken gesund. Hoffent lich kommen wir in der Kommission zu einer Ver­ständigung.

Ein Schlußantrag wird angenommen. Der Ent­wurf geht an die Budgetkommission. Donnerstag 1 Uhr: Reichsschuldbuch, Rechnungssachen, Haftung des Reiches für seine Beamten.

Schluß gegen 7 Uhr.

Abgeordnctenhaus.

* Berlin, 20. April.

[53. Sitzung. Eröffnung 11,15 Uhr.] Fortsetzung der zweiten Beratung über den Kultnsctat

beim KapitelElementar=Unterrichtswesen.

Abg. Dr. Glattfelter(Z.): Je größer die Auf wendungen des Staates sind, desto mehr wächst naturgemäß sein Einfluß auf die Volksschule, wäh­rend oder Einfluß der Gemeinden zurückgeht. Auch ihr Einfluß muß gewahrt werden, denn auch sie haben große Aufwendungen gemacht. Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung auch auf dem Schulgebiete sind möglichst zu vermeiden. Die Unterrichtskommission hat sich für die Zulassung von Frauen zu den nach dem Volksschul=Unterhal­tungsgesetz gebildeten Schulkommissionen ausge sprochen. Hoffentlich werden diesen Beschlüssen teine weiteren Schwierigkeiten bereitet. Eine Teilung des Schulvorstandes nach Geschäftszweigen ist zu­lässig. In den Ausführungsanweisungen heißt es hierzu:Der geschichtlichen Entwickelung in der Mehrzahl der Provinzen wird es entsprechen, meist dem Ortsschulinspektor, sofern er Mitglied des Schulvorstandes ist, mit dem Vorsitz und bei einer Teilung der Geschäftszweige mit dem Vorsitz über die inneren Angelegenheiten zu betrauen. Dieser Anweisung wurde in den östlichen Provinzen ent sprochen. Es ist mir aber kein Fall bekannt, daß in den westlichen Provinzen der Ortsschulinspektor auch nur mit dem Vorsitz in den inneren Ange legenheiten der Volksschule betraut wäre. Das ist sehr zu bedauern, weil dem Amtmann bezw. Bürger­meister, wenn ihm, wie es häufig der Fall ist, eine ganz erhebliche Zahl von Schulen untersteht, wegen der Belastung mit staatlichen und kommunalen Auf gaben kaum die nötige Zeit bleibt, sich eingehend um die inneren Angelegenheiten der Schulen zu be­kümmern. Die Ueberfüllung der Schulen ist zurück gegangen, und im Jahre 1909 wird wohl eine Ueber­füllung, die zur Zurückweisung der Kinder geführt hätte, kaum mehr vorgekommen sein. Auch die Zahl der unbesetzten Lehrerstellen ist zurückge­gangen. Betonen möchte ich, daß die aus priva­ten Lehrerinnenbildungsanstalten her­vorgegangenen Lehrerinnen sich durchaus bewährt haben und hinter den anderen jedenfalls nicht zu­rückstehen. Nach§ 33 des Volks Hulunterhaltungs= gesetzes sollen Volksschulen in der Regel konfessiv­nell sein. Die über hundert Hilfsschulen sind es aber nicht und sind doch Volksschulen. Redner wen­det sich in seinen weiteren Ausführungen grundsätz­lich gegen die Simultanschule. Gestern hat ein Redner gesagt, auf die Persönlichkeit des Reli­gionslehrers komme es an. Das ist nur dann rich tig, wenn der Religionslehrer das glaubt und tut, was er lehrt. Der Religionslehrer, der mit voller

Ueberzeugung auf dem Boden der von Gott ge­gebenen Religion steht, mit hinreichendem wissen­schaftlichen und pädagogischen Geschick ausgerüstet ist und von Herzen die Kinder liebt, der ist es, der unserem Ideal eines Religionslehrers entspricht. Ein solcher Religionsunterricht ist die strahlende Sonne, die das gesamte Unterrichts= und Er­ziehungswerk durchleuchtet und erwärmt.(Leb­hafter Beifall im Zentrum.)

Abg. Frhr. v. Zedlitz(ft.): Daß im Westen im Schulvorstand der Bürgermeister oder Amtmann den Vorsitz führt, entspricht ganz dem Gesetz. Eine wei tere Ausdehnung der geistlichen Schulaufsicht kann auch der Kirche nicht erwünscht sein, da dadurch ein Teil der Kräfte der Seelsorge entzogen wird. Der Religionsunterricht muß in der Schule eine zentrale Stellung einnehmen, aber er darf die übrigen Lehr­stoffe nicht zurückdrängen.

Aba. Hintzmann(ul.): Unter den Lehrern besteht große Verstimmung über die Regelung der Mietsent­schädigungen und der Ortszulagen. Wenn die Ge­meinden hier mit ihren Mitteln nicht ausreichen, dann sollte doch die Staatsregierung im Interesse der Lehrer den Gemeinden die nötigen Zuschüsse ge­währen.

Kultusminister v. Trott zu Solz. Das Lehrer­besoldungsgesetz hat sich glatt durchführen lassen, uno mit ihm ist in weiten Kreisen der Lehrer Ruhe ein­getreten, auch auf dem platten Lande. Die Frage der Mietsentschädigung wird bei der Regelung des Wohnungsgeldzuschusses einer ernenten Prüfung unterzogen werden. Im übrigen soll es die Lehrer nicht mit Neid erfüllen, wenn ein Kollege etwas mehr als der andere hat, da sie doch alle mehr erhalten haben. Wenn Lehrer behördlicherseits vor dem neuen preußischen Lehrerverein verwarnt worden sind, wie Herr Kaufmann meint, so würde auch ich das nicht für richtig halten.

Abg. Heff(Fortschr. Pp.) verbreitet sich zunächst vorwiegend über die Schulverhältnisse im Norden der Monarchie. Nach unwidersprochen geblietenen Zeitungsberichten hat der Abg. Herold auf dem Ka­tholikentag in Breslau gesagt:Weil die Gemeinden einen großen Einfluß auf die Stellenbesetzung er langt haben, wollen wir unsere Aufmerksamteit darauf richten, daß an katholischen Schulen nur mehr Lehrer zur Anstellung kommen, die wirksame Mit­glieder des katholischen Lehrervereins sind. Diese Aeußerung hat unter der Lehrerschaft, insbesondere unter der katholischen, große Erregung hervorge­rusen, und ich bin von katholischen Lehrern beaus­tragt, diese Angelegenheit hier zur Sprache zu brin gen. Ich frage hiermit die Zentrumsfraktion, ob sie diese Auffassung des Abg. Herold teilt. Bei der Be­setzung von Lehrerstellen darf nur die pädagogische Tüchtigkeit maßgebend sein, und es ist zu betlagen, wenn versucht wird, in Fragen der Besetzunn der Lehrerstellen politische Momente hereinzutragen. In Sterkrade haben sich die katholischen Mitglieder der Schuldeputation einer gegen die Schmutzliteratur ge­richteten Bücherausstellung ferngehalten und sogar ein Schreiben herausgegeben, worin von dem Besuch der Ausstellung abgeraten wurde, weil die Veran­stalter der Ausstellung Mitglieder des liberalen Lehrervereins waren. Es hat uns gefreut, daß die Regierung das Verhalten der betreffenden Schul­depuration mißbilligt.

Abg. Korsanty(Pole) führt Beschwerde darüber, daß in den polnischen Landesteilen die Schulen ihrem eigentlichen Zwecke entfremdet und nur zur Germanisierung mißbraucht werden.

Kultusminister v. Trott zu Solz: Gegen diese unerhörten Angriffe auf den ehrenwerten Stand der Lehrer muß ich entschieden Verwahrung einlegen. Der Minister führt dann das günstige Urteil eines katholischen Geistlichen polnischer Abstammung über den Religionsunterricht in den deutschen Schulen des Ostens an.(Abg. Korsanty ruft: Namen nennen!) Angesichts dieser Ausführungen des hohen katholi­schen Geistlichen kann ich alsv auch des Vorredners Ausführungen über den Religionsunterricht in den Schulen des Ostens als unrichtig zurückweisen.

Abg. Hirsch Berlin(Soz.): Der Religionsunter­richt hat im Lehrplan der Volksschule nichts zu suchen. Die heutige Volksschule erfüllt die Aufgabe nicht, die sie als Bildungsstätte erfüllen müßte. Dem Zeutrum und den Konservativen wäre es natürlich am liebsten, wenn das Volk überhaupt nicht lesen und schreiben könnte.(Heiterkeit, in die der Redner schließlich selbst mit einstimmt.)

Abg. v. Gescher(kons.) wünscht die bessere Pflege des Gesangunterrichts in der Volksschule. Auch dem Sprechen komme der Gesangunterricht nur zu gute. Hier im Hause haben wir ja oft geung die Erfahrung gemacht, wie wünschenswert eine bessere systematische Anleitung zum Sprechen ist.(Heitere Zustimmung.) Das wird man Ihnen auf der Jour­nalistentribüne gern bestätigen. Redner macht dann Vorschläge zur Hebung des Gesangunterrichts.(Leb­hafter Beifall.)

Ministerialdirektor Schwartzkopff: Der Minister ist bemüht, den Gesangunterricht nach Möglichkeit zu heben. Er hat zu diesem Zweck eine Kommission einberufen, deren Beratungsergebnisse einer neuen Prüfungsordnung für Gesanglehrer, die demnächst erscheinen wird, zugrunde gelegt werden.(Beifall.)

Abg. Dr. wen 13tr.): Der Abg. Hoff hat die Rede des Abg. Herold falsch zitiert. Was die Vorgänge in Sterkrade angeht, so kann es nicht wunderneh­men, wenn in manchen Kreisen des Volkes ein ge­wisses Mißtrauen gegen den Deutschen Lehrerverein herrscht. Die Kirche muß ein natürliches und ein übernatürliches Recht auf die Schule geltend machen, und was die Seelsorge angeht, so mag Herr von Zedlitz die unsere Sorge sein lassen. Auch die Schul­aussicht ist eine Art Seelsorge, auf die wir nicht ver zichten wollen. Von einem konservativen Redner ist in der Kommission die Frage aufgeworfen worden, ob denn unsere Lehrerschaft die Gewähr biete, daß unsere Jugend eine christliche Erziehung erhalte. Das ist allerdings eine Frage von großer Wichtig­keit. Ich habe mich gestern gefreut, als der Abg. Ernst hier die sozialdemokratischen Bestrebungen unter der Lehrerschaft energisch zurückwies. Ich hätte aber den Wunsch, daß diese Abschüttelung von noch maßgebenderer Seite, nämlich vom geschäftsführen­den Ausschuß des Deutschen Lehrervereins offen und unzweidentig erfolgt wäre. Das ist aber leider nicht der Fall, ich will natürlich nicht behaupten, daß sich der Deutsche Lehrerverein mit der Sozialdemokratie identifiziere. Ich will nur sagen, daß im Deutschen Lehrerverein maßgebende Strömungen vorhanden sind, die mit den christlichen Anschauungen nicht in Einklang zu bringen sind. Wenn es richtig ist, daß hinter den Erklärungen, die der Deutsche Lehrerver­ein ins Land hinausgehen läßt, der ganze Deutsche