Nr. 181
Samstag, den 7. August 1920.
34. Jahrgang.
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Amtliches Kreisblatt:: Anzeiger für Neuhaus und Delbrück
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Generalstreik bei Bruch der Neutralität.
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Von einem Sachverständigen auf dem Gebiete der Börsenwesens wird uns geschrieben:
*. Die Vorgänge auf dem polnischen Kriegsschauplatz haben die Weltwechselmärkte wieder einmal in eine seit langem nicht gesehene Aufregung versetzt. Um bei Deutschland zu bleiben, die Mark verlor am schlimmsten Tage rund 10% ihres derzeitigen Goldwertes, um sich dann allerdings rasch wieder zu erholen. Die Schwankungen waren aber keineswegs auf Deutschland beschränkt, das ergibt am besten ein Vergleich etwa des englischen Pfundes, der schwedischen und norwegischen Krone, oder des französischen Franken mit der Währung eines Landes, das„weit vom Schuß" liegt, also etwa Argentiniens oder der Ver einigten Staaten. Nun, über die Anschauung, die Boethe im zweiten Teil des Faust verspottet, daß man beim Papiergeld(wie übrigens bei jedem Geld)„weiß was man hat“, haben uns ja die letzten Jahre hinausgefährt. Wir haben ganz genau erfahren, daß man beim Geld eben nicht weiß, was es wert ist, d. h. was man daAür kaufen kann. Aber die Vorgänge der letzten Tage boten ein außergewöhnlich gutes Beispiel für einen Satz von der Lehre vom Gelde, der in den Erörterungen der letzten
Jahre sehr häufig erwähnt worden ist: Der Kaufwert des beldes im Inland ist verschieden von dem im Ausland. Man denke z. B. an den Fall, daß zwei Kaufleute in jenen Tagen etwa jeder einen Posten Reis gekauft hätten, der eine von einem holländischen Geschäftsfreund gegen Gulden. der andere von einem deutschen Händler gegen Mark. In diesem Falle hätten 24 Stunden genügt, um die Selbstkosten des ersten, der in Holland gekauft hatte, um ein volles Zehntel zu steigern, ohne daß sich für irgend einen der anderen Beteiligten auch nür das geringste geändert hätte.
Wenn die Lehre vom Gelde, eines der Kernstücke, vielzeicht das Kernstück der gesamten Volkswirtschaft in den Jahrzehnten vor dem Weltkrieg zu den am seltensten erörierten Teilen der Volkswirtschaftslehre zählte, so ist das wirklich nicht weiter verwunderlich: sie hat es eben nach jeder Richtung hin„in sich“. Um so eigenartiger berührt es, wenn man einmal alte Schriften über das Geld in die Hand nimmt und dort sieht, wie all das, was wir jetzt erleben, sich in genau derselben Weise auch früher schon gezeigt hat und wie,— und das ist wohl das Bemerkenswertere daran,— wirklich kluge Köpfe auch früher den Dingen einigermaßen auf den Grund sahen. So ist zum Beispiel vor einiger Zeit eine kleine Sammlung von Auszügen aus Schriften über die Geldlehre erschienen, die ein rundes Vierteljahrtsisend umfaßt. Die ältesten Autoren, die Vorläufer der eigentlichen Lehre vom Gelde, sprechen da im wesentlichen das aus, was heute doch in der breiten Masse geglaubt wird, oder bis vor wenigen Jahren geglaubt wurde, die Überzeugung nämlich, daß Reichtum und Geldbesitz das gleiche seien: uns haben allerdings die Jahre des Krieges und der Revolution für den Augenblick eines Besseren belehrt. Unheimlich modern aber klingt es schon, wenn der alte Thomas Mun im Jahre 1664 nachweist, daß der Geldbesitz eines Landes(er spricht von Spanien) durch kein Verbot dieses Staates von den anderen Ländern ferngehalten werden könne, falls dieses Land durch Kriege verarmt und wenn er hinzufügt:„Wenn aber die Frage gestellt würde, ob alle Länder nur Geld erhalten und Spanien allein das seine verliert, dann antworte ich mit nein, denn andere Länder verlieren, ebenso
gut wie Spanien durch Kriege und Warenmangel sein kgentum perloren hat, durch Kriege oder Verschwendunalles, ma sie befelen
Die Eisenbahner gegen Verbandstruppentransporte durch Deutschland.
tb. Berlin, 7. Aug. In politischen Kreisen rechnet man laut„B. T.“ mit einem Generalstreik der gesamten deutschen Eisenbahner, wenn der Verband tatsächlich Anstalten treffen sollte, die deutsche Neutralität zu verltzen und Truppen durch deutsches Gebiet nach Polen zu dirigieren.
Karlsruhe, 7. Aug. Auf dem hiesigen Rangierbahnhof befindet sich zurzeit eine große Anzahl Waggons, mit Kriegsgut und Munition, deren Weiterbeförderung nach Polen von dem Eisenbahnpersonal verweigert worden ist. Weiter sind hier zahlreiche Waggons mit Gütern nach Ungarn bestimmt, deren Beförderung ebensalls von den Eisenbahnern abgelehnt worden ist. Der hiesigen Eisenbahndirektion wurde von der Reichsregierung mitgeteilt, daß über 400 Waggons, dar unter 170 mit Fit, 200 Waggons mit Flugzeugmaterial und 100 Waggons mit Uniformen nach der Tschecho Slowakei befördert wer den sollen. Da aber der Betriebsrat der Eisenbahner befürchtet, daß auch dieses Material für Polen bestimmt ist, lehnt er den Transport ab.
*
Rücktritt Deschanels, Millerand sein Nachfolger
Paris, 6. Aug. Wie in hiesigen politischen Kreisen verlautet, ist der Rücktritt des Präsidenten Deschanel eine beschlossene Tatsache“ Als sein Nachfolger wird Millerand genannt. Der Präsidentenwechsel dürfte im Laufe des Monats September erfolgen.
Ganz besonders zeitgemäß klingen die Schriften, wenn man ins Zeitalter Napoleons kommt, in Jahre also, in denen das Geldwesen Europas ebenso zerrüttet war, wie es jetzt der Fall ist. Und hier sind es besonders die Ausführungen David Ricardos, die die Schäden der Papiergeldwirtschaft mit bemerkenswerter Schroffheit und Klarheit darlegen. Er betont zunächst, daß bei Vergrößerungen des Geldumlaufs sich die Wirkung stets in einer Steigerung der Preise äußern wird, bei Vergrößerungen der Menge von Gold= und Silbermünzen auf der ganzen Erde, bei Papierwährung nur in dem betreffenden Lande.„Ihr(d. h. der Vergrößerung) Einfluß auf die Preise wird dann nur örtlich und dem Namen nach stattfinden, da durch den Wechselkurs für den ausländischen Käufer ein Ausgleich eintreten wird.“ An anderer Stelle beschäftigt er sich mit dem auch heut von den meisten Menschen nicht klar erkannten Verhältnis von Geld und Kapital und sagt:„Das tatsächlich im Lande verwendete Kapital ist notwendigerweise auf den Vorrat an Rohstoffen. Nahrungsmitteln usw. beschränkt und könnte in demselben Maß, wenn auch unter größeren Schwierigkeiten ertragsfähig gestaltet werden, wenn der Handel ausschließlich durch Tausch betrieben würde... Wie reichlich die Menge des Geldes und der Banknoten auch sein mag, wenn dadurch auch die Nominalpreise der Waren erhöht werden... so ist damit das tatsächliche Einkommen und Vermögen des Landes um nichts vermehrt... Es findet eine gewaltsame und ungerechte Übertragung des Besitzes statt, ohne daß für die Gesamtheit ein Vorteil daraus erwächst.“ Klingt das nicht, als ob es geiern geschrieben wüne?
Wie man Rußland beikommen will.
Die unberechenbare Sowjetrepublik, deren verwirrende. die Gemüter aufreizende Revolutionstaktik viel größer und gewaltsamer ist als ihre milttärische Kraft, hat Polen gleichsam wie ein Kartenhaus über den Hausen geworfen und stört damit alle Pläne von dem neuen Europa, die der erfinderische Ehrgeiz Frankreichs in dem Versailler Vertrage aufrichten zu können sich vermaß. Frankreich muß— das entspricht nun seiner neuen von Clemenceau im Sinne. der französischen Machthaber früherer Jahrhunderte eingeleiteten Welt= und Großmachtpolitik-— das Schwert ziehen, um Pdlen, sein Schoßkind und zugleich der Exekutor seines
Herrenwillens gegen Deutschland und das ihm verschuldete Rußland, zu retten. England, Italien werden es nicht tun. können es nicht tun. Wann ist es Frankreich möglich und wie wird es seine Soldaten auf den Kampfplatz bringen? Über Deutschland und womöglich mit Hilfe der Deutschen, wenn Deutschland noch viel ohnmächtiger und willenloser wäre, als es tatsächlich schon ist. Daran ist aber heute noch nicht zu denken und soweit wird es auch nicht kommen. So bleibt nur der Zugang von der See aus— Danzig, der neue Freistaat als Etappe zu den im ostpreußischen Abstimmungsgebiet stehenden Ententetruppen. Riga, der Hafen des Randstaates Lettland, endlich Odessa und die Krim, wo General Wrangel gegen Sowjetrußland im Kampfe steht. Die Landung in Danzig und die Aufnahme der Overationen von dert würden in ihrem Fortaana
die deutsche Neuträlttät verletzen müssen. Darüber würde die Gewaltsamkeit der von Clemenceau nur neu instradierten. in Wirklichkeit recht alten französischen Politik hinweggehen. Der Vorteil, den ein Angriff von dieser Seite durch die Möglichkeit einer Umfassung der rechten russischen Flanko am Narew bietet, ist zu groß, um die stupellosen Pariser Machthaber auf ihn verzichten zu lassen. Von Riga aus, wo die Randstaaten noch weniger Widerstand zu leisten#. stande wären, würde ein Flankenvorstoß der roten Armee abgewehrt und ein Vormarsch auf Petersburg gede# werden können. Zu gleicher Zeit würde etwa eine Südarmee aus tschechischen, ungarischen und rumänischen Hilfstruppen auf Lublin und Kiew vorgehen, gede#t durch andere Landungen in Odessa und in der Krim. durch die Armee General Wrangels. Frankreich brauchte ###r diese Oeration nur etwa 400000 Mann zu stellen:
für das Mehr würden die sozusagen befreiten Oftstaaten zu sorgen haben. Ihr Widerstreben, wenn Frankreich ernstlich will und es wollen kann, würde leicht erledigt sein. der Tschecho=Slowakei ist sogar, wenn die letzten Meldungen richtig sind, ein Einverständnis bereits erzielt worden. Der große europäische Krieg, ein Kampf aller gegen alle in Europa das Ende der Weltbefriedung von Versailles, wo der angebliche Friedensstörer Deutschland getötet wurde oder— der Anfang der Völkerbundfriedenszeit Wilsons.
Die Frage ist nur, ob die Völker sich den uferlosen Plänen machthungriger Advokaten und Geschäftspolitiker an der Seine fügen werden, nachdem täglich mehr zutage tritt, wie sie nur aus dem Umfrieden und der Völker verhetzung ihre Legitimation beziehen und unverhüllt die Herrschaft Frankreichs an die Stelle des früheren Einvernehmens der Großmächte zu setzen bemüht sind.
Brüder unter sich.
Die Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands haben ihre Sorge mit der Führung der Kommunistischen Arbeiterpartei.
Nicht ohne Interesse ist, was hierüber„Der Kämpfer“, das Hauptorgan der sächsischen K.P.D. zu schreiben weiß.
Die Ursache zu der Differenz zwischen K.P.D. und R.A.P.D. ist eine— natürlich ganz harmlose Spielerei der K.A.P.D., die in einer— militärischen Übung bestand.— Warum, so fragt man sich vergebens, solllen auch heute nicht in den ruhigen Zeiten die Arbeiter ein bißchen Soldat spielen? „Der Kämpfer“ ist jedoch da anderer Meinung, indem er diese Rührigkeit der Dresdener Kommunisten als Spitzeltätigkeit(natürlich!) bezeichnet, die ihr Ziel darin sieht, die Arbeiter zu entwaffnen, oder„die Arbeiter den Spitzeln und Spürhunden der Regierung auszuliefern“.
Die„Rote Fahne", ein Gesinnungsbruder des Blattes „Der Kämpfer", schreibt zu dieser„Proberevolution in Dresden“, daß„sie nur ein Beispiel von vielen ähnlichen höchst gefährlichen Dummheiten ist, die die Wirrköpfe in der K. A.P. begehen. Die Unsinnigkeit des Unternehmens, die Revolution vorher einzustudieren und durch theatralische Spielerei den Lockspitzeln Material und Gelegenheit zu Anschlägen auf die revolutionären Arbeiter zu geben, liege auf der Hand, und es müsse jedem Arbeiter die Unsinnigkeit derartiger Machinationen endlich klar werden.
Auch die„Freiheit“ stimmt in diese Entrüstung ein.— Doch nicht genug mit diesem einen Streiche. Die„Magdeburger Volksstimme“ ist dahinter gekommen, daß von seiten der K. A. P. D. und der Syndikalisten ein wohldurchdachter Raubzug gegen die— eigenen Unterstützungskassen unternommen wurde. Die Funktionäre dieser beiden Parteien haben massenweise Blankoausweise mit nachstehendem Texte an die Anhänger der K. A. P. D. und der Syndikalisten aubgegeben:
Der vovolutionäre Vollzugsrat Duisburg......
Duisburg.
Bescheinigung.
Der— die Genossen....... von der Roten Arm
#ind Flüchtlinge aus dem Ruhrgebiet. Es wird gebeten, dieselben zu unterstüten.
Der revolutionäre Vollzugsrat Duisbunge
i g E. Lempe.
Auf diese Weise wird natürlich eine wesentliche Erleichterung der Unterstützungskassen erreicht und wirklich unterstützungsbedürftige Arbeiter auf das beträchtlichste geschädigt. Man sieht, es ist selbst im engsten Kreise unter den Kommunisten nicht alles so, wie es sein sollte.— Auch unter diesen„Idealisten“ gibt es Elemente, die an einer gewissen. Stelle, nämlich da, wo der Geldbeutel sitzt, sterblich sind. Und es scheinen deren nicht gerade wenige zu sein, wie sollte man sich sonst das entrüstete starke Rauschen in dem Blätterwald der linksradikalen Zeitungen erklären.
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