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No. 238

Witten, Vonnerkag, den 11. Oktober.

1894.

E Vhermementeumns fuef ir Aelise

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Fernsprech=Nr. 46(Amt Witten).

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w Bis zur Eröffnung der

ist es nicht viel mehr als ein Monat, und die Reichsboten werden dann wieder in Berlin zu einer ungemein wichtigen und folgenschweren Sitzungs­periode zusammentreten. Unsere innere Gesetz­gebung steht noch lange nicht vor einem Abschluß, sie erfordert im Gegentheil einen immer weiteren Ausbau, eine immer kräftigere Fundamentirung. Wir haben wohl gesehen, wie in den letzten Sessionen manche Streitpunkte durch definitive gesetzgeberische Beschlüsse beseitigt wurden, aber unsere Zeit ist viel zu unruhig und bewegt, als daß man hoffen könnte, es würde in absehbarer Zeit ein allgemeiner Ausgleich der Gegensätze ein­treten können. Daran ist nicht zu denken, die Gegensätze verschärfen sich vielmehr, und wir Alle wissen, wie seit dem Schluß der letzten Reichstags­session so Manches in Europa passirt ist, was alle Staaten, ihre Regierungen und ihre Bürger zur ernstesten Wachsamkeit, zur Ergreifung von Maßnahmen auffordert, die dem Ernst der Zeit entsprechen. Was zu geschehen hat, darüber gehen nun freilich die Ansichten außerordentlich weit aus­einander, und nicht allein den leitenden Männern im Reiche, nein, auch den Volksvertretern wird eine ernste Verantwortung zugeschoben, damit nicht auch in unserem deutschen Volksleben mit Bezug auf die allgemeinen Verhältnisse der Satz angewendet werde: Der Brunnen wird nicht früher zugedeckt, als bis das Kind hineingefallen ist! Wir haben weiterhin lebhafte Auseinandersetzungen über eine bestimmte Regelung in unserem Reichsfinanzwesen, die schon seit Jahr und Tag andauern, bald in dieser Form, bald in jener, ohne daß es so weit gekommen wäre, daß man im deutschen Volke sagen kann:Nun wissen wir genau, woran wir sind!

Diese definitive, rationelle Festlegung der Ver­hältnisse in unseren Reichssinanzen ist keine an­genehme Arbeit, in Geldsachen hört bei keiner Nation so schnell die Gemüthlichkeit auf, wie bei der Deutschen, aber gerade um deswillen soll etwas geschehen und muß das Rechte geschehen. Hier steckt, so lange die Dinge ungeregelt bleiben, ein Keim zu ewiger Unzufriedenheit, umsomehr als be­kanntlich schon seit manchem Sommer die wirth­schaftlichen Verhältnisse sehr viel zu wünschen übrig lassen, Klagen und Wünsche Jahraus Jahrein er­tönen und eine durchgreifende Besserung nicht kommen will. Der deutsche Gewerbestand, der ge­sammte deutsche Nährstand erhebt dringend seine Wünsche nach Reformen, er wünscht eine Erleich­terung des immer fühlbarer gewordenen Drucks, auf daß ihm endlich einmal wieder die Schaffens­freudigkeit erhöht werde, statt daß sie immermehr und mehr erlahmt. Der Reichstag hat nicht blos genug zu thun, unendlich viel liegt auf seinen Schultern an Arbeit, und die Reichsregierung ihrerseits hat ein Arbeitsprogramm vor sich, wie sie es schwieri­ger und reichhaltiger kaum gehabt hat: Soll wieder

eine lange Reichstagssession mit großen Reden ohne große Thaten vergehen? Wir wollen es wirklich nicht wünschen, es war schon gar zu oft doch so.

Besprochen und behandelt in Reden und Schrif­ten sind unsere inneren Reichsverhältnisse, wie sie sind und wie sie sein könnten, mehr als zur Ge­nüge, auch der Reichstag kann sich hierbei sehr wohl die oratorische Einleitung schenken und sofort zum eigentlichen Kernpunkt der Dinge übergehen. Ein gutes altes Wort sagt, daß der Schiffer nicht säumen soll, wenn flotter Wind ihm die Segel füllt! Das wollen wir nun auch einmal bei der Behandlung unserer deutschen Reichsangelegenheiten beherzigen, die Reichsregierung mag nicht säumen, wenn sie guten Wind hat, zu thun, was geschehen kann, und an gutem Wind wird es schon nicht fehlen. Nicht mehr gehört dazu, als die recht­zeitige Bekanntgebung eines volksthümlichen, nutz­bringenden Arbeitsprogramms für den Reichstag, in welchem nicht blos gesagt wird, daß etwas zum Heile des gesammten Nährstandes geschehen soll, sondern auch, was geschehen soll. Millionen war­ten darauf, und ein kräftiges Vorschreiten auf dem Wege einer gesunden Volkspolitik würden sie mit solchem Jubel begrüßen, daß der Reichstag mit müßte, er möchte wollen oder nicht. Offenkundig haben es die deutschen Wähler bewiesen, daß sie über die glänzendsten Reden doch nicht gute Thaten vermissen wollen, daß sie verlangen, daß zum Probieren einmal vom Studieren übergegangen wird. Und, weiß Gott, wir können's probieren schon bei uns wagen, denn selbst dann, wenn ein praktischer Versuch gar keinen Nutzen mehr brin­gen könnte, schaden möcht' er doch auch nicht mehr. Dann wird auch die sehr unerfreuliche und leidige Kleinmüthigkeit, die noch so vielfach in unmoti­viertem Grade sich geltend macht, verschwinden, und aus dem neuen Vertrauen wird neue That­kraft ersprießen. Darum heraus mit einem offenen, volksverständlichen und volksfreundlichen Wort. Man kann das Gute weder zeitig genug sagen, noch zeitig genug thun.

X Ob die Nachricht, daß dem Reichstage bald nach seinem Zusammentritt eine Vorlage wegen der Börsenreform zugehen wird, zutrifft, mag dahingestellt sein. Zu beachten bleibt, daß der weitaus größte Theil dessen, was man unter diesem Namen versteht, ohne Eingreifen der Gesetzgebung im Verwaltungswege durchzuführen ist. Die gesetz­gebenden Körperschaften werden daher sicher nur mit einem Theile der einschlägigen Fragen befaßt werden. Soweit es aber nothwendig oder zweck­mäßig erscheint, die Klinke der Gesetzgebung zu ergreifen, empfiehlt sich ein rasches Vorgehen schon aus dem Grunde, weil, solange nicht feststeht, was reichsgesetzlich geordnet wird, auch die Landes­regierungen mit den im Verwaltungswege zu er­lassenden Anordnungen nicht wohl vorgehen können. Wenn aber angedeutet wird, daß die Entschließungen der Reichsregierung diejenigen, welche eine Börsen­

reform besonders wünschen, sehr enttäuschen dürften, so ist das nicht dahin zu verstehen, daß in Bezug auf die Ordnung des Börsenverkehrs hinter die Vorschläge der Börsenenquete=Commission zurück­gegangen werden soll. Soweit Abweichungen von diesen Vorschlägen für nöthig erachtet werden, dürften dieselben weit mehr nach der Richtung einer strafferen Ordnung des Börsenverkehrs als nach der entgegengesetzten liegen. Daß extremen An­schauungen und Forderungen auch auf diesem Ge­biete nicht genügt wird und werden kann, ist selbstverständlich.

+ Die holde Weiblichkeit. Wenn Frau Emma Ihrer, die bekannte sozialdemokratische Apothekersgattin, inFrauen=Versammlungen, die zu neun Zehnteln aus Männern zusammengesetzt sind, ihre blutigrothen Phrasen vom Podium herunter­donnert und dabei ihre zierliche Figur reckt und mit den kleinen Patschhändchen herumfuchtelt, so kann sie immer auf einen lebhaften Beifall rechnen. Gewährt es doch einen wirklich heiteren Eindruck, wenn zahme Frauen sich wild geberden und mit Kraftmenschen im Liebknechtschen Style wetteifern. Wenn aber Frau Ihrer ihre Phrasen schrieftlich

deponiert und sie in derGleichheit, der Zeit­schrift für Arbeiterinnen, dem weiblichen Geschlechte zum Besten gibt, so klingt das im höchsten Maße abstoßend, weil das eben ganz und gar unweiblich ist und durch die humorvolle Wirkung der per­söhnlichen Auftrittsweise nicht gemildert wird. In der letzten Nummer(20) derGleichheit" beispiels­weise ist folgender Satz zu finden:Das Sozialisten­gesetz trat in Kraft, weil die Besitzenden in Bismarck der in seiner Person die Dreieinigkeit des Industrie=, Agrar= und Jobberkapitals repräsentirte den politischen Hausknecht gefunden hatten, wie sie seiner bedurften: brutal und raffinirt, grundsatz­und gewissenlos, habsüchtig bis zum schmutzigsten Geiz und bornirt genug, zu wähnen, mit einem Tritt seiner Kürassierstiefeln die geschichtliche Ent­wickelung bremsen zu können." Das sind Aeußerungen, denen wir wiederholt imVorwärts" begegnet sind und die schon in jenem Blatte selbst Männer mit gesunder Verdauung anekeln. Frau Ihrer sollte doch dem leitenden Blatte ihrer Partei nicht ins Handwerk pfuschen, denn wenn Frauenfedern in einem für das weibliche Geschlecht bestimmten Organ in diesem Styl sich ergehen, so ist das viel ekelerregender, als wenn derVorwärts dies thut. Und Frau Ihrer sucht doch sonst nicht abstoßend, sondern anziehend zu wirken.

Reich.

Berlin, 9. Oktober.

* Berliner Nachrichten. Die Feier der Nagelung bezw. Weihe der für die neu errichteten vierten Bataillone bestimmten Fahnen am 17. und 18. Oktober d. J. soll auf Befehl des Kaisers in demselben Rahmen gehalten werden, wie jene im Jahre 1861, als es sich ebenfalls um Nagelung und Weihe einer größeren Anzahl von neuen Fahnen und Standarten handelte. DerReichsanz. veröffentlicht eine Reihe von Ordensverleihunger

an serbische Beamte u. A. die Verleihung des Rothen Adler=Ordens erster Klasse an den außerordent­lichen Gesandten in Wien, Simitsch. DieB.

P. N. theilen mit, daß die auf die Reform der Börse bezüglichen Vorlagen soweit vorbereitet sind,

daß deren Vorlegung an den Reichstag in der bevor­tehenden Session mit Sicherheit zu erwarten ist. Die Grundzüge der Vorlagen sind im Reichsamt des Innern fertig gestellt und werden demnächst den Bundesregierun­gen mitgetheilt werden. Der Ministerpräsident Graf Eulenburg weilt bereits seit einigen Tagen in Hubertus­stock und wird, den letzten Dispositionen zufolge, heute Abend oder morgen früh hier eintreffen. Wie eine parlamentarische Korrespondenz hört, sind im Mini­sterium des Innern übrigens mehrere Vorlagen zur Be­kämpfung der Umsturzbestrebungen ausgearbeitet worden. Das vom Kultusminister seiner Zeit zugesagte Lehrer­besoldungsgesetz liegt, wie derVoss. Zig. geschrieben wird, im zuständigen Ministerium zwar fertig ausgearbeitet vor, doch für die Berathungen noch keineswegs so weit abgeschlossen, daß man mit Sicherheit sagen könnte, das Gesetz werde den nächsten Landtag beschäftigen. Die Huldigung der Ostpreußen für den Fürsten Bis­marck soll nach dem neuerdings gefaßten Beschlusse in einer Geldsammlung zum Zwecke einer milden Stiftung

bestehen, welche dem Fürsten an seinem achtzigsten Geburts­tage, dem 1. April kommenden Jahres überreicht werden soll. DemNiederschl. Anz. wird aus Trachenberg ge­meldet, daß Fürst Hatzfeldt zum Statthalter von Elsaß=Lothringen ausersehen sei und das Amt des Oberpräsidenten von Schlesien für ihn nur zur Vorberei­tung dienen solle.

+ Armer Eugen Richter! ImVorwärts(Nr. 234) ist zu lesen:Zu einer Virtuosität im Lügen und

Verdrehen hat es Herr Eugen Richter gebracht, der gegen­über bereits die Presse aller Parteien einschließlich der

eigenen nur noch mit Verachtung antwortet..... Nun,

was sollen wir noch von Herrn Richter erwarten: sein Name ist längst schon der Begriff für feige Unverschämt­heit und verlogene Rabulistik geworden. Das sozialdemo­kratische Centralorgan behandelt seinenGroßvensionär doch ein wenig gar zu schlecht. Es muß also trotz derar­tigerFreundschaftsstückchen" doch davon überzeugt sein, daß Herr Richter nicht etwa bei Wahlzeiten einmal einen rollenwidrigen Seitensprung nach rechts macht. Daß in­dessen derVorwärts, die oben ein wenig grob hervor­gehobenen Eigenschaften des Chefs derVolkspartei zu schätzen und zu benutzen weiß, haben wir oft genug wahr­genommen, wenn das sozialdemokratische Parteiorgan un­begründete Behauptungen oder Verdrehungen aus der Freisinnigen Zeitung mit Behagen als ernste Wahrheiten weiterverbreitet hat, wenn sie sich für die Sozialdemokratie ausbeuten ließen.

= Novelle zum Strafgesetzbuch. Wie wir aus bester Quelle erfahren, hat der Reichskanzler in der Audienz beim Kaiser in Hubertusstock sich bereit erklärt, dem Reichstage eine Novelle zum Strafgesetzbuch vorzulegen, welche einzelne Bestimmungen des gemeinen Rechtes in der Richtung amendirt, daß der Umsturzbewegung schärfer entgegengetreten werden kann. Als Einzelheit wurde uns angefuhrt, daß eine Bestimmung der Novelle dahin zielt, unmündigen jungen Leuten den Besuch von politischen Versammlungen zu verbieten. Es wurde uns versichert, daß der Reichstag, falls er die Regierungsvorlage verwirft und gleichzeitig es ablehnt, aus seiner Mitte einen Ersatz zu bieten, aufgelöst werden soll.

Der Kolonialrath wird, wie diePost von gut unterrichteter Seite erfährt, am 18. d. M. zusammentreten. Es werden ihm die Etats für die Schutzgebiete vorgelegt werden. Die Frage wegen Erschließung Deutsch=Ostafrikas durch Herstellung einer großen Eisenbahnlinie wird in den diesmaligen Berathungen eine hervorragende Rolle spielen.

Ausland.

Oesterreich=Ungarn. Das Magnatenhaus nahm den Gesetzentwurf betreffend die Religion der Kinder

* Schuld und Sühne.

17] Novelle von Robert Kohlrausch.

Nun wohl, rief er, indem er plötzlich alle Förmlich­keit abschüttelte,so lassen Sie uns hier draußen bleiben. Der deutsche Himmel meint es so gut, wir wollen glauben, es sei eine italienische Nacht, und ich singe Ihnen italienische Lieder.

Und Bertram giebt den Wein Ihres Landes, nicht wahr? fügte Martini hinzu, indem er den Arm um meine Schultern legte.Wir trinken heuteMonte Vesuvio, und der lebendige Monte Vesuvio hier singt seine Lieder zum Wein.

Bald war das Abendessen im Pavillon aufgetragen; ein Tisch in der Mitte, vier Stühle um denselben geordnet, von oben das Licht der Ampel, zu welcher Nachtfalter herbei­flatterten. Der rothe Wein glänzte in den Gläsern, die Sterne sahen durch die offenen Thüren herein.

Borelli sprach dem Wein eifrig zu und rühmte sich, daß er erst in unseren nordischen Landen das Trinken gelernt.

Dort unten bedarf es des flüssigen Feuers nicht, rief er aus.Wir Italiener haben das Feuer in uns selbst, sobald wir daheim. Es glüht unter dem Boden unseres Landes und aus ihm strömt es über in unsere Adern.

Und leuchtet, freundlich entzündet, in Ihren Liedern, fügte Maria hinzu.

Santa Lucia Santa Maria!, begann er zu singen, aber ein verweisender Blick ließ ihn schweigen. Dann warf er plötzlich den Kopf zurück, lachte und rief:Und was Ihr auch sagen mögt, Ihr ernsten, vergrübelten Deutschen, wir Italiener sind doch die wahren Menschen! Bei Euch läuft das Gefühl durch hundert Kanäle, bevor es zu Tage kommt bei uns bricht es hervor wie ein Quell, wie ein Strom! Wir hassen oder wir lieben! Wir fragen nicht erst, ist der Haß erlaubt, ist die Liebe verboten, das Gefühl ist da, es treibt uns vorwärts, wir gehorchen ihm.

Und steht Euch jemand im Wege so nehmt ihr ein Messer und stecht ihn nieder, sagte Martini mit bitterem Lächeln.

Auch das! rief Borelli, hob sein Glas in die Höhe, daß der rothe Wein funkelte, und warf einen Blick darauf als sei es Feindesblut, das er vergossen.

Er trank das Glas leer, setzte es auf die Marmorplatte des Tisches, daß es klirrte, und sagte:Und wenn uns ein Mädchen liebt, oder eine Frau, und wir haben aus dem Wege geräumt, was uns trennte, so liebt sie uns dafür nur um so mehr!"

Einen Verbrecher, sagte Martini scharf.

Verbrecher! Was ist Verbrechen? Nehmt hier bei Euch zwei Frauen, und Ihr werdet ins Gefängniß gesetzt, fahrt ein paar hundert Meilen, und Ihr dürft Euch einen Harem halten. Den Begriff des Verbrechens hat nur die Angst, die Nothwehr geschaffen,.., a... 4.

Plötzlich brach er ab, wandte sich zu Maria und sagte scheinbar in leichtem Ton, aber mit leise bebender Stimme: Was thäten Sie gnädige Frau, wenn es geschähe, daß Sie einen Verbrecher liebten?

Ich sah Maria an als er so gesprochen, und sah, wie sie die Lippen zu einer Erwiderung öffnete. Unter meinem Blick aber, den sie fühlte, verstummte sie, legte ihre Hand auf meine Schultern und sagte mit einem ruhigen Lächeln: Hier ist mein Mann und der ist kein Verbrecher!

Um Borellis Mund zuckte es, aber er beherrschte sich und sagte ruhig:Von der Wirklichkeit spreche ich nicht. Von einer Phantasie, einem Traum. Versuchen Sie es, denken Sie sich einmal hinein in die Lage: Sie wären frei, Sie liebten einen Mann, der zum Verbrecher in diesem herkömmlichen Sinn, zum Verbrecher würde, was würden Sie thun?"

Ich vermag mir das nicht zu denken.

Ich bitte, versuchen Sie es. Gern möchte ich wissen, was eine deutsche Frau thäte in solchem Fall. Sie liebten ihn und entdeckten, daß er ein Verbrecher sei, sprechen Sie, was würden Sie thun?

Jetzt richtete Maria die Blicke voll auf ihn, und ihre Augen schienen größer, als sonst, wie sie starr und fest hinüberschaute. Dann kam es langsam von ihren Lippen, die sich kaum zu bewegen schienen:Ein Verbrecher und ich liebte ihn, ich glaube, ich würde ihn tödten!

Sie hatte ihre Hand von meiner Schulter genommen, jetzt hob sie dieselbe und strich mir leise über das Haar, als wolle sie mich um Verzeihung bitten. Sie mochte der Worte gedenken, die sie ehemals zu mir gesprochen, und wie zur Entschuldigung fügte sie hinzu:Es ist thöricht, daß ich über solche Dinge spreche.

Borelli hatte sie erstaunt angesehen bei ihren Worten, jetzt lachte er laut auf:Tödten, weil er Sie liebt, die richtige Deutsche!"

Nicht weil er mich liebt, weil er ein Verbrechen be­ging, und weil ich ein Bild nicht besudelt sehen könnte, zu dem ich gebetet.

Wider Willen waren ihr die Worte entflogen, das fühlte ich, als sie gesprochen, und sie selbst fügte hinzu:Nun aber lassen Sie uns enden. Wir wollen fröhlich sein, da­zu führen solche Gespräche nicht.

Der Italiener schwieg, dem Befehl gehorsam, doch keiner von uns fand gleich das geeignete Wort. Da war es will­kommen, daß die alte Dienerin erschien, den Tisch abzu­räumen; bald war derselbe frei, nur die Flaschen und Gläser blieben zurück, und das Licht, welches auf den Wein fiel, zeichnete rothe, mit weißen Streifen durchzogene Flecke auf den hellen Marmor.

Borelli hatte ein wenig von seinem Wein verschüttet, als er das Glas emporgehoben; jetzt begann er mit dem Finger rothe Figuren auf den Tisch zu malen, und als die Alte ge­gangen war, sagte er plötzlich in ganz verändertem, heiterem Ton:Ich habe Sie so viel mit Verbrechern geängstigt, jetzt will ich Ihnen auch zeigen, wie man sie fängt. Kein Steck­brief ist so sicher, kein Bild so treu.

Wir sahen ihn verwundert an, er aber zog ein Stück Papier aus der Tasche, und nachdem er den Daumen der rechten Hand in dem Weinrest auf dem Tische gefärbt, drückte er den Finger fest auf das Papier, welches er uns nun dar­bot. Auf demselben zeigte sich der getreue Abdruck des Fingers mit einem Gewebe von feinen scharf abgegrenzten Linien, von einigen stärkeren Strichen durchfurcht.

Wie kein Blatt am Baume dem andern gleicht, sagte Borellierklärend,so trägt jeder Mensch ein besonderes Linien­gewebe in seiner Hand und auf seinen Fingern, das nicht zum zweiten Male in der Welt ist. Machen Sie die Probe; jeder von Ihnen wird sich hier anders abkonterfeien!

Der Scherz der uns neu war, unterhielt uns; bald waren wir eifrig beschäftigt, Abdrücke unserer Finger dem Papier einzuprägen, und mit dem Eifer bei der thörichten Be­schäftigung beim Vergleichen der verschiedenen Bilder deren jedes in der That ein besonderes, eigenes war, kehrte auch die Heiterkeit wieder zurück.

Wir hatten das Lachen wiedergefunden, und als nun auch der nur wenig leuchtende Mond zu uns hereinblinzelte da sprang Borelli auf und rief:Jetzt italienische Nacht, Musik und Tanz!

Hastig schob er den Tisch mit Martinis Hilfe beiseite, daß in der Mitte des Pavillons ein kleiner freier Raum entstand und stürmte fort durch den Garten, seine Mandoline zu holen. Rascher, als es möglich schien, war er zurück, athemlos, glühend, die Haare wild emporgestrichen, schöner als ich ihn je gesehen, von allem befreit, was sonst seine Züge entstellte.

Noch zauderte er einen Augenblick, um Athem zu schöpfen, dann begann er, seinem Instrument eine leise, zuerst melan­cholische Melodie zu entlocken, wozu er mit halber Stimme halbverständliche Worte sang. Dann ging er in einen Tanz­

rothmus über; langsam bewegte sich Berelli vorwärts und rückwärts schreitend, sich wiegend, voll von einer Anmuth, die mich an ein schönes Thier der Wildniß gemahnte,

Lebhafter wurde die Musik, lauter und heller sein Ge­sang, hestiger wurden seine Bewegungen.

Tarantella! rief Martini, dessen Augen leuchteten in der Erinnerung an sein geliebtes Land im Süden.

Ja, Tarantella, gab Borelli zurück, und nun begann jene gleichmäßige, aufregende, das Blut in Bewegung setzende Musik. Ohne sich im Spiel zu unterbrechen, tanzte er immer leidenschaftlicher und wilder; plötzlich brach er Musik und Tanz zugleich ab und rief:Tarantella kann ich nicht allein tanzen. Es ist, als wollte ich ein Duett für mich allein singen!

Dabei warf er die Blicke zu Maria hinüber, welche ihn wohl verstand. Sie aber schüttelte den Kopf:Ich tanze nicht, sagte sie leise.

Nun, so muß es genug sein, rief er und griff zum Glase.

Musik, Tanz, Gesang und Wein hatten auch mich in einen Taumel versetzt. Ein plötzliches Verlangen kam über mich, Marias Gestalt in solchem Tanze sich bewegen zu sehen.

Willst Du nicht tanzen? fragte ich.

Sie blickte mich erstaunt an.Ob ich

Ja, Maria, ich möchte Dich tanzen sehen.

Wenn Du es wünschest, gab sie zur Antwort. Ihre Stimme klang ruhig, aber ihre Wangen färbten sich roth. Sie trat vor, blickte auf Borelli und sagte:Ich werde sehr ungeschickt sein.

Er griff in sein Instrument, so daß es einen hellen, vollen jubelnden Ton gab, und sagte:Der Tanz bedeutet Suchen, Fliehen und Finden, das ist sein ganzes Geheimniß.

Und nun hob er wieder an zu spielen, aber es klang anders als vorhin. Jetzt war es wirkliche, italienische Musik; ihr nervenerregender Zauber wirkte auf Tänzer und Hörer. Weit schöner als zuvor tanzte Borelli, kam heran­geschritten, wie von unwiderstehlicher Sehnsucht gezogen, wendete sich stolz zurück, wenn die Tänzerin vor ihm floh, um aufs neue dem Drange zu gehorchen, sich ihr zu nahen. Maria bewegte sich anfangs leise und schüchtern, bald aber ergriff das Feuer des Tanzes auch sie, und nun umkreisten, umspielten, umschmeichelten die beiden schönen Menschen einander, ein Triumph der Anmuth, des Lebens, der schöpferischen Natur.

(Fortsetzung folgt.)