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Freitag, 26. Juni 1896(Johannes u. Paulus).
Nr. 174.
Die fakultative Civilehe
ist gestern vom Reichstage mit 196 gegen 33 Stimmen abgelehnt worden. Die Minderheit bestand aus den Antisemiten, Polen und einem Teil der Konservativen. Die konservative Fraktion zählt 60 Mitglieder. Wenn nun die Antragsteller selbst mit Unterstützung von Polen und Antisemiten nur 33 Stimmen für ihren Antrag aufbrachten, so ist damit genügend gekennzeichnet, was von dem konservativen Eifer für die christliche Ehe, die man mit dem Antrage schützen zu wollen vorgab, zu halten ist. Ein Teil von ihnen stimmte gegen den Antrag, ein großer Teil von ihnen war überhaupt nicht anwesend. Gestern waren sie da, heute nicht mehr. Der Hasen war ihnen wichtiger als die christliche Ehe. Und solche Leute machen dann dem Centrum zum Vorwurfe, daß es sich mit ihnen nicht gegen die Civilehe verbinde. Man wußte ja im Centrum nur zu gut, daß die Herren nicht Stand halten würden, daß sie zum Teil grundsätzlich für die Beibehaltung der obligatorischen Civilehe seien. In der letzten Zeit wurde das zu vertuschen gesucht, heute aber trat die Meinungsverschiedenheit in der schärfsten Weise hervor. Die Herren Graf Roon und Pastor Schall stellten es so dar, als ob die Antragsteller allein wahre Christen und Freunde der christlichen Ehe seien. Hinterher verwahrten sich aber die Abgg. v. Buchka und Dr. Kropatscheck lebhaft dagegen, nicht so gute Christen, wie jene zu sein, wenn sie gegen den Antrag stimmten. Sie behaupteten sogar, ganz besonders im Interesse der evangelischen Kirche zu handeln, die erst durch das Civilstandsgesetz eine Freiheit erlangt habe wie nie zuvor, während die Aenderung des geltenden Zustandes die Geistlichen wieder zu Dienern des Staates machen würde. Daß Dr. Kropatscheck, der Leiter der Kreuzztg., (Herrn v. Buchka kennen wir nicht so genau), ein so gläubiger protestantischer Christ ist wie irgend jemand in seiner Partei, wird niemand abstreiten können. Herr Schall gab denn auch zu, daß man ein guter evangelischer Christ und doch für die obligatorische Civilehe sein könne. Damit fiel aber die ganze Argumentation der Antragsteller über den Haufen, wie sie sich denn überhaupt mehr durch Konfussion als durch Logik auszeichneten. Besonders der Abg. Schall sprach wieder einmal höchst unglücklich und erregte besonders in seinem Kampfe gegen Bebel wiederholt die stürmische Heiterkeit des ganzen Hauses, seine eigenen Parteigenossen nicht ausgeschlossen. Wenn er z. B. die von Bebel zitierten bekannten Aeußerungen Luthers über die Ehe durch weitere Aeußerungen Luthers zu ergänzen und zu korrigieren glaubte, so merkte er offenbar gar nicht, daß er den Reformator für die Civilehe ins Feld führte. Drastischer hätten wirklich die Widersprüche und Unklarheiten im Protestantismus nicht gekennzeichnet werden können, als es heute Schall wider Willen that. Was wäre nun der Ersatz gewesen, wenn das Centrum sich mit den Konservativen gegen die obligatorische Civilehe verbunden hätte? Ein Teil von ihnen that von vornherein nicht mit, sondern drückte sich oder stimmte für die Civilehe. Selbst mit Polen und Antisemiten blieb man also sicher in der Minderheit. Dann setzten die andern Parteien mit Hülfe eines Teils der Konservativen die Bestimmungen des Entwurfs vielleicht in verschlechterter Form durch; jedenfalls wären nicht die dem Centrum zugestandenen Aenderungen durchgeführt worden, die eine klare Trennung zwischen dem rein bürgerlich-rechtlichen Charakter der„Civilehe" und zwischen der kirchlichen Ehe aussprechen. Im Prinzip ist die fakultative Civilehe für das Centrum ebenso verwerflich wie die obligatorische, zumal in der Gestalt der konservativen Anträge, die dem Staate die Befugnis beimißt, die
□Irene.
Erzählung von Melati v. Java, aus dem Holländischen übersetzt von L. v. Heemstede. 9
Irene lauschte erbleichend und entgegnete traurig:„Dos ist noch schlimmer, als wenn Du protestantisch wärest; solch' eine Ehe ist keine Ehe."
„Vor dem Forum Deiner Kirche nicht, aber wohl vor dem der Welt und meinem Gewissen! O, Irene, wenn Du mich lieb hast, tief und innig, wie ich Dich liebe, weshalb willst Du dann wegen einer leeren Form Dich mir entziehen? Wie viele Tausende leben glücklich und zufrieden, die nur bürgerlich getraut sind?"
„Glaubst Du denn nicht an einen Gott?" fragte Irene, mit ernsten Augen zu ihm aufblickend.
„Die Frage ist schwer zu beantworten", entgegnete er achselzuckend und einigermaßen befangen,„an einen Gott, wie Du ihn Dir vorstellst, glaube ich allerdings nicht. Fragst Du mich jedoch, ob ich eine Macht erkenne, die alles erhält, die alles in's Leben rief, ja, das ist eine andere Frage. Es kann sein, daß solch eine Macht Bbesteht, ich leugne es nicht, aber ich glaube nicht, daß die im All' verborgene geheime Kraft sich um uns Menschen bekümmert, daß sie unsere Lose bestimmt und uns Gesetze vorschreibt, denen wir nachleben müssen, wenn wir uns keine Höllenstrafe zuziehen wollen."
„Du glaubst also auch nicht an Himmel und Hölle und an ein künftiges Leben?"
„Ich glaube, daß jeder Mensch sich hienieden seinen eigenen Himmel und seine eigene Hölle bereitet; ein gutes Gewissen, das Bewußtsein, unsere Pflicht erfüllt zu haben, das bringt den Himmel in unser Herz, und das Gegenteil ist die Hölle. Ist dieser Gedanke nicht viel schöner und erhabener als die armselige Phantasie eurer Führer?“
Aber Irene lauschte seinen Worten nicht mehr; schaudernd bedeckte sie mit den Händen ihr Angesicht, es war ihr, als wenn sie in einen Abgrund blickte und schwindelnd wich sie zurück vor der entsetzlichen Leere, die ihr entgegengähnte.
„Kein Himmel, kein Leben nach dem Tode, kein Gott, keine Heiligen, keine Engel! Kein Wiedersehen unserer Toten, o René, welch' ein trostloser Gedanke! Also nichts, nichts mehr? Nein, es kann nicht wahr sein, es kann nicht!"
Er umfaßte sie zärtlich und suchte sie zu trösten:„Meine liebste Irene, ich will Dir die lieblichen Träume nicht mit Gewalt rauben, ich halte sie für schöne poetische Illusionen; die meisten Menschen bedürfen einer solchen Fata Morgana, um sich in der Wüste des Lebens aufrecht zu erhalten, aber ich will Dir das Leben selbst zu einem Himmel gestalten, es wird nur ein einziger langer Freudentag für uns sein. Meine Liebe, meine Treue, sei Dir zugeschwo
kirchliche Form der Eheschließung vorzuschreiben. Hätte es aber auch eine Mehrheit für die fakultative Civilehe haben können, so war damit ebenfalls nicht nur nichts erreicht, sondern Gutes preisgegeben worden. Der Bundesrat hätte keinenfalls zugestimmt; so mußte entweder das ganze Gesetzbuch scheitern, oder das Eherecht wurde ausgeschieden. Dann gingen die jetzt erreichten Verbesserungen gegenüber dem seit mehr als 20 Jahren bestehenden Rechtszustande verloren. Unter den gegebenen Umständen konnte also das Centrum gar nicht anders handeln, als es gehandelt hat, und wir sind überzeugt, daß seine Haltung auch von kirchlicher Seite Billigung finden wird. Daß es bei dieser Gelegenheit mit den Nationalliberalen ein Kompromiß schließen mußte, ist zwar, dekorativ betrachtet, nicht schön; es ist aber nicht seine Schuld und kein Verbrechen. Seinen Grundsätzen hat es damit nichts vergeben, daß es für sie die Anerkennung seiner Gegner erlangte.
Aus den Parlamenten.
CPC. Berlin, 25. Juni.
Die heutige Reichstagssitzung währte abermals sieben Stunden. Es wurden vom bürgerlichen Gesetzbuche die Bestimmungen über die Ehemündigkeit, über das eheliche Güterrecht und über die Ehescheidungsgrunde, letztere aber nur teilweise, erledigt. Ein Antrag der Socialdemokraten, in Uebereinstimmung mit dem Reichscivilstandsgesetz die Ehemündigkeit mit dem vollendeten 20. Lebensjahr eintreten zu lassen, wurde abgelehnt, weil, wie vom Bundesratstische ausgeführt wurde, der Mann wegen seiner dominierenden Stellung in der Ehe bei Eingehung derselben volljährig sein müsse. Die Bestimmung, wonach die Kinder bis zum 25. Lebensjahre der Zustimmung des Vaters zur Eheschließung bedürfen sollen, wurde auf Bebels Antrag, den Aba. Gröber(C.) unterstützte, dahin abgeändert, daß das 25. durch das 21. Lebensjahr ersetzt wurde.
Vom Antragsteller Abg. Bebel(Soc.) war besonders geltend gemacht worden, daß die Arbeiter im 21. Jahr in der Regel wirtschaftlich selbständig, und dann meist von den Eltern losgelöst seien. Nach§ 1337 soll dem Manne in allen das gemeinschaftliche Eheleben betreffenden Angelegenheiten die Entscheidung zustehen, insbesondere soll er Wohnort und Wohnung bestimmen.
Die Socialdemokraten befürworteten hier durch den Abg. Bebel die Gleichberechtigung beider Geschlechter und wurden hierbei von den Abgg. Träger(frs. Vp.) und Rickert (frs. Vgg.) unterstützt, während Bundeskommissar Planck die Bestrebungen, die Stellung der Frau zu einer möglichst würdigen zu machen, zwar für völlig berechtigt erklärte, aber glaubte, daß der Entwurf in dieser Beziehung allen berechtigten Ansprüchen entsprochen habe.§ 1337 wurde unter Ablehnung des die Gleichberechtigung beider Geschlechter aussprechenden socialdemokratischen Antrags aufrechterhalten.
Beim ehelichen Güterrecht stellt der Entwurf das Princip der Gütergemeinschaft auf, dem die Abgg. Freiherr v. Stumm(Rp.) und Bebel den Grundsatz der Gütertrennung entgegenstellten. Die beiden Antragsteller vertraten mit Wärme die Auffassung, daß die Frau recht wohl Talent zur Vermögensverwaltung habe. Das zeige sich besonders in Arbeiterfamilien, wo die Frau in der Regel den Hausstand verwalte. Die Frau werde durch die Gütergemeinschaft dem Manne untergeordnet und nicht genügend gegen etwaige Verschwendungssucht des Mannes geschützt. Letzteres geschehe nur durch die gesetzliche Gütertrennung. Die Anträge Stumm und Bebel wurden abgelehnt. Es verbleibt also bei der Gütergemeinschaft.
Beim Abschnitt Ehescheidung beantragten die Freisinnigen, daß als„schwere Verletzung der ehelichen Pflichten“ und somit als Ehescheidungsgrund nicht nur grobe Mißhandlung, sondern auch„Mißhandlung, Beschimpfung, Verleumdung und rechtswidrige Bedrohung" angesehen werden soll; außerdem wollten sie im Anschluß an die Bestimmungen des Preußischen Landrechts die Entscheidung auf Grund der Ein
ren, so heilig, als wenn wir vor dem Altare ständen. Willst Du dann in Deinem Herzen noch an das andere Paradies glauben, meine Peri, ich will Dir diesen Glauben und diese Hoffnung nicht nehmen, aber verlange nicht mehr von mir, daß ich mich einer Ceremonie unterziehe, deren Wert ich nicht anerkenne, die für mich weiter nichts ist als eine Komödie!"
Sie schluchzte leise, das Haupt an seine Schulter lehnend. „Aber René, wenn es nun das einzige Mittel ist, das mich zu Deiner Frau machen kann?"
„Auch dann nicht, meine Liebste! Selbst Deine Liebe kann mich nicht von meinem Eide entbinden, und Du wirst mich um so höher achten müssen, weil nichts mich veranlassen kann, wider meine Ueberzeugung zu handeln."
„Aber darf ich denn meine Ueberzeugung preisgeben?"
„Wenn sie so fest ist, wie die meinige, dann gewiß nicht. Aber was ist Deine Ueberzeugung? Sie ist Dir von einigen guten, freundschaftlichen Ordensschwestern beigebracht, Du hast sie nicht durch eigenes Nachdenken Dir angeeignet."
„Du irrst Dich— es ist mein Glaube, meine Religion, das kostbarste Gut, das man mir geschenkt hat!"
„Ach liebes Kind! Du hast so wenig gehört und gelesen, wie kannst Du dann wissen, daß Dein Glaube allein der richtige ist? Die Religion war gut und nützlich für die Völker, als die Welt noch in den Kinderjahren sich befand; nun haben die Menschen so viel mehr erfahren, und die Wissenschaft kann sich nicht länger mit den Dogmen der Kirche vereinigen."
„Aber es giebt doch so viele Gelehrte und hochentwickelte Männer, die gläubig sind."
„Oder die es vorgeben", sagte er achselzuckend,„ich will aber Deinen Glauben Dir nicht nehmen, Irene, durchaus nicht!"
„Und Du willst mich bestimmen, etwas zu thun, was ich unmöglich thun kann, so lange ich noch an Gott und seine Kirche glaube? Nein, René, wenn Du nicht nachgeben kannst, ich vermag es ebensowenig."
„Dann müssen wir scheiden", sprach er bitter,„dann gehe ich heute fort, und wir sehen einander nimmer wieder. Wegen eines Hirngespinnstes willst Du alles preisgeben, was ich Dir bieten kann; Du zertrittst Dein eigenes Herz, denn Du hast mich lieb, das weiß ich, Du verwüstest meine Zukunft und machst uns beide unglücklich."
„Ach René, warum muß diese Schranke uns trennen?"
„Weil die Religion, oder was die Leute so nennen, nichts ist als ein dummer Aberglaube, der schon Tausende, die zusammen gehörten, auseinandergerissen hat, der mit der Natur im Widerspruch ist, und der uns elend zu machen droht, wie er meine Eltern elend gemacht hat."
Irene zuckte schmerzlich zusammen; Liebe, Unwille und Scham stritten in ihrem Herzen.
willigung beider Ehegatten, für kinderlose Ehen in das Gesetz aufgenommen wissen. Ein socialdemokratischer Antrag wollte die Ehescheidung„bei gegenseitiger Einwilligung" zulassen.
Abg. Bebel verteidigte in langer Rede das in diesem Antrage ausgesprochene Princip der Erleichterung der Ehescheidung.
Professor v. Maudry bat um Ablehnung sämtlicher Anträge. Beide Anträge wurden abgelehnt.— Morgen Fortsetzung.
Reich.
Berlin, 25. Juni.
* Die Erklärung des Centrums über die Civilehe, welche der Abg. Dr. Lieber gestern beim Beginn der Reichstagsverhandlungen über den das Familienrecht betreffenden Abschnitt des Bürgerlichen Gesetzbuchs verlas, hat folgenden Wortlaut:
Bei Beratung der Civilprozeßordnung erklärte in unserm Namen Dr. Windthorn, die Mitglieder des Centrums, soweit sie dem katholischen Bekenntnis angehörten, hätten sich gegen die Einführung des Rechtsgeschäftes, welches man in der Regel Civilehe nennen, entschieden erklären müssen, gäben diesen Widerspruch gegen besagtes Rechtsgeschäft auch jetzt nicht auf und hielten nach wie vor dessen Einführung für eine schwere Schädigung kirchlicher Interessen. Seitdem sind 20 Jahre verflossen. Heute wie damals halten die katholischen Mitglieder des Centrums daran fest, daß die Gesetzgebung über die Ehe an und für sich und abgesehen von deren Wirkungen auf dem rein bürgerlichen Gebiete der Kirche gebührt, weil die Ehe nach katholischem Glauben Sakrament und als solches jeder staatlichen Zuständigkeit entrückt ist. Wir bedauern, daß es nicht gelungen ist, noch irgend welche Aussicht zu gelingen bietet, den von unseren Vertretern in der Kommission gestellten Antrag auf Anerkennung des kirchlichen Eherechts, wenigstens für kirchentreue Eheteile, zur Annahme zu bringen. Derselbe ist, was hier ausdrücklich festgestellt werden muß, mit Ausnahme des polnischen Mitgliedes von keiner Partei unterstützt worden. So können wir auch einem Antrage auf Einführung einer sakultativen Civilehe nicht zustimmen, der an die Stelle solcher einfachen Anerkennung des kirchlichen Eherechtes staatliche Vorschriften für die Form der kirchlichen Eheschließung setzen will. Dagegen nehmen wir selbstredend die in der Kommission erreichten Aenderungen in bezug auf Schließung und Trennung der Ehe an, weil dieselben gegenüber dem seit mehr als 20 Jahren bestehenden Rechtszustande Verbesserungen der religiösen Lage weiter Bevölkerungskreise in Hinsicht auf diese hochwichtigen Fragen herbeizuführen wohl geeignet sind. Darin und in der Notwendigkeit, mindestens für Reichsangehörige, welche keiner anerkannten Religionsgesellschaft angehören, hier Vorkehrung zu treffen, ist auch unsere ablehnende Haltung zu dem Antrage mit Ausscheidung des persönlichen Eherechts aus dem Bürgerlichen Gesetzbuche begründet.
Unsere Stellungnahme zum Gesamtwerke wird wesentlich von den Ergebnissen der weitrren Beratung abhängen und werden wir uns hierüber zur Schlußabstimmung äußern.
* Zu der Frage des Ersatzanspruches aus Wildschaden sagt die liberale Münchener„Allg. Ztg.“:
„In der Sache braucht man wohl die Wiederherstellung der Regierungsvorlage— geblieben sind übrigens in§ 819 die zuerst in demselben nicht aufgeführten Fasanen— nicht zu bedauern. Die Wildschadenfrage eignet sich in allervortrefflichster Weise zu demagogischen Tiraden und ist auch gestern in diesem Sinne ausgebeutet worden; vor der nüchternen Prüfung durch Fachmänner und Sachverständige hält aber der ideale Dunst, den manche Leute um dieselbe zu verbreiten sich bemühen, in keiner Weise Stand, und es gelingt schließlich doch nicht, die Ersatzansprüche wegen Hasenschadens unter die unveräußerlichen Menschenrechte einzureihen, für die der wahre Volksmann willig Gut und Blut in die Schanze schlägt. Aber ein ungeheuerlicher Anachronismus wäre es immerhin gewesen und hätte uns dem
„Ich darf nicht länger Deinen Worten lauschen, René", sagte sie endlich.„Unsere Wege gehen zu weit auseinander."
„Du hast recht, wir würden uns gegenseitig unglücklich machen, es ist besser, daß wir jetzt von einander scheiden."
„Ja, wir wollen scheiden, aber vergessen kannst Du mich nicht mehr! Bete, so viel Du willst, Gott hört Dich nicht, aber die Erinnerung an mich wird Dich nicht verlassen. Du machst mich unglücklich durch Deine abschlägige Antwort, was soll ich von einer Liebe denken, die nicht das geringste Opfer bringen will?"
„Aber Du selber, René, Dein Vater durfte Dir jenen Eid nicht abverlangen, er war mit Deiner Religion im Streit.“
„Ich hatte keine Religion, ich leistete jenen Eid mit freiem Willen und ich werde ihn halten, wenn es mich auch mein Lebensglück kostet."
„Kinder, wo bleibt ihr doch?" rief Frau van Kralingen, ihnen entgegentretend.
„Ihr Herr Gemahl hatte recht," sagte René, vor ihr stehen bleibend,„aus unserer Ehe kann nichts werden. Irene hat nicht den Mut, dem landläufigen Torurteil Trotz zu bieten. So stark ist ihre Liebe nicht. Ich reise heute Abend ab."
„O, René, sei nicht so grausam! Sagen Sie ihm doch, liebe Frau van Kralingen, daß ich nicht thun kann und darf, was er von mir verlangt, nicht wegen des Leute, sondern wegen meines Gewissens.“
„Liebes Kind!" beruhigte sie Frau van Kraligen,„Gewissen ist ein sehr dunkler Begriff. Jeder muß sich sein Gewissen selber machen. Religion ist eine sehr schöne Sache, und es würde toll in der Welt hergehen, wenn es keine Religion gäbe, aber man muß nicht übertreiben, die Geistlichen, worunter sehr brave Menschen sind, wissen von diesen Dingen nichts. Es wäre eine Thorheit, ihrem Rat zu folgen und dafür Dein Glück zum Opfer zu bringen. Sie werden Dir keinen Trost bieten oder dieser Trost wird Dir keinen Ersatz schaffen. Ich vertrage mich doch sehr gut mit meinem Mann, wir haben uns nie über die Begriffe katholisch oder protestantisch mit einander gezankt!"
Irene fand keine Antwort, sie fühlte, daß diese Lehren einem oberflächlichen Geist, einem unbedeutenden Charakter entstammten und daß, was dieser kleinen Seele genügte, sie nimmer befriedigen würde.
„Laßt mich jetzt nur nach Hause gehen!" sagte sie mit matter Stimme.
„Begleite sie, René, aber nicht weiter als bis zum Thor. Die Leute schwätzen doch schon genug und ich mag
nichts weiter davon hören, wenn doch nichts daraus werden wird."
„Willst Du Dir die Sache noch überlegen, Irene?"
30. Jahrg.
Gelächter der Kulturwelt preisgegeven, wenn an der„Hasenfrage" das bürgerliche Gesetzbuch des Deutschen Reichs gescheitert wäre, und insofern kann man sich Glück wünschen, daß die Klippe im letzten Augenblick doch noch vermieden wurde, woran den Konservativen allerdings kein Verdienst zukommt."
Die Mehrheit des Reichstages war bekanntlich der Ansicht, daß die Sache doch ihre zwei Seiten habe und zog es vor, statt das Gesetzbuch an dieser Frage scheitern zu lassen, die Hasen und die Regreßpflicht preiszugeben. Damit rettete sie wenigstens, daß die Schadenersatzpflicht für Schwarz=, Rot=, Elch=, Dam= und Reh-Wild und Fasanen in dem Gesetzbuch ausgesprochen wird, während die Konservativen den ganzen Wildschaden daraus entfernen wollten. Das bedeutet für verschiedene Staaten, deren gesetzgebende Körperschaften bisher nicht zu bewegen waren, die gesetzliche Schadenersatzpflicht auszusprechen, einen Fortschritt. Auf Antrag des Abgeordneten Spahn wurde außerdem beschlossen, daß die Regreßpflicht dort, wo sie besteht, durch das bürgerliche Gesetzbuch unberührt bleiben soll. Damit ist verhütet, daß das Gesetzbuch für diese Staaten einen Rückschritt bedeute.
* Dem Reichstage ging ein Antrag des Freiherrn v. Langen zu, den Reichskanzler zu ersuchen, baldigst dem Reichstage einen Gesetzentwurf vorzulegen, wodurch ein mäßiger Zoll auf ausländische frische Heringe und Sprotten eingeführt und der Eingangszoll auf gesalzene Heringe und Sprotten erhöht wird.
* Die Bäckermeister Berlins waren gestern auf Einladung des Innungsvorstandes zu einer Besprechung über die Bäckereiverordnung des Bundesrats zusammengetreten. In der Versammlung wurde mitgeteilt, daß der Bund deutscher Bäckerinnungen eine Immediateingabe an den Kaiser gegen die Verordnung gerichtet habe. Verschiedene Parlamentarier hätten ihre Unterstützung zugesichert. Auch könnte der Reichstag noch vor, seiner Vertagung einen Beschluß gegen die Verordnung fassen. Nach längerer Debatte wurde beschlossen, daß der Berliner Bäckermeister König die Klage gegen die Rechtsgültigkeit der Verordnung durch alle Instanzen auf Kosten der Innung führen solle. Außerdem wurde der Vorstand ermächtigt, eine Centralstelle einzurichten, welche Material gegen die Verordnung sammeln soll.
* Die zweite Beratung des bürgerlichen Gesetzbuches wird im Reichstage, wie man hofft, morgen, vielleicht auch erst übermorgen beendet werden. Da am Montag katholischer Feiertag ist und manche Abgeordnete, namentlich auch Geistliche deshalb in die Heimat reisen werden, soll in der nächsten Woche erst am Mittwoch wieder eine Sitzung abgehalten werden. Ob man am Donnerstag oder erst am Schluß der nächsten Woche sich wird vertragen können, steht noch dahin.
* An Geschichtskenntnis ist der„Reichsbote“ dem Abg. Pastor Schall noch„über". Er behautet, dem Grafen Gleichen sei vom Papste Dispens erteilt worden, zwei Frauen zu haben, und wenn Philipp von Hessen sich an den Papst gewandt hätte, so würde ihm der Dis pens vielleicht ebenso zu teil geworden sein. Bekanntlich ist die schöne Geschichte vom Grafen Gleichen längst als Sage nachgewiesen worden. Und warum wandle sich Philipp nicht an den Papst?„Das konnte er als Protestant nicht", sagt der„Reichsbote". In Wahrheit that Philipp es deshalb nicht, weil er nur zu gut wußte, daß er von diesem rundweg abgewiesen werden würde. Sein Protestantismus hielt ihn gewiß nicht ab; den hätte er so gut preisgegeben wie Heinrich VIII. von England, wenn der Papst ihm willfahrt hätte. Weiter behauptet der„Reichsbote", Papst Pius VII. habe Napoleon 1. Dispens erteilt,
fragte er, als sie allein waren,„und darf ich kommen, um Deine Antwort zu holen, morgen, oder in einer Woche, einem Monat, wenn Du sie nur giebst?"
Sie schlug ihre großen, unschuldigen Augen zu ihm empor.
„René, möchtest Du, daß ich so wäre, wie Frau van Kralingen?"
„Nein, Irene," antwortete er lächelnd,„ich liebe Dich, so wie Du bist und ich will Dich nicht anders; wenn ich das eine nur in Dir ändern könnte, mehr verlange ich nicht."
„Ich meine, ob Du mich lieben könntest, wenn ich so leichtsinnig über die höchsten Dinge der Menschheit dächte, wie Frau van Kcalingen? Möchtest Du, daß ich so oberflächlich wäre?"
„Eine echt weibliche und allerliebste Frage! Eine Frau darf keinen anderen Gott haben, als ihren Mann; kein Mensch darf zwischen ihnen stehen. Die Liebe, die sie verbindet, muß so groß, so mächtig sein, daß sie die Liebenden über alles erhebt, über Glauben, über Menschenfurcht, über Familienbande. Das ist allein die wahre Liebe, wie ich sie verstehe, und die Frau, die mir diese Liebe nicht zu geben vermag, kann nimmer die meine werden."
Unwillkürlich verglich Irene seine Auffassung von der Liebe mit der Kurts; wie ganz anders sprach und dachte Rovinck!
Ihr Verstand sagte ihr klar genug. daß Kurts Auffassung die höchste und reinste war, aber warum mußte Renés Stimme denn so verlockend klingen? Das Glück, das er ihr verhieß, lag so unmittelbar vor ihr; sie konnte es mit Händen greifen, und das andere lag so hoch. Warum gab sie René am liebsten Gehör?
„Dann kann nichts daraus werden!" sprach sie zitternd, fast unhörbar,„Adieu, René!"
„Ist das Dein letztes Wort, Irene?"
„Ja, ich kann nicht anders! Weshalb soll ich denn gerade nachgeben?“
„Ich habe aufrichtig mit Dir gesprochen. Du bist durchaus im Recht, wenn Du meine Bedingungen nicht annehmen willst. Suche mich zu vergessen, wenn Du kannst, ich werde es auch thun. Ich habe mich in Dir getäuscht."
Er wandte sich ab, ohne Gruß, ohne Händedruck; sie schaute ihm nach mit großen, brennenden Augen, die keine Thräne erfrischen wollte.
„Soll ich ihn zurückrufen? Nein, ich darf nicht, ich darf nicht!" So wiederholte sie fortwährend, aus dem Gebüsch in den schmalen Fußweg zwischen den Wällen einbiegend, der sie sofort in die Stadt brachte.
(Forts. folgt.)