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Nr. 25.
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Redaktion und Verlag.
Der Herr Kultusminister über Parität und„katholische Abteilung".
Recht schön führte der Herr Kultusminister in der Mittwochs=Sitzung aus, wie gerade die Sicherheit seines evangelischen Bekenntnisses ermögliche,„daß ich auch für die Andersdenkenden und namentlich für die katholische Kirche Verständnis haben kann, daß ich Ihnen die Hand reichen kann, daß ich mir vorstellen kann, wie aus der katholische Anschauung heraus gewisse Dinge, auf die weniger Gewicht bei uns gelegt wird, als wesentlich erscheinen, und daß wir Ihnen darin helfen müssen, soweit wir kön nen, das ist mein guter, redlicher Wille.“ Der gute Wille des Herrn Kultusminister hatte ja auch der Centrumsr dner rückhaltlos anerkannt und seiner Person Vertrauen ausgesprochen. Es frägt sich nur, ob nicht trotz des guten Willens und der hervorragenden Fähigkeiten des Herrn Kultusministers ein katholischer Beirat notwendig ist, um überall die katholischen Anschauungen und In teressen richtig und erschöpfend zur Geltung zu bringen.
Weniger schön war die vorhergehende Bemerkung des Ministers, bei ihm sei es nicht so, wie es vielleicht zur Zeit der katholischen Abteilung gewesen, daß nicht die Räte nach den Anweisungen des Ministers, sondern der Minister nach den Anweisungen der Räte gearbeitet habe. Der Ausfall gegen die frühere Abteilung und die früheren Minister war zu bismarckisch. Es ist sonderbar, daß diespro testantischen Minister über etwaige Vorurteile ihrer protestantischen Räte unbedingt erhaben sein wollen, dagegen bei der Forderung eines katholischen Beirats alsbald eifersüchtig auf ihre Unabhängigkeit werden. Ist es denn so ungeheuer gefährlich, daß in katholischen An gelegenheiten auch ein Katholik dem Minister seine Meinung sagt?
Die Direktoren im Kultusministerium sind sämtlich protestantisch, die vortragenden Räte fast sämtlich; in den Provinzialbehörden, die gegebenenfalls Bericht erstatten, überwiegt in der stärksten Weise das protestantische Element. Dem Minister geht also über katholische Angelegenheiten unter Umständen nur von Protestanten Bericht und Antrag zu. Reicht seine Gerechtigkeit allein ans, um diesen gewaltigen Einflüssen von Mitteilungen und Rat schlägen das nötige Gegengewicht zu schaffen?
Ein erfahrener konservativer Mann, Herr v. Massow, hat unlängst eine Schrift über die preußische Bureaukratie veröffen licht, worin er darlegt, daß Preußen im Grunde nicht von den wechselnden und überlasteten Minister, sondern von den Decernenten, den unabsetzbaren Geheimräten in den Ministerien regiert werde. Es ist etwas
Ein starkes Herz.
5 Novelle von I. Fichtner.
Helene schied mit dem Bewußtsein, daß ein neues, ein Leben voll Mühe und Arbeit ihrer wartete. O möchte es ihr gelingen, sie wollte ihre besten Kräfte daran setzen, ihr fehlte der Reichtum nicht, sie fand Genügen an ihrer von jeher hervorgetretenen Einfachheit. Stets war sie mit ihrem Denken und Empfinden auf sich angewiesen. Hoffnung auf Glück, wahres Herzensglück hatte sie stets zurückgedrängt, nichts hinderte sie am freien Geistesstreben, sie sah Pflichten vor sich, dies war Sporn genug, ihre starke Seele zu erheben zu fleißigem Thun. Sie sah die liebliche Schwester vor sich in ihrer Unschuld und Jugend, ihrer Unerfahrenheit und Hilflosigkeit, für diese zu arbeiten sollte fortan das Ziel ihres Lebens sein.
Die starke Liebe, deren ihr Herz fähig war, entfaltete sich in diesen Tagen der Trauer zur herrlichsten Blüte der Selbstlosigkeit und Aufopferung. Aber Helene bewahrte auch tief in der verschwiegenen Brust das innige Vertrauen auf die Hilfe eines allmächtigen Gottes!
So schied sie von der Heimat mit dem besten Trost des Lebens! Gott verläßt die Seinigen nicht!
Die junge Schwester schmiegte sich mit der Hingebung ihres Wesens an fie, in Helenen hatte diese von jeher die beste teilnehmendste Freundin gefunden, mit dieser war sie überall zu Hause.
So kam man mit den verschiedensten Empfindungen in das neue Heim. Leise glitt der Wagen auf dem weichen moosigen Wege dahin. Herrlicher Waldschatten umfing sie, die würzige, kräftige Waldluft hob die Brust im tiefen Atem; flatternde, singende Vögel, murmelnde Quellen, die klingenden Axtschläge der Holzfäller unterbrachen stimmungsvoll die Ruhe, den tiefen Waldfrieden, der die Einsamkeit umgab.
Nun kam das Forsthaus in Sicht. Auf freiem Waldplan erhob es sich so anmutig und gastlich mit den hohen Giebeln, welche durch prächtige Hirschgeweihe gekrönt waren, mit der zierlich geschnitzten Veranda, dem reizend gepflegten Garten voll blühender Rosen und schattiger kühler Lauben.
Der alte Förster stand lauschend vor der Thür; weißhaarig, aber stramm und gerade; die Augen mit der Hand beschattend, spähte er in der Richtung, woher sein geübtes Ohr das Geräusch des fahrenden Wagens vernommen. Kaum, daß derselbe in Sicht kam, verschwand er einen Augenblick in der Thür des Hauses; sie wurden sicherlich erwartet, denn er trat fogleich wieder hervor, legte grüßend die Hand an die Mütze, und gebot mit der anderen Hand dem großen prächtigen Hunde an seiner Seite Ruhe. Dies Bild wirkte so anheimelnd, so herzerfrischend, ein idyllisches Stillieben winkte den Ankommenden entgegen.
Freitag, 25. Jannar 1895(Pauli Bekehrung).
29. Jahrg.
Wahres daran. Der Minister kann nicht jede Nummer selbständig durcharbeiten; seine Räte präparieren ihm das Material und üben obendrein durch ihre Erwägungen und Vorschläge einen Einfluß auf sein Urteil aus. Glaubt der Minister aus der Darstellung ausschließlich protestantischer Beiräte von katholischen Angelegenheiten ein richtiges Bild gewinnen zu können, dann wird er doch wohl auch einem katholischen Beirat gegenüber seine Selbständigkeit wahren können. Wir fordern nur, daß der Minister über katholische Dinge auch vom katholischen Standpunkt sich Vortrag halten lasse. Denke man sich doch einmal einen katholischen Kultusminister, der mit lauter katholischen Direktoren die evangelischen Angelegenheiten erledigen wollte?
Der Kultusminister sagt, er wolle nicht durch seine Räte „gedeckt" sein. Nein, er soll nur durch seine Räte gründlich und allseitig informiert, gut beraten werden. Darum soll er über katholische Dinge auch einen katholischen Beirat hören. Seine Verantwortlichkeit bleibt ihm; er wird sie nur um so leichter tragen, wenn er nach dem alten Satze„beede" Seiten gehört hat.
„Wir können uns gegenseitig die Hände reichen". Gewiß. Auch die folgende Einladung des Kultusministers zum gemeinsamen Kampf gegen die irreführenden traurigen Mächte der Zeit hören wir gern, und dürfen darauf hin weisen, daß in den vorwiegend katholischen Landesteilen die Socialdemokratie noch weiter zurückgedrängt ist, als in sehr vielen vorwiegend protestantischen Landesteilen. Soll aber der Katholizismus zum Besten von Religion, Sitte und Ordnung seine ganze Kraft entfalten, dann darf man ihm die Freiheit und die Gleichberechtigung nicht verweigern. Thatsächlich werden katholische Orden schlechter behandelt vom Gesetze, als die Socialdemokratie, und diese Ordenspriester stehen unter schärferer Polizeigewalt, als die Anarchisten. Wenn der Herr Kultusminister nicht weiß, wie sehr das die katholische Bevölkerung empört, so ergiebt sich daraus, daß er auch beim besten Willen sich nicht vollständig in die katholischen Anschauungen und Empfindungen zu versetzen vermag, und daß es an dem genügenden katholischen Beirat fehlt.
den Parlamenten.
CPG. Berlin, 24. Jan.
Der Reichstag verwandte seine ganze heutige vierstündige Sitzung noch auf die Fortsetzung der ersten Beratung der Zolltarifudvelle. Die Debatte drehte sich vorzugsweise um den Quebrachoholzzoll, der in der Vorlage nicht steht, und um den Baumwollsamenölzoll.
Abg. Dr. Hitze(Centr.) erklärte sich im Interesse der kleinen Gerbereien und der kleinen Besitzer, namentlich im Ziegerlande und im Sauerlande, für den Quebrachoholzzoll. Die Verhältnisse der genannten Gegend seien derart, daß, wenn nicht bald etwas geschehe, Hungersnot und gänzlicher Ruin der Bevölkerung eintrete. Es bestehe dort eben ein inniger Zusammenhang zwischen Waldbetrieb, Viehzucht und Landwirtschaft, eins könne ohne das andere nicht bestehen.
Der Abg. Dr. Langerhans(frs. Vp.) war gegen den Zoll, weil dadurch die Gerbereien und die Lederindustrie schwer geschädigt wird, und verwies auf Proben von mit Qnebrachoholz gegerbtem Leder, die er auf den Tisch des Hauses niedergelegt hatte und die die Güte dieses Leders beweisen sollten.
Auch die Abgg. Dresler(natlib.), Fnsangel(Centr.) und Frhr. v. Stumm(Rp.) sprachen für den Qnebrachoholzzoll. Abg. Fusangel befürwortete außerdem den Zoll auf Baumwollsamenöl, der die Margarine so wenig vertenern würde, daß die Fabriken ihn auf die Konsumenten nicht abwälzen könnten.
Abg. Graf Kanitz(kons.) griff auf die neuliche Rede des Staatssekretärs Frhr. v. Marschall zurück und wiederholte, daß der russische Handelsvertrag der deutschen Industrie große Enttäuschung bereite. Man müsse jetzt alles thun, um die einheimische Kraft zu stärken. Hoffentlich werde man da seine Vorschläge annehmen.
Staatssekretär Frhr. v. Marschall verteidigte die Handelsvertragspolitik. Die wirtschaftliche Depression zeige sich überall. Während man bei uns die Handelsverträge dafür verantwortlich mache, lege man sie in Frankreich der Hochschutzzollpolitik zur Last. Der beste Beweis, daß wir nicht übervorteilt seien, liege darin, daß die russischen Erwartungen auch nicht in Erfüllung gegangen seien und die Getreidepreise sich in Rußland nicht gehoben hätten.
Abg. Dr. Barth(freis. Ver.) war durch die Wirkung der Handelsverträge keineswegs enttänscht, da ihr Hauptzweck, eine gewisse Stetigkeit erreicht sei. Er sprach weiter gegen den Zoll auf Ouebrachoholz und Baumwollsamenöl.
Auch Abg. Dr. Hammacher(nl.) verteidigte die Handels vertragspolitik, wogegen Graf Kanitz seine Ausführungen nochmals aufrecht zu erhalten suchte.
Der Abg. Witzelsperger(C.) warnte davor, die bayerische Grenzbevölkerung, die ohnehin durch die Fuchsmühler Affäre erregt sei, durch Beschränkung der zollffreien Holzeinfuhr für die Holzindustrie noch mehr zu reizen, da gerade in der Holzindustrie zahlreiche Arbeiter lohnenden Verdienst fänden.
Nachdem weiter noch der Abg. Wurm(Soz.) sich gegen alle Zollerhöhungen, namentlich auch gegen die Verteuerung der Margarine ausgesprochen hatte, wurde die Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern verwiesen.
Morgen Binnenschiffahrts= und Flößereigesetz.
Die heutige Sitzung der Budget=Kommission des Reichstags war nur von kurzer Dauer. Es wurden der Rest des Ordinariums des sächsischen Militäretals und die fortdauernden Ausgaben des württembergischen Militäretats durchberaten. Da nach konstanter Praxis der Kommission die beim preußischen Militäretat gefaßten Beschlüsse als präjudiciell für den sächsischen und württembergischen angesehen werden, so wird bei den einschlägigen Titeln der beiden letztern Eiats nur in Kürze auf den preußischen Etat Bezug genommen und eine Wiederholung der prinzipiell gleicharttgen Debatten vermieden.
Von Interesse ist, daß der Abg. Dr. Hammacher bei dem Titel„Bekleidung" an die Militärverwaltung unter Hinweis auf die in der Presse verbreiteten Gerüchte die Anfrage stellte, ob auch Bekleidungsartikel bei dem Öffiziersverein bezogen werden.
Generalmajor v. Gemmingen verneinte die Frage mit Nachdruck; die Militärverwaltung bezieht hiernach keinerlei Gebrauchsgegenstände von dem Offiziersverein.
Bei dem Titel„Bauliche Unterhaltung von Kasernen" glaubte Abg. Hug die Mehrforderung von etwa 38000 Mark mit Rücksicht auf die Neubauten, die geringeren Unterhaltungsaufwand erforderten, beanstanden zu sollen, zumal der Titel übertragbar sei und bei den übertragbaren Titeln die etwa gesparten Reste nicht der Reichskasse heimfallen, sondern der Militärverwaltung zur Disposition verbleiben. Auf die ihm gewordene Aufklärung, daß der Mehraufwand nach einem Durchschnittssatz berechnet sei, der sich auf langjährige Erfahrungen stütze, ließ er seine Bedenken fallen.
Bei dem Titel„Unteroffizierschulen" machte Abg. Müller=Sagan darauf aufmerksam, daß die Resolution„Hammacher“ in betreff der Besserstellung der Elementarlehrer an diesen Schulen auch für den sächsischen Etat gelte. Die fortdauernden Ausgaben des württembergischen Militäretats wurden ohne Anstand genehmigt. Nunmehr sind die fortdauernden Ausgaben aller drei Militäretats genehmigt und nur die Frage wegen Veräußerung entbehrlicher Liegenschaften des Militärfiskus und wegen der Bureaugelder der kommandierenden Generale steht noch offen. Die Erledigung muß bis zur Vorlage des nötigen Materials verschoben werden.— Morgen(Freitag) Postetat.
Deutsches Reich.
— Berlin, 24. Jan. Der Kaiser nahm heute vormittag verschiedene Vorträge entgegen. Zur Mittagstafel, die um 8 Uhr stattfand, war der deutsche Bo schafter in St. Petersburg, General v. Werder, eingeladen. Nach der Tafel wohnte der Kaiser dem Vortrag in der militärischen Gesellschaft bei, welchen der Oberstlieutenant und Kommandeur des ersten badischen Leibdragonerregiments v. Bernhardi über die Schlacht bei Prag hielt.— Der Kaiser hat dem Generaloberst v. Pape aus Anlaß seiner Verabschiedung als Gouverneur von Berlin seine Marmorbüste geschenkt. Das begleitende Schreiben spricht den Dank des Kaisers für die treu geleisteten Dienste aus.
* Fürst Bismarck beabsichtigt, wie sich ein Berliner Blatt aus Friedrichsruh melden läßt, falls Gesundheitszastand und Wetter es gestatten, zum Geburtstag des Kaisers nach Berlin zu kommen.
* Ueber die Tabaksteuer ist, wie jetzt von mehreren Seiten gemeldet wird, im Bundesrate ein Einverneymen erzielt worden. Den Wünschen der süddeutschen Regierungen ist insoweit stattgegeben worden, als der Steuersatz auf Rauchtabak noch weiter erntedrigt wurde; dagegen ist eine weitere Erhöhung des Zolles auf ausländischen Tabak über 40 M. pro Doppelcentner hinaus abgelehnt worden. Der Zoll soll also 40 M. betragen, die Steuer für Cigarren, der„Voss. Ztg.“ zufolge, 25 Prozent, für Rauch, Kau= und Schnupstabak 40 Prozent vom Werte. Auch diese Herabsetzung der Steuer ändert an der Sachlage insofern nichts, als die Mehrheit des Reichstaas, bevor sie sich überhaupt auf eine Erörterung über eine neue Steuer einläßt, zunächst prüfen wird, ob denn eine neue Steuer überhaupt nötig sein wird. Wird sich der Etat so gestalten, daß er auch ohne neue Steuern ins Gleichgewicht gebracht wird, so ist natürlich jede Steuer überflüssig— ganz abgesehen von der Frage, ob die Tabaksteuer nicht auch aus anderen Gründen verwerflich ist. Wir zweifeln sehr, ob es dem Herrn Grafen v. Posadowski gelingen wird, zu beweisen, daß alle Bedenken gegen die Tabakfabrikatsteuer durch die geringe Herabsetzung der Steuer auf Rauchtabak hinsällig werden. Wir können nicht einsehen, daß hierdurch die Befürchtung gegenstandslos werde, daß die Vorlage Tausende von Arbeitern brotlos machen werde. Und das muß schließlich entscheidend sein.
* Darmstadt, 24. Jan. Die Zweite hessische Kammer
hat das neue Einkommensteuergesetz angenommen, durch welches die Deklarationspflicht eingeführt wird.
* Paris befand sich wieder einmal infolge eines falschen Gerüchtes in kriegerischer Stimmung. Am Mittwoch war das Gerücht verbreitet worden, General Jamont sei auf der Jagd in der Nähe der Grenze von einem deutschen Zollbeamten getötet worden; die Nachricht wurde vom „Rappel" alsbald dementiert. Von anderer Seite wird über die Sache nach gemeldet: Die Geschichte erregte gewaltiges Aufsehen. Einige Lärmblätter schickten sich bereits an, gegen Mitternacht Sonderausgaben zu veranstalten und die entschlummernde Stadt durch das Gebrüll der fliegenden Händler:„Furchtbares Verbrechen an der Grenze, Notwendigkeit der Kriegserklärung an Deutschland!" aus dem ersten Schlafe schrecken zu lassen. Glücklicherweise konnten die befragten Behörden rechtzeitig erklären, daß man im Östen von der ganzen Geschichte nichts wisse; sie ist anscheinend von Reisenden, die abends aus Rancy in Paris eintrafen, am Östbahnhof und von da in der Stadt verbreitet worden. Die Sicherheitsbehörde leitete eine Untersuchung ein gegen den Urheber des Gerüchts. Zwei Polizelagenten, welche von demselben wußten, die Polizeipräfektur jedoch nicht verständigten, wurden abgesetzt.
— Felix Faure muß bereits alle Frenden eines Präsidenten von Frankreich durchkosten. Bourgeois hat zum zweiten Male und definitiv auf die Kabinettsbildung verzichtet.
— Der„Figaro" erklärt die Mitteilung des„Libre Parole",
„Mama— wir sind zur Stelle," ermahnte Helene, „bitte, ermuntere Dich etwas, damit unser freundlicher Wirt nicht gar so betrübte Gesichter sieht.“
Der Wagen hielt. Irma sprang leichtfüßig heraus; halb
vergessen war der große Schmerz bei dem Anblick eines so trauten Daheims; wie es im herrlichsten Sonnenglanze vor ihr lag, konnte man um das verlassene prächtige Haus nicht trauern.
Mit einem herzlichen„Grüß Gott" war der Förster herangetreten, und bot seine braune kräftige Hand den Damen zu Hilfe. Die Kommerzienrätin zögerte, ihre Hand hineinzulegen. Helene aber ergriff mit warmem Druck die dargebotene Rechte.
„Sie bieten uns ein Heim, Herr Förster, wie man es schöner und traulicher sich nicht denken kann; nehmen Sie den herzlichsten Dank für Ihre Güte," sprach Helene mit tiefempfundener Herzlichkeit.
„Möge es Ihnen nur gefallen, dann ist es schon gut," war die einfache Erwiderung.
Er nahm ohne Zögern das mitgenommene Handgepäck und trug es in das Haus, während Helene sich um die Mutter bemühte, welche schwach und willenlos in einen Strom von Thränen ausbrach.
„Beruhige Dich, Mama— ich bitte Dich," flüsterte Helene,„die guten Leute müssen ja erschrecken."
Aber war es die ungewohnte Umgebung, die friedliche Ruhe dieser Stätte, welche dieses Gemüt so tief erschütterte, unaufhaltsam flossen die Thränen, hob sich die Brust in bangem Schluchzen, als löste sich der herbe Groll, die starre Verzweiflung der vom Schicksal so schwer betroffenen Frau!
Irma stand seitwärts, ihr kleines Händchen ruhte auf dem zottigen Kopf des Hundes, der mit seinen klugen Augen fragend zu ihr aufblickte.
Die Erregung der Mutter bereitete ihr mehr Beschämung als Teilnahme. Sie fand es reizend, warum sollte es der Mutter nicht gefallen?
Freilich fehlte der Papa— ach, gewiß war es der Schmerz um diesen, sie erhob den gesenkten Kopf, und als sie im Begriff stand, der Mama tröstend näher zu treten, faßte der liebe, alte Förster ihre Hand und sagte:
„Kommen Sie, liebes Fräulein, wir wollen die Mutter hecausschicken," und damit zog er sie in den sauberen Flur und öffnete die Thür eines Zimmers, in welchem eine ältere, überaus freundlich blickende Frau mit einem jungen hübschen Mädchen beschäftigt war, die letzte ordnende Hand an den gastlich winkenden Tisch zu legen.
„Hier, liebe Wally, bring' ich Dir Gesellschaft, sieh zu, daß es dem hübschen Fräulein hier gefällt, und ihr die Zeit nicht lang wird," sagte der Förster, und führte Irma zu seiner Tochter.
„Mutter, geh doch bald hinaus, und führe die alte
Dame in ihre Stube oben hin, daß sie sich ausruhen kann," fügte er hinzu, als ein Blick aus dem Fenster ihn belehrte, daß Helenens Bemühungen über die Mutter nutzlos waren.
„Herzlich gern!" rief die Försterin, und war auch schon hinaus.
Ihrem freundlichen Zureden gelang es bald, Frau Bernsdorf, wie Helene sie vorgestellt hatte, mit Hülfe dieser in die für die Angekommenen bestimmten Zimmer zu führen. Nett und sauber, voll Licht und Luft, mit schneeweißen Betten, luden die traulichen Räume zu erquickender Rast ein.
Die nächtliche Reise war anstrengend genug gewesen, so daß es Helene für geraten fand, die Mutter zur Ruhe zu betten, vielleicht, daß ein erquickender Schlaf die erregten Nerven besänftigte. Vorsorglich zog die Försterin die grünen Fenstervorhänge zusammen und entfernte sich mit dem herzlichen Wunsche einer guten Ruhe, Helene zuwinkend, ihr bald nachzukommen.
Nach kaum einer halben Stunde fühlten sich die Mädchen wie zu Hause, Irma war es fast noch freier und wohler, als in der von Luxus durchwehten Billa Beide chwestern fanden offene Herzen, freundlichen, biederen Sinn; Helene fühlte sich den lieben Gastgebern von tiefstem Herzen verpflichtet und gab sich deshalb in voller
Liebenswürdigkeit, welche wahrer Herzensbildung entspringt. Irmas Schönheit behauptete sofort ihren Sieg auch hier, fern der großen Welt, Und so fanden sich die Herzen bald zusammen im trauten ungezwungenen Verkehr.
Auch Frau Bernsdorf konnte sich auf die Dauer dem wohlthuenden Einfluß der Natur nicht verschließen. Nach einigen Tagen hatte sie sich so weit erholt, daß sie mit der Tochter des Hauses und ihren Kindern weite Spaziergänge in den Wald unternehmen konnte. Die letzten Vorkommnisse des Lebens erschienen ihr wie ein schwerer Traum, sie fürchtete sich, in Gedanken daran zu rütteln und suchte nur der nächsten Stunde zu leben.
Mit der Elastizität der Jugend gab sich Irma dem neuen ungewohnten Leben, dem sonnigen Waldzauber hin mit ganzer Seele. In Wally fand sie eine fast gleichalterige Gesellschafterin, die mit voller Hingebung der neuen schönen Freundin lebte. Kein Mißton, nicht das leiseste Erinnern störte dies idyllische Waldleben.
Nur Helene sorgte im Stillen um die Zukunft, die dunkel und sonnenarm vor ihr laa. Würde es dem Sohn des Hauses gelingen, sie in eine Bahn zu bringen, die ihren Kenntnissen, ihren Kräften entsprechend, sie und die Ihri
gen vor Not und Mangel schützen würde?—— Immer
war es diese Frage, die morgens mit ihr aufstand und abends mit ihr zur Ruhe ging. Stunden lang saß sie in der entlegensten Laube des Gartens, von ihren Büchern umgeben, lernend und übend. Sie beherrschte einige fremde
Sprachen vollständig und sicher und war besonders in den Naturwissenschaften sehr bewandert, sowie sie auch Musikkenntnisse besaß, die, ihrem ernsten, tiefen Sinn entsprin gend, auf jeden Zuhörer tiefe Wirkung übten und sie wohl zum Unterricht berechtigten.
So harrte sie mit Sehnsucht auf Nachricht von ihrem Freunde, bis nach Ablauf von vier Wochen ein Brief an die Eltern kam, in welchem er seinen Besuch ankündigte Auch sein Leben nahm eine andere Wendung, besonders durch die Vorfälle im Bernsdorfschen Hause. Man war deshalb gespannt auf die mancherlei Mitteilungen über die nunmehrigen Verhältnisse.
Ein Samstag Abend brachte den Erwarteten, welcher allseits herzlichste Begrüßung fand. Der Vater blickte mit Stolz auf den Sohn, der es so verstand, seine eigenen Ansichten von christlicher Nächstenliebe durch seine Handlungsweise zu bethätigen. Mit liebender Zärtlichkeit schaute das treue Mutterauge in die Gesichtszüge des ge liebten Kindes, jede Aenderung darin erspähend, um daraus auf das Wohl und Glück desselben zu schließen. Ihr Richard sah etwas bleich und angegriffen aus, offenbar Spuren der Aufregungen, welche die letzten Wochen mit sich gebracht. Ja, es waren schwere, böse Arbeitstage ge wesen, die hinter ihm lagen.
Die Kommerzienrätin zitterte bei seinem Eintritt; sie mußte sich niedersetzen, ihr Mund wagte keine Frage, würden seine Nachrichten für sie fernere Verbannung bedeuten?
Helenens Hand stützte sich schwer auf die Le ne des Sessels, wo ihre Mutter saß. Sie war seltsam beklommen; Furcht und Hoffen wogten auf und nieder und be schleunigten den Schlag ihres Herzens. Endlich hatte ihn die Schwester losgegeben. Richard wandte sich zu ihr mit herzlichem Gruß, ein froher, zuversichtlicher Blick be lehrte sie, daß ihre Sache günstig stand.— Erleichtert atmete sie auf: nun wollte sie ruhig warten, bis er selbst in passender Zeit und Stunde ihr Mitteilung machen würde.
Richard Morton gewahrte mit angenehmem Erstaunen, wie Irma, das verwöhnte und verzärtelte Mädchen, sich geschäftig bemühte, im Verein mit seiner Schwester, dem lieben Gast und Sohn des Hauses jede Bequemlichkeit zu verschaffen— ihn unbefangen und freundlich zu bedienen. Der lieben Mutter und Schwester Beispiel hatten hier offenbar recht wohlthuend gewirkt. Irma fand großen Gefallen an der häuslichen Thätigkeit der lieben Menschen und strebte nach Kräften, sich ebenfalls nützlich zu machen.
Helene hatte dies auch längst mit größer Frende bemerkt und oft die junge Schwester durch Lob und Zuspruch zu fernerem freudigem Thun ermuntert.
Forts. folgt.