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Verantwortlicher Redakteur: Dr. Ed. Hüsgen in Düsseldorf. Druck und Verlag der Akt.=Ges. Düsseldorfer Volksblatt in Düsseldorf.
Donnerstag, 20. November 1890(Felir v. Valois).
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24. Jahrg.
An der Börse
es wieder einmal Heulen und Zähneklappern. Der Verlauf der Mitwochs=Börse in Berlin war in so außeredentlich hohem Grade„flau", daß die„Nat.=Ztg." sogar von„fast panttartigen Rückgängen für Banken und Henten" spricht: Es handelt sich um eine Art„Krach", der
unächst in London und Newyork in großen und zahlreichen ankerotten sich äußert. Der bedeutendste und folgenshwerste Bankerott ist der Zusammenbruch des riesigen Helt-Bankhauses Gebrüder Barina in London. Allerdings bemühen sich die Rotschilds und die sonstigen tonangebenden Geldleute im Verein mit der Bank von Lonvon, den Ausbruch des regelrechten Konkurses zu hindern, und haben zu dem Zwecke angeblich bereits das anständige Sümmchen von 240 Millionen M. gezeichnet, um die laufenden Verbindlichkeiten des Baring'schen Hauses zu decken, aber— und das ist sehr bezeichnend— nur die bis zum setzten Samstag eingegangenen! Auch zur Lösung der Finanzkrisis in Argentinien, Uruguay 2c. soll sich ein besonderes Konsortium gebildet haben. Den Hauptgrund der Zaring'schen Krisis erblickt man nämlich darin, daß das haus, welches der bevorzugte Bankier der genannten Staaien und ihrer Hauptstädte war, hunderte von Millionen festgelegt hat in südamerikanischen„Werten", die zur Zeit unverkäuflich sind und deren Zukunft recht dunkel erscheint. Ferner wirkt auf den Krach in London und Newyork der Rickgang mexikanischer Werte und nordamerikanischer Eisenhahnaktien; bei letzteren sind Rückgänge von 10 bis 20 Prozent zu verzeichnen.
Als neulich gleich nach Begebung der neuen 3prozentigen Anleihe die deutsche Reichsbank ihren Diskontosatz erhöhte, wurde in Börsenkreisen vielfach über diese Maßregel gellagt. Die bisherige Entwicklung des Geldmarkts hat dem Reichsbank=Präsidium vollauf Recht gegeben. Auch in bezug auf den Widerspruch, den dasselbe gegen den Plan der Sprozentigen Anleihe erhoben hatte. Leider habe sich der preußische Finanzminister und der Reichsschatzsekretär von dem sog. Banken=Konsortium doch zu der Anleihe in dieser Form bestimmen lassen; zu den gegenwärtigen Verhältnissen paßt ein 3prozentiges Staatspapier erbärmlich schlecht. Am Nittwoch sind die 3prozentigen auf 85,30 bez. 85,40 gesunken, die 3½ prozentigen auf 97,25.
Man hielt es für Weisheit und Tugend, unsere Staatsund Reichspapiere, die bisher Anlagewerte waren, zu Svielpapieren zu machen. Nun leiden sie mit unter den Folgen der argentinischen Mißwirtschaft und des Baring'schen Leichtsinns. Wenn dem Publikum vom igenen Staate zu wenig Zinsen geboten werden und wenn de bisher soliden Kapitalisten zur Beobachtung und Auswtzung der Börsenkourse angeleitet werden, dann wirft sch das deutsche Kapital natürlich um so stärker auf ausländische und sonstige weniger sichere, aber höhere Zinsen versprechende Werte, und eine Menge von Leuten die von Börsengeschäften so viel verstehen, wie die Kuh vom Has peln, werden zum Spekulanten. Zieht dann ein Unwetter über den Geldmarkt, wie jetzt, so findet man in dem Börsenberichte verzeichnet:„Verkaufsordres aus der Provinz führte zu weiterem Rückgang der Kourse". D.h: die mit ihren Ersparnissen spekulierenden kleinen Leute haben in Masse die Angst gekriegt und verkaufen schleunigst mit Verlust, um noch mit einem blauen Auge davon zu kommen. So müssen Schulze und Müller dafür büßen, wenn die Wasserwerke in Buenos=Aires, von deren Vorhandensein sie keine Ahnung hatten, oder ähnliche Unternehmungen an der anderen Seite der Welt mit der landesüblichen Schwindelhaftigkeit betrieben werden.
Eine besonders herbe Enttäuschung bringt der jetzige Krach den Silber=Fanatikern. Die republikanische Partei in Nordamerika hat ihre Macht auch zur künstlichen Hebung des Silberpreises benutzen wollen, um den SilberProduzenten und=Besitzern unter die„notleidenden" Arme z greifen. Man träumte schon vom Pari Preis des eübers und verknüpfte damit die Erwartung auf baldige Viedereinführung der bimetallistischen Währung. Aber dienatürlichen Entwicklungsgesetze sind stärker, als die Künste
der interessierten Politiker. Das Silber ist nach einem kurzen Aufschwung wieder gefallen, die Ankäufe des nordamerikanischen Schatzsekretärs können es nicht halten, es sinkt weiter und dieser Umstand verschärft die Krisis in Newyork.
Die Lage ist für alle Börsen von großem Ernste. Aber angesichts der bisherigen Symptome braucht man in Deutschland sich noch nicht zu überstürzten Schritten hinreißen zu lassen. Vorläufig scheinen die Berliner Bankhäuser der Krisis gewachsen zu sein. Also ruhig Blut, aber möglichste Zurückhaltung und Vorsicht. Wenn die Krisis ohne schwere Bankerotte und allgemeine Panik sich abwickelt, so wird sie zu einer Gesundung von der Ueberspekulation und der Uebertreibung der Werte führen. Daß wir eine„Gründeraera" gehabt haben, ist uns ja sogar durch gerichtliche Strafurteile gegen Schwindler klar gemacht worden: Ans Ende der Gründeraera gehört der Krach; wenn er jetzt in einzelnen Absätzen sich vollzieht, zum Unterschied vom plötzlichen gründlichen Krach von 1873, so kommen die Beteiligten im Allgemeinen noch verhältnismäßig gnädig davon.
Das große Publikum aber sollte sich aus dieser Erfahrung abermals die Lehre ziehen: Spiele nicht an der Börse, wenn du nicht so reich und so sachverständig bist, wie Bleichröder und Rothschild! Reiche dem Spielteufel auch nicht den kleinen Finger, und wenn er in den verlockendsten Gestalten des„Aufschwungs" zu dir kommt. Sorge vor allem für die Erhaltung des Kapitals und siehe nicht zuerst auf die Mehrung. Arbeit ernährt, das Spiel verzehrt!—
Berlin, 18. Nov. Zu den Schulerlassen des
Kaisers. Es ist allgemein aufgefallen, daß die Schulerlasse des Kaisers nicht vom„Reichsanzeiger", sondern von der„Kölnischen Zeitung" zuerst in die Oeffentlichkeit gebracht worden sind. Ich kann nach zuverlässigen Informationen das folgende mitteilen: Die Erlasse waren bekanntlich schon am 1. Mai vorigen Jahres fertiggestellt; obwohl sie durch den Fürsten Bismarck gegengezeichnet waren, verzögerte sich dennoch ihre Publikation, hauptsächlich wohl deshalb, weil die in der Kabinettsordre zum Ausdruck kommenden socialpolitischen Anschauungen nicht durchweg von dem Kanzler geteilt wurden. Eine Mitwirkung des Fürsten bei der Redaktion dieser Kundgebungen, ähnlich wie bei den Erlassen vom 4. Februar, hat nicht stattgefunden. Wer den charakteristischen Stil und die prägnante Ausdrucksweise Bismarcks intimer kennt, ist vielleicht schon selbst zu dem Schlusse gekommen, daß es sich bei diesen Erlassen lediglich um die Form der Gegenzeichnung handelte. Der Gegenstand selbst war nicht von solcher Tragweite, um eine gänzliche Ableh nung des Fürsten zu rechtfertigen. Als Mitarbeiter an der Redaktion werden Geimrat Hinzpeter und Graf Douglas genannt. Von ersterem sollen die Ausführungen über das Schulwesen, von letzterem die Auseinandersetzungen über das preußische Königtum herrühren. Ganz ähnliche Ideen hat namentlich Douglas schon früher in seinem Buche„Was dürfen wir von unserm Könige erwarten?" entwickelt. Da die Enquete über das höhere Unterrichtswesen demnächst hier stattfindet und die Lesung des neuen Volksschulgesetzes im Abgeordnetenhause bevorsteht, machte Minister v. Goßler den Vorschlag, die Erlasse noch nachträglich als geeignete Vorbereitung für diese Aufgaben der Oeffentlichkeit zu übergeben. Von einer Reproduktion im„Reichsanzeiger" wurde deshalb Abstand genommen, weil die Kundgebung nicht neueren Datums ist und die Verzögerung der offiziellen Publikation auffällig erscheinen mußte. Zugleich sollten die Erlasse mit Rücksicht auf die Wahrung der Unbefangenheit bei den kommenden Verhandlungen mehr den Charakter von Reformplänen, von Vorschlägen, als von allerhöchsten Willensäußerungen erhalten. Aus diesen Gründen wurde ein weitverbreitetes Blatt statt des amtlichen Organs gewählt.
Sehr bemerkenswert erscheint in den Erlassen namentlich die Aufnahme einer Belehrung über die Entwickelung
unserer wirtschaftlichen und socialen Verhältnisse in dem Geschichtsunterricht der Lehranstalten. Mit der Kenntnis dieser Verhältnisse war es bisher selbst bei den Abiturienten unserer Gymnasien und Realgymnasien geradezu kläglich bestellt. Schüler von zwanzig bis zweiundzanzig Jahren verlassen heute diese Institute und treten in das Leben hinaus ohne eine Ahnung von der inneren und äußeren Politik, ohne das notdürftigste Wissen von der Bedeutung der gesetzgebenden Körperschaften, von dem Programm der einzelnen Parteien. Und in kurzer Zeit sind dann dieselben jungen Leute wahlberechtigt!— Nicht ganz mit Unrecht besorgen nun liberale Zeitungen, daß die Gefahr nahe liegt, der Lehrer könnte die zu Unterrichtenden zu einem einseitig die Regierungsauffassungen vertretenden Standpunkt veranlassen, so die freie Meinung beschränken und eine unerquickliche Gegnerschaft gegen die liberalen Parteien großziehen. Es wird daher ganz besonders darauf zu achten sein, daß der Vortragende in dieser Beziehung sich der größten Objektivität befleißigt. Eine Diskussion, selbstverständlich in bescheidenen Grenzen, dürfte vielleicht für die oberen Klassen bei diesem Teile des Unterrichts angezeigt sein. Sie würde zu einer Klärung der Meinungen wesentlich beitragen und zugleich die im praktischen Leben unerläßliche Fertigkeit der freien Rede ausbilden. Jedenfalls gingen so in der Zukunft ganz andere Staatsbürger aus den Lehranstalten hervor, als dies bisher, sehr zum Schaden unserer socialpolitischen Entwickelung, der Fall gewesen ist,
— Am Nachmittage fand im Palais der Kaiserin Friedrich die civilaktliche Trauung des Brautpaares statt, welcher auch der Kaiser beiwohnte. Um 5¼ Uhr waren alsdann der Kaiser und die Kaiserin mit den höchsten Herrschaften und den fürstlichen Gästen zur Vermählungsfeier in der königl. Schloßkapelle versammelt und schlossen sich hieran die übrigen Feierlichkeiten direkt an.
— Die„Nordd. Allg. Ztg." führt aus, daß der Rücktritt des Landwirtschaftsministers Dr. v. Lucius keine wirtschaftliche Umkehr bedeute; solche läge selbst dann nicht vor, wenn Oesterreich=Ungarn behufs Herbeiführung einer handelspolitischen Einigung eine Herabsetzung der Getreidezölle bewilligt werden sollte, was bisher keineswegs beschlossen sei. Abgesehen von rein politischen Erwägungen hingen die diesseitigen Zugeständnisse wesentlich von den Gegenleistungen ab, welche zweifellos nur auf industriellem Gebiete liegen könnten. Aber auch die Landwirtschaft habe ein lebhaftes Interesse an einer günstigen Lage der Industrie. Bei der Frage der Herabsetzung unserer Getreidezölle wäre übrigens die Frage zu beantworten, ob nicht das Steigen des Rubelkourses eine Verstärkung des landwirtschaftlichen Schutzes notwendig mache. Die Erwägungen hierüber ließen keinen Schluß auf einen Umschlag in der inneren wirtschaftlichen Politik zu.
— Dem Herrenhause ist ein Gesetzentauurf zugegangen, der dem§ 79 des Ausführungsgesetzes zur deutschen Gerichtsverfassung folgende Fassung giebt:
„Bei den nur mit einem Richter besetzten Amtsgerichten steht dem Amtsrichter die Aufsicht über die bei dem Amtsgericht angestellten oder beschäftigten Beamten zu. Bei den mit mehreren Richtern besetzten Amtsgerichten ist die Aufsicht über die bei demselben angestellten oder beschäftigten nicht richterlichen Beamten durch den Justizminister einem der Richter zu übertragen. Der Justizminister ist zunächst ermächtigt, bei Amtsgerichten, welche mit zehn oder mehr als zehn Richtern besetzt sind, dem mit der allgemeinen Dienstaufsicht beauftragten Amtsrichter auch die Aufsicht über die bei dem Amtsgericht angestellten oder beschäftigten richterlichen Beamten zu übertragen.“
* Der Ausschuß und die Delegierten des Centralverbandes deutscher Industrieller wollen sich am 24. d. im Kaiserhof in Berlin versammeln, um die Beschlüsse der Arbeiterschutz=Kommission ihrer bekannten wohlwollenden Prüfung zu unterziehen.
— Die Gewerkvereine(Hirsch=Dunckersche) haben gestern beschlossen, eine Petition an den Reichstag zu senden, in welcher gebeten wird, die zu gewährende Sonntagsruhe auf 36 Stunden zu verlängern, die Arbeit von
Kindern unter 14 Jahren zu verbieten und die Arbeitszeit der Frauen auf höchstens 10 Stunden zu beschränken.
— Der socialdemokratische Gewerkschaftskongreß, welcher hier getagt hat, hat eine Generalkommission für bie Gewerkschaften Deutschlands eingesetzt, welche die Oberleitung über alle Ausstände in Deutschland hat. Augenblicklich hat die Generalkommission in einem Aufruf erklärt, daß für 3000 Ausständische Mittel heranzuschaffen sind, und zwar für Glasarbeiter in Bergedorf, Schuhmacher in Erfurt, Weißgerber in Kirchhain und Tabakarbeiter in Eschwege.
* Unerwartete Folgen. Unter dieser Ueberschrift bringt die„Köln. Ztg." folgende Mitteilung:
„Zur Durchführung des Invaliditäts= und Altersversorgungsgesetzes geht uns nachstehende Mitteilung zu, welche nicht verfehlen dürfte, Aufsehen zu erregen, da die mitgeteilten Thatsachen eine neue Schwierigkeit in der Durchführung des Gesetzes hervorheben. Unser Gewährsmann schreibt: Eine große Anzahl von Wahlen der in den Ausschuß und den Aufsichtsrat der verschiedenen Versicherungsanstalten gewählten Arbeitervertreter soll nach dem Buchstaben des Gesetzes ungültig sein, weil viele der Letztern den Anforderungen nicht entsprechen, welche der§ 52 des in Rede stehenden Gesetzes stellt. Dieser Paragraph lautet:„Diejenigen Versicher(§ 1, 2, 8, 117), welche als Arbeitgeber versicherungspflichtige Personen nicht bloß vorübergehend beschäftigen, werden hinsichtlich der Bildung des Ausschusses, des Aufsichtsxats und des Schiedsgerichts, sowie hinsichtlich der Bestellung als Vertrauensmänner der Klasse der Arbeitgeber zugerechnet." Dazu bemerkt der Kommentar von Dr. jur. R. Freund:
Das Gesetz enthält die Bestimmung, daß bei der Zusammensetzung des Ausschusses(§ 48) und des Aufsichtsrats(§ 51, Abs. 2) die Anzahl der Vertreter der Arbeitgeber und Versicherten gleich sein muß. Nun sind aber unter Versicherte nicht nur zu verstehen die versicherungspflichtigen Arbeiter, sondern auch die etwa gemäß§ 2 versicherungspflichtigen bez. nach§ 8 selbstversicherten oder gemäß§ 117 die Beiträge freiwillig fortzahlenden Arbeitgeber. Hiernach könnte sehr leicht der Zweck der oben erwähnten Bestimmung vereitelt werden, und um dies zu verhüten, bestimmt der§ 52, daß die erwähnten versicherten Arbeitgeber, soweit sie selbst versicherungspflichtige Personen nicht bloß vorübergehend beschäftigen, hinsichtlich der Bildung des Ausschusses u. s. w. nicht den„Versicherten", sondern den„Arbeitgebern" zuzurechnen sind(St.=B. 1944.)
Arbeitgeber wäre nach dem Wortlaut des Gesetzes also u. a. stets auch derjenige, welcher ein Dienstmädchen hält, das über 16 Jahre alt ist. Dieser Fall soll nun bei mehreren in den Ausschuß gewählten Arbeitervertretern vorliegen, so daß diese Wahlen, wenn man sich an den Buchstaben des Gesetzes hält, unter allen Umständen ungültig wären, also aufs neue gethätigt werden müßten. Auch für die Zukunft verden sich aus diesen schiefgefaßten Bestimmungen Schwierigkeiten ergeben. Jeder zu Recht gewählte Arbeitervertreter würde, sobald er durch Beschäftigung eines Dienstmädchens, einer Hülfsperson usw.„Arbeitgeber" im Sinne des Gesetzes wird, aus dem Ausschuß oder dem Aufsichtsrate austreten müssen, da sonst die Beschlüsse dieser Körperschaften ungültig sein würden. Es würde also an Veranlassungen zu Ersatzwahlen keineswegs mangeln, und man würde immer nur solche Arbeiter als Arbeitervertreter wählen dürfen, welche keine versicherungspflichtige Personen beschäftigen bezw. bei denen die Voraussicht ausgeschlossen, daß sie dies einmal thun werden. Wenn nun auch der§ 52 deutlich ausspricht, daß in den Ausschüssen nur solche Personen als Vertreter der Arbeiter gelten dürfen, welche nicht ihrerseits wieder Arbeitgeber sind, so würde doch die thatsächliche Regelung auf dieser Grundlage dem Geist und dem Sinne des Gesetzes kaum entsprechen. Kein Arbeiter, der dauernd gegen Lohn irgend eine Person beschäftigte, könnte dann als Vertreter der Arbeiter gewählt werden.
Der Kreis, aus welchem man diese nehmen könnte, würde dadurch nicht erheblich verengt, sondern nicht selten würden gerade passende Persönlichkeiten, wie sie das Gesetz doch voraussetzt, ausgeschlossen. Die Absicht des Gesetzgebers, in den Ausschüssen den Arbeitgebern und den Arbeitern eine gleichmäßige Vertretung zu geben, würde durch die wörtliche Auslegung des§ 52 nicht gefördert. Dem Geiste des Gesetzes nach kommt es bei der Lösung der Schwierigkeit auf die Entscheidung der Frage an, ob in einer bestimmten Persönlichkeit die Eigenschaft des Arbeiter oder des Arbeitgebers vorwiegt. Der Paragraph ist also einer schärfern Fassung dringend bedürftig. Es ist zu erwarten, daß in der praktischen Handhabung noch manche Bestimmungen zu ganz unerwarteten
Aus den Alpen.
„Nun, Mademoiselle Isaline", sagte ich, in den Garten smaustretend,„wer war den der junge Kavalier mit dem chwarzen Schnurrbart?"
„Was, Monsieur", antwortete Isaline,„haben Sie ihn in gesehen? Sie haben uns also von Ihrem Fenster beobachtet? Wir wußten nicht, daß Sie schon von der aguille zurückgekehrt*) wären.
„bewiß, ich bin schon länger als eine Stunde wieder denn oben lag der Schnee so tief, daß ich es schließdie Besteigung ohne einen Führer zu ver
„Das reut mich sehr, ich hatte solche Angst um Mon
nn wenn auch nicht sehr hoch, ist die Aiguille doch sose" und ich wußte mich vor Besorgnis kaum zu birs..onsteur zurückkehrten." Dies letzte mit einem necischen Lächeln.
Neinen verbindlichsten Dank, Mademoiselle"; erwiderte einer tiefen Verbeugung.„Ihre Teilnahme an haben valergeyen schmeichelt mir unendlich, aber Sie
immer nicht gesagt, wer der Herr mit dem
en Schnurbart gewesen."
beisea lachte„Sein Name ist Monsieur Claude, das
Monsieur Claude Tirard; aber Sie wissen ja, daß dehreer uns hier im Kanton Vaud die Zunamen selten
Er ist der Schullehrer unserer Gemeinde. trwiden, dieser M. Claude ist ein sehr glücklicher Mann", „ich beneide ihn um das, was ihm das Zera beschieden."
Snta errötete ganz reizend.„Im Gegenteil", veringlüch sich,„er selbst sagte jetzt eben erst, er wäre der für. vne von allen Menschen und sein Leben hätte gt den geringsten Wert mehr." ar* man immer unter solchen Umständen", lachte Dürden. Sie mir, Mademoiselle, sehr viele Männer chezücklich sein, wenn sie ihr eigenes ziemlich erträgAschen etr, 9egen M. Claudes unerträgliches Elend aus
dürsten."
ce nichts, sondern schaute nur mit einem Lamuich fragenden Blick zu mir auf, als ob sie gar
e— Manri— heißen die in der Montblanc
zahlreich vorkommenden spitzen Felsgipfel.
zu gern wissen möchte, was ich wohl mit meinen Worten meinte und wie weit ich wohl im Ernst wäre.
Und was meinte ich denn? Schließlich nicht so sehr viel, glaube ich gestehen zu müssen, wenn ich an jene Tage zurück denke. Isaline war eben ein sehr hübsches kleines Mädchen, und ich hatte sonst weiter nichts zu thun, und es war ja doch viel netter, ihr ein wenig den Hof zu machen, als mich allein zu langweilen. Und schließlich hatte man ja noch den M. Claude, einen wirklichen eingeborenen Freier, als Sicherheitsventil im Hintergrunde, so daß die Gefahr, meine höflichen Aufmerksamkeiten könnten mißverstanden werden, wirklich nur sehr gering war.
Und wie war ich selbst hier nach dem Bauernhofe von Les Pentes im Kanton Vaud gekommen? Nun, ich hatte vor jetzt schon drei Jahren mein Assessor=Examen gemacht und war seitdem, weil ich während des Winters nicht von Berlin fortgehen mochte, als Rechtsanwalt ohne Praxis der Jurisprudenz herzlich überdrüssig geworden. Aus Begeisterung für die Wissenschaft hatte ich diesen Beruf nicht gewählt, sondern wie viele andere junge Leute mit einigen Mitteln Jurisprudenz studiert, weil es gerade so Mode war, um dann bei der jetzigen Ueberfüllung bald zu entdecken, daß für jemanden, der keine Lust hat, sich übermäßig anzustrengen, auf Anstellung oder Carrière oder große Praxis vorläufig nicht zu rechnen wäre. Ich hatte
mein eigenes kleines Vermögen, etwa 1200 Thaler jährlich, und da ich einfach und bescheiden lebte, so reichte es hin, ohne daß ich mich viel mit Arbeiten abquälte, den Winter in Berlin, den Sommer im Schwarzwald oder in einem stillen Winkel der Schweiz zu verbringen. Dieses Jahr hatte ich mich nach Vevey begeben und von dort sofort die Wanderung in die Gebirgsdistrikte um Chateau d'Oeux und Les Avants angetreten und bald in Les Pentes genau das gefunden, was ich mir wünschte.
Les Pentes lag in einem großen offenen Amphitheater, mit reichen, weithin sich erstreckenden Wiesen im Vordergrunde, umschlossen von Anhöhen, welche unten das lichte Grün der Weinberge, weiter hinauf das dunklere Grün der Nadelholzwaldungen bedeckte, worüber sich dann im Hintergrunde ein Kranz von zierlichen Aiguilles erhob, in ihrer unteren Hälfte nacktes Felsgestein, weiter nach den Gipfeln hin glänzende Massen von Schnee und Gletschereis. Vorn in Mitten des Amphitheaters ein kristallheller, grün und
weißer Sturzbach, an seinen unteren Ufern eine kleine Kirche und eine Anzahl hölzerner Schweizerhäuser.
Das war die Gemeinde von Les Pentes; aber das entzückendste bei all diesem war der Umstand, daß sich hier kein Hotel, keine Pension, ja nicht einmal ein gewöhnliches Wirtshaus befand. Ich war der erste Fremde, der die Reize dieses Dorfes entdeckt hatte, und mein Glück wollte es, daß Monsieur Clairon, der reichste Weinbauer der Gemeinde, mit einem romantischen, altmodischen Schweizerhause und einem reizenden, zierlichen, jungen Töchterchen, sich in der liebenswürdigsten Weise bereit erklärte, mich für eine lächerlich geringfügige Entschädigung als Gast aufzunehmen. Natürlich griff ich mit beiden Händen zu und sah mich noch am selben Tage in einem hübschen kleinen Giebelzimmer installiert.
Wer diese altmodischen Schweizerhäuser des Kantons Vaud mit ihren hohen Giebeln und moosbewachsenen Schindeldächern nicht von eigenem Augenschein kennt, vermag sich gar keine Vorstellung davon zu machen, wie entzückend sich mein Aufenthalt in Les Pentes gestaltete. Das Anwesen meines Wirtes war für die dortigen Verhältnisse sehr groß und M. Clairon hielt außer dem sonstigen Gesinde sogar noch zwei Hausmägde. Aber Madame wollte nichts davon hören, daß die dumme Minette oder die ungeschickte Lisette außer dem Zimmerreinigen usw. dem deutschen Herrn irgend welche Dienstleistung erwiese, und die Folge davon war, daß niemand geringeres als Mademoiselle Isaline selbst für meine sonstigen kleinen Bedürfnisse in liebenswürdigster Weise Sorge trug. Im Anfang war mir dies ziemlich peinlich, denn Mademoiselle Isaline war in jeder Beziehung zu sehr junge Dame, als daß man ihr anders denn mit respektvollster Höflichkeit hätte begegnen können, und zuerst kam es mir etwas seltsam vor, dem jungen Mädchen, welches mir den Tisch deckte, dabei solch ehrerbietige Höflichkeit beweisen zu sollen. Aber ich gewöhnte mich sehr bald daran und begann binnen kurzem, mich außerordentlich wohl dabei zu befinden.
Isaline war eine von diesen hübschen und zierlichen kleinen Brünetten mit lachenden Augen und reizenden Grübchen in den Wangen, wie man ihnen außerhalb des Kantons Vaud kaum irgendwo begegnet. Es war beinahe unmöglich, sie ohne ein freudiges Lächeln anzublicken, und jedenfalls war es für sie unmöglich, jemanden anzusehen,
ohne dabei freundlich und schelmisch zu lächeln. Sie trug die reizendsten kleinen Häubchen, die ich je gesehen, und war so bezaubernd in denselben, daß man sehr harten oder kalten Herzens hätte sein müssen, um sich nicht beim ersten Anblick Hals über Kopf in sie zu verlieben. Dazu kam noch, daß sie in Lausanne in Pension gewesen, dort eine sehr gediegene Erziehung erhalten hatte und außerdem noch ein ungemein wohllautendes, elegantes und reines Französisch sprach. Nun hatte meine werte Frau Mutter eine sehr üble Meinung von meiner französischen Aussprache, und mir, als sie von meiner Absicht hörte, einige Monate in der französischen Schweiz zuzubringen, auf das dringendste eingeschärft, ich sollte keine Gelegenheit vorübergehen lassen, mich mit den Eingeborenen zu unterhalten und meine französische Aussprache zu verbessern. Ich bin aber ein sehr pflichtgetreuer Sohn und versäumte deshalb keine Gelegenheit, wenn ich mich nicht gerade auf einer Kletterpartie in den Bergen befand, mit der kleinen hübschen Isaline auf das eifrigste zu plaudern.
„Mademoiselle Isaline," sagte ich nun an diesem Nachmittag,„ich glaube, eine Tasse Kaffee würde mir jetzt sehr gut thun. Könnte Minette sie mir vielleicht nach dem Garten heraus bringen?"
„Gewiß, Monsieur," erwiderte Isaline,„ich werde Ihnen einen kleinen runden Tisch hier nach dem Rasen heraus bringen. Das wird viel besser sein."
„Nicht um alles in der Welt," rief ich und lief mit aller Eile, um ihn selbst zu holen, aber Isaline war lange vor mir im Hause und brachte ihn schon mit ihren eigenen weißen kleinen Händchen, als ich erst bei der Hausthür anlangte. Dann ging sie noch einmal hinein und erschien bald wieder mit einem japanesischen Theebrett— speziell mir zu Ehren in Montreux gekauft— und darauf ein ganz originelles altes chinesisches Kaffeeservice für zwei Personen.
„Wollen Mademoiselle mir nicht die Ehre erweisen, Platz zu nehmen und eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken?" ragte ich.
„Ich habe zwar schon getrunken, Monsieur," erwiderte Isaline errötend,„aber um Ihnen Gesellschaft zu leisten" und damit nahmen wir beide Platz.
(Forts. folgt).