früher unter dem Titel:
Bergisches Volks=Blatt.
Nr. 169
Erscheint: Montags, Mittwochs, Freitags und Samstags.— Preis pro Quartal 1 N. 25 Pfg., auf allen K.
I. Posanstalten 1 M. Jo pig, Damslagz, 27. October 1883. Seser sa.ie 2.d Geoder werden heauen aiörtea. 35. Juhrg.
Wochenschau.
Die Mitglieder des Kaiserhauses, unser greiser Kaiser an der Spitze, liegen den Herbstjagden ob und es erfüllt wohl das Herz eines jeden Preußen und Deutschen mit Freude, von dem Wohlbefinden des Kaisers Kenntniß zu erhalten. Die politische Ruhe dauert fort, nur die Berliner Gemeinderathswahlen, nachdem man ihnen nun doch einmal einen politischen Anstrich gegeben hat, brachten eine Unterbrechung dieser Ruhe. Wie vorauszusehen war, sind die Hoffnungen der antiliberalen Parteien, deren eigentliches Ferment der Antisemitismus ist, nicht erfüllt, aber auch die Zuversicht der fortschrittlichen Führer hat einen argen Stoß erhalten durch die außerordentlich großen Minoritäten, welche die sog. Bürgerpartei in fast allen Bezirken, wo sie nicht siegte, erreicht hat. Das hätte man vor 4 Jahren in Berlin noch nicht für möglich gehalten und auch später konnte man an einem derartigen Umschwunge um so eher zweifeln, als die Führer der Bürgerpartei Fehler auf Fehler häuften und in ihrer Maßlosigkeit sich manchen einflußreichen Bürger entfremdeten.
Die Verhältnisse in Frankreich treiben mit zunehmender Schnelligkeit einer Katastrophe entgegen. Die Eröffnung der Kammern wird zur Folge haben, daß die Regierung öffentlich den maßlosen Angriffen der radikalen Abgeordneten preisgegeben wird und namentlich in der Tongking=Frage einen harten Stand haben dürfte. Zwar soll die Mehrheit der Deputirten nicht gewillt sein, die Regierung zu stürzen, aber trotzdem stehen ihr heftige Kämpfe mit den Intransigenten bevor, um so heftigere als sie ohne Zweifel nach altem Brauch in ihren Mittheilungen über die Lage in Tongking geflunkert hat. Dabei vermißt man in den regierungsfeindlichen Kreisen mehr und mehr eine Nationaltugend der Franzosen, den Patriotismus. Trotz der politisch wie finanziell schwierigen Lage des Landes erfolgen die Angriffe auf die Regierung mit einer Rücksichtslosigkeit, als ob das Ausland gar nicht eristirte. Es scheint in der That, daß diesen Franzosen die schönste ihrer Eigenschaften, die Vaterlandsliebe, abhanden gekommen ist.
Zwischen Rußland und Oesterreich, resp. der russischen und österreichischen Presse besteht seit einiger Zeit ein Gegensatz, der an Feindseligkeit fortdauernd zunimmt. Es sind nicht nur die widerstrebenden Interessen der beiden Kaiserreiche in den Gebieten der unteren Donau, die solche Gegensätze hervorrufen, sondern der Unterschied der Rasse, der hier zu Tage tritt; der Kampf zwischen Germanismus und Slaventhum treibt hier seine Blüthen und es wird sich weiter treiben, bis eine blutige Entscheidung den Abschluß der Zeitungsfehde bringen wird.
In England macht die neuerliche Zunahme der Agrarverbrechen in Irland ernstliche Bedenken geltend und man geht wohl nicht irre, wenn man die Reise des Vicekomigs Lord Spencer zum Premierminister Gladstone mit diesen Erscheinungen in Verbindung bringt.
Die Fürstin von Wendenstein.
2 Von Frauz Eugen.
(Fortsetzung.)
Eines Tages, als ich über der Jagd nach einem seltenen Schmetterlingsexemplare alles um mich her vergessend athemlos um eine Ecke der Taxuswände bog, welche ia dem das Schloß unmittelbar umgebenden Theil des Parks, der im altfranzösischen Geschmack angelegt war, eine Art Ladyrintt bildeten, fand ich mich zu meinem Entsetzen dicht vor der Fürstin. Sie mochte meine Bestürzung auf meinem. Gesichte lesen, denn sie blied stehen und fragte freundlich:„Wer bist Du, Knade, und wie kommst Du hierber?“— Ich entnzegnete zitternd: ich sei der Neffe des Pfarrers und bat um Verzeidung, in den Park eingedrungen zu sein. Sie legte die Hand auf meine Schulter und sah mich eine Weile schweigend an, so daß ich Zeit hatte, sie genauer zu betrachten. Es war ein schönes, edles Antlitz, das sich zu mir niederbeugte, aber die Züge waren wie zu Stein erstarrt; um den festgeschlossenen Mund lag der Ausdruck eines undeugsamen, eisernen Willens, und aus den großen Augen, die einen seltsamen, sozusagen bleifarbenen Glanz hatten, rach ein so tiefer Seelenschmerz, daß selbst mich, den unerfahrenen Knaben, in jenem Moment der Gedanke durchzuckte, daß diese Augen viele, heiße Thränen geweint haben mußten, und diese Lippen seit lange das Lächeln verlernt haben mochten. Jetzt strich sie mir mit der weißen schmalen Hand die Locken aus der Stirn, und leise wie ein Hauch trafen die Worte mein Ohr:„Gerade so alt muß jetzt mein Enkel sein!“.... Dann wandte sie sich zum Gehen und ließ mich in einer sieberhaften Aufregung zurück. Der“ Eindruck, der die Erscheinung der Fürstin auf meine kindliche Phantasie gemacht hatte, war so sros, daß ich Jahre meines jungen Leben darum gegeben hätte, das Geheimniß zu ergründen, das diese Frau umgab. Erst nachdem ich mich etwas deruhigt hatte, trat der Gedanke an die Folgen, welche meine Unachtsankeit für den Obergärtner und ür mich selbst haben könne, in den Vordergrund, und ich guclte mich tagelang mit der Sorge, meine Uebertretung seines Verbotes könne ihm seine Stelle und mir den freien Eintritt in den
Lurs kosten, aber glücklicherweise war meine Furcht unbegründet,
ie Furstin schien der Begegnung mit mir zu wenig Gewicht beigelegt zu haben, um derselben gegen ihren Bedientesten Erwähnung zu thun, wenigstens verlor der Obergärtner nie ein Wort darüber, und ich durfte nach wie vor ungehindert den
Aus Aegypten werden aufs neue Cholerafälle mit tödtlichem Ausgange gemeldet, doch ist bei der vorgeschrittenen Jahreszeit eine bedrohliche Ausdehnung der Epidemie nicht zu befürchten, wie auch die getroffenen Vorsichtomaßregeln schon während des Sommers eine Uebertragung nach Europa ausschlossen.
Tagesgeschichte.
Deutschland
Der Kaiser ist am Donnerstag Nachmittag 5 Uhr wohlbehalten in Wernigerode eingetroffen und am Bahnhof von dem Grafen Stolberg und den städtischen Behörden empfangen worden. Die Ehrenwache wurde von dem Kriegerverein gestellt, die Cavelle des Ilsenburger Hüttenwerks spielte beim Einfahren des kaiserlichen Zuges die Nationalhymne. Alsdann folgte unter Glockengeläute und Böllerschüssen die Fahrt durch die prächtig geschmückte und illuminirte Stadt nach dem bengalisch erleuchteten Schlosse. Auf dem ganzen Wege bildeten Turner, Feuerwehr und Schüler Spalier. Gestern früh nach der Reveille durch die Jägerei im Schloßhofe brachte die Kapelle des Ilsenburger Hüttenwerkes um 8½ Uhr dem Kaiser ein Ständchen. Um 9½ Uhr erfolgte im offenen Wagen der Aufbruch zur Jagd nach dem Saupark am Hartenberg.
Dem Vernehmen nach werden der König und Prinz Georg von Sachsen sowie der Kronprinz Rudolf von Oesterreich am 7. November in Berlin eintreffen, um den Kaiser am folgenden Tage zur Hofjagd nach der Schorfheide zu begleiten.
Der Herzog von Edinburg hat sich am Dienstag von Darmstadt nach Berlin begeben und am folgenden Tage eine Audienz beim deutschen Kaiser gehabt. Man glaubt, daß der Herzog in der Fehde(stehe Mittwochsblatt) mit seinem Onkel, dem Herzog Ernst von CoburgGotha, die Vermittelung des Reichsoberhauptes angerufen hat.
Dem wegen Majestätsbeleidigung verurtheilten Reichstagsabgeordneten Richter=Mühlrädlitz, Vertreter von LübenBunzlau, sind durch gerichtliches Erkenntniß auch die aus öffentlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, also auch die Eigenschaft als Reichstagsabgeordneter, aberkannt worden.
Ausland.
Großbritannien. Ein Mann, der sieben Jahre in dem Londoner Polizeicorps gedient hatte und der vor einigen Monaten wegen einer geringfügigen Formsache entlassen worden war, stand am Mittwoch unter der Anklage, einen Selbstmordversuch gemacht zu haben, vor dem Polizeirichter. Zu seiner Entschuldigung
gab er an, daß er von den Irländern in London zur Verzweiflung getrieben worden sei. Er war mit Erhebungen im Phönixpark=Processe betraut und zog sich dadurch den Haß der Invincidles zu, die ihn nun verfolgen und ihm das Leben zur Last gemacht haben. Er kann nirgend Arbeit bekommen; wo er sich meldet, kommen Irländer ihm nach und denunciren ihn als Fenier; sie vereiteln alle seine Bemühungen, sich sein Brod zu erwerden. Die Aussagen des durchaus wohlverhaltenen Mannes, der früher Schullehrer war, haben großes Aufsehen hervorgerufen.
Rheinisch=Westfälisches.
* Solingen. Es wird in unserm Leserkreise, namentlich aber unter den Angehörigen unsrer evang. Gemeinde gewiß mit lebhaftem Bedauern vernommen werden, daß der langjährige Seelsorger dieser Gemeinde, Herr Pfarrer Kalckhoff nach 46jähriger treuer und gesegneter Amtsführung den Entschluß gesaßt hat, sein Amt niederzulegen und sich in den Ruhestand zurückzuziehen. Die einleitenden Schritte sind dieserhalb schon geschehen. Wie bekannt, sind die Gründe, die den Herrn Pastor zu seinem Entschlusse veranlaßt haben, zwingender Art und durch seine vorgerückten Lebensjahre, die ja auch in jedem anderen Berufe der Thätigkeit Schranken zu setzen pflegen, klar gestellt. In diesem Sinne hat das Presbyterium in seiner Mittwochssitzung die Eingabe des Herrn Pastor Kalckhoff um seine Emeritirung entgegengenommen, und gedenkt derselbe am 1. Mai künftigen Jahres sein Amt niederzulegen.
— Herr Gerichts=Assessor Peter Schneider von Coblenz ist zum Amtsrichter beim hiesigen K. Amtsgerichte ernannt.
— In Berlin stard gestern der frühere Theilhaber der Fuma J. A. Henckels, Herr Rodert Stutenbecker im Alter von etwa 58 Jahren.
— Die mit dem 1. k. Mis eintretenden Veränderungen im Eisenbahnfahrplan, soweit dieselben unsre Gegend betreffen, sind im Anzeigetheil zu ersehen.
— Vor etwa 3 Wochen hat ein etwa 17jähriger Junge sich 3 Meerschaummutzpfeifen in einem hiesigen Laden zu erschwindeln gewußt. Da der Benachtheiligte dem Burschen noch nicht auf die Spur gekommen ist, die Erwähnung des Vorfalles an dieser Stelle aber möglicherweise dazu verhelfen mag, kommen wir dem desfallsigen Wunsche des Ladeninhabers hierdurch bereitwillig nach.
f Solingen. Heute Vormittag wurde ein Tagelöhner von hier, der vom! Schöffengerichte zur Ueberweisung an die Landespolizeidehörde verurtheilt worden war, in die Arbeitsanstalt Brauweiser abgeführt.
Burscheid. In dem benachbarten Huhscheid ist am Donnerstag ein dortiger Landwirth eines plötzlichen Todes gestorben; in seiner Scheune beschäftigt, sank er von einem Gehirnschlag getroffen, todt zur Erde.
Park besuchen, wo ich mich von nun an jedoch sorgfältig hütete, der Fürstin wieder in den Weg zu kommen. Der Zufall sollte mich aber ohne mein Zuthun noch einmal in Berührung mit dieser mich so sehr interessierenden Frau bringen. In dem auf diesen Sommer folgenden Winter wurde in einer kalten Dezembernacht, als ich noch spät über einem griechischen Pensum saß, ungestüm an unsere Hausthür geklopft, und als ich hinunterging und dieselde öffnete, stand der Odergärtner blaß und verstört vor mir und hat mich, meinem Onkel zu sagen er möge doch gleich nach dem Schlosse kommen, der Zustand seiner Schwiegermutter, der früheren Kammerfrau der Fürstin, die schon lange krank sei, habe sich plötzlich so verschlimmert, daß sie sofort zu beichten und die letzte Oelung zu empfangen wünsche. Mein Oheim war, als ich ihm diese Botschaft ausrichtete, gleich bereit, dem Wunsch der Kranken zu willfahren, und befahl mir, ihn an Stelle des Küsters, den ein Gichtanfall an das Zimmer fesselte, zu begleiten. Rasch versah er sich mit dem Nöthigen, und wir begaben uns ohne Verzug nach dem Schloß, wo uns der Obergärtner mit ernsten Nienen, seine Frau mit verweinten Augen und offenbar in großer Aufregung empfingen. Als mein Oheim verlangte, nun gleich zu der Kranken geführt zu werden, deutete sie auf die Thür des anstoßenden Zimmers und sagte leise:„Hochwürden müssen sich noch einen Augenblick gedulden, die Fürstin ist eben drinnen, aber ich hoffe, sie wird gleich deraus kommen, denn meine Mutter
verlangt sehr nach den Tröstungen der Kirche, und ich fürchte, sie hat keine halbe Stunde mehr zu leben.“
Dann ist es Pflicht, dies der Frau Fürstin zu sagen,“ versetzte mein Oheim ernst, an der Schwelle der Ewigkeit hören
weltliche Rücksichen auf.“ 85
Der Obergärtner wechselte einen raschen Blick mit seiner Frau:„Hochwürden verzeihen,“ sagte er dann,„ader die Frau Fürstin dat sich täglich nach dem Befinden meiner Schwiegermutter erkundigen lassen, heute hat sie den Lakai sogar jede Stunde herübergeschickt, und wie sie hörte, daß wir den Geistlichen hatten rufen lassen, ist sie selbst gekommen und nicht mehr von dem Bett der Kranken gewichen, mit der sie verlangte allein gelassen zu werden. Meine Schwiegermutter war nämlich einst die vertraute Kammerfrau der Fürstin, bis eine schwere Krankheit, die sie vor Jahren befiel, ihr die Ausüdung ihrer dienstlichen Pflichten unmöglich machte. Sie erhielt darauf eine reichliche Pension und die Erlaudniß, mit ihrer Famitie im Schlosse zu wohnen, aber, obgleich unter demselden Dache wohnend, hat sie ihre erlauchte Herrin nie wieder gesehen und gesprochen. Es war dies,“ setzte er achselzuckend hinzu, eine der
Seltsamkeiten der hohen Frau. In der Sterbestunde der treuen
Dienerin ist sie jedoch nun an deren Bett geeilt, und ich denke, wir dürfen uns ihrer gütigen Herablassung gegenüder nicht so undankdar zeigen, daß wir sie in dieser letzten Unterredung, ihrem entschiedenen Verdot entgegen, stören.“
Reim Oheim zuckte die Achseln, setzte sich in den Sessel, den der Oderzärtner ihm dienstdeflissen herdeischod, und sein Brevier hervorziehend, las er etwa zehn Minuten ruhig wartend darin, während die Egegatten oft nach der Thür schauten und die Frau zuweilen leise aufschluchzte. Endlich sagte mein Oheim, indem er des Brevier schoß und einen strafenden Blick auf die Frau warf:„Die Zeit vergeht, und so Euch die Rücksicht auf die Fürstin mehr gilt, als das ewige Seelenheil Eurer Mutter, dann lege ich die Verantwortung auf Euer Gewissen und wasche meine Hände in Unschuld, wenn durch Euer Zögern kostdare Minuten unwiederbringlich verloren gehen.“
Die Frau seufzte tief, und sich zu ihrem Manne wendend, sagte sie:„Der Herr Pfarrer hat recht, Heinrich, ich kann und darf hier an nichts anderes denken, als an das Seelenheil meiner Mutter! Komme daraus, was mag. ich gehe hinein und sage ihrer Erlaucht, daß sie jetzt dem Beichtvater den Platz räumen muß.“ Damit drückte sie entschlossen auf die Thürklinke, aber diese gab nicht nach, der Nachtriegel war von innen vorgeschoben.
„Sie hat sich mit meiner Mutter eingeschlossen,“ murmelte die Frau, verzweiflungsvoll die Hände ringend.
„dat das Zimmer dort keinen andern Eingang?“ fragte mein Oheim. Die Frau schüttelte den Kopf.„Nin, so klopft an die Thür,“ fuhr er in energischem Tone fort,„und sagt der Fürstm, daß sie dem. Geistlichen öffnen möge, der gekommen, die Kranke mit den Tröstungen der Kirche zu versehen.
„Das würde die Kranke nur unnütz aufregen,“ versetzte der Odergärtner,„keine Macht der Erde wird die Frau Fürstin bewegen zu öffnen und dem Herrn Pfarrer den Platz zu räumen, wenn sie sich das Gegentheil vorgenommen.“
„So möge sie es vor Gott verantworten, wenn die Kranke ohne Beichte und Adsolution in ihren Sünden dahin fährt!“ rief mein Oheim in zorniger Entrüstung.„Freilich,“ setzte er ditter hinzu,„wer, wie die Fürstin, nie eine Kirche besucht, nie nach den heiligen Sakramenten verlangt, bei dem wird auch die Sorge für das Seelenheil eines Nedenmenschen nicht schwer in's Gewicht fallen."
In demselden Augenblick öffnete sich die Thür des Nedenzim mers und die Fürstin erschien auf der Schwelle. Auf ihren Zügen lag dieselbe starre, steinerne Ruhe wie immer, die Augen