Ne 77.

Wald, Samstag den 2. Juli 1870.

Zter Jahrgang.

S

44

Neue Abonnements

auf die

Bergische Zeitung

für das III. Quartal 1870

bitten wir baldgefälligst bei der unterzeichneten Expe­dition sowie bei den Herren:

Baltes in Ohligs,

Wirth Hoppe zu Jammerthal,

Larsch in Solingen,

Carl vom Eigen in Haan, bei allen Königl. Post=Anstalten und bei den Boten zu machen.

Die Expedition derBergischen Zeitung.

Uebersicht der Tagesereignisse.

Berlin, 29. Juni. Die Eröffnung des Bundes­Oberhandelsgerichtshofes in Leipzig wird mit dem 5. August erfolgen, der Präsident dieses Gerichtshofes, Wirklicher Geh. Justizrath Dr. Pape, aber bereits zum 1. Juli. d. J. nach Leipzig übersiedeln.

Die Nachrichten von Ems über den Gesund­heitszustand des Königs lauten sehr befriedigend. Die Kur wird noch drei Wochen andauern; dann wird sich der König nach Wiesbaden und Homburg begeben, dort einige Tage verweilen und hierauf nach Berlin zurückkehren.

J. Maj. die Königin Augusta wird Baden am 2. Juli verlassen und von Koblenz, wo dieselbe bis gegen Mitte Juli zu residiren gedenkt, Se. Maj. den König in Ems besuchen.

Unter denjenigen Landtags=Vorlagen, welche in den einzelnen Ministerialressorts ausgearbeitet werden, befindet sich, wie bekannt, auch das neue Preßgesetz. Die Sichtung des reichen Materials und der mannig­fachen Entwurfe, welche seit Jahren im Ministerium des Innern ausgearbeitet wurden, liegt im Momente dem Regierungsrathe v. d. Goltz ob. Diese Nachricht hat in journalistischen Kreisen eben keine große Be­friedigung hervorgerufen, weil die streng conservativen Antecedentien dieses Beamten(z. Z. hoherer Polizei­beamter und früher Staatsanwalt) gewisse Vorurtheile zu rechtfertigen scheinen, welche sich mit den Hoffnun­gen auf ein liberales Preßgesetz nicht vereinigen lassen.

Zur Charakteristik des neuen General=Post­

Unvergessene Sünden.

Novelle von Friedrich Friedrich.

(Fortsetzung.)

Seine ernsten Worte ängstigten Marie. Besorgt blickte sie ihm an und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

Sei ruhig Kind, fuhr er fort, ihr mit der Hand über das dunkle lockige Haar streichend,jedem Menschen­leben ist ein Ziel gesetzt und ich bin bereits weiter gelangt als Hunderttausende kommen. Wenn Du nach meinem Tode auch Niemand hast, der Dir zur Seite steht, so wirst Du doch nicht ganz hülflos sein. Ich habe in so weit für Dich gesorgt, daß Du keine Noth leiden wirst. In besse­ren Jahern habe ich eine Summe für Dich zurückgelegt und ich würde lieber gehungert haben, ehe ich diese Sum­me angegriffen hätte. Hier in diesem Kasten liegt sie. Morgen werde ich sie Dir geben, denn morgen werden wir dies zerbrechliche Haus für immer verlassen.

Unwillkürlich zuckte Marie bei diesen Worten zusammen. Dem Alten entging dies nicht.

Weshalb erschrickst Du? fragt er.Du hast so oft gewünscht, aus dieser Einsamkeit befreit zu werden, Dein Wunsch wird endlich in Erfüllung gehen. Du wirst das Leben mehr kennen lernen, soll ich Dir indeß einen Rath für dasselbe mitgeben: suche die Menschen soviel als mög­lich zu vermeiden, traue ihnen nicht, Du wirst es nie be­reuen. Du bist noch jung, Du bist hübsch, mancher wird sich Dir nahen und Dir schmeicheln, schenke keinem Schmeich­ler Glauben, denn er meint es nie ehrlich.

Marie konnte ihre Unruhe nicht verbergen. Jetzt, wo ihr in dem nämlichen Hause durch Hugo's Liebe ein neues Leben aufgegangen war, jetzt sollte sie dasselbe verlassen, ohne den Geliebten vielleicht je wieder zu sehen. Sollte ihr Vater vielleicht das Geheimniß ihrer Liebe entdeckt haben und sie deshalb fortführen wollen? Sie wagte nicht dar­nach zu fragen.

Nur einige Tage laß mich noch hier," bat sie. Es geht nicht, entgegenete Ebert.Morgen muß Du diese Hütte verlassen. Frage mich nicht weshalb, spä­ter werde ich Dir Alles mittheilen, dann werde ich Dir das Geheimniß, welches Dich umgiebt, lösen. Ich kann Dich morgen nicht begleiten, allein ich werde einen zuver­lassigen Mann aus dem Dorfe bitten, daß er Dich fort­bringt. Ich werde nachkommen und sollte mir während

Direktors des Norddeutschen Bundes schreibt dem.= C. ein Kölner Korrespondent:

General=Postdir ektor Stephan, der Sohn eines Schneidermeisters in Stolp in Pommern, war im Anfang seiner nachmals so brillanten Karriere hier in Köln als Subalternbeamter angestellt und wußte als solcher den An­sprüchen des damaligen Ober=Post=Direktors., eines alten Bureaukraten, so wenig zu genügen, daß dieser seine Entlassung aus dem Staatsdienste beantragte. Dieselbe erfolgte aber doch nicht, vielmehr wurde Stephan wegen seiner von anderer Seite doch anerkannten Rührigkeit im Allgemeinen und seiner Sprachkenntnisse im Englischen und Französischen halber als Hülfsarbeiter an das General= Postamt nach Berlin berufen. Dort wußte er sich bei dem Abschluß der diversen Postverträge mit den auswärtigen Staaten sehr nützlich zu machen, so daß er nach Verlauf von 10 Jahren etwa als General=Post=Inspektor u. A. nach Köln kam. Mit welchen Empfindungen ihm sein ehe­maliger Vorgesetzter, der Oberpost=Direktor., die Flügel­thüren des Bureaus öffnen ließ, läßt sich denken. Doch hat der jetzige General=Post=Direktor ihn niemals das ver­änderte dienstliche Verhältniß mehr fühlen lassen, als noth­wendig war. Ebenso hat sich Stephan sehr liebenswürdig gegen andere, ehemalige Kölner Vorgesetzte, Ober=Post­Sekretäre, Ober=Post=Kommissare u. s. w. bei seiner Er­nennung zum General=Postdirektor benommen. Er zeigte denselben eigenhändig sein Avancement zum höchsten Posten an, den ein Norddeutscher Postbeamter erreichen kann, in­dem er hervorhob, daß es ihn schmerzlich berühren würde, wenn er denken sollte, daß seine ehemaligen Vorgesetzten, denen er in Liebe zugethan geblieben, seine Ernennung erst durch die Zeitungen erfahren sollten.

29. Juni. Prinz Wilhelm von Baden ist heute Nachmittag hier eingetroffen und von Sr. Ma­jestät dem Könige empfangen worden.

Breslau, 29. Juni. Das Mittagsblatt der

Breslauer Zeitung theilt aus guter Quelle mit, daß die Genehmigung zur Eröffnung eines konfessionslosen Gymnasiums den Anträgen des Magistrats entspre­chend soeben ertheilt worden sei.

Wien, 26. Juni. Der Mährische Korrespondent läßt sich aus Wien schreiben:Graf Andrassy hätte dem Reichskanzler v. Beust erklären lassen, die Un­garische Regierung werde, wenn Rom die Unfehlbar­keit proklamire, diesen Schritt durch eine Reihe gesetz­geberischer Maßregeln aufs Entschiedenste paralysiren. In den Ungarischen Deputirtenkreisen ist man ent­schlossen, gegen etwaige Versuche der Kurie, die Un­fehlbarkeit zur praktischen Geltung zu bringen, bis zum Aeußersten zu schreiten, und wird doch ganz unver­blümt ausgesprochen, man werde im Nothfalle selbst vor einer Einziehung der Kirchengüter nicht zurückschrecken.

der Zeit etwas Menschliches begegnen Kind, dann er­trage es wie eine Nothwendigkeit.

Seine Stimme hatte einen weichen Klang angenom­men. Marie kannte ihn zu gut, um nicht zu errathen, daß Etwas in ihm vorging, was er zu verbergen suchte.

Was kann Dir begegnen? fragte sie geängstigt. Kind, Niemand kann in die Zukunft schauen. fuhr der Alte fort.Der Tod kann uns jeden Tag ereilen und nur auf diesen Fall will ich Dich vorbereiten. Es ist spät leg' Dich zur Ruhe. Wir hätten ohnehin diese ge­brechliche Hutte bald verlassen müssen, denn ich befürchte sie wird dem Winde und Wetter nicht lange mehr Stand halten. Horch wie der Sturm sie schüttelt. Schließ' die Thür fest nun geh zur Ruhe.

Fragend blieb Marie vor ihm stehen.

Und Du willst Dich nicht zur Ruhe begeben?" warf sie ein.Du mußt ermüdet sein.

Geh Kind, geh, drängte der Alte fast ungeduldig. Das Alter bedarf wenig Schlaf ich werde noch einen Brief schreiben, dann lege auch ich mich zur Ruhe. Nun schlaf ruhig es ist die letzte Nacht unter diesem Dache!" Marie begab sich in das enge Schlafgemach.

Sorgsältig schloß der Alte hinter ihr die Thür, warf noch einige Stück Holz in das Feuer und rückte den ge­brechlichen Tisch nahe an den Kamin. Eine bange Ahnung hatte ihn erfaßt, er fühlte, daß der Tod nicht fern mehr war, und er mochte nicht aus dem Leben scheiden, ohne Marie über ihre Geburt, über ihre Mutter und ihren Vater aufgeklärt zu haben..8544

Den greisen Kopf auf die Hano gestußr saß er da. Es war eine lange Geschichte, die er ihr zu schreiben hatte und als seine Rechte die Feder dazu ansetzte, zitterte sie so hef­tig, daß sie die Feder wieder niederlegen mußte. Es war ihm, als ob er noch einmal Alles durchleben müsse, sein Herz zog sich krampfhaft zusammen dennoch mußte es geschehen. Es war eine Pflicht, die er gegen Marie zu er­füllen hatte. H. 5 8%

Nur langsam vouzog die Hand vie sen Jahren un­gewohnte Arbeit, allein in die alten Augen kam kein Schlaf, obschon Stunde auf Stunde verrann. Mochte der Sturm noch so heftig an dem Häuschen rütteln, der Alte bemerkte es nicht, hatte der Lebenssturm an seinem Herzen doch noch weit stärker gerüttelt. 1..66

Der neue Tag war bereits hereingeorochen, als er den Brief endlich beendet hatte. Er faltete ihn zusammen und

Florenz, 23. Juni. Wenn die Franzosen auf ihre Kosten den Simplon üderschienen wollen, so wird sich Italien das sehr gern gefallen lassen. Aber Ita­lien hat kein überflüssiges Geld zu verwenden für eine Linie, welche im Vergleich mit Mont=Cenis, Gotthard und Brenner nur eine untergeordnete Bedeutung dar­bietet. Für den Verkehr Italiens mit Frankreich ist durch den Mont=Cenis hinreichend gesorgt; allein um seinen anderweitigen Verkehr von Frankreich unab­hängig zu machen, bedarf Italien einer direkten Eisen­bahnverbindung zwischen Genua und Deutschland, Belgien, Holland. Die Ueberschienung des Simplon wäre vom Italienischen Gesichtspunkt aus ein angenehmer Lurus; die Ueberschienung der Schweizerischen Cen­tralalpen ist eine dringende Nothwendigkeit. Wenn da­her die Französische Regierung an die Italienische das Verlangen stellen sollte, für die Ligne'Italie, d. h. die Simplonbahn, Subsidien zu gewähren, so wird sie voraussichtlich eine höflich ablehnende Antwort er­halten.

Paris, 28. Juni. Der Gesetzgebende Körper nahm in seiner heutigen Sitzung das Gesetz, betreffend die Ernennung der Maires, mit 177 gegen 37 Stim­men an. Der Kriegsminister erwiderte auf die In­terpellation Choiseuls, daß die Altersklasse von 1863 bereits gänzlich aus dem Militärdienst entlassen sei; von der der Altersklasse von 1864 angehörigen Mann­schaft seien bereits im März d. J. 61,000 Mann ent­lassen worden. Der gegenwärtige Effektivbestand der Armee sei geringer, als im Jahr 1869. Die Dis­kussion über die Interpellation wurde hierauf geschlossen.

Ollivier erklärte heute im Petitionsausschusse, sobald der gesetzgebende Körper sich über die Petition der Prinzen Orleans günstig ausspreche, werde er dem Kaiser die Auflösung der Kammer anrathen. So lange er Minister bleibe, sei die Aufhebung des Exils un­möglich, weil er sie für gefährlich für den Staat halte. Der Senator Duruy brachte in dem Senate einen Gesetzentwurf in Bezug auf die Unterrichtsfreiheit für alle Universitäten Frankreichs ein.

Madrid, 28. Juni. Eine von der Königin Isabella anläßlich ihrer Abdankung(von Paris aus) erlassene Proklamation an die Spanier sucht die ver­schiedenen Akte der Regierung der Königin zu recht­fertigen; Isabella zeigt der Spanischen Nation an, daß sie zu Gunsten ihres Sohnes, des Prinzen von Asturien, der Krone entsagt habe, und bemerkt, daß sie den

steckte ihn in die Tasche. Das Feuer in dem Kamin war längst verlöscht, Frösteln überlief ihn nach der durchwachten Nacht in der nassen Kleidung, allein seine Stirn glühte. Er hatte oft geglaubt, daß er in diesem kleinen abgeschiede­nen Hause sein Leben beschließen werde es war anders bestimmt. Er brauchte jetzt nur noch einen zuver­lässigen Mann im Dorfe zu bitten, Marie zu begleiten Alles war vorbereitet, dann dann konnte er vor den Baron hintreteten und Rechenschaft von ihm verlangen. Er trat in die Kammer an Marien's Lager. Sie schlief noch. Der Schlaf hatte einen rosigen Schimmer über ihre Wangen gehaucht, ihr Mund lächelte. Liebliche Bilder schien der Traumgott ihr vorzuführen. Von wem mochte sie träumen?.." 5r git. nehen

Gedanken versunken olieb der Alle neven dem

Lager stehen; sein Auge ruhte auf der Schlafenden. Er

wollte sie wecken, ehe er sich in das Dorf begab und doch

vermochte er es nicht über sich zu gewinnen; das Glück, welches sie im Traume umgab, zu stören. Das volle ru­hige Bild der Unschuld lag sie da. Sie hatte freilich noch wenig vom Leben kennen gelernt; wenn dieses sie erst mit rauher Hand erfaßt hatte, dann schwand auch das Lächeln auf ihren Lippen. Dann mußte sich auch in ihr Herz ein bitte­res Gefühl eingraben.

Still verließ er das kleine Gemach uno Haus. Hefli­ger als je zuvor drang ihm der Sturm entgegen, beugte die schlanken Stämme der Tannen, als ob er sie brechen wolle und fuhr pfeifend durch die Wipfel, allein er ließ sich nicht dadurch zurückschrecken, sondern schritt dem

Kurze Zeit darauf erwachte Marie und kleidete sich hastig an. Der süße Traum, der sie im Schlafe umfan­gen, war schnell geschwunden, denn jetzt dachte sie daran daß sie dies Haus verlassen sollte ohne Hugo noch einmal gesehen zu haben sie konnte es nicht. Sollte sie ihm schreiben? Sie wußte nicht, durch wen sie ihm den Brief überbringen lassen sollte, sie konnte ihm nicht einmal mit­theilen, wohin sie gehen werde. Wenn er wieder kam und sie nicht fand, mußte er nicht glauben, sie sei ihm ungetreu geworden und entflohen.

Verzweiflung erfaßte ior Herz und triev die Tyranen in ihre Augen. Was hatte ihr Vater im Sinne, daß er sie zwang, so schnell dies Haus zu verlassen? Sollte er dennoch wissen, daß sie Hugo liebke? Sollte nur seine Absicht sein, sie von ihm zu trennen?(Forts. folgt.)