Dienstag den 29. März 1876.

Iter Jahrgang.

Neue Abonnements

auf die

Bergische Zeitung

für das II. Quartal 1870

bitten wir baldgefälligst bei unseren Expeditionen und Boten, sowie bei uns zu machen.

Die Expedition derVergischen Zeitung.

Wochen=Rundschau.

Wald, 28. März.

Wenn den Sitzungen des nord deutschen Reichs­tages das Publicum nicht mehr Interesse schenkt, als eine große Anzahl derErwählten des Volks", so wäre die Zeit und die Mühe zu beklagen, die es sich das hohe Haus und seine Berichterstatter kosten lassen. Was soll man dazu sagen, wenn Tag für Tag circa hundert Abgeordnete den Berathungen fern bleiben! Man weiß wirklich nicht, ob die Auf­fassung dieser Herren von den Pflichten, die sie mit ihrem Mandat übernommen haben, oder die Wähler ob ihrer Wahl mehr zu beklagen sind. Es ist ja rich­tig, daß der Volksvertreter auch andere Pflichten hat und bei den vielen Parlamenten und dem Umstande, daß viele Herren zweien oder dreien derselben ange­hören, die geschäftlichen und Familien=Rücksichten mit den parlamentarischen in Collision kommen können; aber wenn das Uebel einen so bedenklichen Umfang wie heuer erreicht, so ist die Nothwendigkeit seiner Heilung unabweisbar. Wer das Parlament nicht be­suchen kann, möge sein Mandat niederlegen. Es wäre sehr zweckmäßig, wenn das Präsidium des Reichsta­ges die Namen der Fehlenden bekannt machte; die Wähler könnten sich dieselben merken. Leider ist der Kreis der Wählbaren ein sehr eng begrenzter, da nur Wenige so bemittelt sind, Monate lang in Berlin auf eigene Kosten zu leben. Hoffentlich haben sich diejeni­gen Liberalen, die gegen die Diäten stimmten, jetzt überzeugt, daß sie dadurch einen großen Fehler be­gangen haben. Leicht begreiflich, daß bei einem solchen Besuch der Reichstagssitzüngen die Majoritäten sehr schwankend sind, und in der dritten Lesung leicht Be­schlüsse der früheren umgestoßen werden können.

In Würtemberg gehen die Wogen der politi­schen Bewegung hoch. Die Volkspartei, welche mit den baierischen Patrioten Hand in Hand gegen Preu­

Klärchen.

Novelle von August Schrader.

(Fortsetzung.) 97.

Sinnend ging er in seine Kammer, zog die besten Klei­der hervor und machte Toilette. Schon nach einer halben Stunde war er fertig. Wer ihn jetzt wieder sah, hätte ihn wahrlich nicht für einen Mühlknappen gehalten; er glich einem eleganten Städter, der dem Sonntagsvergnugen nachgeht. Und wie geschmackvoll war er gekleidet. Wie zierlich trug er das Rohrstöckchen mit dem glänzenden Me­tallknopfe! Die arbeitgewohnten Hände staken heute sogar in braunen Glaléhandschuhen. Und wie keck saß der graue Filzhut auf dem schwarzen Lockenkopfe! So schritt er über den Mühlhof; er grüßte die Meisterin, die aus dem Fen­ster sah.

Wer ist denn das? fragte Sie den Meister, der, sein Morgenpfeischen rauchend, neben ihr stand.

Wer soll es denn sein, es ist unser Knappe.

Das wäre der Friedrich Winter?

Kein Anderer, versicherte der Müller.

Und alle diese schönen Sachen hat er in seinem Fell­eisen gehabt?

Nein, schon vor vierzehn Tagen kam ein Koffer durch die Post; der Winter ist ein ordentlicher Mensch, der seine Sachen zu Rathe hält. Wenn ich den Franz dagegen be­denke... Man sieht es dem Vogel gleich an den Federn an, was in ihm steckt.

Ein stattlicher Mann, ich hätte ihn wahrlich nicht erkannt. Friedrich hatte, nachdem er aus dem Thore getreten, den Weg links nach dem Dorfe eingeschlagen. Planlos ging er unter den schattenverbreitenden Bäumen neben der Shaussee hin. Es war ein kostbarer Sonntagsmorgen, ein wahrer Tag des Herrn. Kein Wölkchen trübte den Hori­zont, die Sonne lachte hell und klar vom blauen Firmamente berad. Der Baumschlag war noch frisch und grün, während auf den Wiesen am Bache das Heu duftete. Ein leichter, kaum bemerkbarer Morgenwind flüsterte geheimnißvoll in den Zweigen, die sich über dem Haupte des Knappen zusam: menbogen. Als Friedrich noch fünf Minuten von dem Dorfe entfernt war, erklangen die Glocken, die zum Gottesdienste kiefen. Weithin schallten die feierlichen Töne durch den siedlich stillen Morgen. Und dazu sangen die Lerchen, die unermüdlichen, die hoch in der blauen Luft schwebten! Frie­

ßen geht, wüthet gegen das=Kriegsdienstgesetz, das auf Gleichartigkeit der militärischen Einrichtungen mit de­nen Preußens beruht. Die Wünsche der Volkspartei erfüllen, hieße die Verträge von 1866 unwirksam ma­chen und es hat das Ministerium sich darauf nicht einlassen können. Etwas Anderes war es mit einem zweiten Wunsch: Ersparungen im Militäretat; die Minister waren, mit Ausnahme des Kriegsministers geneigt, die Militärlasten um ½ Million zu verrin­gern. In Folge dieser Meinungsverschiedenheit reichte das Cabinet seine Entlassung ein, welche für den Mi­nister des Kriegs, des Cultus und des Innern ange­nommen worden ist. Das neue Ministerium wird, wie verlautet, in den Abstrich der halben Million, nicht aber in eine Aenderung der Heeresverfassung willigen.

Auch Oesterreich hat seine Ministerkrise schon wieder, nachdem die letzte kaum erst beendet. Diesmal ist es der Minister des Inuern, Dr. Giskra, der sich zurückziehen will, weil sein Vorschlag, die Wahl­reform sofort verzunehmen, weder von seinen Kolle­gen noch von dem Kaiser gebilligt ist. Die Richtbil­ligung durch letzteren soll sogar von ziemlich beißen­den Bemerkungen begleitet gewesen sein.

In Ungarn hat sich der Finanzminister, Herr v. Lonyay mit Deak, dem Abgeordneten für Pest und einflußreichsten Mann in Ungarn, veruneinigt, und die Folge ist eine Ministerkrise. Man streitet sich zur Stunde noch über ihren Verlauf.

In Frankreich treten vor dem jetzt in Tours verhandelten Proceß des Prinzen Peter Bonaparte die politischen Tagesfragen fast in den Hintergrund, so daß von einem überaus wichtigen Acte Napoleons weniger Aufhebens gemacht wird, als es sonst ge­schehen wäre. Man wird sich des Zweifels in die Aufrichtigkeit Napoleons erinnern, als er, gedrängt durch den Ausfall der Wahlen und durch die Inter­pellation der 46 mit dem persönlichen Regiment zu brechen versprach; der Zweifel war um so berechtigter als der Kaiser zu lange an das seinen Reigungen mehr entsprechende Selbstregieren gewöhnt war und die Hauptstützen seines Thrones, die Decembermänner, sich in der auch ihnen gestatteten Willkür viel wohler fühlten, als wenn sie der Kammer und der öffent­lichen Meinung von ihrem Thun hätten Rechenschaft ablegen müssen. Wir sprachen gleich nach der Beru­fung des parlamentarischen Ministeriums unsere Ueber­zeugung dahin aus, daß der Kaiser lieber biegt als

drich lehnte sich an einen Baum und sah über die Wiese, die ihn von dem freundlichen Dorfe schied. Ohne es zu wollen, versank er in eine andachtsvolle Träumerei, hervor­gerufen durch die Sabathmorgenfeier der Natur. Auch Klärchens Bild trat vor seine Seele, das Bild des lieblich­sten Mädchens, das er je gesehen. Ein Kampf entspann sich in seiner Brust, ein Kampf der erwachenden Liebe mit dem Argwohne, den der tückische Franz ausgesäet hatte.

O, wer gibt mir Gewißheit! rief er leise. Wer sagt mir, das Eckhardt gelogen hat! Hätte er die Wahrheit ge­sagt, so wird es Zeit, daß ich abziehe... Ich muß vor­beugen, ehe es zu spät wird!

Eine Frauengestalt huschte an ihm vorüber; sie war halb städtisch, halb bäuerisch gekleidet. Der große Strobhut mit dem blauen Bande bedeckte das Gesicht, es ließ sich nicht erkennen. Ein braunes Thibetkleid umfloß die schlanke Gestalt, die leicht auf dem glatten Wege dahinschwebte. Es mußte Klärchen sein, die den Anfang des Gottesdienstes nicht versäumen wollte, wie sie gesagt hatte. Schon nach drei Minuten veschwand sie zwischen den Hecken, die das Dorf umgaben.

Auch ich will zur Kirche gehen! dachte Friedrich. Ich fühle mich zur Andacht gestimmt und da ich lange Gottesdienste beigewohnt, will ich die sich mir bietende Ge­legenheit benutzen..... 64

Im Grunde der Seele aber wunschte er sich in die Nähe Klärchens. Rasch ging er weiter. Bald stand der Mühlknappe am Portale der Kirche. Der Gottesdienst hatte schon begonnen, man hörte die vollen Töne der Orgel und den Gesang der Gemeinde. Sonntäglich geschmückte Land­leute kamen noch, um ihre Andacht zu verrichten; sie sahen verwundert den stattlichen jungen Mann an, den sie für einen vornehmen Städter halten mochten, da sie ihn ehrer­bietig grüßten. Friedrich Winter unterließ nicht seinen Hut zu ziehen so oft er danken mußte.

Es wird sich schon ein Plätzchen für mich finden! dachte er.

Und rasch trat er in die einfach geschmückte, aber über­aus helle und freundliche Dorfkirche, die heute nur mäßig besucht war. Langsam ging er weiter, bis er sich der Kanzel gegenüder besand. Hier hatte ihn der Zufall oder eine höhere Fügung geleitet, er sah, als er die Blicke umher­schweifen ließ, in kurzer Entfernung Klärchen, die genz allein in einem Kirchenstuhle saß und andächtig den Choral mitsang. Noch hatte sie ihn nicht bemerkt, so daß er zwang­

bricht, da ihm sein Thron und die Nachfolge seines Sohnes, den er an seinem letzten Geburtstage, also in einem Alter von 14 Jahren, mündig gesprochen hat, über Alles geht. Nach der letzten Entschließung Napoleons ist nun kaum noch ein Zweifel über den

ernsten Willen des Kaisers, nur constitutionell zu re­gieren, d. h. nicht willkürlich in die Gesetzgebung ein­zugreifen; das geschah bisher in der Form von Se­natsbeschlüssen. Der Senat, dessen Mitglieder vom Kaiser aus den Imperialisten vom reinsten Wasser er­nannt werden, hat nach der Verfassung das Recht, die Verfassung der Colonien und Algeriens durch seine Beschlüsse zu regeln, sowie die endgültige Interpreta­tion zweifelhafter Bestimmungen der Verfassung Frank­reichs festzustellen. Von diesem Rechte machte die hohe Versammlung ganz nach des Kaisers Bedürfniß Ge­brauch und so lange es ihr zusteht, kann jedes frei­

heitliche Zugeständniß durch Senatsbeschluß gemacht, aber auch zurückgenommen werden. Darum war auf die Wandlung vom 2. Januar nicht viel zu geben, und es wurde mit Recht die Aufhebung eines so ge­fährlichen Vorrechtes verlangt. Der Kaiser hat sich dazu bereit erklärt und somit für seine Entschließun­gen eine Bürgschaft gegeben, deren Bedeutung allerseits anerkannt wird.

Uebersicht der Tagesereignisse.

Berlin, 26. März. In der heutigen Sitzung des Reichstages wurde das Banknotengesetz mit dem Amende­dement Sybel in dritter Lesung angenommen. Darauf folgte die Fortsetzung der Berathung über das Gesetz in Betreff des Nachdrucks. Braun(Wiesbaden) beantragt die Verweisung des Entwurfs an eine Commission von 35 Mit­gliedern: Lehrenpfennig beantragt, daß man erst über den §. 8, welcher von der Schutzfrist handelt, abstimmen und dann den Entwuef in der Commission berathen möge. Der Antrag Braun auf Verweisung des gesammten Entwurfs an eine Commission wird abgelehnt. Darauf werden die C. 1 und 3 nach dem Antrage des Abg. Stephani, der§. 8 nach der Vorlage angenommen. Der übrige Theil des Entwurfs wird einer Specialcommission von 14 Mitglie­dern überwiesen, an welche auch der Entwurf über die Pho­tographien geht. Für die nächste Sitzung, welche am Mon­tag stattfinden wird, steht die Berathung des Bundesetats auf der Tagesordnung.

Berlin, 26. März. DerStaatsanzeiger nublicirt folgendes Schreiben Sr. Majestat des Königs an den Mi­nister des Innern:Auch in diesem Jahre sind Mir zu Meinem Geburtstage aus den sämmtlichen Provinzen Mei­ner Monarchie, aus anderen Theilen des deutschen Vater­landes und aus dem Auslande von Corporationen, Ge­meinden, Vereinen, Festversammlungen und einzelnen Per­

los sie beobachten konnte. Klärchen war wirklich eine frische pikante Schönheit, die sich in der kleidsamen Tracht reizend ausnahm. Ihr Gesichtchen verrieth die Andacht, welche die Worte des Chorals in ihr hervorriefen. Wahrlich, züchtiger und bescheidener konnte das ärmste Dorfmädchen nicht sein. Ihre frischen Lippen bewegten sich leise und ihr Blick haftete fest auf dem Gesangbuche. Aber wie kam es, daß Klärchen allein saß? Es gab noch viel der leeren Plätze in ihrem Kirchstuhle.... Wohl kamen noch einzelne Mädchen und Frauen, aber sie suchten andere Plätze, so weit als möglich von der reizenden Müllerstochter, die sich um das, was ge­schah, nicht kümmerte. Friedrich glaubte dies Alles zu bemer­ken, mancherlei Vermuthungen entstanden in ihm, Vermu­thungen, die ihm das Herz durchschnitten. Wenn Franz die Wahrheit gesagt hätte.

Der Pfarrer bestieg die Kanzel und hien seinen Vor­trag, der allgemein verstandlich für die Landgemeinde paßte. Klärchen lauschte mit großer Aufmerksamkeit; sie schien nur Sinn für die Predigt zu haben. Ihre Blicke waren fest auf den greisen Redner gerichtet, der salbungsvoll zu seiner Gemeinde sprach. Friedrich hörte nur einzelne Sätze des Vortrags, er hatte ja zuviel über die Meisterstochter nach­zudenken, die ihm als das schönste Mädchen erschien, das er je gesehen. Bald fand er Mitleid mit der Verirrten, bald regte sich der Groll darüber, daß ein von der Natur so reich begadtes Wesen von dem Glücke, das wahre Liebe bietet, sich selbst ausgeschlossen habe. Und wie würde nun erst der Mann beglückt sein, der Klärchen, wenn sie makel­los geblieben wäre, sein eigen nennen könnte.

Die Predigt war zu Ende.

Klärchen sang noch einige Strophen des Verses mit, dann neigte sie das Haupt auf das geschlossene Gesangbuch, betete still nach Sitte der Gemeinde, erhob sich und verließ den Kirchstuhl, ohne die benachbarten Mädchen und Frauen zu grüßen, die ihr völlig fremd zu sein schienen. Jetzt er­kannte sie den Gesellen; sie grüßte nicht, sie senkte nur er­töthend die Augen.

Soll ich ihr folgen? fragte sich Friedrich. Bleibe ich noch, um das Aufsehen zu vermeiden, so kann ich sie nicht begleiten, denn sie gewinnt einen zu großen Vorsprung: es soll nicht heißen, daß ich ihr nachstelle.

Aber er ging doch wie von einer unsichtbaren Gewalt genagen.

(Fortsetzung folgt.)