M 81.

Wald, Samstag den 12. März 1870.

Zter Jahrgang.

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Uebersicht der Tagesereignisse.

Berlin, 8. März. Der Reichstag fuhr heute in der Berathung des Strafgesetzentwurfes fort, nachdem zwar ohne Weiteres in dritter Lesung die Entwürfe wegen Abänderung des Etats von 1870, so wie wegen Ergänzung der Maß­und Gewichtsordnung und in zweiter Berathung der Ent­wurf über die Controle des Etats pro 1870 angenommen worden waren, wobei das Haus die Erwartung aussprach, daß ihm in nächster Session ein Gesetzentwurf wegen defi­nitiver Einrichtung des obersten Bundesrechnungshofes werde vorgelegt werden. Die Berathung des Strafgesetzes begann mit dem zweiten Abschnitt(Versuch), welcher ganz nach der Vorlage erledigt wird, eben so der dritte Abschnitt (von der Theilnahme). Zu dem vierten Abschnitt(Gründe, welche die Strafe ausschließen oder mildern), hatte Twesten und Genossen beantragt: vor§. 49 folgenden neuen Para­graphen einzuschalten:Kein Mitglied eines Landtages oder einer Kammer eines zum Norddeutschen Bunde gehörigen Staates darf außerhalb der Versammlung, zu welcher das Mitglied gehört, wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeußerung zur Ver­antwortung gezogen werden. Minister Leonhardt hält den Antrag für nicht so bedenklich, nur möchte er ihn an ande­rem Orte gestellt sehen. Abg. Wagener befürwortet die Ablehnung des Antrages, welches Sache der einzelnen Län­der und ihrer Verfassungen sei. Es entspinnt sich eine län­gere Auseinandersetzung, welche sich in eine energische Be­kämpfuug der Ansichten Wageners Seitens der Abgg. Lasker, Miquel, v. Kardorff zuspitzt, worauf der Antrag Twesten­Lasker mit sehr großer Majorität angenommen wird. Gegen den Antrag stimmten nur die Conservativen.

9. März. Im Reichstage stand heute der erste Ab­schnitt(Hochverrath und Landesverrath) des zweiten Thei­les des Strafgesetzes zur Berathung. Graf Schwerin bean­tragte, den ganzen zweiten Theil an eine Commission zu überweisen, wventuell die Fortsetzung der Berathung einige Tage zu vertagen. Zur Generaldebatte sprach Lasker für Festung statt Zuchthaus bei politischen Verbrechen. Der Justizminister vertheidigte die Vorlage. Schleiden und v. Kirchmann sprachen im Sinne Lasker's. Graf Lehndorf beantragte, die dritte Berathung des allgemeinen Theiles vor Fortsetzung der Berathung über den zweiten Theil vor­zunehmen. Der Präsident erklärte dies nur durch einstim­migen Beschluß des Hauses zulässig. Graf Schwerin zog seinen Antrag auf Ueberweisung an eine Commission zurück. Der eventuelle Antrag auf Vertagung wurde angenommen.

10. März. Der Reichstag lehnte in seiner heutigen Sitzung den Antrag Lehndorff's auf die sofortige Vornahme der dritten Lesung der einleitenden Bestimmungen im ersten Theil des Strafgesetzes ab. Graf Bismarck sprach gegen den Antrag. Man könne dem Bundesrathe nicht zumuthen, über Bruchstücke des Gesetzes zu beschließen. Der Bundes­rath werde auf die Weiterberathung des Gesetzes keinesfalls verzichten, vielmehr einen Weg der Verständigung suchen, obgleich die Meinungen des Bundesraths nicht erschüttert wären. Die Interessen des Bundes würden geschädigt, wenn der Bundesrath auf die Weiterberathung des Gesetzes schon jetzt verzichte, und derfelbe könne erst nach der Durch­berathung des Gesetzes entscheiden. Die Sitzung dauert fort.

Klärchen.

Novelle von August Schrader.

(Fortsetzung.)

Die Wirthschafterin hatte frisches Wasser geholt. Als sie zurückkam und die Küche leer fand, sagte sie halblaut: Er schwankt schon, ich mache ihn noch murbe! Der tolle, trockne Advocat trägt die Schuld daran, das lasse ich mir nicht nehmen. Sonst berieth der Professor mit mir; jetzt hat er diesen Krug als Rathgeber... Nur Geduld, ich beseitige ihn. Wenn ich nur erst wüßte, ob die liebe Nichte dahinter steckt, die seit einiger Zeit

Die Glocke an der Hausthur ward gezogen.

Da ist die Wittwe! rief leise die Wirthschafterin. Ich erkenne es schon an dem Ziehen der Glocke. Sie mag war­ten! Als der Müller kam, glaubte ich schon... das lästige Weib wird mir gefährlich.

Sie machte sich an dem Heerde zu schaffen.

Eine halbe Minute später wiederholte sich das Klingeln.

Nun will ich doch gehen, dachte Dore; es soll nicht scheinen als ob ich gehässig verfahre.

Dore ging und öffnete die Thür.

Eine verschleierte Dame trat ein.

Ist der Professor in seinem Zimmer oder lustwandelt er schon im Garten? fragte sie, ohne zu grüßen.

Wie? fragte Dore, die die Thür geschlossen hatte.

Wo ist der Herr Professor?

Wo der Herr Professor ist?

Ja, ja!

Ich glaube, im Garten!

Schon?

Ja, Frau Hofräthin!

Die Dame, deren Gesicht ein weißer Schleier bedeckte, rauschte über die weite Hausflur und verschwand.

Wie prächtig sie gekleidet ist! dachte Dore. Wenn der Schleier ihr häßliches Gesicht bedeckt, glaubt man an eine Schönheit; und doch ist sie alt und häßlich wie die Nacht. Da hüpft sie hin, als ob sie ein junges Mädchen wäre... Grünes Kleid, weiße Mantille, weißer Hut, weißer Schleier ... Es ist zum Lachen! Woher nun auf einmal diese Nichte

Berlin, 9. März. DieProv.=Corr. enthält mehrere Artikel über die Todesstrafe, deren Ausführungen die be­kannte Rede des Herrn Ministerpräsidenten umschreiben. Zuletzt wird die Erklärung des Grafen Bismarck aufrecht erhalten, daß das Schicksal der Vorlage von dieser Frage abhänge.Noch ist die Möglichkeit vorhanden, sagt die Prov.=Corr., daß der Reichstag bei der schließlichen Be­rathung auf den Weg der Verständigung über diese wichtige Frage einlenkt. Wenn diese Hoffnung sich nicht erfüllt, so wird dadurch das Zustandekommen des neuen Strafrechts unmöglich gemacht werden, nicht aber die Regierung ge­zwungen werden können, den gegenwärtigen Rechtszustand in Betreff der Todesstrafe preiszugeben.

DieProv.=Corr. schreibt nach anerkennenden Wor­ten für den Fürsten Hohenlohe welchem das Streben vorschwebte, ein enges nationales Band zwischen den Süd­deutschen Staaten. und dem norddeutschen Bunde herzustel­len: Die politische Vergangenheit und bewährte Gesinnung des neuen Ministers, Grafen Bray, welcher auch bei dem Abschlusse des Schutz= und Trutzbündnisses zwischen Bayern und Preußen betheiligt war, dürfte als eine neue sichere Bürgschaft gelten, daß die bayerische Regierung fest entschlos­sen ist, in der bisherigen nationalen Richtung ihrer Politik auch dem norddeutschen Bunde gegenüber zu verharren.

Dem preußischen Landtage wird, wenn er im Som­mer zusammentreten sollte, ein Gesetzentwurf zur Beschaffung eines Betriebsfonds von 10 Millionen für den Finanzmini­ster vorgelegt werden. Der Betriebsfond soll durch Verkauf von Damänen und Salinen beschafft werden, für die Sa­linen Staßfurt und Astern glaubt man 4 Million Thlr. zu

erpalten. fHet mirh Gind bi. bäh.

Wie aus Darmstadt gemeidei wirv, sino die höheren Commandostellen in der hessischen Division jetzt endlich sämmtlich in die Hände preußischer Offiziere gelangt. Es muß das ein recht behaglicher Zustand sein für den Groß­herzog und seinen ersten Minister Dalwigk.

Stuttgart, 8. März. Der Landtag wurde heute eröff­net. In der Kammer der Abgeordneten legte die Regierung den Etatsentwurf für 1870 bis 1871 und das Eisenbahn= Gesetz vor. Abg. Schott kündigte eine Interpellation an den Ministerpräsidenten v. Barnbüler an, bezüglich dessen im Jahre 1867 angeblich gethaner Aeußerungen über den casus foederis der Allianzverträge mit Preußen.

Wien, 7. März. Der kürzlich vielgenannte Agitator Raspe ist von den ungarischen Behörden des Landes ver­wiesen und am 4. März nach der österreichischen Grenze transportirt, aber trotz der Reclamation der österreichischen Gerichte an letztere nicht ausgeliefert worden.

Paris, 8. März. Bemerkenswerth ist, daß neben den Blättern der Linken auch dasJournal des Debats fort­fährt, vor jeder Einmischung in die Angelegenheiten des Concils zu warnen. Der Kampf woge zwischen der Su­prematie des Papstes und des Concils, es sei ein Bürger­krieg innerhalb der Kirchenmauern, in den die Regierungen nicht eingreifen sollten. Kommen die Bischöfe mit einem verstärkten Syllabus heim, so werden sie in ihren Diöcesen eine nach absolut anderen Grundsätzen organisirte Bevölke­rung finden und inmitten ihrer Mitbürger alsEmigran­ten im Innern dastehen; in Frankreich werde es nicht einen einzigen Beamten geben, der zuvor den Syllabus und dann erst den Code befragen werde.Die einzige That, setzt das Journal des Debats hinzu,die man von der Regierung fordert, ist die Beendigung einer anderen Intervention, die

gekommen! Sonst hat sie sich um den Onkel nicht geküm­mert, wir haben gar nicht gewußt, daß sie existirt...

In der Küche trat sie an das Fenster und sah in den Garten hinaus. Die schwarze Gestalt des Professors schwebte durch die schattige Allee, die von alten Kastanienbäumen ge­bildet ward... Die Hofräthin huschte ihm nach, warf den Schleier zurück und umarmte und küßte den Onkel, als ob sie ihn seit Jahren nicht gesehen hätte. Von dem, was Beide sprachen, konnte Dore Nichts verstehen, da der Hofraum das Haus von dem Garten trennte.

Ich lasse es mir nicht nehmen, dachte die Wirthschaf­terin, diese Frau Hofräthin sucht etwas zu erreichen, denn sie windet sich wie ein Aal und ist freundlich wie ein Schooß­hündchen. Der Professor verkehrt viel mit dem Advokaten, zieht seine kleinen Kapitale ein und spricht von großen Un­ternehmungen... die Sache ist nicht richtig! Wenn es so fortgeht, werde ich beseitigt, und die vielen Jahre, die ich in diesem Hause treu gedient habe, tragen mir Nichts ein. So haben wir nicht gewettet Frau Hofräthin! Der Professor hat weder Kind noch Kegel, ich stehe ihm am nächsten, wenn ich auch nicht verwandt mit ihm bin... den will ich sehen, der sich zwischen uns drängt! Wie die Frau sich an den Arm des Professors klammert, wie sie ihn drückt und sich geberdet... Könnte ich nur das Ge­

sicht der Alten seben... er muß es doch gerne haben, da er sich nicht zurückzieht.. die alte Spinne legt sehr geschickt ihre Netze an, sie umwindet den Professor, ehe er es merkt..Jezt küßt sie ihm die Hand... Rein, es

Die Glocke an der Hausthür ward wiederum gezogen.

Wer ist denn da schon wieder? Mein Gott, das nimmt

Sie fuhr fort, das Paar mit Spannung zu betrachten, Plötzlich ward die Glocke so heftig gezogen, daß die Haus­flur wiederhalte.

Ein unverschämter Mensch, den werde ich abfertigen!

Als sie öffnette, stand der Advocat Krug an der Schwelle. Die barten Worte, die sie aussprechen wollte, erstarben ihr auf den Lippen.

eine beständige Verletzung der französischen Verfassung ist, nämlich der Anwesenheit unserer Truppen in Rom. Denn wenn die Regierung entsetzt über die Excesse der Gewalt und die wahnsinnigen Usurvationen ist, welche den Krieg aus dem Schoße des Concils in die ganze Christenheit zu tragen drohen, so möge sie sich daran erinnern und wohl bedenken, daß dieses alles gedeckt, geschützt und vertheidigt wird durch die dreifarbige Fahne und die Chassepots.

Bei dem gestrigen Deputirtendiner, welches von dem Führer des linken Centrums, MarquisAndelarre, im Grand Hotel veranstaltet worden war, hielt der Justizmi­nister Ollivier eine Rede, über welche sich die heutigen Abendblätter, soweit sie der liberalen Richtung angehören, sowohl die regierungsfreundlichen als die oppositionellen, einstimmig sehr beifällig äußern. Wie verlautet, soll die Commission, welche Ollivier zum Zweck des Studiums der Arbeiterfrage einzusetzen beabsichtigt, auch mehrere Publizi­sten und Arbeiter zu Mitgliedern erhalten.Liberte mel­det, daß mehrere Mitglieder des Pariser Advokatenbarreaus ein Rechtsgutachten abgefaßt haben, in welchem auf Grund der bestehenden Gesetzgebung ausgeführt wird, daß es den Sicherheitsbeamten nicht gestattet ist, zur Nachtzeit die Woh­nung des Bürgers zu betreten. Dieses Gutachten bedeckt sich mit zahlreichen Unterschriften.

10. März. In der gestrigen Sitzung des gesetzgeben­

den Körpers wurde die Debatte über die Verwaltung Al­geriens geschlossen. Die Regierung verheißt die Einführung der Civilverwaltung in Algerien. Die Kammer nimmt hier­von Act und beschließt einstimmig, über die Interpellation zur Tagesordnung überzugechen..68 Whet ta

Florenz, 8. März. WieItalia milllare meldel, soll zum 31. d. Mts. die Altersklasse von 1845 auf unbegrenz­ten Urlaub entlassen werden. Diese Klasse umfaßt unge­fähr 300 Mann.,..g Wer kat kin amsteilkes

Rom. DasGiornale di Roma- hal sein gewöhnlichen Schweigen über die Angelegenheiten des Kirchenstaates ge­brochen, um sich gegen die vielfachen Behauptungen italte­nischer wie fremder Blätter zu wenden, als ob die neuen päpstlichen Silbermünzen nicht zu ihrem vollen Werth aus­geprägt seien; es erklärt, daß die päpstliche Regierung alle Bestimmungen der mit Frankreich vereinbarten Münzcon­vention genau beobachte. Thatsache aber ist, daß päpstliche Silbermunzen in Frankreich wie in Italien gar nicht oder nur mit Verlust unterzubringen sind.

Madrid, 4. März. In der Cortessitzung vom 3. März stellte Eraso den Antrag in den Art. 168170 des Straf­gesetzbuches, welche von polititchen Verbrechen handeln, statt der Todesstrafe die lebenslängliche Zuchthausstrafe zu setzen. Der Justizminister deutete darauf hin, daß ein Ausschuß jetzt gerade mit der Berathung über die Aufhebung der Todesstrafe überhaupt beschäftigt sei und nach einigem Wort­wechsel wurde der Antrag diesem Ausschusse zugewiesen; 88 Abgeordnete stimmten dafür, 9 dagegen.

Rheinland und Westfalen.

Solingen, 9. März. Gestern Abend hielt H. von Berlin im Lokale des Herrn Rod. Mertens hier Vor­trag über Gewerkvereine und die damit verbundenen Kran­ken=, Begräbniß= und Invaliden=Kassen. In klarer, ver­ständlicher Weise entwickelte Herr Polke die Vortheile dieser Vereine für jedweden einzelnen Arbeiter und führte in Er­läuterung verschiedener Paragraphen der Statuten aus,

Muß Jeder, der Einlaß begehrt, so lange warten? fragte der Rechtsgelehrte kurz und barsch.

Dieser Ton verletzte die Wirhschafterin.

Nein! antwortete sie eben so kurz.

Also ich, nur ich! 8

Dore hatte die Thür geschrossen. Der Advocat maß sie mit den Blicken vom Kopfe bis zu den Füßen.

Kennt Sie mich? fragte er, als Dore sich nicht weiter

Ich glaube, Sie sind der Herr Advocat Krug...

besser auf ihren Dienst; es ist unangenehm und lästig, lange an der verschlossenen Thür stehen zu müssen. Es scheint, als ob Sie die Obliegenheiten eines Domestiken nicht kennt... Werde mich bei meinem Freunde

Dore erröthete vor Scham und Aerger; es war ihr

Wo ist der Herr Professor? fragte streng der Rechtsgelehrte. Im Garten.

Allein?

Eine Dame ist bei ihm.

Wer ist die Dame?

Ich kenne Sie nicht.

Der Advocat ging in den Garten.

Ist das ein unverschämter Patron! dachte die Wirth= schafterin, die vor Erregung am ganzen Körper zitterte.

er mich titulirt, wie er mich überhaupt behandelt! Warte, Dir werde ich eine Suppe einbrocken, die gesalzen und ge­pfeffert sein soll. Dieser Herr und diese Dame thun, als ob sie hier im Hause zu befehlen hätten... Vielleicht ja­gen sie mich noch davon; ich werde schon vorbeugen, werde ihnen das Spiel verderben. Die Dore sieht zwar gutmüthig, auch ein wenig dumm aus; aber sie wird dem einfältigen Professor schon zur rechten Zeit die Augen öffnen. Ich fest, mir zieht man den Boden unter den Füßen nicht so

Sie ging in die Küche, besorgte das Mittagsessen und kümmerte sich weiter nicht um die drei Personen, die in der schattigen Allec des Gartens promenirten.

(Fortsetzung folgt.)