Nr. 205. 1. Blatt.
Dienstag, den 1. September 1908.
33. Jahrgang.
Druck und Verlag
von Wilhelm Müller jr. in Ohligs. Telephon=Anschluß Nr. 40.
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Die heutige Zummer
6 Seiten.
Polikische Nachrichten.
Berlin, 31. August.
Der Kaiser und die Kaiserin sind hier um 12 Uhr 10 Min, auf dem Potsdamer Bahnhof eingetroffen.
Die Militärballons beim Kaisermanöver. Das Luftschiffervataillon schickte am Samstag nachmittag in einem Sonderzuge die zweite Kompagnie mit der BespannungsAbteilung nach Diedenhofen zum Kaisermanöver ab. Zum mitgenommenen Material gehören zwanzig Freiballons und vier Fesselballons. Das lenkbare Luftschiff wird wahrscheinlich nicht zur Verwendung kommen. Die erste Kompagnie folgt Donnerstag, während das Versuchsbataillon zurückbleibt.
Wie verlautet, steht die Ernennung des bisherigen stellvertretenden türkischen Kriegsministers Osman Nisam Pascha zum türkischen Botschafter am Berliner Hofe unmittelbar bevor. Die beiden Regierungen haben sich über die Ernennung bereits geeinigt.
Zur Abänderung der Städteordnung in SchleswigHolstein. Der Vorstand des Zentralverbandes der schleswinholsteinischen Bürgervereine befürwortete in seiner gestern in Neumünster abgehaltenen Sitzung die Abänderung der schleswig-holsteinischen Städteordnung in dem Sinne, daß die Wahl der Stadtverordneten nach Klassen und geheim geschieht. Die Wahl des Magistrats durch die Bürgerschaft soll bestehen bleiben. Ein außerordentlicher Verbandstag, der sich mit der Angelegenheit beschäftigen soll, ist auf den 4. Oktober nach Schleswig einberufen.
— Der Stadtverordnetenversammlung in Berlin ist vom Magistrat die Vorlage zur Bewilligung von 40000 Mark für den Grafen Zeppelin zugegangen.
Der Verein für Motorluftschiffahrt in der Nordmark ist am Sonntag, mit dem Sitz in Kiel, gegründet worden. Präsident ist Vizeadmiral z. D. Graf Moltke, Vizepräsident der Stabschef der Hochseeflotte, Kapitän zur See Lans.
Von unterrichteter Seite wird gemeldet, daß man sich im Vatikan mit der Absicht trage, den Münchener Prälaten Dr. Franz zum Kurienkardinal zu ernennen. Dr. Franz wirkte früher lange Jahre als Redakteur an dem Berliner Zentrumsblatt„Germania".
Baptisten=Kongreß. In den Konkordia=Sälen in Berlin tagte heute der Kongreß europäischer Baptisten zu denen Telegierte aus fast allen europsiischen Staaten eingetroffen sind. England ist mit 400 Abgesandten, Schweden mit 100 Delegierten vertreten.
Die Pariser Blätter widmen der Kaiserrede von Straßburg Besprechungen.„Patrie" und„Liberté“ wenden ein, daß die vom Kaiser verlangte Einigung der alten französischen Soldaten, die der Annektierung nicht mit Resignation gegenüberständen, schwer werden dürfte.
Die brasilianischen Manövergäste des Kaiser:, Kriegsminister Marschall Hermes da Fonseca, Divisionsgeneral Mendes Morcas, Major Tasso Fragoso und Oberleutnant Deschamps=Cavalcante sind gestern nachmittag auf dem Lehrter Bahnhof eingetroffen. Die Herrschaften nahmen als Gäste des Kaisers im Hotel„Adlon“ Wohnung.
Tagesspruch.
Es gibt keine unbiegsameren und härteren Menschen als die, die immer mit der Betrachtung ihres Unglücks beschäftigt sind. Gutzkow.
Roman von K. Courths=Mahler.
(Nachdruck verboten.)
„Du sitzest hier und legst die Hände in den Schoß, Eva Marie. Ich muß mich mit diesem ungeschickten Bauernmädel herumärgern und meine Nerven versagen mir den Dienst. O, mein Gott— ich bin elend zum Sterben.“
Damit ließ sie sich ächzend und stöhnend in einen Sesse! fallen und warf anklagende Blicke aus den verschwommenen Augen auf die Stieftochter.
Eva Marie erhob sich und strich mit einer müden Bewegung das dichte, nußbraune Haar aus der Stirn.
„Du solltest Dich nicht über jede Kleinigkeit aufregen, Mama.“
Die Alte lachte höhnisch.
„Ja, wenn man Deine olympische Ruhe besäße. Kleinigkeit— bei uns ist ja, Gott sei's geklagt, alles Kleinigkeit. Wer
mir das an meiner Wiege gesungen hätte.“
Frau Delius liebte solche Ausdrücke. Ihre Wiege hatte zwar in einer viel ärmlicheren Umgebung gestanden, als das kleine Landhaus war. Gesungen hatte ihr überhaupt niemand etwas an ihrer Wiege, dazu hatten Vater und Mutter keine Zeit. Trotzdem glaubre die Dame selbst daran, daß sie zu einem glänzenderen Geschick geboren worden war. Als sie Professor Delius als armes Ladenmädchen hatte kennen geHapt unsie zu seiner Frau machte, stieg ihr der Gang zu Sie warf das Geld mit vollen Händen aus, das ihr
der schwache und blind verliebte Gatte immer wieder gab.
— Heute mittag fand in der Gruft von Mirow die Beisetzung des Herzogs Karl Borwin von Mecklenburg=Strelitz
statt. Anwesend waren unter anderen der Großherzog, der Erbgroßherzog, ferner als Vertreter des Kaisers Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen.
Zum Fall Schücking. Weshalb der Regierungspräsident von Schleswig in den Urlaub geschickt worden ist, darüber meldet der Berliner Korrespondent der„Frankrurter Zeitung" seinem Blatte:„Der Minister hat offenbar dem Regierungspräsidenten, nachdem das Disziplinarverfahren nicht mehr rückgängig zu machen war, für die Ueberwachung desselben ganz bestimmte Weisungen gegeben, und diese Weisungen hat der Regierungspräsident aus Gründen, über die man verschieden denken kann, nicht befolgt, ganz besonders nicht befolgt dadurch, daß er die Zeugenvernehmung in Frankfurt, aus der sich das Zeugniszwangsverfahren ergab, nicht verhindert hat. Daraufhin ist er in Urlaub geschickt worden, nicht aus politischen Gründen, sondern einfach wegen Nichtbefolgung ganz bestimmter Weisungen des Ministers.“— Die Ungeschicklichkeit des Regierungspräsidenten von Schleswig in der Behandlung des Falles Schücking wird jetzt von allen Seiten zugegeben, selbst von denjenigen, die keine günstige Gesinnung gegen die Liberalen hegen. So heißt es in der„Rhein.=Westf. Ztg.“:„Die
vielen publizistischen Ungeheuerlichkeiten, die politische
Ahnungslosigkeit, die journalistische Naivetät, die im Schlesmiger Regierungspalast produziert worden sind, zeigen, daß der Herr Präsident unbeschadet aller Verwaltungstüchtigkeit nicht einer schwierigen politischen Krise gewachsen ist, wozu sich doch nun einmal der an sich völlig unpolitische Fall Schücking durch vie Blockvolitik ausgewachsen hat.“
Die vor einigen Tagen von uns gebrachte Nachricht. daß Freiherr Hugo Zorn von Bulach definitiv zum Nachfolger des Staatssekretärs von Köller ausersehen sei, wird jetzt amtlich bestätigt. Der Kaiser hat bei seinem letzten Aufenthalt in den Reichslanden den Genannten endgültig als Nachfolger des Staatssekretärs ausersehen. Die in Aussicht stehende Ernennung erregt, da hierdurch ein Einheimischer mit dem bedeutendsten Amte in den Reichslanden betraut wird, allgemeine Zufriedenheit. Man hegt die Erwartung, daß Freiherr Zorn von Bulach sowohl die Aufgaben der Gegenwart, wie die der Zukunft in bester Weise für die Reichslande erledigen wird.
In einem Rückblick auf das 11. deutsche Turnfest äußert sich Dr. Ferd. Götz, der Vorsitzende der deutschen Turnerschaft, über das vielbesprochene Protektorat in sehr freimütiger Weise. Er sagt:„Ich habe mich für das ganze Protektorat nicht begeistert, nachdem man sich von oben bis dato garnicht um unsere deutsche Turnerschaft bekümmert hatte, habe mich aber selbstverständlich den Wünschen der Frankfurter und des Ausschusses gern gefügt. Daß der Kaiser trotz seiner vielen Reisen, zu denen er Zeit hat, nicht annahm, ist seine Sache— eine prächtigere Gelegenheit, Dank und Huldigungen bei unserem Feste einzuheimsen, hat er wohl noch nicht gehabt! Daß der Kronprinz annahm, seiner Jagden wegen aber nicht kam und dieselbe Gelegenheit versäumte, wie der Kaiser ist vollends unverständlich. Es kam also Prinz Oskar, und wer mit ihm verkehrte, wer ihn auf dem Festvlatz und im Privatgespräch hörte, der muß zugeben, daß der Prinz trotz seiner Jugend die Herzen eroberte. Ich habe es daher, und um der Wahrheit Ausdruck zu geben bei dem Festessen, das der Feitausschuß dem Prinzen
und einer nicht großen Schar Auserwählter gab, offen ausgesprochen, daß das Nichtkommen des Protektors in der deutschen Turnerschaft schmerzliche Gefühle und Verstimmungen geweckt habe, daß aber das Erscheinen des Prinzen, sein ganzes Auftreten und seine markigen Worte das beste Mittel gewesen seien, die Verstimmung zu verscheuchen. Ein Fest, wie das unsere, haben die Herren wohl nicht vermutet, und ich glaube, wenn wir in Kürze noch ein solches Fest hätten, käme der Kronprinz seher:
Lokales und uus dem Kreise.
Ohligs, 1. September.
□ Dic 38. Wiederkehr des Tages von Sedau zeigt auch in diesem Jahr die alte gehobene Stimmung und freudige Erinnerung an den großen Ehrentag deutscher Nation, und die Festfeiern, wo und wie sie bisher bestanden, werden getreu eingehalten werden. Sind sie zum erheblichen Teil Schulfeiern und festliche Veranstaltungen der Kriegervereine, so hat sich doch auch in nicht wenigen mittleren und kleineren Städten eine ziemlich allgemeine Teilnahme der Bürgerschaft aufrecht erhalten. Ueberall aber werden insbesondere die Veteranen des großen Jahres ihrer Erlebnisse in jener gewaltigen Zeit gedenken, in welcher alle kleineren Mühen und Sorgen des Tages vergessen waren im todesmutigen Ringen um das Höchste, um ein einiges Vaterland. Niemand denkt mehr an die einstige Feindschaft, die ist längst vergessen; in Straßburg haben bei der letzten Kaiser=Parade alte deutsche und französische Veteranen Schulter an Schulter gestanden und den obersten Kriegsherrn begrüßt, der sich darüber von Herzen gefreut und gesagt hat:„So ist's recht!“ Deutschlands Einigung ist der beste Schirmer des Friedens geworden, und was uns seit 38 Jahren gelungen ist, soll, wie wir zuversichtlich hoffen, auch ferner gelingen. In dem treuen Gedenken an eine große Vergangenheit, im Aufblick an eine segensreiche Zukunft wollen wir voranmarschieren, und eine Generation soll das der anderen als heiligstes Gebot übermachen, festzuhalten an deutscher Ehre, einzustehen für deutsche Größe!— Aus unserem Leserkreise geht uns folgende voetische Würdigung des Tages zu:
Der sterbende Grenadier bei Sedan.
(„Geschichtsbilder.“)
Es hat gesieget germanische Macht;
Der gallische Stolz ist gebrochen Bei Sedan in der blutigen Schlacht,
Der sich noch spreizte vor Wochen.
Doch, sieh! Ein sterbender Grenadier Mit fast erbleichenden Wangen!
Sein Ohr, es lauschte dem Rufe mit Gier:
Hurra! Der Kaiser gefangen!
Er sieht der Siegenden Banner weh'n,
Es hört der Brüder Frohlocen;
Es ist, als kläng' ihm das Siegesgetön'
In's Ohr der heimischen Glocken.
Er rafft zusammen die letzte Kraft Und preßt die Hand auf die Wunde:
Es ist, als ob's ihm Erleicht'rung schafft'! Hoch schwingt er den Arm in die Runde.
was
Sie
Sie
er bsce ee e e mußte angeschafft werden. Sie wollte glänzen und gefallen wollte beneibet werden. So führte sie den Ruin herbei und nun war mit der Schönheit auch der Glanz entflohen. Das betrachtete sie aber als ein unverdientes und grausames Geschick. Daß ihr Mann und ihre Stieftochter unter den ungünstigen Verhältnissen ebenfalls zu leiden hatten, galt ihr nichts. Nur sie selbst kan sich bedauernswert vor. Ja— wenn sie ihre
Jugend und Schönheit noch besessen hätte, dann hätte sic doch noch einen Wechsel auf die Zukunft gehabt. Aber so blieb ihr da noch vom Leben.
Eva Marie kannte diese Klagelieder zur Genüge. ignorierte sie vollständig.
„Du mußt mehr Geduld mit Minna haben. Mama. hat wirklich den guten Willen, alles gut zu machen, ist nur noch zu jung und unbeholfen.“
„Das ist ja das Elend. Glaubst Du, sie kann mir eine Bluse ordentlich schließen oder meine Stiefel richtig zuschnüren? Da, sieh Dir das an, erst waren sie viel zu fest, nun sieht es aus, als ob ich Elefantenfüße hätte. Ich, mit meinen kleinen Füßen, die einen Dichter begeistert haben.“
„Laß mich versuchen, ob es mir besser gelingt, ich hab' Dir doch schon oft angeboten, Dir bei der Toilette zu helfen.“
Frau Delius zog schnell den vorgestreckten Fuß wieder zurück.
„Nein— laß nur. Es soll wohl dann heißen, ich erniedrige meine Stieftochter zur Kammerzofe. Als Stiefmutter wird man schon so genug bekrittelt.“
Grunde hätte sie Eva Marie sehr gern dieses Amt zuerteilt, ihrer geschickten Hände und des vornehmen Geschmackes wegen. Sie wollte nur nicht, daß diese hinter ihre zahlreichen Toilettengeheimnisse kam, das wäre ihr doch genierlich gewesen.
Das junge Mädchen trat zurück und wollte das Zimmer verlassen.
„Wo willst Du hin, Eda Marie?"
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„Ja— lauf Du nur sorglos draußen herum und laß mich mit meinem Kummer hier allein. Ich kann ja sehen, wie ich mit meinen Sorgen fertig werde.“
Das junge Mädchen kam zurück und stellte sich an den Tisch, ihrer Stiefmutter gegenüber.
„Wir müssen abwarten, bis der neue Herr von Burgwerben einzieht, Mama. Das kann heute oder morgen schon geschehen. Rechtsanwalt Beckmann und Inspektor Scheveking wollen gleich in den ersten Tagen mit Herrn von Leyden sprechen über den Ankauf unseres Hauses.“
„Das ist auch so ein bitterer Tropfen in meinen Leidenskelch, daß ich diesem groben, unverschämten Scheveking noch gute Worte geben soll.“
„Das sollst Du nicht— ich habe ihn schon darum gebeten. Er ist gar nicht so schlimm, poltert nur zuweilen ein wenig. Wir haben ihm schon manche Gefälligkeit zu danken und Papa hielt viel von ihm.“
Frau Delius zuckte die Achseln.
„Dein Vater— der sah ja an jedem Menschen nur die edelsten Eigenschaften, deshalb ist er auch von allen Seiten ausgenützt worden und wir haben nun die Folgen zu tragen. Ach, es war ein Elend mit diesem schwachmütigen Mann.“
Eva Marie wurde blaß und ihre Augen erschienen fast schwarz, als sie sich zürnend auf ihre Mutter hefteten.
„Du sollst so nicht von Papa reden, ich kann es nicht hören. Ja, gut und edel war mein Vater, deshalb glaubte er allen Menschen. Aber Du sollst ihn deshalb nicht schelten.“
„Aber Du kannst doch nicht in Abrede stellen, daß er uns in trostlosen Verhältnissen zurückgelassen hat. Von dem Erlös für die Bücher hab ich, trotz aller Knauserei, kaum noch zweihundert Mark über. Davon sollen wir leden, bis das Haus verkauft ist. Und dann geht das Eleno weiter, Wenn wir im günstigsten Falle fünfunddreißigtausend Mark bekom