Nr. 158, 1. Blatt.
Mittwoch, den 8. Juli 1908.
33 Jahrgang.
Druck und Verlag
von Wilhelm Müller jr. in Ohligs. Telephon=Anschluß Nr. 40.
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Die heutige Nummer umfaßt 6 Seiten.
Politische Nachrichten.
Berlin, 7. Juli.
Der Kaiser auf der Nordlandfahrt. Die Jacht„Hohenzollern“ mit dem Kaiser an Bord ging Montag abend in See und passierte am Dienstag Kopenhagen.
Die Kaiserin wird mit der Prinzessin Viktoria Luise am nächsten Montag, den 13. Juli auf Schloß Wilhelmshöhe zu einem mehrwöchigen Sommeraufenthalt eintreffen.
— General v. Einem und Graf Zeppelin. Graf Zeppelin gab folgende Erklärung aus:
Die jüngsten Tage boten mir bisher keine Muße zur Kenntnisnahme von den Auslassungen der Presse, in denen ganz grundlose Anschuldigungen gegen den preußischen Kriegsminister v. Einem, meinen besonders hochgeschätzten Kameraden, erhoben wurden. Vielfach im Tone des Pharisäertums und der Splitterrichterei, wie er bedauerlicher Weise noch zuweilen in dem Verkehr zwischen Nord und Süd in Deutschland durchklingt. Grundlos ist selbstverständlich vor allem die Anschuldigung, der Kriegsminister v. Einem habe von mir das Auffahren während eines herrschenden starken Sturmes gefordert. Einem Manne über, der, wie Se. Exzellenz, durch sein Vertrauen zu meinem Vorgehen mir eine Lotterie in Preußen verschaffte und dadurch allein mein Unternehmen vor dem Untergang rettete, der stets die größte Unparteilichkeit zwischen den drei deutschen Luftschiffsystemen zu üben bestrebt war, und der sich noch in jüngster Zeit mit außerordentlichem Ueberzeugungsmut und vornehmster Gesinnung unter dem Beifall des ganzen deutschen Volkes hohe Verdienste um die Aufrechterhaltung von Ordnung und Disziplin im deutschen Heere erworben hat, einem solchen Manne vergebe ich von ganzem Herzen, wenn er in mit den Tagen und Stunden wachsendem Unmut über sein Ferngehaltensein von seinem verantwortungsvollen Amt, ohne den Zweck seines Verweilens bei mir erfüllt zu sehen, kaum erholt von seiner durch Ueberarbeitung hervorgerufenen Erkrankung, in nervöse Erregung gerät, die ihm für den Augenblick die ruhige Beurteilung der Lage und die richtige Auffassung des ihm Gesagten entzieht. Mir bleibt kein anderes Empfinden für den hochverdienten trefflichen Mann als das der vollkommensten Hochschätzung und kameradschaftlicher Zuneigung. Graf Zeppelin.
Die Reichstagswahl von 1907 hatte heute noch ein Nachspiel vor der Frankfurter Strafkammer. In der sozialdemokratischen Frankfurter Volksstimme war am Tage vor der Stichwahl ein Bild erschienen mit Text, das der Mannheimer sozialdemokratischen Zeitung entnommen war, sechs Neger am Galgen zeigte und die Ueberschrift:„Wie unsere nationale Ehre gewahrt wird." Der Redakteur des Mannheimer Blattes wurde wegen dieser Sache seinerzeit auf Antrag des Kolonialamtes zu einem Monat Gefängnis verurteilt; bei der Volksstimme mußte Einstellung des Verfahrens erfolgen, weil der Strafantrag zu spät gestellt war.
Folgen der Schiwara=Affäre. Infolge der SchiwaraHochverrats=Affäre stehen in dem westfälischen Armeekorps weitgehende Veränderungen bevor. Gegen eine Reihe von Offizieren ist wegen Außerachtlassung der nötigen Vorsicht ein Disziplinarverfahren eröffnet worden.
Toneasurnih.
Gerätst du in Zorn, so zähle bis zehn; erzürnst du dich gar zu sehr, so zähle bis hundert. Jefferson.
nach
Roman von Hans Schulze.
(Nachdruck verbeten.)
1. Kapitel.
Die Forstersche Fabrik galt als eins der bedeutendsten industriellen Unternehmen des Berliner Textilgewerbes.
Vor dreißig Jahren war der gegenwärtige Besitzer aus der Niederlausitz nach der Reichshauptstadt gekommen und hatte hier zunächst in bescheidenstem Umfange eine Handweberei nach heimatlichem Muster eingerichtet.
Dank seines unermüdlichen Eifers, seiner Umsicht und Tatkraft war das kleine Etablissement im Laufe weniger Jahre schnell emporgeblüht; zurzeit beschäftigte es über tausend Arbeiter an mehr als sechshundert Webstühlen; die umfangreichen Fabrikanlagen bedeckten ein ganzes Straßengeviert in der Landsberger Allee.
Aus dem einfachen Webergesellen war in drei Dezennien ein Mann geworden, dessen Name eine finanzielle Macht im Exwerbsleben des Berliner Ostens bedeutete und dessen geschäftliche Verbindungen sich über den ganzen Erdball erstreckten.
Diese Gedanken gingen dem Kommerzienrat Forster,
einem breitschultrigen, bereits stark ergrauten Herrn unwillvom 2. durch den Kopf, als er jetzt mit seinem Sohne Georg
Leyrter Bahnhof her über die Moltkebrücke in den frühngsfrischen Tiergarten hineinfuhr.
##. Der hochgewachsene, sonnengebräunte Mann an seiner
sse war derselbe, den einst sein junges Weib noch an der
Die Kieler Landesverrats=Affäre. Trotz der streng geheimen Behandlung der Landesverratsangelegenheit wird bekannt, daß es bisher nicht gelungen ist, von der„Sprachlehrerin“, Petersen und dem Oberfeuerwerksmaaten Dietrich zu erfahren, welchen Verrat sie außer dem ihnen nachgewiesenen noch geplant aber nicht ausgeführt haben. Daß es sich um ein sehr wichtiges Geheimnis für die Landesverteidigung handelte, steht fest, da ihre Gespräche, in der Wohnung der Petersen von Kriminalbeamten belauscht worden sind. Die Untersuchungsbehörde bedauert, daß die Landesverratssache öffentlich bekannt geworden ist. Sie glaubt, daß ihr dadurch die Spuren, die auf eine ganze Reihe Matrosen führen, verwischt worden sind, andererseits ist die Behörde, wie sich jetzt von neuem ergibt, selbst außer Stande, Diskretion zu bewahren, da die Ergebnisse der Vernehmung öffentlich erzählt werden.
Der Aussperrungsbeschluß der bayerischen Metall=Industriellen. Der Verband bayerischer Metallindustrieller hat seinen Aussperrungsbeschluß nicht zurückgenommen. Auf direkte Anfrage des Bundes der technischen und industriellen Beamten ist geantwortet worden, den beteiligten Verbänden werde erst später Gelegenheit zur Klärung der gegenseitigen Stellungnahme gegeben werden.
Zum Fall Eulenburg=Pierson bringen die„Dresdener Neuesten Nachrichten“ ein Schreiben des Fürsten zu DohnaSchlobitten an den Fürsten Philipp zu Eulenburg, das ein bezeichnendes Licht auf die in letzter Zeit mehrfach erörterte Angelegenheit wirft und folgendermaßen lautet:
Berlin, den 18. Dezember 1901. Geehrter Fili! Es erscheint mir Pflicht, Dir über den Verlauf der Angelegenheit zu berichten, welcher der Gegenstand unseres letzten Briefwechsels war. Wie Du weißt, geht meine Auffassung von Freundespflichten sehr weit und rechne ich in erster Linie absolute Wahrhaftigkeit gegenseitig für die vornehmste dieser Pflichten. Jedenfalls weißt Du schon, daß Bolko sämtliche Beamte der Königlichen Generalintendantur darüber hat vernehmen lassen, ob sie irgend jemand gegenüber (der Name Hülsen=Häseler wurde natürlich niemandem gegenüber genannt) eine Redensart gleich der, wie Du sie mir vom General Hülsen=Häseler herrührend und Dir gegenüber in Rominten gefallen, mitgeteilt hast, gemacht hätten.(Diese oder vielmehr einige Beamte sollten doch zu Hülsen=Häseler gesagt haben, daß sie die Bücher so führen mußten, wie sie es nicht verantworten könnten.) Nachdem sämtliche Beamte auf ihren Diensteid versichert, daß sie niemand gegenüber eine solche Redensart gemacht hätten, weil sie unwahr wäre, schrieb Bolko an den General, daß ihm das mitgeteilt worden wäre, daß er die Beamten vernehmen lassen, und was sie geantwortet. Hierauf schrieb Graf Hülsen=Häseler, daß er die Geschichte nicht erzählt, und sagte mir auf der Hofjagd in der Göhrde, daß er mich versichern könne, in Rominten kein Wort über Bolko und die fragliche Untersuchung mit Dir gesprochen zu haben. Diese Geschichte gemacht, resp. erfunden zu haben, bleibt also auf Dir sitzen, und so scheint es mir mit den Enthüllungen der Frau Bach und den nicht bezahlten Rechnungen der Kautzkys schließich auch zu werden. Du bist ganz einfach so verlogen, daß es mir schwer auf das Gewissen fallen muß, einen solchen Kerl in die intime Gesellschaft unseres geliebten, Allergnädigsten Kaisers, Königs und Herrn gebracht zu haben. Wie soll denn dieser groß und vornehm, vor allem aber durchaus gerecht denkende Monarch von uns denken, wenn das alles einmal bekannt wird? Und
best hete escite cecict eee nur ein paar hundert Taler in der Tasche, in dem menschenüberfüllten Koupee vierter Klasse bangen Herzens Berlin entgegengefahren war.
Mit väterlichem Stolze musterte er heimlich die stattliche Erscheinung seines einzigen Sohnes, den ihm der Hamburger Schnellzug wenige Minuten zuvor nach mehrjähriger Abwesenheit wieder zugeführt hatte.
Kein eigentlich hübsches Gesicht, etwas unregelmäßig vielmehr, fast grob geschnitten, aber mit energischem Ausdruck in den stahlblauen Augen, das Abbild seiner verstorbenen Mutter in jeder Haltung und Bewegung.
„Du wirst zu Hause vieles geändert finden", nahm der Vater jetzt das auf einige Augenblicke verstummte Gespräch wieder auf, während die Equipage unter dem schattigen Laubgange der Großen Querallee lautlos dahinrollte.„Drei Jahre sind eine lange Zeit!"
„Ich freue mich schon sehr auf Dein neues Heim," war die Antwort,„obgleich ich Dir nicht verhehlen will, daß es mir einen Stich gegeben hat, als Du mir schriebst, Du hättest unser altes Haus in der Landsberger Straße aufgegeben und Dich dafür im Tiergarten angesiedelt! Der Zug nach dem Westen.“
„Ich konnte das Grundstück vor zwei Jahren billig erwerben“, versetzte der Kommerzienrat etwas hastig.„Und dann wurde auch ein Lieblingswunsch Lizzies, meiner Frau, verbesserte er sich, damit erfüllt!"
„Das letzte war ja dann wohl auch für Dich ausschlaggebend!"—
„Gewiß, Georg! Warum soll ich vor Dir daraus ein Geheimnis machen. Als ich mich zu meiner zweiten Ehe entschlossen hatte, glaubte ich meiner jungen Frau auch einen anderen Rahmen schuldig zu sein, als ihn unser ja wohl sehr ge
daß dies geschieht, wenn Bolko mit seinem Pierson die Generalintendantur auf Sr. Maj. Befehl hätte verlassen müssen, dafür garantiere ich Dir. Bolko müßte dann, um seine vor der Oeffentlichkeit angegriffene Ehre zu retten, die Machenschaften, die zu seinem Abgange führen, aufdecken, und die Veröffentlichungen zu verheimlichen Seiner Majestät gegenüber, wird wohl kaum gehen. Wenn Du Dir also dauernd die Freundschaft Sr. Majestät erhalten willst, bist Du jetzt in die Zwangslage versetzt, entweder S. M. oder Bolko gegenüber zu erklären, daß Du Dich geirrt, daß Du Herrn Geheimrat Pierson durch Verbreitung derartiger Gerüchte bitter unrecht getan, weil Du seine Tätigkeit zu beurteilen gar nicht imstande, und meinethalben, daß Du selbst getäuscht worden seist oder Dich getäuscht hättest. Es sind nur Deine innigen Beziehungen zu Eberhard und die alte, bis jetzt ungetrübte Freundschaft unserer Familien, welche mich vermocht haben, in dieser traurigen Sache noch einmal an Dich zu schreiben. Hoffentlich bist Du mir für diesen Entschluß dankbar. Ich kann nun einmal aus meinem Herzen keine Mördergrube machen.
Der Verfasser dieses Schreibens, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, Fürst zu Dohna=Schlobitten, bei dem der Kaiser jedes Jahr einige Zeit als Jagdgast zu weilen pflegt, ist wegen seines aufrichtigen Charakters und seiner Wahrheitsliebe vorteilhaft bekannt.
Die„Ostpreußische Zeitung" wird autorisiert, mitzuteilen, daß der von den„Dresdener Neuesten Nachrichten“ abgedruckte Brief des Fürsten zu Dohna=Schlobitten an den Fürsten zu Eulenburg authentisch ist, daß aber Fürst Dohna der Veröffentlichung fernsteht und sie weder veranlaßt noch gewünscht hat und auch nichts von ihr gewußt habe.
Frankreich.
Das Reiseprogramm Fallières. Das Programm der des Präsidenten Fallières ist abgeändert worden. Der Präsident wird etwas früher abreisen und zuerst Dänemark, Norwegen und Schweden besuchen. Der Präsident trifft am 20. Juli in Kopenhagen, am 23. Juli in Christiania ein und reist am 24. Juli nach Stockholm, wo er am 25. Juli eintrifft. Am 27. Juli, vormittags 11 Uhr, trifft er auf der Revaler Reede mit dem Zaren zusammen.— Admiral Touchard, der französische Botschafter in Petersburg, ist nach Paris abgereist. Portugal.
Staatsvorschüsse König Carlos. Eine durch Vertrauensbruch ermöglichte vorzeitige Veröffentlichung des teilweisen Ergebnisses der Untersuchung der Prüfungskommission wegen Vorschüsse an das königliche Haus durch den„Diario de Noticias“ erregte ungeheures Aufsehen. Der erste Vorschuß ist aus dem Jahre 1890 und wurde von Joao Franco gegeben, die Hauptsummen in den Jahren 1898 bis 1900 von Espregneira. Das heutige Guthaben des Staates beträgt rund 3000 Contos oder 16 Millionen Mark. Augusto José da Cunha, jetzt ein bedeutendes Mitglied der Republikanischen Partei, war als Parteimann ebenfalls in die Angelegenheit verwickelt.
England.
Das Geheimnis der Nurdsee. Mit veinlicher Sorgfalt wacht die englische Admiralität darüber, daß sich während der jetzigen Manöver in der Nordsee kein Fremder an Bord der Schiffe aufhält. Ein Reservatbefehl des Marine=Ministeriums verbot sämtlichen Schiffsoffizieren die Einladung von Gästen. Dieses Verbot, das im letzten Moment und sehr unerwartet ankam, hatte zur Folge, daß sehr viele Privatpersonen, die sich als Gäste auf die Schiffe begeben hatten, sich im letzten Augen
mütliches, aber doch auch reichlich dunkles und unbequemes Stammhaus bieten konnte!“
„Wir haben uns darin doch alle sehr glücklich gefühlt!"
„Georg, warum diese Bitterkeit? Ich glaubte, wenigstens Du würdest hochherzig genug sein, mich Dein Mißfallen an meiner Wiederverheiratung nicht gleich im ersten Augenblick auf diese Weise fühlen zu lassen!"
„Aber Vater“——
„Laß nur Kind! Ich weiß, was Du sagen willst. Meine Worte sollen ja auch kein Vorwurf für Dich sein. Es ist ja schließlich nur natürlich, daß Du Lizzie zunächst als eine Feindin betrachtest, als einen Eindringling, der in die Stelle Deiner Mutter eingetreten ist. Weshalb aber diese Voreingenommenheit? Lerne sie erst kennen und dann urteile über sie und mich. Sieh mal,“ fuhr er lebhafter werdend fort,„ein jedes Ding hat seine Geschichte. Als Deine Mutter vor vier Jahren starb, da dachte ich selbst nicht im entferntesten daran, daß ich mich sobald noch einmal verheiraten würde. Deine Mutter war mir eine Freundin gewesen im besten Sinne des Wortes, die Freud und Leid mit mir teilte und deren klugem Rate ich manchen großen geschäftlichen Erfolg verdanke. Darum wog der Verlust, den ihr Tod für mich bedeutete, auch so unendlich schwer. Es war die Vereinsamung, die mir allmählich immer drückender zum Bewußtsein kam! Du gingst ins Ausland, Käthe war noch viel zu jung, um mir etwas sein zu können. Da trat Lizzie in mein Leben; ihre Stellung als Erzieherin Käthe's gab mir reiche Gelegenheit, sie zu beobachten und ihren Charakter zu studieren. Und auf einmal überkam mich die Sehnsucht nach einem neuen häuslichen Glück so gewaltig, daß ich mir eines Tages ein Herz faßte und sie fragte, ob sie die Meine werden wolle. Nach dreitägiger Bedenkzeit willigte sie ein. Und ich kann Dir versichern, daß ich diesen Schritt noch nicht eine Minute bereut habe!"