33. Jahrgang.

Nr 135. 1. Blatt.

Sonnerstag, den 11 Juni 1908.

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ac kind Verlag für die Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn= u. Feiertas­

Expedition: Rathausstraße 44. Telegramm=Adresse: Anzeiger, Ohligs.

Druck und Verlag von Wilhelm Müller jr. in Ohligs. Telephon=Anschluß Nr. 40.

und Umgegend.

Als Gratsberlage wird der Samstagsausgabe ein Mntriertes Unerb gsblat betgelegt, abgehostpro Monat eb Pig, Vosbeug viertelähel 2 pn

Für die Aufnahme der Anzeigen an bestimmt vorgeschriebenen Tagen oder Plätzen können wir keine Verantwortung übernehmen, jedoch werden die Wünsche der Auftraggeber möglichst berücksichtigt.*

Die heutige Nummer umfaßt 6 Seiten.

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Politische Nachrichten.

Berlin, 10. Juni.

Unfall der Kaiserin. Die Kaiserin hat sich heute mor­gen, wie aus dem Neuen Palais bei Potsdam gemeldet wird, durch Sturz mit dem Pferde, wie durch den Oberstabsarzt Dr. Wiemuth und den Professor Dr. Wolff sofort festgestellt werden konnte, einen Bluterguß auf dem rechetn Handrücken zugezogen. Anderweitige Verletzungen, speziell eines Knöchels, liegen nicht vor. Die Kaiserin blieb nach dem Sturz bei vollem Bewußtsein. Die Kaiserin hatte mit dem Kaiser den gewohnten Spazierritt vom Neuen Palais bei Potsdam durch den Park von Sanssouci unternommen. Auf dem Rück­wege waren beide Majestäten gerade in lebhafter Unter­haltung, als das Pferd der Kaiserin in unmittelbarer Nähe des Schlosses Sanssouci strauchelte und mit den Vorderbeinen einsank. Die Kaiserin glitt aus dem Sattel und schlug mit der rechten Hand auf den Kies, wobei der Bluterguß eintrat. Dieser Unfall der Kaiserin ist der sechste seiner Art. Der erste geschah im Sommer 1899 bei Berchtesgaden, wo die Kaiserin auf schlüpfrigem Boden zu Fall kam und sich eine Beinverletzung zuzog. Im August 1902 trat die hohe Frau in Kadinen fehl, wodurch eine Fußverstauchung entstand. Im März 1903 brach die Kaiserin im Grunewald bei Berlin durch Sturz mit dem Pferde den rechten Unterarm. Im Mai 1905 kam die Kaiserin im Wiesbadener Schlosse auf einer Wendel­treppe zu Fall. Die Folgen bestanden in einer leichten Stirn­wunde und in einer Fußverstauchung. Und im August 1907 glitt Ihre Majestät in Wilhelmshöhe bei Kassel auf dem durch Regen erweichten Erdboden aus. Damals entstand eine Ader­verletzung am linken Bein. Dazu kommt als sechster der jetzige Fall.

Vom Minister der öffentlichen Arbeiten ist die Ein­richtung getroffen, daß auf den bedeutenden Linien des Staatseisenbahnnetzes je eine der beteiligten Eisenbahn­direktionen alsgeschäftsführende Verwaltung mit der Sorge für eine einheitliche Handhabung des Eisenbahnbetrie­bes vorzugsweise betraut wird. So wird beispielsweise die Geschäftsführung für den durchgehenden Zugverkehr zwischen Berlin und Frankfurt=Main, sowie zwischen Hamburg und Frankfurt=Main der Eisenbahndirektion Frankfurt=Main, zwischen Berlin und Köln der Eisenbahndirektion in Hannover übertragen werden. Die geschäftsführenden Verwaltungen sollen nach den hierüber erteilten Weisungen mit den beteilig­ten Eisenbahndirektionen in erster Linie dahin wirken, daß die Fahrpläne der durchgehenden Züge nach einheitlichen Grundsätzen aufgestellt werden.

Nach dem Ergebnis der Wahlmännerstichwahlen zum Abgeordnetenhause erhielten im Berliner 4. Wahlkreise ins­gesamt die Freisinnige Volkspartei 311, die Sozialdemokraten 178 Wahlmänner, die Wahl Dr. Müllers=Sagan ist gesichert. Im 5. Wahlbezirk erhielten die Freisinnige Volkspartei 230, die Sozialdemokraten 305 Stimmen; die Wahl des letzteren ist gesichert; im 6. Wahlkreise erhielten die Freisinnige Volks­partei 354, die Sozialdemokraten 386 Stimmen; die Wahl des Sozialdemokraten ist gesichert; im 9. Wahlkreise erhielt die

Freisinnige Volkspartei 180, die Sozialdemokraten erhielten 405 Stimmen; die Wahl des Sozialdemokraten ist gesichert; im 11. Wahlkreise erhielten die Freisinnigen 130, die Sozial­demokraten 346 Stimmen; die Wahl des Sozialdemokraten ist gesichert. Das schätzungsweise Ergebnis der Urwahl vom 3. Juni in diesen Wahlkreisen ist somit unverändert; in den übrigen Wahlkreisen finden heute nachmittag in der dritten Abteilung die Wahlmännerstichwahlen statt. Im 12. Wahlkreise findet Stichwahl zwischen Freisinn und Sozial­demokratie statt.

Wie dieVerkehrstechnische Woche" erfährt, sind Er­mittelungen darüber in die Wege geleitet, welche Wasserkräfte in dem Berg= und Hügellande verfügbar sind, welche Kräfte für das öffentliche Interesse vorbehalten und welche an Private abgegeben werden sollen. Für die Ausführung der Vorarbeiten hat der preußische Arbeitsminister bereits einen Betrag von 50000 Mark vom Finanzminister beansprucht, der voraussichtlich auch bewilligt werden wird Mit den Vor­arbeiten soll die Landesanstalt für Gewässerkunde betraut werden.

Ueber den Fall Eulenburg laufen widersprechende Mel­dungen um. Nach Berliner Blättern soll nicht nur die An­klage wegen Meineids erhoben, sondern sollen auch bereits die Akten dem Verleidiger zugestellt worden sein. DieMünch.

Nachr. schreiben dagegen: Die Akten mit den Protokollen über die Vernehmungen weiterer hiesiger Zeugen sind erst am Samstag nach Berlin abgegangen und können(konnten, als bereits von der Erhebung der Anklage berichtet wurde) somit von dem Untersuchungsrichter noch gar nicht geprüft worden sein. Außerdem hat der Berliner Untersuchungsrichter neuer­dings ein Ersuchen an das Münchener Gericht um Vernehmung eines weiteren Zeugen gestellt, die erst in den nächsten Tagen vor dem Ermittlungsrichter im Rechtshilfeverfahren erfolgen wird. Ein Abschluß der Voruntersuchung ist nicht möglich, bevor nicht alle Vernehmungen erledigt und die Akten durch den Untersuchungsrichter geprüft sind.

Zur Danziger Tagung des Flottenvereins schreibt die Dtsch. Tagesztg. u..:Die Nachricht, daß der bayerische Landesverband bereits wieder mit der Eventualität des Aus­tritts droht, daß der Mühlheimer Verein das noch viel schroffer schon hat und manche anderen Meldungen über eine die Lei­denschaften erhitzende, die Gegensätze verschärfende Agitation zeigen, ws auf dem Spiele steht. Der Flottenverein steht erst jetzt vor der schwersten Krise, vor der wirklichen Entscheidung. Nachdem die Regierungen der Fürstentümer Schwarzburg­Rudolstadt und Schwarzburg=Sondershausen entschieden haben, daß der deutsche Flottenverein ein politischer Verein ist, haben die Landräte der beiden Staaten lautVoss. Ztg." nach

§ 17 des neuen Reichsvereinsgesetzes angeordnet, daß sämt­liche Schüler aus dem Flottenverein auszutreten haben. Da in einzelnen Städten ganze Schulklassen dem Verein ange­hören, dürfte die Zahl der Austrittserklärungen eine recht er­hebliche sein.

Heimkehr von der Afrikareise. Herzog Adelf Friedrich zu Mecklenburg=Schwerin hat seine große Afrikaforschungs­reise beendet und am Mittwoch von Buea in Kamerun die Heimreise angetreten. Ende des Monats ist er in Deutschland zu erwarten.

Die württembergischen Sozialdemokraten kümmern sich wie die hessischen wenig um die Parteidisziplin. Als der

Viele Wege gehn durch den Wald;

Wer nicht Bescheid weiß, verirrt sich bald.

Viele Wege auch durchs Leben gehn;

Mußt immer den dir ausersehn,

Ob mancher dich auch locken möchte,

Von dem dein Herz sagt:Das ist der rechte!"

Johannes Trojan.

Radine.

Von B. von der Lancken.

29)(Nachdruck verboten.)

Nein, Heinrich, an so etwas denke ich nicht, das wäre ja empörend; außerdem ist doch auch Nadines Großmutter da, ganz abgesehen von der Ehrenhaftigkeit des Mädchens selbst.

Die Ehrenhaftigkeit des Mädchens selbst, das ists, worauf ich mich verlasse. Die alte Tönning ist gebrechlich und stumpf. Verzeih, muß Dir Vergleich anführen, etwas derb, trifft aber. Wenn der Teufel nämlich nicht selbst kommen seine Großmutter Schnupfen hat, kann er für solche Geschäfte ebensogut die alte Brenkendorf schicken. Basta!"

Sophie Ulrike mußte wider Willen lächeln, sie sah wenig­stens, daß trotz alledem noch etwas Humor in dem Herzog steckte, trotz Kummer und Herzeleid, und das gab ihrem be­kümmerten Sinne die Hoffnung für bessere Zeiten, die noch einmal kommen würden.

*

*

Nachdem die Entscheidung gefallen und Nadine einiger­maßen ruhig geworden war, um ihre neue Lage zu überdenken, beschäftigte sie sich eingehend und ernstlich damit, sich ein Bild ihres weiteren Lebens zu schaffen, aber sie kam nicht zur Klar­heit. So rasch ein Plan gefaßt, so rasch wurde er wieder ver­

worfen, außerdem nahm die Neugestaltung der äußeren Ver­hältnisse sie auch fürs erste vollständig in Anspruch. Die Hofmarschallin hatte sich überzeugt, daß man in der groß­herzoglichen Familie Nadine sehr wohl wollte. Erbgroßherzog Louis hatte den Wunsch durchblicken lassen, sie möge dem jungen Mädchen zur Seite bleiben, sie freute sich daher, daß sie in diesem Falle zwei Herren so gut dienen konnte, und reiste frohen Sinnes nach Berlin zurück, wo Nadine so lange in einem vornehmen Pensionat gewohnt hatte.

Die sehr verwöhnte Kammerfrau wurde natürlich ent­lassen, eine recht hübsche Wohnung in der Lützowstraße wurde gemietet, der Zuschuß von Seite des Prinzen gestattete der alten Frau von Tönning das, und Dörthe trat wieder in den vollen Besitz ihrer langjährigen Rechte als alleinige Dienerin. Die kostbare Wäscheausstattung, soweit sie fertig und schon mit Nadines Namen versehen war, mußte sie wohl oder übel be­halten, die weitere Ausführung wurde abbestellt und die Ju­welen wanderten trotz des energischen Protestes der Hof­marschallin nach Rothenburg zurück; dagegen kamen ohne Na­dines Wunsch die Möbel ihrer beiden Zimmer mit nach Berlin, und aus Rücksicht für die Großmutter mußte sie dazu schwei­gen. Großmutter und Enkelin wohnten nun wieder zusammen.

Du bist kindisch, sagte die alte Frau.

Nein, Großmama, das bin ich nicht; ich würde mich auch nicht sträuben, die Sachen zu behalten, denn als der Prinz sie gab, gab er sie als Zeichen seiner Liebe, und als solche würden sie mir wert bleiben auch nach der Trennung. Du weißt aber, durch welche Worte er mich als seine Braut und als Weib ver­letzt und gedemütigt hat, und das allein ist der Grund, wes­halb ich sie nicht behalten mag.

Du hast ihn eben nie geliebt, wenn Du so sprechen kannst, bemerkte die Hofmarschallin achselzuckend, u. das Mädchen mit einem lauernden Blick streifend, fügte sie hinzu:Du gabst Dein Wort nur aus Berechnung, ich fand das ja auch sehr natürlich, sehe aber keinen Grund, weshalb man nicht in der­

württembergische Ministerpräsident jüngst einen parlmentari­schen Abend gab, waren auch die Mitglieder der sozialdemo­kratischen Landtagsfraktion erschienen.

Rußland.

Die Monarchenzusammenkunft vor Reval. Bei der gestrigen Galatafel an Bord desStandart" brachte Zar Nikolaus folgenden Trinkspruch aus:

Mit den Gefühlen der tiefsten Befriedigung und der Freude heiße ich Euere Majestät und Ihre Majestät die Königin in den russischen Gewässern willkommen. Ich ver­traue, daß diese Begegnung, indem sie die mannigfachen starken Bande, welche unsere Häuser verbinden, von neuem befestigt, den glücklichen Erfolg haben wird, unsere Länder enger zusammenzuführen, und daß sie die Aufrechterhaltung des Friedens in der Welt fördern wird. Im Laufe der letzten Jahre sind verschiedene Fragen von großer Bedeu­tung für Rußland und England durch unsere Regierungen in befriedigender Weise geordnet worden. Ich bin sicher, daß Euere Majestät den Wert dieser Vereinbarungen eben­so hoch schätzen, wie ich; denn trotz ihrer begrenzten Ziele können sie nur dazu beitragen, zwischen unseren beiden Ländern die Gesinnung gegenseitigen guten Willens und Vertrauens zu verbreiten. Ich trinke auf die Gesundheit Eurer Majestät, Ihrer Majestät der Königin und der könig­lichen Familie und auf die Wohlfahrt des britischen Volkes.

Der König von England erwiderte:

Eurer Majestät danke ich herzlich im Namen der Kö­nigin und in meinem eigenen für die herzliche Weise, in der Sie uns in den Gewässern der Ostsee willkommen heißen und für die gütigen Worte, mit denen Sie unsere Gesund­heit ausbrachten. Ich habe die glücklichsten Erinnerungen an den Willkomm, den ich bei Gelegenheit meiner früheren Besuche in Rußland von seiten Ihres erhabenen Großvaters, Ihres geliebten Vaters und Eurer Majestät selbst gefunden habe. Es ist eine Quelle aufrichtigster Dankbarkeit für mich, daß ich die Gelegenheit habe, mit Euren Majestäten wieder zusammen zu sein. Ich unterschreibe von ganzem Herzen jedes Wort, das Eure Majestät im Hinblick auf die kürzlich zwischen unseren beiden Regierungen geschlossenen Ueberein­künfte gesprochen haben. Ich glaube, daß sie dazu dienen werden, die Bande, welche die Völker unserer beiden Länder vereinigen, noch enger zu knüpfen, und ich bin sicher, daß sie in der Zukunft zu einer befriedigenden und freundschaftlichen Regelung wichtiger Fragen beitragen werden. Ich bin überzeugt, daß sie nicht nur dazu dienen werden, unsere beiden Länder näher zusammen zu bringen, sondern daß sie auch sehr wesentlich die Aufrechterhaltung des allgemeinen Weltfriedens fördern werden. Ich hoffe, daß dieser Begeg­nung in kurzem eine andere Gelegenheit folgen wird, mit Eurer Majestät zusammenzutreffen. Ich trinke auf die Ge­sundheit Eurer Majestät, auf die der Kaiserin Maria Feodo­rowna und der Mitglieder der kaiserlichen Familie und vor allem auf die Wohlfahrt und das Gedeihen Ihres großen Reiches.

Der König von England ernannte den Kaiser von Ruß­land zum Admiral der englischen Flotte. Kaiser Nikolaus besuchte das englische KriegsschiffMinotaurus und die JachtAlerandra, welche die britische Admiralsflagge hißte.

Heute abend findet auf besonderen Wunsch König Eduards eine Wiederholung der gestrigen Serenade statt.

selben Sache zum zweiten Male wieder aus Berechnung han­deln sollte.

Tante Brenkendorf, ich verstehe Dich nicht ganz.

Das tut mir leid dann müssen wir das Gespräch fallen lassen. Es giebt eben Dinge und Verhältnisse, die man nicht mit klaren Worten bezeichnen kann; ich hatte wirklich geglaubt, eine gelehrige Schülerin in Dir zu haben, Du hattest Deine Rolle bis zur Entsagungsszene sehr gut gespielt.

Tante Brenkendorf, ich bitte Dich, schweig!" rief jetzt Nadine mit vor Empörung flammenden Augen.Schon ein­mal hast Du eine ähnliche Aeußerung getan, ich wiederhole Dir, daß Deine Vermutung ebenso falsch, wie Deine verblüm­ten Ratschläge unehrenhaft sind. Ich will nicht besser, aber auch nicht schlechter dastehen, als ich bin.

Mit wogender Brust und geröteten Wangen trat sie vor die Hofmarschallin, die mit ihrer langgestielten Lorgnette spie­lend, im Sofa lehnte.

Hast Du weiter nichts zu Deiner Verteidigung anzu­führen? fragte sie spöttisch, ihre innere Wut mühsam unter äußere Ruhe zwingend,es ist herzlich wenig.

O, ich könnte mehr, viel mehr sagen, aber ich will es nicht, jedes Wort würde mir leid tun. Nur so viel sei noch be­merkt, daß ich den Prinzen zu lieben glaubte, als ich ihm mein Jawort gab, ich habe ihn bewundert von Anfang an besitzt er nicht alle persönlichen Vorzüge, die ein Frauenherz zu gewinnen imstande sind? Um wie viel mehr mich, ein harm­loses, unerfahrenes Mädchen, das sich über seine Gefühle nicht

Rechenschaft zu geben vermochte, ganz abgesehen davon, daß sein hoher Rang einen besonderen Nimbus um ihn wodk Jert,

hörst Du. Tante Brenkendorf, jetzt aber würde mich alles nicht mehr bestechen, denn mitten im höchsten Glanze, au außerordentlich hohen Stufe der Lebensstellung habe ich ken­

nen gelernt, daß das Glück, das wahre innere Glück, in dem wir allein Befriedigung finden können, unabhängig ist äußerem Schimmer."