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(10. Fortsetzung.)

Illustrierte Senntagsbeiluge ?u 6en Oüffel6erfer Neuesten Nachrichten"

Sonntag cien II. iDärr

Der Nanäwerksbursch.

Ein Lebensmärchen von Valtsr Zebmiät-Urlsolsr.

ISOS

(iNachdruck verboten.)

Wohl zehn Minuten mochte die Verfolgung schon gedauert haben, als der Wagen Julias plötzlich an der Ecke eines Platzes hielt, und zwar verabschiedete sie ihren Kutscher. Da der Taxameter dicht bei einer Laterne hielt, sah Oswald genau, wie sie zahlte, und wie der Kutscher ihr herausgab, was sie so lange aufhiclt, daß auch er bequem Zeit hatte, gleichzeitig seinen Rosselenker zu entlohnen.

Dann ging er schnell ans die andere Seite des Trottoirs und be­obachtete das weitere.

Ihr kleines Rcisetäschchcn in der Hand, schritt Julia an den Häusern entlang, aber so langsam, daß Oswald annehmen mußte, daß sie hier unbedingt jemanden erwartete.

Und er hatte sich nicht getäuscht, denn kaum war sie zwanzig Schritt gegangen, als aus einer Seitenstraße ein Herr heraustrat, schnell auf sic zuging und höflich den Hut zog, worauf sie ihm die Handtasche reichte und ihren Arm in den seinigen legte.

Leider war es auf der Seite, wo das Paar ging, so dunkel, daß Oswald unmöglich das Gesicht des Mannes sehen konnte. Es war eine hochgewachsene, schlanke Figur in eleganter Kleidung, der Gang war etwas wiegend, der Oberkörper beim Gehen ein wenig vornüber geneigt.

Sie durchschritten mehrere Straßen Oswald war immer etwa dreizig Schritt hinter ihnen.

Endlich machten sie vor einem vornehmen Hause Halt, und der Herr zog die Glocke beim Portier.

Vor dem Hause befand sich ein kleiner Vorgarten, hinter dessen Ge­büschen stehend Oswald ziemlich genau die durch eine große Laterne beleuchtete Haustür beobachten konnte. Die wenigen Sekunden, die bis zum Öffnen des Portals vergingen, genügten für den scharfen Beobachter vollkommen, und die Entdeckung, die er machte, überraschte ihn nicht im mindesten.

Er kannte den Mann genau. Es war derselbe, den er mit Julia danials im Walde und nachher in dem vorüberfahrendcn Zuge gesehen hatte, derselbe, dessen Handschuh mit dem eigenartigen Parfüm sich in seinem Besitz befand, ebenso wie der gefälschte Abschicdsbrief, der nur aus dem Notizbuch dieses Mannes stammen konnte.

Wenige Augenblicke später waren die beiden verschwunden, dumpf siel die Haustür hinter ihnen ins Schloß.

Aber noch eins glaubte der aufmerksame Beobachter auf seinem Posten im letzten Moment bemerkt zu haben, worauf er vorher gar nicht geachtet hatte und was für seine Kombinationen doch von großer Wichtig­keit war.

Um den kleinen Rcisehut hatte die Dame soeben beim Eintritt ins Hans einen dichten Schleier getragen, der sowohl ihr Gesicht als auch ihr volles rotes Haar vollständig verhüllte.

Wieviel also mußte ihr und ihm daran gelegen sein, von niemandem erkannt zu werden und ihre Anwesenheit möglichst geheim zu halten.

Oswald sah auf die Uhr. Es war präzise halb elf Uhr.

Dann merkte er sich die Hausnummer 24 und suchte an der nächsten Ecke den Namen der Straße.Hohensteinerstraße" las er deutlich beim Schein der Gaslaterne.

Dann ging er langsam bis znm nächsten Droschkenstand und ließ sich nach der Wohnung des Dr. Neumark fahren.

Am Hause fand er sein Schild und eine Nachtglocke, die er sofort zog, während er vorsichtigerweise den Wagen noch halten ließ. Es dauerte nur kurze Zeit, jo erschien eine Art Haushälterin und fragte höflich nach seinen Wünschen.

Ist der Herr Doktor zu Haus? fragte Oswald.

Darf ich den Herrn um seinen Namen bitten? Handelt es sich um einen Krankheitsfall?

Ja, um einen solchen handelt es sich, und zwar um einen außer­ordentlich dringenden," antwortete Oswald.Und wenn sie meinen Namen wissen wollen: Weber." .

Ah, dann sind Sie der Herr, den der Herr Doktor erwartet. Bitte wollen Sie sich mit hinaufbemühen?"

Der Herr Doktor erwartet mich?"

Ja seit einer Stunde etwa. Sie kommen doch von Schloß Neudeck?"

Jawohl," antwortete er verwundert, sagte aber nichts weiter, sondern scbickte seinen Wagen fort und folgte der Alten die Treppe hinauf. Es war eins von jenen alten Häusern in den Großstädten, die inmitten der modernen Neubauten wie vergessen stehen geblieben sind, mit ihrem alten Holzgetäfel, ihren knarrenden Tr-ppen und stockigen Tapeten. Im zweiten Stock stand die Entreetür auf, und im Korridor empfing Ncnmark lächelnd seinen späten Gast.

Nachdem er ihm herzlich die Hand geschüttelt hatte, sagte er zu der alten Wirtschafterin:So, Katbrin, Sie können nun zu Bett gehen, wir bedienen uns schon selbst. Wenn ich was brauche, weiß ich'k schon zu finden. Gute Nacht."

Damit öffnete er die Tür seines Arbeitszimmer, eines großen, be­haglich erleuchteten Raumes, und ließ Oswald eintreten

Dieser stutzte ein wenig, als sich bei seinem Erscheinen ein Herr aus einem breitlehnigeu Armstuhl neben dem Schreibtisch erhob und sich höfllich verbeugte.

Ich sehe Sie ein wenig verwundert, lieber Herr Weber," begann Neumark,und ich kann es Ihnen gar nicht übel nehmen, denn Sie werden von mir förmlich überrumpelt. Aber gestatten sie mir zunächst, Sie miteinander bekannt zu machen: Herr Fritz Weber, Kammerdiener des Grafen zu Neudeck Herr Wilhelm Gericke, Detektiv aus Berlin."

Oswald machte ein verdutztes Gesicht und sah bald den einen, bald den andern an, bis Ncumark fortfuhr:Sie können sich die Geschichte doch nicht enträtseln, lieber Eckstädt und sic ist im Grunde genommen doch so einfach. Nehmen Sic Platz, gestatten Sie mir, Ihnen ein Glas alten Chablis zur Erfrischung ihrer Lebensgeister einzuscheuken und hören Sie gefälligst zu.

Daß Sie heute mit der Baronesse nach der Residenz fahren würden, wußte ich ja, nicht wahr? Was lag also näher als die Voraussetzung, daß Sie mich nocb im Laufe des Abends aufsuchen würden, um mir das Ergebnis Ihrer Entdeckungsreise mitzuteilcn, denn nacb solchen auf­regenden Erlebnissen sehnt man sich unwillkürlich nach Mitteilung und hier kennen Sie ja niemanden als mich. Also durfte ich füglich auf Jbren Besuch mit Sicherheit hoffen."

Das war richtig kombiniert," sagte Oswald lächelnd.Ich mache Ihrer Logik mein Kompliment. Aber das erklärt mir noch nicht"

Wer ich bin und was ich hier will," mischte sich der als Herr Gericke vorgestellte fremde Herr ins Gespräch.Und dennoch haben Sie selbst mich von Berlin hierher beordert, Herr Doktor Eckstädt."

So wären Sie ja"

Der Reisebegleiter Ihres Freundes Dr. Keßler jawohl. Sic haben Herrn Dr. Keßler geschrieben, daß täglich der Arzt aus der Resi dcnz, Herr Dr. Neumark, den Herrn Grafen auf Neudeck besucht und nachmittags wieder zurückkehrt. Herr Keßler und ich kamen also dahin überein, daß er direkt mit der nächsten Verbindung nach Ncudcck weiter reisen, ich aber hier erst mit Herrn Tr. Neumarck über den ganzen Fall Rücksprache nehmen sollte. Wir konnten so früh bereits eintreffeu, da es uns in Berlin noch gelang, den Orient.Expreßzug zu erwische». Die Wohnung des Herrn Doktors mußte ja aus dem Adreßbuch zu erfahren sein.

Ich traf auch, wie Sie sehen, Herrn Dr. Neumark zu Hause, und da ich seine Vermutung teilte, daß Sie kommen würden, so habe ich mir gestattet, Sie gleichzeitig mit zu erwarten, damit nun wir drei in aller Bequemlichkeit beraten können, was nun geschehen soll. Ich glaubte, Ihnen auf diese Weise am besten Zeit und die Mühe ersparen zu können, Herrn Keßler und mich morgen erst in der Umgebung von Schloß Neu- dcck aufznsuchen."

Ich danke Ihnen verbindlichst für Ihr liebenswürdiges Entgegen­kommen !" sagte Oswald, der nun erst den Zusammenhang begriff.Ihr Besuch bei Herrn Dr. Neumark erspart mir allerdings in unserer

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