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2. Jahrgang

Sonntag, den# 13. Juni 1926

Nr. 24

K

Yochtouristil.

Es ist noch gar nicht so lange her, daß die Besteigung der mittleren und hohen Gipfel in den Alpen als ein wenig reizvolles und vor allem allzu gefährliches Unternehmen erschien. Förmliche Expeditionen, wie man sie heute etwa noch zur Erforschung der höchsten Gipfel im Himalaja aus­rüstet, wurden noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zur Besteigung des Großglockners ausgeschickt, und Mit glied einer solchen Expedition zu sein, galt damals als nicht weniger kühn und verwegen, wie die Gegenwart Achtung hat vor dem Mut der Polfahrer. Die Daten der ersten Be­steigung der hohen Alpengipfel liegen, soweit sich fest­stellen läßt, fast alle um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die Nachricht, daß dieser oder jener Eisriese bezwungen sei, ging jedesmal durch die Zeitungen aller europäischen Länder. Von Hochtouristik, der Freude am Wandern und Klettern und Skifahren im Hochgebirge, konnte man als von einer überall durch die Völker gehenden Bewegung noch nicht sprechen.

Das Hochgebirge ist erst die Sehnsucht des modernen Menschen geworden. Der liebt die Gefahren, die ihm hier drohen, und freut sich daran, wie er sie überwindet. Die Mühseligkeiten der Kletterpartien schrecken ihn nicht ab, sie locken ihn und bringen seinen im Alltag stark beanspruch­ten Nerven die Ausspannung, die ihm neue Kraft und neue Lust verleiht zu seinem täglichen Werk. Erst in der modernen Zeit wurde der Mensch wieder empfänglich für die eisige Erhabenheit der Gletscher und die stille und ewig schimmernde Majestät der Firnen und Grate. Der Kreis der Menschen, die in der Größe der Hochgebirgsland­schaft die innere Erhebung verspüren, wie sie freundlichere und kleinere Landschaftsformen immer schon vielen ver­mittelt haben, ist erst in den letzten fünfzig Jahren zu be­

Gefährsiche Kletterpartie mit Seilarbeit an der Casanna=Barsenn

in der Schweiz Atlantik

deutendem Umfange angewachsen. Alle die läßt das Hoch­gebirge nicht mehr, wieder und wieder müssen siein die Berge, die ihnen Sehnsucht wurden.

Es gibt heute keinen Alpengipfel mehr, der noch nicht erstiegen wäre. Genauere Karten sind inzwischen gezeichnet, die den Touristen sicher führen, wenn er im Winter mit Skien, im Sommer mit Eispickel und Bergschuhensein Gebiet durchschweift". Die Hochtouristik ist schon im zweiten Stadium der Entwicklung, in dem das Nur=Sportliche, die bloße Überwindung der Gefahren und Mühseligkeiten, zurückbleibt hinter der schauenden und die Natur in ihrer ganzen Pracht genießenden Wanderung durch das Gebirge, bei der die Gefahren lediglich bezwungen werden, weil erst ihre Überwindung echten und großen Naturgenuß er­möglicht. Dabei erschließt sich dann die Gebirgswelt in ihrer unendlichen Schönheitsfülle, wo kein Gipfel dem andern gleicht, kein Fels wie der andere ist, kein See so blau und smaragden leuchtet wie der andere, und wo ein Schneefeld immer makelloser ausgebreitet liegt als all die übrigen. Freilich muß manch' ein schönheitstrunkener Hochtourist seineLust mit dem Tode büßen.

Aber es ist doch festgestellt, daß die Zahl der im Hoch­gebirge Verunglückten, wenigstens was die Alpen angeht, ständig abnimmt, wenn man sie mit der immer mehr an­schwellenden Fülle der Hochtouristen vergleicht. Das ist der zweckdienlicheren Ausrüstung, dem besseren Karten­material und vor allem der durch die Touristenvereine geförderten Aufklärung über die Gefahren im Hochgebirge zu verdanken. Doch wird auch in dieser Hinsicht die Hoch­touristik in gewissen Grenzen stets mit dem Schauer des Ewigen umkleidet bleiben; einzelne Opfer werden die Berge und Lawinen immer fordern. Das Wissen darum kann dem Hochtouristen aber die Freude an seinem Reich nicht schmälern. N.

Bild zeigt eine schwierige Abseilstelle im Gebiete der Dreitorspitze.

Klettertouren im Bayerischen Hochgebirge.