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Allgemeiner Anzeiger für den Kreis,
den Amtsgerichtsbezirk, die Stadt= und Land=Behörden 2c. von Mülheim a. d. Ruhr.
iue u, Druck und Verlag von C. Maris in Müheln a. d. Nahr. Geschkfosele Eppnghoserstraße Nr. d6 und Hingdergstaße Nre 1.
Geschiststellen: Madtericz, B. Flieseler.— Auhrunt; a. Schwarz, Bahz, Zi. Sseusgserche.. Ceshuln: Gus. Harinann, Frichithckauchtuße— Sierkrater B. Scharrer
Montag, 12. März 1894.
22. Jahrgang
Baciauscander.
11. März.
1812 Bürgerliche Gleichstellung der Juden in Preußen. 1850 Preußische Gemeindeordnung.— Preußisches Ver
1867 Ende der französischen Expedition nach Mexiko;
Bazaine schifft sich nach Veracruz ein.
1872 Gesetz über das Unterrichtswesen in Preußen. 1887 Septennat im Reichstage angenommen.
12. März.
1850 Preußen nimmt die Hohenzollernschen Lande in
* 1854 Bündnis zwischen England und Frankreich mit der Türkei gegen Rußland(Krimkrieg.) E 1871 Die deutschen Truppen räumen Versailles.
1879 In der Nacht vom 11. zum 12. März brechen die letzten Dämme der Theiß von Szegedin; unter furchtbarem Nordsturm wird die ganze Stadt (75,000 Einwohner) überflutet.
Wer sich zum Freund gewinnen läßt Und hält dabel die Tugend fest,
Daß er sich ohne Wanken läßt erhalten, Zu dem wird meine Freundschaft nie erkalten.
Neichspolitik und Landespolitik.
Mülheim=Ruhr, 9. März.
Das deutsche Reich ist kein Einheitsstaat, und es wird auch keiner werden. Und man kann nur sagen, daß das gut ist. Jahrhunderte hindurch haben sich die Verhältnisse in den einzelnen deutschen Bundesstaaten selbständig und eigenartig entwickelt, und mit ihnen auch der Charakter der Bevölkerung. Es würde heute ganz und gar unmöglich sein, alle Gebiete und alle Bewohner des deutschen Vaterlandes in völlig gleichartiger Weise zu behandeln, dem Versuche würde schwerer Schaden unmittelbar auf dem Fuße nachfolgen. Nicht nur, daß Interessen, welche im Laufe langer Jahre eine besondere Förderung erfahren haben und dadurch zu berechtigten geworden sind, empfindlich benachteiligt würden, es würde auch neues Mißtrauen der deutschen Stämme gegeneinander entstehen. Heute erscheinen all: gleichberechtigt, keinem wird zugemutet, auf seine Eigenart zu verzichten; eine„Uniformirung“, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, Aller würde einen Krieg Aller gegen Alle bedeuten, würde das mühsam wieder großgezogene Nationalgefühl im Keime ersticken. Die deutsche Eigenart, in welcher doch der Reichsgedanke so kräftig gepflegt wird und gedeiht, bildet einen der Grundsteine deutscher Stärke, sie schafft einen rühmlichen Wetteifer und hindert die Erschlaffung, die leicht im Volksleben eintritt. Die deutsche Eigenart gleicht allerdings auch dem Feuerstein, der Funken sprüht, wenn er mit dem Stahl in Berührung tritt. Nachteil haben wir auch davon indessen noch nicht gehabt, denn das große Hauptziel, der große Hauptgedanke allen deutschen politischen Lebens und Strebens, Einheit des Reiches, bleibt ja doch ganz unangetastet. So ergänzen im Großen und Ganzen stets wieder die Landesinteressen die Reichsinterissen, Reichspolitik und Landespolitik kann nicht auseinander gehen, sondern guß auf demselben gesunden Grund und Boden sußen. Daß ein deutscher Bundesstaat seine Einzelinteressen wahrt, ist selbstredend, und wir können erfreulicherweise zeugen, daß bisher der Gang der Reichspolitik doch immer ein solcher gewesen ist, daß keine Störungen eintreten. Das kann auch in Zukunft nicht der Fall sein, weil sofort eine Stockung unseres gesamten inneren Lebens sich geltend machen würde.
Die Gemeinsamkeit der Reichsinteressen und Landesinteressen in allen wichtigen Fragen, und damit die Gemeinsamkeit der Reichs= und Landespolitik steht fest
Zu Straßburg auf der Schanz.
27) Roman von Max Lay.
Der Notar hatte sich ebenfalls niedergelassen und sagte, langsam die schwarzen Handschuhe abstreifend.
„Sie sprachen soeben von Gästen, Frau von Birseck. Wenn ich heute vielleicht ungelegen...“
„Nein, nein, im Gegenteil, mein lieber Herr Wassenberg. Deshalb bat ich Sie. Wenn die Herren kommen, wollen wir ernstlich beraten. Sehen Sie, mein Neffe Rudolf muß ja nun wieder zu seinem Regiment. Ach, ich kann es noch immer nicht verstehen— nun soll meine Tochter Braut eines deutschen Soldaten: werden, der gegen uns, gegen unsere Soldaten in das Feld zieht. Aber was soll ich machen? Ich arme alte Frau
bin ja rein vom Schicksal überrumpelt, zu Boden gedrückt. Die Wiederkunft meiner Schwester, die mir— offen will ich es gestehen, eine Bergeslast vom Herzen genommen, ihr Bitten, das Flehen Hortenses und— kurz ich habe keine Kraft mehr zu widersprechen, zu widerstehen, und glauben Sie mir, in den wenigen Augenblicken der Ruhe die mir vergönnt sind in diesem Wirrwarr, fühle ich es manchmal als eine Fügung des Himmels, daß es so gekommen ist. Es richtet mich jedesmal auf, wenn ich den dankbaren Blick meines Kindes fühle, wenn sie von ihrer Tante Stephanie spricht, von Adele, die ich doch wohl ein wenig verkannt habe. Ach es ist doch ein eigentümliches Glücksgefühl, sich mit den Verwandten, die durch das eigensinnige Schicksal von uns getrennt waren, wieder als eine Familie zu fühlen.“
Der Notar hatte die Rede der Dame, die noch weiter fortsprach, als müsse sie die Wandlung ihrer Entschlüsse, ihres Herzens vor einem strengen Richter verteidigen, nur ab und zu durch ein verlorenes halblautes Wort unterbrochen.., 24. Min: Gar=4uin Sran. fast
Sie haben ja gewißz recht, meine verehrte Frau,“ sagte er endlich als sie schwieg.„Glücklich ist, wer seinen Kindern noch Wünsche befriedigen kann. Mich hat das Schicksal noch härter getroffen und ich weiß nicht, was mir die Zukunft noch bringen wird.“
Frau von Birseck streckte ihm mit dem Gefühl lebhafiester Teilnahme die Hand entgegegen.„Beunruhigen Sie sich darüber nicht, mein, mein lieber Wassenberg. Zum Glück bin ich im Stande, Ihnen zu raten, zu
und kann aus einzelnen Anlässen auch nicht angezweifelt werden. Man pflegt bei uns des Oefteren über Meinungsverschiedenheiten und dergleichen zu berichten, die zwischen Mitgliedern der Reichsregierung und einzelnen deutschen Bundesregierungen sich geltend, machen sollen, und gewöhnlich wird in diesen Schilderungen die Farbe recht stark aufgetragen. Was will das aber in Wahrheit bedeuten? Doch eigenlich gar nichts! Meinungsverschiedenheiten giebt es im gewöhnlichen Leben unter Bekannten, unter Mitarbeitern in einem geschäftlichen Unternehmen alle Tage, sie finden sich auch in allen europäischen Regierungen nur zu oft. Und in anderen Staaten, in Einheitsstaaten, findet man das ganz natürlich. Die Zahl und Eigenart der deutschen Bundesstaaten macht es aber ganz selbstverständlich, daß hier solche, dort solche Vorschläge gemacht werden. Und aus allen diesen Verbesserungsvorschlägen entsteht auch erst das Gute. Nicht hierauf kommt es an, sondern darauf, daß das, was zum Heile des Reiches beschlossen ist, nun auch gemeinsam und nachdrücklich vertreten wird, daß diese Reichspolitik dann erforderlichenfalls ihre Ergänzung in Maßnahmen der Landespolitik findet. Mit allem Vorbedacht ist es darum auch schon oft genug geschehen, daß das Reich für ein wichtiges Gesetz die grundlegenden Gedanken beschloß, den einzelnen Bundesstaaten aber die Detailausführung überließ, um Interessen und Eigenart der Einzelstaaten nicht in Konflikt mit einander zu beingen. H 4####..... 10 8.25u4
Mit allem Nachdruck muß daher einem jeden Versuch entgegengetreten werden, Reich und Einzelstaaten gegen einander auszuspielen. Ihre kleineren und eigenartigen Interessen verlangen ihre besondere Berücksichtigung, in allen Hauptpunkten müssen und sollen sie unbedingt Hand in Hand gehen. So wird denn erfreulicherweise auch in den Untesfragen des russischen Handelsvertrages, in den Staffeltarifen auf den preußischen Staatsbahnen, im Identitätsnachweis bei der Getreideausfuhr und in anderen Dingen erfreulicherweise ein Einvernehmen erziel: werden, ohne welches allerdings der Handelsvertrag geradezu vernichtend hätte wirken können für gewisse Landesteile. Auch in anderen Fragen wird dies Einvernehmen hergestellt werden müssen, und in erster Reihe ist mit zu verhüten, daß die Gegensätze wegen Geldfragen entbrennen. Ueberfluß an Geldmitteln herrscht, das ist ja zu bekannt, heute weder in der Reichskasse, noch in den Kassen der einzelnen deutschen Bundesstaaten. Darnach sind die Verhältnisse nicht angethan, weder bei uns, noch in einem einzigen Staate der Erde. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind den europäischen Staaten ost als Muster mit ihren hohen finanziellen Ueberflüssen vorgehalten worden. Aber auch dort sind den fetten Jahren magere gefolgt, und im laufenden Jahre wollen die vorhandenen Mittel absolut nicht zureichen. Deutschland muß ruhig vorwärts schreiten, einig nach jeder Richtung hin, dann werden wir über die vorhandenen Schwierigkeiten, die von kritischen Zeitverhältnissen hervorgerufen wurden, gerade so gut fortkommen, wie man in anderen Ländern darüber sortkommt. Einigkeit und Achtung aller berechtigten Interessen sind die wichtigsten Mittel zur Hebung der Staatswohlfahrt.
vieler Häuser am Platze, sowie der angrenzenden Straßen zertrümmert. Auf der Straße ist ein Loch entstanden. Fünf Personen sind verwundet, sehr schwer ein Geniegefreiter, Malegari, und ein gut gekleideter Bürgerlicher, Namens Angeli, die drei anderen leichter. Bis jetzt ist noch ungewiß, ob unter einer Anzahl sofort durch die Kammerwache und Gendarmen Verhafteten die Schuldigen sich befinden. Einige Personen wollen kurz vorher einen Mann in Arbeiderkleidung mit einem großen Blechgefäß dicht an der Kammerfront hingehen gesehen haben. Andere behaupten, es habe dort ein großes Packet am Boden gelegen. Ein Priester und Arbeiter sahen Rauch aus diesem aufsteigen. Noch während der Arbeiter zwei Schutzleute darauf aufmerksam machte, erfolgte eine betäubende Explosion, die sofort gewaltige Verwirrung und Aufregung erzeugte. Militär und Polizei konnten nur mit Mühe das Publikum vom Eindringen in das Kammergebäude abhalten, da viele glaubten, das Attentat sei im Innern erfolgt, und angstvoll nach Angehörigen suchte. Die Entrüstung des Publikums ist ungeheuer. Die Abgeordneten wurden von Einigen mit Rufen nach Einführung der Todesstrafe empfangen. Die Bombenladung scheint Schießpulver und Nitroglyzerin gewesen zu sein. Vermutlich liegt ein Racheakt aus radikalen Arbeiterkreisen vor wegen der Verwerfung der Ausstellungslotterie durch die Kammermehrheit. Der verwundete Angeli soll ausgesagt haben, ein Dritter habe ihn ersucht, das bezeichnete Packet zu halten, er habe es, durch den Rauch stutzig gemacht, niedergelegt, worauf sogleich die Explosion erfolgt sei.
* Mülheim=Ruhr, 11. März.
— Das Dynamitattentat in Rom. Nähere Meldungen über das Attentat in Romen, über welches erst sehr übertriebene Nachrichten einliefen, besagen: Um 6½ Uhr abends, kurz nach Schluß der Kammersitzung, wurde in den mittleeen Stadtteilen ein starker Knall vernommen. An der linken vorderen Ecke des Palastes von Montecitorio war eine umfangreiche Bombe geplatzt, die ihre Rauchwolken bis über die Dächer sandte. Die Explosion hat die Fenster des Kammerpalastes und
S ullbeim=sahr, 12. Mümn.
— Die Handelsvertragsschlacht im Reichstage
ist schon mit der ersten, Samstag Nachmittag kurz vor 5 Uhr geschlossenen Abstimmung über den Artikel 1 prinzipiell entschieden. Die große Mehrheit von 54 Stimmen (200 gegen 146) sichert allen folgenden Paragraphen und auch bei der Schlußabstimmung ungefähr dieselbe Majorität, und damit ist der Kampf thatsächlich aus. Die Parteien haben sich ganz so gehalten, wie bisher schon bekannt war, und besonders die konservative Partei ist mit ganz vereinzelten Ausnahmen Gegnerin des Vertrages geblieben. Dem Reichskanzler wurden nach der Abstimmung zahlreiche Glückwünsche dargebracht, allgemein also sah man die prinzipielle Entscheidung als gefallen an. Viel AufEehen hat im Reichstage die Mandatsniederlegung des Abg. v. Koscielski erregt. Es ist bekannt, daß dies Mitglied der polnischen Fraktion seine Landsleute häufig zum Eintreten für Regierungsvorlagen, besonders auch für Marineforderungen, vermocht hat, und beim Kaiser darum auch in hoher Gunst stand. Der Rücktritt soll dadurch verursacht sein, daß sich am Freitag die übrigen polnischen Abgeordneten weigerten, für das neue„Kriegsschiff Ersatz Leip= zig“ zustimmen, und auch richtig den Saal verließen, worauf Herr von Koscielski mitging. Das Schiff ist dann abgelehnt. Für den neuen Handelsvertrag sind aber dann die polnischen Abgeordneten einstimmig eingetreten.— Aus der deutsch=konservativen Partei ist der Abg. Graf Dönhoff=Friedrichstein, der für den neuen Handelsvertrag stimmte, ausgeschieden. So ist nun also der Kampf um den Handelsvertrag, der Jahr und Tag angedauert hat, mit dem Siege der Reichsregierung beendet. Wie aber die Verhältnisse im Reichstage sich weiter entwickeln werden, wird man abwarten müssen. Harte Nüsse sind noch in der Aufbringung der Gelder für die Militärvorlage und in der Durchführung der Finanzresorm des Reiches zu knacken, während sich doch die Parteiverhältnisse im Reichstage bedeutend verschoben haben, und die heutige Handelsvertrags=Mehrheit durchaus nicht für andere Mehrheiten Stich hält.
Deutscher
66. Sitzung vom 10. März.
Das Haus und die Tribünen sind stark besetzt.
Am Bundesratstisch: Reichskanzler General Graf von Caprivi, Staatssekretär des Auswärtigen Frhr. v. Marschall=Bieberstein, Staatssekretär des Innern Staatsminister von Bötticher und Bundesratsbevollmächtigter Preußischer Landwirtschaftsminister von Heyden=Cadow.
Die Verlängerung des Handelsprovisoriums mit Spanien wird ohne Debatte in erster und zweiter Beratung angenommen.
Zum zweiten Gegenstand der Tagesordnung: zweite Beratung des deutsch=russischen Handelsvertrags, bedauert Abg. Frhr. v. Manteuffel=Crossen=Kalau (kons.) lebhaft, daß über die Kommissionsverhandlungen über den deutsch=russischen Handelsvertrag kein schriftlicher Bericht erstattet worden ist.
An der Diskussion hierüber beteiligen sich noch die Abgg. Rickert, Dr. Bachem und Dr. Hammacher.
Sodann erstattet Abg. Kommerzienrat Möller=Dortmund(natlib.) den Bericht über Verlauf und Ergebnis der Kommissionsverhandlungen.
Artikel 1 des Handelsvertrags behandelt die Gleichstellung der Angehörigen des fremden Staates mit den einheimischen Angehörigen, bezüglich des Handels und des Gewerbebetriebs. 44169 Teillt 8.
Abg. Prof. Dr. Hasse=Leipzig(natlib.) erbittet Aufklärung über diesen Artikel, sowie über die Stellung der russischen Juden infolge dieser Bestimmung. Unerfreulich ist auch das Hereinströmen russischer Arbeiter nach Deutschland. Die Nationalliberalen stimmen trotzdem für Arrikel 1, da sie sich nicht in der Lage befinden, nur die handelspolitischen Bestimmungen anpehmen zu können. Die Nationalliberalon befinden sich also nicht in einer Hurrahst mmung gegenüber dem Vertrage. Wünschenswert ist auch eine Erklärung der preußischen Regierung über die Staffeltarife.
Reichskanzler Graf v. Caprivi erklärt bezüglich der Staffeltarife, daß die verbündeten Regierungen demjenigen, was der Staatssekretär von Bötticher in der Kommission ausgesprochen hat, vollständig zustimme. Ich
will versuchen, die Bedenken zu widerlegen, die sich an diese Aeußerung geknüpft haben. Die Erwägungen über den Termin der Aufhebung der Staffeltarise sind noch nicht abgeschlossen. Wesentliche wirtschaftliche Bedenken dagegen, daß die Aufhebung bereits am 1. August stattfinden soll, bestehen jedoch nicht. Die Schlußfolgerung ist daher berechtigt, daß es in der Absicht liegt, die Staffeltarise für die Dauer des Handelsvertrages zu beseitigen. Eine bindende Verpflichtung nach dieser Richtung hin kann aber nicht eingegangen werden. Es könnte ja die Notwendigkeit eintreten, im Interesse eines notleidenden Landesteiles die Staffeltarise wieder einzuführen. Man hat geargwöhnt, daß Preußen die Staffeltarife nur aufheben wolle, damit der Handelsvertrag angenommen werde. Das ist nicht die Absicht der preußischen Regierung gewesen. Wir müssen die Frage reiflich erwägen, wie sich nach der Aushebung der Staffeltarise die Frachten für Getreide und Mühlenfabrikate gestalten. Die Staffeltarise werden aufgehoben werden auf das Gutachten des preußischen Landeseisenbahnrats hin. Der Landeseisenbahnrat muß über die Neugestaltung der Tarise befragt werden. Zunächst müssen über die Wirkung des Handelsvertrages und die Aushebung des Identitätsnachweises Erfahrungen gesammelt werden. Die Aufhebung des Identitätsnachweises mag ein Sprung ins Dunkle sein. Wenn wir aber die Folgen dieses Sprunges sehen wollen, so müßten wir erst warten, bis es so hell geworden ist, daß wir die Folgen übersehen können. Eher kann die preußische Regierung ihre Beschlüsse über die Staffeltarife nicht fassen. Ich wieder
helfen. Wenn es bei der Auseinandersetzung mit meiner Schwester irgendwo fehlen sollte— wir werden Mittel und Wege finden, alles zu klären, zu ordnen.“
„Mama,“ rief Hortense, den Kopf zur Thür hereinsteckend,„Tante Stephanie ist soeben vorgefahren!“ „Sogleich mein Kind!“ Die Frau vom Hause erhob sich.
„Sie entschuldigen mich, lieber Freund. Ich bringe Ihnen meine Schwester sofort hierher!“
Der Notar trat ans Fenster und blickte hinaus auf die Straße. Ueber den Dächern hob sich der spitze Münsterturm in den sonnigen Mittagshimmel hinein. Von der oberen Gallerie wehten vier riesige schwarzrotweiße Fahnen um das alte tiefbraune Gemäuer. Das war ihm so fremd, so unbegreiflich. Sollte wirklich eine andere Zeit anbrechen, wo über den Trümmern des Alten neue Herrlichkeit erstand? Nun, er konnte es nicht hindern, nicht fördern. Er war ein alter gebrochener Mann, der froh sein konnte, wenn er mit seiner Gattin noch einige ruhige Augenblicke, einigen freundlichen Sonnenschein sorgloser Muße mit in das Grab nehmen durfte.
Im Nebensalon hatten sich inzwischen die sämtlichen Mitglieder des abzuhaltenden Familienrates versammelt. Theobald von Birseck stand mit dem Forstmeister auf dem großen Balkon, der nach der Brogliepromenade hinausging, in leisem eifrigen Gespräche. Auf dem großen Divan im Salon saß Frau Stephanie, deren einfaches schwarzes Kleid mit der weißen Haube einen sonderbaren Gegensatz zu dem glänzend reich ausgestatteten Raume bildete. Mit wohlklingender Stimme und der würdigen Ruhe der langjährigen Dulderin, die trotz aller Schicksalsschläge Kraft zum Weiterleben gefunden, erzählte sie Adele, die neben ihr saß, aus ihren Erlebnissen in Deutschland, und die junge Dame, in deren hoheitsvollem Ernste sich die Ereignisse der jüngsten Tage der Vergangenheit noch treu wiederspiegelten, hörte ihr zu, die tiefblauen Augen mit dem Ausdruck hingebendsten Vertrauens auf die Matrone gerichtet, die ihr eine andere Mutter werden sollte. Mit einem Gefühl innigsten Glückes betrachtete Georg, der bisher in einem Haufen Papiere geblättert, die ihm die Tante zum Studium übergeben, die beiden Damen— seine Mutter und seine Braut, eine Fülle von Verheißungen für die Zukunft, wie er sie sich in den Tagen seiner Gefangenschaft niemals erträumen konnte.
Die Damen wurden abgerufen, wobei Georg nicht unterlassen konnte, seiner Adele im Vorbeistreifen leise die Hand zu drücken. Da schollen von draußen die Töne eines flotten Militärmarsches.
„Da kommt unser Rudolf— willst Du ihn marschiren sehen, Georg?“, rief der Forstmeister vom Balkon her in einem Tone, der den ganzen Vaterstolz über die erste Dienstleistung seines Sohnes nach dessen unfreiwilliger Muße bekundete. Georg trat hinaus und lehnte sich über das Eisengitter, grüßte kopfnickend hinunter auf die Straße, wo Rudolf im Vorbeimarsch an der Seite seines Zuges vor der Gruppe auf dem Balkon salutirend die Degen
! Die Promenade war auf beiden Seiten von einer dichten Zuschauermenge eingefaßt, denen die alltägliche Wachtparade auf dem Broglie mit seinen beweglichen Gruppen stramm militärischen Dienstes noch immer etwas Neues war.
Nur drüben an den riesigen Fenstern des Cafe du Broglie waren die Vorhänge heruntergelassen. Die dort verkehrenden Gäste wollten die„Preußen“ nicht sehen, die ja doch bald wieder abziehen mußten, wenn erst die von Gambetta aus dem Boden gestampften Armeen usw. usw., wie die zusammengesteckten Köpfe der Finger fest auf die betreffenden Stellen in den französischen Zeitungen hielten, mit unfehlbarer Sicherheit die nächste Zukunft Europas im voraus feststellen.
Dazu dröhnten die taktmäßigen Schritte des abziehenden! Wachtkommandos auf der Straße, wo die Menschen sich noch immer zahlreicher einfanden, denn die Musikkapelle trat zum Kreise zusammen und gab der wieder eroberten alten deutschen Stadt ihr tägliches Mittagskonzert zum Besten. Die Goldfransen an der Schulter des Kapellmeisters zitterten im Sonnenstrahl, der Taktstock zuckte und:„Es braust ein Ruf wie Donnerhall, Wie Schwertgeklirr und Wogenprall!“ hallten mächtig ergreifend die vollen Tonwellen über den weiten Platz und riefen das Echo wach an den hohen altertümlichen Gebäuden, vor denen schon so manche Episode der schicksalsreichen Stadt sich abgespielt.
„Ein prächtiges Lied, das so treu die Vaterlandsliebe des Deutschen in voller Gemütstiefe wiedergiebt!“ sagte Theobald zu seinem Vetter. Der bewegte leise das Haupt, ein Bild thatkräftiger, entschlossener Männlichkeit.
„Mich trösten die ernsthaft erhebenden Klänge jedesmal, wenn ich daran denke, daß mein Sohn sobald wieder
weiterziehen muß nach Frankreich hinein in den Kampf!“ entgegnete er bewegt, und starr blickte er hinunter auf die Gruppen der Offiziere, die ihre Vorgesetzten umgaben zur Empfangnahme der Tagesbefehle.
— Ende.—
— Ein Denkonat ichn Minionkrtliöchler. We
Londoner Wochenblatt bringt eine eingehende Schilderung des in Riverside Drive, New=York, befindlichen TöchterPensionats der Misses Ely; da jede der 84 Zöglinge mindestens auf 1 Mill. Doll. geschätzt wird, so dürften einige Augaben von Interesse sein. Die Unkosten der exquisiten Ausbildung, welche hier die Millionärstöchter der großen Republik erhalten, belaufen sich auf ein Minimum von 4000 Mk.; aber damit kommt keine der Schülerinnen aus; die Extraausgaben belaufen sich auf mindestens weitere 4000 Mk.; Alles wird hier extra berechnet, sogar die„Chaperon“, welche ihren Zögling zum Zahnarzt oder ins Konzert begleitet, kriegt ihre 3 Mk. pro Stunde. Wer krank wird und sich im Zimmer serviren läßt, zahlt 1! Am teuersten ist jedoch die Musik; der Unterricht im Klavierspiel kostet jährlich 1100 Mk. für eine wöchentliche Lektion; halbstündige Lektionen kosten je 21 Mk. Das Haus(am Hudson) ist äußerst geschmackvoll, ja sogar luxuriös ausgestattet und eingerichtet. In dem prachtvoll möblierten Salon empfangen die jungen Damen ihre „Freunde", worunter auch junge„gangbare“ Herren. 5 Hier erhalten sie ihren Unterricht in den Mysterien der e fashionablen Etikette; wie eine Schleppe kontrollirt, wie eine Tasse Thee servirt wird. Das erste Stockwerk enthält den Eßsaal, wo alle Leckerbissen der fashionabeln Welt und die besten Gerichte zweier Weltteile von Livreebedienten servirt werden, die bei Leibe kein Wort außer in französischer Sprache sprechen dürfen. Eine Mahlzeit in dieser Anstalt ist eine Zeremonie, zu der man in großer Toilette kommt. Das Alter der Zöglinge ist von 15—18 Jahren; nach einem Aufenthalt von 2 bis 3„terms“ wird eine in der Anstalt abgerichtete und gezüchtete Erbin ihrer Mutter wieder eingehändigt, und Beide segeln mit dem nächsten Dampfer nach Europa ab.
— Einer, der's versteht.„Mensch! Dein Roman ist ja schon in fünfter Auflage erschienen! Wie kommt das?“— Ganz einfach— ich habe inserirt: Frau gesucht, die der Heldin meines Romans ähnlich ist...“