Nachen 1889.— Nr. 114.
" 41. Jahrgang. Dinstag, 14. Mai.— Erses Blat.
„* Grnndurn
lieur: Hubert Immelen. Aelteste
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er Scbschend-eichn uie dr Gl. Gerschach. ber
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Scho, Nachen.— Telephonauschluß Nr. 62.
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„Die. zweite Verathung der Allers= und Iuvaliditcäit=
versicherungsgesetzes oder, wie es heute offiziell betitelt worden ma. des„Invaliditäts= und Altersversicherungsgesetzes“ ist heute im Reichstage nach einer mehr als sechsstündigen Berathung zu Ende geführt worden. Zu einer Probe über die Beschlußfähig
kam es heute nicht, obschon zeitweise kaum 10.0 Ritglieder im Hause anwesend waren. Zur Berathung stand heute der letzte Abschnitt des Gesetzes, welcher„Schluß=,
Straf= und Uebergangsbestimmungen enthält. Dieselben wurden ohne wesentliche Aenderungen angenommen. Eine dieser Aeaderungen rührt vom Abg. Singer(Soziald.) her, der die Wiederherstellung des von der Kommission gestrichenen§ 139 a beantragt hatte, welcher Arbeitgeber und ihre Bevollmächtigte mit Geld= und Gefängnißstrasen bedroht, wenn sie es unternehmen, eine versicherungspflichtige Person an der Uebernahme eines ihr auf Srund dieses Geseges übertragenen Ehrenamtes zu
hindern. Die Abstimmung über den Antrag Singer ergab anfänglich kein sicheres Resultat, aber anscheinend in der Furcht, dat das Resaltgt, durch Sammelsprung festgesetzt und damit die Beschlußunfähigren des Hauses konstatirt werden könnte, erhoben sich nach und nach so viele Abgeordnete, daß der Antrag Singer schließlich unter stürmischer Heiterkeit des Hauses nahezu ein stimmig angenommen wurde. Der letzte Absatz des letzten Paragraphen(§ 150), worin bestimmt wird, daß der Termin für das Inkrafttreten des Gesetzes durch kaiserl. Verordnung mit Zustimmung des Bundesraths festgesetzt werden soll, gab Anlaß zu einer längeren Diskussion. Der nationalliberale Abg. Dr.
es nämlich, mit Rücksicht auf die Lokaibehörden, welche sich für die Durchführung dieses Gesetzes einzurichten hätten, für angezeigt, daß ein fester Termin für das Inkraftireten des Gesetzes bestimmt werde. Staatssekretär v. Bötticher glaubte indessen, daß es besser sei, dem Bundesrath die Festsetzung dieses Termins zu überlassen, bemerkte aber, daß das Gesetz nicht vor dem 1. Januar 1891 in Kraft treten könne. Der Abg. Rickert (freisinnig) nahm daraus Veranlassung, darauf hinzuweisen, warum man denn vom Reichstag mit aller Gewalt eine überstürzte Erledigung des Gesetzes verlange, wenn man den Behörden eine so lange Frist gewähren wolle, sich auf die Einführung dieses Gesetzes vorzubereiten. Diese Anregung benutzte Abg. Dr. Windthorst, um zu erklären, daß man bei der dritten Lesung entweder zu einer Vertagung der ganzen Angelegenheit oder aber zu einer vollständigen Umarbeitung des Gesetzes kommen werde. Damit war der Boden vorbereitet für die weiiere Debatte über die Frage, ob die Erledigung des Gesetzes bis zum Herbst zu vertagen sei. Der Abg. v. Kardorff(freikons.), welcher in einer landwirthschaftlichen Versammlung in Oels noch vor Kurzem diesem Gedanken Raum gegeben hatte, erklärte heute, daß er eine Vertagung nicht für nothwendig erachte, zumal er befürchte, daß in der Herbstsession das Gesetz nicht mehr zu Stande kommen würde, dagegen befürwortete er, daß dem Bundesrath möglichst lange Zeit gewährt werde, die Einführung des Gesetzes vorzubereiten, indem er die Erwartung aussprach, daß der Bundesrath inzwischen bei Ausarbeitung der Ausführungsbestimmungen selbst zu der Erkenntniß kommen werde, daß es unmöglich sei, für die Krankenversicherung, die Unfallversicherung und die Alters= und Invalidenversicherung vollständig verschiedene Träger der Versicherung aufzustellen. Staatssekretär v. Bötticher ergriff dann noch einmal das Wort und bemerkte, es sei ihm gestern die Nachricht mitgetheilt worden, daß der Reichskanzler die Vertagung des Gesetzes wünsche, was jedoch nach seinen von Ort und Stelle eingezogenen Erkundigungen als durchaus erfunden sich herausstellte, und vor 2 Stunden sei wieder vom Reichskanzler an ihn die Anfrage ergangen, ob es denn auf Wahrheit beruhe, daß er (der Staatssekretär v. Bötticher) für die Vertagung schwärme. Daß diese Mittheilung den vielleicht beabsichtigten Heiterkeitserfolg im Hause hervorrief, bedarf kaum der besonderen Versicherung. Dagegen zog freilich auch der Abg. Richter aus dieser Mittheilung eine drastische Schlußfolgerung. Wenn, so meinte er, der Staatssekretär v. Bötticher dem Fürsten Bismarck und dieser wiederum dem Staatssekretär v. Bötticher den Gedanken zutraue, daß er für den Gedanken einer Vertagung dieses Gesetzes sich erwörmt haben könnte, so sei damit doch der Beweis erbracht, daß der Gedanke der Vertagung an sich gar nicht so unbegründet sei. Nachdem schließlich der§ 150 zur Annahme gelangt war, wurde über die zu dem Gesetze eingegangenen Petitionen verhandelt, über die in dritter Lesung abgestimmt werden soll.
Montag: Kleine Vorlagen und Wahlprtfungen.
Deutschel Reich.
( Berlin, 11. Mai. Nachdem der Reichstag heute die zweite Berathung des Alters= und Invalidengesetzes zu Ende geführt hatte trat sogleich nach Schluß
*) Nachdruck, auch theilweiser, untersagt.
der Sitzung der Seniorenkonvent des Hauses zu
sammen, um über die weiteren geschäftlichen Dispositionen zu berathen. Wie verlautet, ist es jedoch zu festen Beschlüssen nicht gekommen. Für Montag ist die Tagesordnung bereits am Schlusse der heutigen Sitzung fest
825 entenung der n Aiustag bolte nach den Intentionen Ausdehnung ar ants Windthorst betressend die Ausdehnung der Bestimmungen der Kongoakte über die Freiheit der Missionen auf die deutschen Schutzgebiete auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wie wir hören, hat jedoch der nationalliberale Abg. v. Bennigsen dem widersprochen, und es soll nunmehr am Schlufse der Montagssitzung dem Plenum des Reichstogs überlassen werden, ob der Antrag Windthost am Dinstag auf die Tagesordnung kommt. Was würde Sabor, der„Tiefblickende", dazu sagen?— Am Mittwoch fällt des Feiertags wegen die Sitzung aus, und am Donnerstag oder Freitag soll dann die dritte Lesung dee Altersvorlage beginnen, die man bis zum Himmelfahrtstage zu beendigen hofft, um damit zugleich die Session zu schließen.
Der Präsident des Reichstags hat den Mitgliedern des Reichstages Folgendes zugehen lassen:„Die in letzter Zeit wiederholt vorgekommene Beschlußunfähigkeit veranlaßt mich, zur Förderung der Geschäfte des Reichstages die Kollegen dringend zu bitten, in den weiteren Sitzungen des Reichstages pünktlich zu erscheinen und während der Sitzungen nach Möglichkeit im Reichstagsgebäude anwesend bleiben zu wollen, da durch einen beschlußfähigen Reichstag unsere nothwendigen Arbeiten zu dem allseitgig gewünschten Ende geführt werden können.“
Die Geschäftsordnungskommission des Reichstags hat gestern beschlossen, daß das Mandat des beförderten Dr. Delbrück für erloschen erklärt werde.
Der bevorstehende Besuch des Königs von Italien am Berliner Hofe hat in der Berliner Bevölkerung bis jetzt nicht die geringste Theilnahme hervorgerufen, was ja daraus erklärlich ist, daß dieser Gegenbesuch doch nur einen konventionellen und offiziellen Charakter trägt. Man sucht nun in gouvernementalen Blättern das Interesse dafür künstlich zu wecken, und die„Berl. Börs. Ztg.“ geht sogar so weit, daß sie eine offiziöse Aufforderung zu einer allgemeinen Theilnahme der Bevölkerung verlangt. Das läßt jedoch die Berliner ganz gleichgültig. Für den Aufenthalt des Königs am hiesigen Hofe ist, der „Post“ zufolge, folgendes vorläufige Programm entworfen worden:
21. Mai Ankunft auf dem Bahnhofe, Empfang durch die Kaiserin im königlichen Schlosse, Familientafel, Gala=Abendiafel. 22 Mai: Große Parade auf dem Tempelhofer Felde, Spazierfahrt nach Charlottenburg, Besuch der Oper, Abendtafel. 23. Mai: Parade im Lustgarten zu Potsdam, Mittagstafel im Stadtschloß, Wasserfahrt nach der Pfaueninsel, Abendtafel bei dem italienischen Botchafter. 24. Mai: Exerzitien bei Berlin, Frühstück beim Offizierkorps des 2. Garderegiments, Besuch der Ruhmeshalle, Familientafel bei dem Prinzen Albrecht, Fahrt durch die Stadt, Konzert im weißen Saal. 25. Mai: Besuch der Unfallverhütungs=Ausstellung. Abschiedstafel beim Kaiserpaar.
Der Gegenbesuch des Zaren bei Sr. M. dem Kaiser soll Mitte August in Kiel erfolgen, woselbst der Zar einen 1½tägigen Aufenthalt nehmen würde.
* Berlin, 11. Mai. Heute Nachmittag hat wieder
um eine mehrstündige Sitzung der Samoakonferenz unter Vorsitz des Grafen Bismarck=Schönhausen stattgefunden.— Minister des Innern Herrfurth ist heute Morgen aus dem rheinisch=westfälischen Industriebezirk zurückgekehrt.— Der„Reichs=Anzeiger“ schreibt: In dem Gefecht am 8. d. M. bei Bagamoyo sind a. gefallen: von dem Kreuzer„Schwalbe“ Unterlieutenant zur See Max Edwin Friedrich Franz Schelle aus Danzig, von der Kreuzerfregatte„Leipzig“ Matrose Johann Heinrich Föll von der 2. Matrosendivision aus Nürnberg(Königreich Bayern); d. verwundet von dem Kreuzer
iu aenden Besehmgstezst blechel de veiaehe ag. disen Brburtung ven kiuen andenran hiesgen Blaun aracht von,
Auslaundes uchmen unzeigen für das Chg au. u derzgen 15 Bta. her
„Setache Actate Zulich dactaig Keche dun dr 1. Matrosendivision aus Großendorf, Kreis Neustadt (Westpreußen).
Polnischen Arbeitern, die aus Rußland übertreten, gestattet der Landrath des Kreises Briesen nach der„Danz. Ztg.“ laut Bekanntmachung für die Erntearbeiten den Aufenthalt im Kreise. Man sieht, so ganz läßt sich das Absperrungssystem doch nicht durchführen.
— In Sachen Wohlgemuth veröffentlicht die„Landeszeitung für Elsaß=Lothringen einen Auszug aus einer vom Kreisdirektor von Mülhausen am 1. d. gleich nach der Entlassung des Polizeikommissars Wohlgemuth mit Letzterem aufgenommenen Verhandlung, worin es heißt, daß Wohlgemuth in Rheinfelden thatsächlich nicht wie ein Beamter eines befreundeten benachbarten Staates, sondern wie ein gemeiner Verbrecher behandelt worden sei. Diese Publikation des amtlichen elsässischen Orgaus hat deßhalb keine durchschlagende Beweiskraft, da Wohlgemuth ja das Material geliefert hat. Dem steht gegenüber die amtliche, im Bundespalais in Bern angeschlagene Erklärung des Schweizer Bundesraths, wonach laut amtlicher Erhebung die Angaben Wohlgemuths über seine Haft falsch sind. Die Schweizer Blätter fahren fort, Material gegen Wohlgemuth zusammenzutragen. So schreibt die „Züricher Post“:
Eine Stelle des Protokolls über die Affäre Wohlgemuth, welches der„Reichsanzeiger“ bringt, dürfie verdienen, beleuchtet zu werden. Ich bin in der Lage es zu thun und mache Ihnen daher folgende Mittheilung: Bei seiner Einbernahme in Berlin gab Wohlgemuth an,„daß ein Arbeiter seinen Verkehr mit den Sozialdemokraten in Basel vermittelte. Dieser Mann heißt Stohler. Er bezog seit langen Jahren 12 Exemplare des„Sozialdemokrat, welche er sich an den Schneidermeister Lutz kommen ließ und Sonntags allemal bei diesem abholte, angeblich für„Genossen“ in Mülhausen. Stohler selber spielte sich als„Genosse“ auf. Bei Bezahlung des Abonnementsgeldes zahlte er auch steis eine Summe für den Unterstützungsfonds der Partei, zu quittiren unter der Spitzmarke:„Die lustigen Brüder im Elsaß“. Daß diese Blätter für die Polizei seien, vermutheten die Arbeiter längst, und Stohler wurde wiederholt aufgefordert, seine Abnehmer zu nennen. Er weigerte sich aber dessen. Wohlgemuth und Stohler haben offenbar seit Langem sich der Verbreitung des„Sozialdemokraten“ schuldig gemacht, beziehungsweise Wohlgemuth den Sohler dazu verleitet, und wer weiß, wie manche hinterlistige Falle Wohlgemuth mit diesen Blättern den Arbeitern im Elsaß gestellt hat!?
Daß Wohlgemuth wiederholt nach der Schweiz gekommen ist, ergibt sich aus folgendem Artikel der „Züricher Post“:
Ein Bandweber(nicht der Schneider) Lutz erhielt Anfangs Februar einen Brief von Wohlgemuth mit der Anfrage, ob er ihm gegen angemessene Bezahlung Auskunft über die Arbeitervereine in Basel und anderen Orten geben wolle. Diesen Brief wies Lutz sofort einigen seiner Genossen vor. und diese gestatteten ihm, da sie hierdurch sich gegen Wohlgemuth zu schützen glaubten, eine Unterredung mit ihm anzunehmen. Wohlgemuth bestellte nun Lutz auf Sonntag den 3. März auf die Leopoldshöhe und sperrte sich dort mit ihm in ein Zimmer ein. Da ereignete sich das Komische, daß Beide verhaftet wurden, von Grenzwächtern nämlich, welche sie für Uhrenschmuggler hielten. Doch wurden sie rasch wieder entlassen, weil Wohlgemuth seine Karte vorwies. Sie begaben sich darauf nach Basel, wo Wohlgemuth Lutz eine Portion Schinken mit nach Hause gab und ihm 20 Mark auszahlie mit dem Bemerken, er werde gut für ihn sorgen und ihn„unter den Schutz der Regierung stellen.“ Ein Brief an den Schneider Lutz in Basel verlangt von diesem größeren Eifer, wonach sich dann auch die Bezahlung richten werde. Bald ordnete Wohlgemuth wieder eine Besprechung an und zwar im Wariesaal zweiter Klasse des badischen Bahnhofs in Basel. Hier forderte Wohlgemuth, daß
Lutz, der seit zwei Jahren keinem Arbeiterverein mehr angehörte, in einen solchen eintrete. Er zahlte ihm dabei 10 Mark und versprach in der Folge Mehreres. Eine weitere Besprechung fand im Bahnhofrestaurant Rheinfelden statt, wo besonders der Schriftenschmuggel zur Sprache kam; es sollte Lutz eine Anzahl sozialdemokratischer Schriften schmuggeln und in seine Hände fallen lassen, was aber nicht ausgeführt wurde. Wohlgemuth gab 80 M. Handgeld. Er stellte Lutz bei solcher und ähnlicher Thätigkeit einen Gehalt von 200 M. monatlich in Aussicht, nebst Gratifikationen für außergewöhnliche Arbeiten. Nach dem 31. März verlangte Wohlgemuth einen Bericht über die Basler Märzfeier,
K schickte Wohlgemuth 200 Mark. Am Ostersonntag kam Woßlgemuth nach Rheinfelden, wo mit Lutz eine Zusammenkunft verabredet war, und hier ließ der Bezirksamtmann Baumer beide verhaften, da ihm, während Wohlgemuth mit Lutz zusammen war, zwei Arbeiter Mittheilungen über die Umtriebe machten.
So kommt Belastung auf Belastung. Von deutscher Seite hat man dem noch nichts entgegengestellt, obwohl es doch so dringend nothwendig wäre.— Ein Korresp. auswärtiger Blätter will wissen, die Reichsregierung werde von der Schweiz die Zahlung einer Entschädigungssumme an Wohlgemuth für die Behandlung, die er erfahren, verlangen. Die Offiziösen haben dies bis jetzt nicht angedeutet. Die Begründung einer solchen Forderung zu vernehmen, dürfte interessant sein.
Der„Baseler Arbeiterfreund" veröffentlicht die Briefe Wohlgemuths. Sie enthalten Fragen über die Agitation, wünschen die Neunung von Namen, geben Erkennungszeichen an— weißes Taschentuch in der Rechten und weißer Zettel am Hut—, rathen Lutz, einen falschen Bart beim Besuch in Mülhausen anzulegen, enthalten die bekannte Wendung„Wühlen Sie“ und fügen bei:„Nehmen Sie sich aber in Acht, daß meine Briefe in keine fremde Hand gerathen.“ Wohlgemuth nimmt an, Lutz habe beim Schriftenschmuggel mitgewirkt und den Arbeiter Vogel der Polizei in die Hände geliefert. Die bezahlten Summen sind in den Briefen genannt, und Gratifikationen werden versprochen.
* Berlin, 12. Mai. Ueber die gestrige Sitzung der Samoa=Konferenz bringt die Londoner Ausgabe des„Neuyork Herald“ folgende Mittheilung:
In der gestrigen Sitzung wurde in die Details der Landfrage eingegangen; es handelt sich um den topographischen Theil des zuerst erstatteten, im Prinzip bereits angenommenen Berichts des Landkomites. Durch diese Frage werde übrigens nur Amerika und England betroffen, da die Deutschen mit größter Sorgfalt Vermessungen vorgenommen und alles Land, auf welches deutsche Privatpersonen oder Gesellschaften Besitzansprüche erheben, so genau markirt haben, daß Irrungen unmöglich sind. Ueberhaupt hat die außerordentliche Gründlichkeit, mit welcher auf deutscher Seite die Vorarbeiten für die Konferenz gepflogen wurden, und die Beherrschung aller Details, vom Grafen Herbert Bismarck angefangen bis zum untersten Beamten, auf die englischen und amerikanischen Deligirten einen großen Eindruck gemacht. Die Landfrage ist überhaupt sehr verwickelt, so daß ihre Regelung, trotz der im Prinzip erzielten Einigung, noch viel Zeii beanspruchen wird; die Arbeiten dürften kaum vor sechs bis acht Wochen beendigt werden. Das Komite zur Berathung der von den Mächten auszuübenden Kontrole über die einheimische Regierung hat noch keine Sitzung abgehalten. Zur Frage der von Deutschland verlangten Bestrafung Mataafas nimmt Amerika folgende Stellung ein: Nicht die Samoaner sind für die Tödtung der deutschen Matrosen am 18. Dezember verantwortlich, sondern Konsul Knappe welcher die Landung der deutschen Mannschaften veranlaßte, um die Samoaner zu entwaffnen, ein Unterfangen, welches nach des Reichskanzlers eigenem Aussprch unberechtigt war. Die Samoaner übten daher nur Selbstschutz, und Mataafa kann nicht für das Gefecht verantwortlich gemacht werden, welches durch den deutschen Konsul verschuldet ist. Wenn Deutschland zugesteht, was Amerika verlangt, so müsse Konsul Knappe in Berlin strafgerichtlich verfolgt werden. Deutschland habe unbedingt keine Satisfaktion zu fordern.
— Die Kaiserin ist heute früh 6¼ Uhr von Kiel hier eingetroffen.— Der Reichskanzler empfing gestern Nachmittag den Abg. v. Bennigsen und unterhielt sich über eine Stunde mit demselben. Der Minister des Innern Herrfurth verhandelte ebenfalls längere Zeit mit dem Reichskanzler.
* München, 12. Mai. Das Münchener„Fremdenblatt“ stellt fest, daß der Plan eines bayerischen Katholikentages nicht aufgegeben ist. Betreffs des Memorandums der Bischöfe fanden Erwägungen berufener Männer statt. Daß etwas geschehen müsse, darüber herrsche Einmüthigkeit, nur das Wie sei noch unbestimmt.— Der neue Nuntius Msgr. Agliardi wurde gestern Morgen vom Prinzregenten empfangen. Zugegen waren die Minister Crailsheim, Generaladjutant Freyschlag, Auditor
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* Im Irrsinn.
Dem amerikanischen Originale der Mrs. Mary J. Holmes nacherzählt von Lina Freifrau von Berlepsch. (Fortsetzung.)
Großmama rief zum Abendimbiß und die Beiden eilten hinab zum fröhlichen Mahl. Nach Tische machte Lili sich im Hause nützlich und sang dabei so fröhlich und heiter, als wäre sie ein lustig Vögelein, das eben einem Käfig entflohen. Bald begaben sich Alle zur Ruhe.
Es war eine herrliche Sommernacht, silbern ruhte das Mondlicht auf Strauch und Gras und auf dem Vagabundenhaus in der Ferne. Aus Feuster gelehnt, sann Bli in die milde Dämmerung hinaus, und ein Chaos von Gedanken durchwogte die junge Seele.
Nachdem Mr. Arthur Tracy sie verlassen, war sie burch ihre Studien zu sehr in Anspruch genommen worden in sich in Träumereien zu ergehen. Jetzt aber kehrten se zurück mit solch übermächtiger Gewalt, daß für einige Romente der Schleier von dem Geheimniße der Versangenheit zu fallen schien. Klar und deutlich stand das bleiche Antlitz vor ihrem Geist, es war, als neune eine Stimme sie:„Theures Kind!“
Arthur Tracy hatte sie oft so genannt, aber es war nur ein Schmeichelwort gewesen, er hatte keine Ahnung von der Wahrheit, wenn es Wahrheit war. Und doch,— barum sollte sie ihm verborgen sein? War irgend Etwas Stande, ein Kind vergessen zu machen, wenn wirklich eines vorhanden war?
=Ich bringe doch noch Licht ins Dunkel,“ murmelte und trat vom Fenster zurück. Sie öffnete den Koffer, eer mit ihr gekommen und dessen Inhalt unberührt geleden war, weil Frau Crawford durch denselben einmal Allis Identität festzustellen hoffte.
junge Mädchen nahm sorgfältig und mit ganz wveren Gefühlen als früher, die verschiedenen Effekten Pkaus. Den Mantel und den Shawl, in die sie einPuut gewesen, benetzte sie mit heißen Thränen und
innigem Mitgefühl für die Frau, die entschlossen sich der warmen Hüllen beraubt hatte, um ein Leben zu erhalten, das an dem ihren keinen Antheil hatte.
„Na—ni!“ schluchzte sie,„nicht Undank ists, daß ich Dich nicht als Mutter erkenne, und könntest Du zu mir zurückkehren, ich wäre Dir die treueste, liebevollste Tochter. O sage mir, Nani, wer ich bin, gib mir ein Zeichen, ob meine Visionen Wahrheit sind?“
Aber Shawl und Mantel waren so stumm und regungslos wie ihre Eigenthümerin. Lili nahm den Reisesack zur Hand, der einst ihren winzigen Körper geborgen. Dann kamen ihre Kleider an die Reihe und das Bilderbuch, mit dem sie gespielt, aus dem sie das Alphabet gelernt zu haben meinte neben dem Fauteuil am großen weißen Kachelofen.
Von Wäsche existirte nur mehr das Handtuch mit dem eingestickten Buchstaben„.“.„Margarethe beginnt mit .“, flüsterte sie,„und Gretchen ist Margarethe. O, wenn Gretchen diesen Buchstaben gestickt hätte, wenn ich berührte, was ihre Hände gearbeitet hatten!“ Und sie küßte das„M“ so innig, als ob es Gretchens Lippen und als ob Greichen ihre Mutter gewesen wäre.
An dem alten Messingringe waren noch immer die Schlüssel zu Koffer und Reisesack befestigt und noch ein kleiner, zierlicher Schlüssel, dessen Bestimmung man nicht kannte. Früher hatte Lili ihn wenig beachtet, jetzt aber, als sie ihn in der Hand hielt, drängte sich ihr mit unwiderstehlicher Gewalt die Ueberzeugung auf, daß er zur Lösung des Geheimnisses beitragen würde, und daß die Vergangenheit klar vor ihrer Seele stehen würde, wenn sie den Gegenstand fände, zu dem er gehörte. Wo aber ihn suchen?
XXXII.
Tags darauf.
Als am folgenden Morgen das erste Rothkehlchen sein Morgenlied anstimmte, erhob sich Lili vom Lager. Die Läden waren nicht geschlossen, der Frühsonne röthliche Tinten hatten ihr Antlitz gestreift und sie aus einem
Traum von Deutschland geweckt. Als sie vollständig erwacht war, schien die vermuthliche Heimath in unerreichbare Ferne gerückt, sie war die schlichte Lili Crawford, die sich so rasch und geräuschlos als möglich ankleidete, um Großmamas Schlummer nicht zu stören.
„Ich komme ihr zuvor,“ dachte Lili und zog ein altes Arbeitskleid an, aus dem sie ziemlich herausgewachsen war,„sie will heute waschen, aber ich dulde nicht, daß ihre armen verkrüppelten Hände sich fürder anstrengen. Wofür wäre ein so großes kräftiges Mädchen wie ich da, wenn nicht, um ihr jede Mühe zu ersparen?“
Lili eilte in die Wohnstube, wo sie bereits Harold antraf, der zeitig zu seiner Arbeit mußte. Sie bereitete ihm den Kaffee, sorgte für sein Frühstück und legte neben seinen Teller eine halb aufgeblühte Rose, auf welcher der Thau noch schimmerte. Diese zarte Aufmerksamkeit erfreute Harold.
„Es ist sehr lieb von Dir, diese Blumen mir zu bringen,“ rief er,„aber zu meinen Arbeitskleidern paßt sie nicht, und ich bitte Dich, sie mir zu Lieb zu tragen.“
Sie befestigte lächelnd die Rose im Gürtel und Harold eilte mit herzlichem Gruße rasch von dannen. Lilis Blicke folgten ihm, bis er im Waldesdunkel verschwand.
„Ei, Lili, was trieb Dich so früh aus den Federn?“ rief Frau Crawford eintretend,„warum ruhtest Du Dich nicht aus?“
„Ausruhen?“ lachte sie;„an Dir ist's, auszuruhen, Großmütterchen, nicht an mir jungem Ding. Du mußt nach dem Frühstück ruhig im Schaukelstuhl bleiben, während ich die Wäsche besorge, Du sollst sehen, wie flink mir die Arbeit von den Händen geht.“
Alle Widerrede war vergeblich, Lili eilte in den Holzschuppen und wusch und rieb und bürstete so fleißig, daß noch am gleichen Tage eine lange Reihe blendend weißer Wäsche lustig auf der Leine im Winde flatterte.
„Lili, komm!“ rief die Großmutter plötzlich,„Ubald befestigt eben sein Pferd am Zaun.“
„Was liegt daran?“ entgegnete Lili lachend,„wenn
er nach mir fragt, so schicke ihn heraus, seinetwegen höre ich nicht auf.“
Wirklich erschien Ubalds hohe Gestalt alsbald unter
der Thüre des Holzschuppens.
„Guten Tag, Ubald,“ rief sie ihm entgegen,„Sie müssen entschuldigen, wenn ich fortarbeite; Geschäft geht vor Vergnügen, wie man sagt. Bitte, Platz zu nehmen. Wie gehis Irmgard?“
Sie deutete auf einen hölzernen Stuhl neben der Thüre. Ubald setzte sich mit dem Gefühle, wie wenig er in seinem eleganten Anzug zu dem hölzernen Stuhl ohne Lehne und dem abscheulichen Seifenduft passe.
„Ich soll Ihnen Grüße von Irmgard sagen,“ begann Ubald nach kurzer Pause,„und Sie bitten, sie noch heute zu besuchen. Sie hatte heute Nacht einen leichten Blutsturz; Mama und ich glauben, daß es vom Magen kommt, Papa aber ist zu Tode erschrocken.“
„O. Ubald, das ist ja schrecklich!“ Und über den Zuber gebeugt, brach Lili in Thränen aus.
„Weinen Sie nicht, Lili, der Arzt hält es nicht für gefährlich. Sie ist nur übermüdet, weil sie Harold immer bei seiner Arbeit half.“
„Also meinetwegen strengte sie sich an, und wenn sie stirbt, ist es meine Schuld“, schluchzte Lili.
„Sie erholt sich schon wieder“, tröstete Ubald,„seien sie ganz ruhig.“
„Mr. Willy Peterkin kommt“, unterbrach Frau Crawford,„was fange ich mit ihm an?“
„Sende ihn hierhin", erwiderte Lili, die Thräuen trocknend. Einige Minuten später erschien das niedliche Männchen mit einem riesigen Strauß phantastisch geformter Orchideen und zierlicher Farnkräuter. Einen Moment blieb er stehen und starrte bald Ubald an, bald Lili am Zuber mit dem verweinten Gesichtchen. Sie war froh über Willys Besuch und nahm seine Blumen freundlich entgegen.
„Nehmen Sie Platz, Willy, das heißt, ich will