42 Jahrgang.— Nr. 13970.
Montag. 9. März 1931.
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Rirssenzusumendtach der Preupischen=Siadi!
Oberbürgermeister Dr. Jarres nennt die Behandlung der Gemeinden durch Reich und Länder eine
Luderwirtschaft.
In letzter Stunde.— Zur Finanznot der Gemeinten.
Von Oberbürgermeister Dr. Jarres, Duisburg=Hamborn.
Nach den Ermittlungen des Städtetages werden allein die preußischen Städte mit mehr als 25 000 Einwohnern im laufenden Rechnungsjahr in ihrer Gesamtheit mit einem Jehlbetrag von 225 Millionen RM. abschließen. Dieser Fehlbetrag ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Zunächst blieben die Einnahmen aus Steuern und Werkerträgen um 150 Mill. RM. hinter dem Anschlag zurück Dagegen bringen die nachträglich eingeführten Steuern aus den Notverordnungen nur eine Mehreinnahme von rund 50 Mill., so daß allein auf der Einnahmeseite ei. Ausfall von rd. 100 Mill. RM verbleibt. Auf der and:: ren Seite sind die Ausgaben für die Erwerbslosen trotz hoher Einstellung in den Voranschlägen verhängnisvoll gestiegen, und zwar die Ausgaben für Wohlfahrtserwerbslose um 137 Mill, RM., diejenigen für die Krisenfürsorge um 13 Mill. RM. Die Mehrausgaben gegenüber dem Etatsansatz betragen bei den Wohlfahrtserwerbslosen im Durchschnitt 80 Prozent, es gibt jedoch Gemeinden, wo, wie z. B. in der Stadt Duisburg, die Ausgaben für die Wohlfahrtserwerbslosen gegenüber dem Etatsansatz auf das Fünffache gestiegen sind.
Neben diesen Mehrausgaben für die Erwerbslosen von insgesamt rd. 150 Mill. RM. sind andere Mehrausgaben, hauptsächlich auf dem Gebiet der sonstigen Wohlfahrtsfürsorge und der Finanzverwaltung, von 55 Mill. RM. festzustellen, so daß im ganzen rd. 205 Mill. Rm. Mehrausgaben bei diesen Städten nicht zu vermeiden waren.
Diese 205 Mill. RM. schaffen mit den 100 mill. nm. Mindereinnahmen eine Lücke von 305 Mill. RM., die sich um die erwähnte Ausgabendrosselung von 80 Mill. RM. vermindert, so daß für die preußischen Städte mit mehr als 25000 Einwohnern der genannte Ihelbetrag in 1930—31 sich auf 226 Mill. RM. beläuft.
Der Fehlbetrag des Vorjahres 1929—30 betrug allein bei diesen Städten 116 Mill. RM. so daß für die beiden Jahre ein Gesamtfehlbetrag von rd. 340 Mill. RM. ungedeckt bleibt, mit dem die Städte durchweg auf den schwachen Krücken kurzfristigen Kredits in das neue Rechnungsfahr 1931 eintreten müssen. Der Gesamtfehlbetrag aller Gemeinden des Reiches beträgt im Jahre 1929 rd. 200 Mill. RM. und für 1930 420 Mill., insgesamt also 620 Mill. RM. am Anfang des Rechnungsjahres 1931.: Gesamidefizik und Gesamtkosten der Wohlfahriserwerbslosen werden sich decken; daher also kommt die Rot der Städte. Das ist eine Behandlung der Gemeinden durch Reich und Länder, die zum Himmel schreit. Ich habe an anderer Stelle solches Iinanzgebaren als eine Luderwirtschaft ohnegleichen bezeichnet und bleibe bei diesem harten Urteil.
Die Städte und Gemeinden selbst haben an diesem Notstand keine Schuld. Von allen Seiten im Stich gelassen, haben sie ihre Steuerquellen und sonstigen Einnahme= möglichkeiten bis zum letzten, ja auf dem Steuergebiet über das Erträgliche hinaus geschöpft. Auch die Werke haben vielfach unter Vernachlässigung gesunder wirtschaftlicher Grundsätze ihre letzten Reserven hergeben müssen und sind dadurch in ihrer kommunalen Unabhängigkeit gefährdet. Die ständig wachsende Lawine der Wahlfahrtserwerbslosenlasten bedroht, buchstäblich, wenn nicht in letzter Stunde Hilfe kommt, die Exislenz der Städte und ihrer Bevölkerung.
Dabei waren die deutschen Städte aus eigenem Entschluß und im Wege der Selbstzucht gerade auf dem besten Wage, ihre Kreditverhältnisse entscheidend zu bessern durch Konsolidierung der kurzfristigen Schuldenlast, durch Drosselung ihres Anleihebedarfs und durch Einschaltung neuer Kontrollen beim städtischen Anleihewesen. Die Vermögens= und Schuldenlage der Städte, die eine Hauptgrundlage ihres Kredits ist, ist auch nach wie vor uner: schüttert. Gefahr droht allein von der Erschütterung des Haushaltsgleichgewichts, die ausgeht von der unerhört ungerechten und unerträglich fehlerhaften derzeitigen Regelung der Fürsorgelasten. Für den Fortbestand dieses gigantischen Gesetzgebungsfehlers tragen das Reich und die Länder, nicht die Gemeinden die Verantwortung.
Die trostlose Haushaltslage der Gemeinden ist mit den maßgebenden Reichs= und Staatsstellen in den letzten Monaten eingehend erörtert worden. Hilfe ist, abgesehen von einer Dotationszuwendung in Bayern, bisher nicht erfolgt. Es ist deshalb zu begrüßen, daß in Preußen die vereinigten Haupt= und Gemeindeausschüsse des Staatsrats in diesen Tagen der Staatsregierung den ganzen Ernst der Lage noch einmal klargelegt und folgende Forderungen mit aller Bestimmtheit erhoben haben:
1. Reich und Staat müssen einspringen bei den Gemeinden, die nachgewiesenermaßen nicht mehr imstande sind, die Wohlfahrtslasten zu tragen, wi also der Kassenzusammenbruch unvermeidlich ist;
2: die Verteilung der Erwerbslosenlasten zwischen Reich. Land und Gemeinde ist neu zu regeln.
Die Vorschläge des Deutschen Städtetages in dem Ent wurf eines Gesetzes über eine Reichsarbeitslosenfürsorge bieten für diese Neuregelung eine geeignete Grundlage. Die Länder, die bisher keinen koniunktu:: empfindlichen Haushalt hatten, haben sich in die Erwerbslosenfürsorge einzuschalten. Insbesondere gilt dies von de.n Staat Preußen, der sich verhältnismäßig der besten und geordnetsten Finanzlage erfreut. Wenn dem Reich die Tragung der Hälfte der Fürsorgekosten zugemutet werden känn, so ght der Antrag des Städtetages auf einen Zuschuß des Landes in Höhe von 25 Proze1! sicherlich nicht zu reit. Es muß in dem preußischen Etat in solcher Notzeit mög'ich sein, mindestens 10) Millionen RM. einzusparen. Weitere Mittel, etwa in Höhe von je 40 Mill. RM., könnten aus dem staatlichen Wohnungsbauanteil an der Hauszins=
steuer und aus dem nach§ 11 des 4. Teils der Notverordnung vom 1. Dezember 1930 zu bildenden Lastenausgleich bereitgestellt werden. Die restlichen 70 Mill. RM müßten dann auch in Preußen aus dem nicht unbedenklichen Weg der Anleihe aufgebracht werden. Aber wenn die Staatsregierung die Gemeinden zur Deck ung ihrer Erwerbslosenkosten auf dieses Mittel verweist, so mag auch das Land Preußen selbst diesen Weg mitgehen.
Der geschilderte Notstand spricht für sich. Auf den Gemeinden baut der Staat auf. Soll der Zusammenbruch der Staatsordnung verhindert werden, so ist außer der Nothilfe in den hoffentlich wenigen Fällen des Kassenzusammenbruchs die Neuregelung der Erwerbslosenlastenverteilung so dringlich, daß sie mit dem neuen Rechnungsjahr in Kraft treten muß. Für die Aufstellung ihrer Haushaltspläne müssen die Städte die Entscheidung des Gesetzgebers mit aller Beschleunigung verlangen
Zum Milliarden=Desizit der deutschen Städte
Vor wichtigen Entscheidungen.
Die obigen Ausführungen des Oberbürgermeisters Dr. Jarres werden durch folgenden Eigenbericht aus Berlin, 9. März, ergänzt. Unser Berliner Mitarbeiter meldet uns:
Die neue Woche bringt für die deutsche Kommunalpolitik wichtige Entscheidungen, die, da sie zugleich die gesamtpolitische Lage berühren, für die weitere Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung sind. Die deutschen Gemeinden stehen alle kurz vor der Verabschiedung ihrer neuen Haushaltspläne für das Rechnungsjahr 1931=32, das sie mit einem außerordentlich hohen Defizit-beginnen. Insgesamt schätzt man den
Fehlbetrag auf 625 Znonen Mark, wovon 209 Millionen noch aus dem Jahre 1929 stammen. Eine Beseitigung dieses Fehlbetrages wird sich nun aber nur durch eine vollkommene Neuverteilung der Lasten vornehmen lassen, insbesondere der Lasten für die Erwerbolosenfürsorge. Nach dieler Bichtung his ist man
Reichstag.
Eine Sitzung von 55 Minuten Dauer.
VDZ Berlin, 7. März. Die heutige Reichstagssitzung hat den Rekord an Kürze geschlagen. In dieser Sitzung wurde der Haushalt des Reichstages in zweiter Beratung bewilligt, die zweite Beratung des Gesetzes über die Entschädigung der gewerbsmäßigen Stellenvermittler wurde erledigt. Das Zusatzabkommen zum deutschfranzösischen Handelsabkommen gelangte in zweiter und dritter Beratung zur Annahme, der Notenwechsel zum deutsch=rumänischen Handelsabkommen und das Genfer Handelsabkommen gingen an den Handelspolitischen Ausschuß— und trotz dieses breiten Arbeitsstoffes wurde alles in 55 Minuten erledigt.
Beim Reichstagsetat begründete Abg. Dr. Weber (St..) einen Antrag, mit dem den
Korruptionsvorwürsen gegen die Parlamentarier ein Ende gemacht werden soll. Nach diesem Antrage sind die Abgeordneten verpflichtet, die Art ihrer Tätigkeit und ihres Einkommens genau anzugeben, vor allem auch anzumelden, welche Bezüge sie als Aufsichtsratsmitglieder, Direktoren, Syndici usw. von privaten oder öffentlichen Unternehmungen beziehen. Dieser Antrag, dem auch die Sozialdemokraten zustimmten, wurde auf Zentrumsantrag dem Aeltestenrat überwiesen, dazu ein Antrag des Landvolkes, der die Diäten der Abgeordneten allgemein um 10 Prozent, die der in Berlin ansässigen und in Beamtenstellungen befindlichen Abgeordneten um weitere 10 Prozent kürzen und für die sitzungsfreie Zeit die Diäten auf die Hälfte herabsetzen will. Angenommen wurde ein Antrag der Wirtschaftspartei, der 2000 Mark Mehraufwendungen für Erneuerung von Reichsratsmöbeln den durch die Abwesenheit der äußersten Rechte gesparten Diäten entnehmen will.
In der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs über die
Entschädigung der gewerbsmäßigen Stellenvermittler
begründete die sozialdemokratische Abgeordnete Frau Kunert einen Antrag ihrer Partei, der im Gegensatz zu der Ausschußvorlage die sofortige Schließung aller privaten Stellenvermittlungsbetriebe gegen Entschädigung verlangt. Da auch die Kommunisten für diesen Antrag sind, ist seine Annahme gesichert, aber die Abstimmung wurde am Samstag aus technischen Gründen noch nicht vorgenommen, sondern auf später vertagt.
Die nächste Sitzung, in der der Haushalt des Reichsarbeitsministeriums zur zweiten Beratung kommt, findet erst am Donnerstag statt.
des Ronflikts
der Deutschnationalen mit Schiele
Die Deutschnationale Pressestelle teilt mit:
Reichsernährungsminister Schiele nimmt eine an sich nicht entscheidende Auseinandersetzung über ein politisches Frühstück mit dem damaligen englischen Botschafter Lord 'Abernon zum Anlaß, scharfe Kritik an der Ablehnung der Locarno=Politik im Herbst 1925 zu üben. Dieser öffentliche Angriff zwingt das politische Verhalten des Ministers Schiele im Verlauf der Zeit seit 1925 einer nähern Betrachtung zu unterziehen. Es handelt sich hierbei nicht nur um die von ihm in den Vordergrund gestellte auswärtige Politik, sondern ebenso um die ihm zur Last fallenden Versäumnisse auf inner= und argrarpolitischem Gebiet. Wir haben bisher aus naheliegenden Gründen von einer nähern Erörterung der Dinge abgesehen. Ueber
nun schon in Preußen sehr weit gediehen, wo im Staatorat bereits eine neue Kalkulation festgelegt wurde, deren Realisierung aber die generelle Zusammenlegung der Krisen= und Wohlsahrts=Erwerbolosenfürsorge voraussetzt. Da nach den neuen Plänen die Länder ein Viertel der Lasten übernehmen sollten, hätte Preußen für diesen Zweck 210 Millionen Mark auszubringen.
Die Beschaffung dieser an und für sich sehr hohen Summe ist nun, wie man aus gut unterrichteter Quelle hört, folgendermaßen gedacht: 100 Millionen Mark sollen im Haushalt eingespart werden, was allerdings nicht ohne rigorose Streichungen ausgehen wird: 46 Millionen Mark sollen weiter von dem Wohnungsbauanteil an der Hauszinssteuer genommen werden, und die restlichen 70 Millionen Mark will man auf dem Anleihewege beschaffen. Das letztere wird allerdings bei der gegenwärtigen Verschuldung nicht ganz einfach sein, doch hofft mun, auf diese Weise doch zum Ziele zu kommen.
Leider ist es aber nun bis zum heutigen Tage noch nicht möglich gewesen, unter den Gemeinden selbst eine Einigung herbeizuführen. Es sollen aber in den nächsten Tagen alle Anstrengungen gemacht werden, eine gemeinsame Basis zu finden und, wenn möglich, die entscheidenden Beschlüsse zu fassen.
Naturnotwendig wird bei all diesen Verhandlungen der Reichsarbeitsminister eine große Rolle spielen, da Dr. Stegerwald in den großen politischen Bemühungen um den Ausgleich mit der SPD. die Entscheidung in der Hand hat.
Nachdem der Reichskanzler die vorbereitenden Verhandlungen zum Abschluß bringen konnte, die den Ausgleich auf das sozialpolitische Gebiet überwiesen, wird er in den nächsten Tagen auch in den kommunalpolitischen Fragen das letzte Wort zu sprechen haben, und man darf deshalb allen diesen kommenden Verhandlungen mit größter Spannung entgegensehen.
diese Rücksichten müssen wir uns jetzt um so mehr hinwegsetzen, als sich immer mehr herausstellt,
daß idie Politik des Ministers Schlele eine im Grundgedanken richtige Agrarpolitik prakt sch in ihr Gegenteil umgekehrt und geeignet ist, der Abkehr von salschen Meihoden der Außenpolikik und der Agrarpolilik Hinternisse zu bereiten.
Wir werden auf die Angelegenheit in einigen Tagen zurückkommen.
Anstatt eines Thronerben Geburt einer Prinzessin in Japan.
ITB Tokio, 7. März. Die Kaiserin wurde von einer Prinzessin entbunden. Das auf den Straßen versammelte Publikum gab, als die Sirene nur einmal ertönte, Zeichen großer Enttäuschung von sich, da das Volk sich einen Thronerben gewünscht hatte.
„Rheinische Revolver=Republik“.
Von Reichsminister. a. D. Pros. Dr. Molden hauer M. d. R.
Vor kurzem ist unter dem Titel„The Revolver Republic, Franée's bid for ihe Rhine“, ein Buch von G. E. R. Gedye erschienen, das großes Interesse auch in der deutschen Oeffentlichkeit beanspruchen kann. Gedye kam Ende 1918 als Offizier der englischen Besatzungsarmee nach Köln und blieb dort bis Mitte 1921 als Mitglied des Stabes beim Britischen Militärkommando. Er schied dann aus, um für verschiedene englische Blätter die Berichterstattung über die Vorgänge im besetzten Gebiet zu übernehmen. Er nahm nicht einseitig für Deutschland Partei; aber er empfand als freiheitliebender Engländer die ganze Schmach, die damals Deutschland angetan wurde Er sah sehr klar voraus, daß, wenn Frankreichs Politik Erfolg hatte, der Frieden Europas zerstört werde. Er erkannte aber auch, wie bedenklich die französische Politik für England war; zwischen den Zeilen liest man, wie bitter er die passive Rolle empfand, die England damals spielte, und die in Lord Kilmarnock, dem sich immer wieder der Stimme enthaltenden englischen Mitglied der Interalliierten Rheinlandkommission, den prägnantesten Ausdruck fand, während der englische Delegierte für Köln, Piggott, versuchte, eine selbständige Politik zu treiben.
Gedye gibt in seinem Buch einen Ueberblick über die französische Rheinlandpolitik vom Ende des Krieges an. Vor unserm Blick entrollen sich noch einmal die Vorgänge jener Jahre, die fast schon aus dem Gedächtnis unserer so leicht vergessenen Zeit verschwunden sind. Wir sehen, wie die Generale Mangin und Gérard versuchen, im Frühjahr 1919 eine vollendete Tatsache zu schaffen, indem sie deutsche Verräter finden, die eine Rheinische Republik ausrufen wollen. Die Versuche scheitern am Widerstand der Berölkerung. Sie scheitern aber auch daran, daß Amerikaner und Engländer sich ablehnend verhalten. Dann wird das Diktat von Versailles unterzeichnet. Es beginnt die Tätigkeit der Rheinlandkommission. Gedye deckt die Heuchelei auf, die in den Worten lag, daß das Rheinlandabkommen einen freiheitlichen Charakter trüge, für den es kein Vorbild in der Geschichte gäbe, und zeigt, daß diese Bestimmungen durch die Siegerstaaten ins Gegenteil umgebogen wurden wie wenige in der modernen Geschichte,
Wir erleben mit Gedye den Einmarsch in das Ruhrgebiet. Er ist persönlich zugegen, als die französischen Truppen in Essen einrücken. Er schildert die Szene im Rathaus zu Essen, als der stellvertretende Oberbürgermeister auf die Frage, warum er nicht zur Begrüßung er
scheine, antworten läßt, er sei gewohnt, die Besuche im Rathaus zu empfangen, und wie Luther dann den französischen General empfängt und gegen die Ungesetzlichkeit des französischen Vorgehens protestiert. Wir erleben alle die brutalen Maßregeln des französischen Regime an der Ruhr. Was Gedye berichtet, ist nicht von Dritten gehört, sondern selbst geschaut. Dann wird der Ruhrkampf abgebrochen, und nun beginnt für das altbesetzte Gebiet, die Rheinlande, die schlimmste Zeit, die der Separatistenwirren, der„Revolver=Republik“. Der französische Chauvinismuß hatte die Hunde des bezahlten Verrats und der Rebellion in das Rheinland und in kleinerem Umfang an der Ruhr gelassen, und beide Gebiete mußten durch Szenen von Blut und Terror hindurch, um sich gegen die letzte Auswirkung der französischen Rheinlandpolitik, die „Revolver=Republik“ zu wehren. Seit dem Frühjahr 1923 beginnen die Vorbereitungen für diese Aktion, deren treibende Kraft das„Comilé de la Rive Gauche du Rhine“ ist und die von Tirard, dem Vorsitzenden der interalliierten Rheinlandkommission begünstigt und offen unterstützt wird. Tirard selbst empfängt die Separatistenführer. Auf den Versammlungen der Separatisten erscheinen französische Offiziere. Die Regiezüge befördern die Teilnehmer kostenlos. Die Versammlungen werden durch französisches Militär gegen Störungen durch die deutsche Bevölkerung geschützt. Immer mehr schwer bewaffnetes Gesindel findet sich zusammen. Während jeder Deutsche aufs schwerste bestraft wird und ins Gefängnis wandert, wenn er im Besitz einer Waffe ist, ziehen bald Scharen bis an die Zähne bewaffneter Separatisten durch das Land, ohne daß Frankreich eingreift.
Der erste Putschversuch, von Matthes am blutigen Sonntag Ende September 1923 in Düsseldorf unternommen, scheiterte. Die Schupo wird der Separatisten Herr. Aber in diesem Augenblick greift das französische Militär ein. Es entwaffnet die deutsche Schutzpolizei, läßt aber den Separatisten ihre Waffen. So sieht Gedye, wie zwei entwaffnete deutsche Polizisten vor dem Breidenbacher Hof von wieder anstürmenden Separatisten aufs grausamste hingemordet werden, während unmittelbar neben ihnen die bewaffneten Franzosen stehen, die zynisch genug sind, ein Eingreifen mit der Bemerkung abzulehnen, daß sich Frankreich in diesem Kampf gneutral verhalte. Aber am anderen Morgen steht der wahrheitsgemäße Bericht über die Vorgänge in Düsseldorf in der„Times“. Erst einen Monat später setzen die eigentlichen Separatistenwirren ein, und zwar überraschenderweise am 21. Oktober in Aachen. Es ist nie vollkommen aufgeklärt worden, warum hier unter belgischer Hilfe die Separatisten zuerst losschlagen. Es scheint, als ob belgische Kreise gefürchtet haben, daß, wenn die im französischen Solde stehenden Separatisten zuerst vorgingen, das ganze Rheinland unter Frankreichs Oberhoheit gestellt würde. Auch in Aachen entwaffneten die Belgier die deutsche Polizei und schützten die Separatisten. Gedye erlebt auf dem Rathaus die Szene, in der der Separatist Deckers schon bereit ist, angesichts der sich vor dem Rathaus sammelnden empörten Bevölkerung zu kapitulieren. Da unterbricht ihn der belgische Polizeioffizier Peters und sagt, er solle nicht unterzeichnen. Gedye schließt dieses Kapitel mit der Bemerkung, daß die belgischen Chauvinisten und ihre separatistischen Freunde zuerst ungläubig und dann wütend gewesen seien, als die ganze Geschichte von der Szene zwischen Peters und Deckers am nächsten Tage in der„Times“ gestanden habe. England erhebt ernste Vorstellungen in Brüssel. Belgien sieht sich genötigt, die Hand von den Separatisten abzuziehen. In demselben Augenblick bricht die Bewegung zusammen. Auch in der mittleren Zone ebben langsam die Fluten zurück. Der französische Schutz und, wie es scheint, vor allem das französische Geld hören langsam auf. Die Separatisten verschwinden wieder.
Nur die Pfalz erlebt noch ein blutiges Nachspiel. Gedye sitzt an einem Abend in Speyer im Restaurant, am Nebentisch der Separatistenführer Heinz mit seinen Getreuen, als die Tür aufgerissen wird, eine Reihe junger Deutscher hereinstürmen und die Separatisten niederschießen. Es gelingt Gedye, obwohl man ihn verhaften will, auch diese Nachricht noch nach London zu geben. Nun ist die Aufmerksamkeit der Welt auf die Pfalz gerichtet. Der englische Generalkonsul in München erhält den Auftrag, den Tatbestand aufzuklären. Nun muß Frankreich auch in der Pfalz die Separatisten fallen lassen. Sie flüchten, soweit sie nicht Opfer der empörten Bevölkerung geworden sind, die in Pirmasens die Kaserne, in der die Separatisten hausen, ansteckt und sie dort verbrennt.
Es sind nicht neue Tatsachen, die Gedye ans Licht holt. Aber es ist gerade in diesen Tagen, wo sich die Zeit zum zehntenmal jährt, wo die Franzosen durch die Besetzung von Düsseldorf, Duisburg und Ruhrort die letzten Ziele ihrer imperialistischen Politik enthüllen, wertvoll, sie noch einmal im Zusammenhang zu lesen. Es ist wertvoll, die vernichtende Anklage gegen die französische Rheinlandpolitik zu lesen, die hier von einem Engländer erhoben wird, der, über den Dingen stehend, mit offenen Augen in die Verhältnisse hineingeblickt hat.
Darf es uns Wunder nehmen, wenn gerade die Pfalz, die die ganze Schwere der französischen Unterdrückungspolitik über zehn Jahre getragen hat, bei den letzten Wahlen besonders radikal gewählt hat? Die Frage der Verständigung mit Frankreich ist wieder, insbesondere durch den Brief des Grafen'Ormesson in den Vordergrund gerückt worden. Wer die letzten zehn Jahre am Rhein erlebt hat, weiß, welche fast unüberwindlichen Schwierigkeiten die französische Politik dieser Verständigung selbst geschaffen hat. Wir lesen in diesen Tagen von neuen separatistischen Wühlereien im ehemals besetzten Gebiet und neuen Verhaftungen. Wenn Frankreich nicht in dieser Frage ein ganz offenes Spiel spielt und jede Hoffnung, deutsches Land gegen den Willen seiner Bevölkerung vom Vaterland loszureißen, aufgibt, werden alle Verständigungsversuche, die im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens und der Wiederaufrichtung der europäischen Wirtschaft so notwendig sind, zum Scheitern verurteilt sein.
[De brige 2uumer nmsoht 12 Seiten