22. Jahrgang. g Nr. 13883.

Samstag, 22. November 1930.

Gründungssahr des Verlags 1723.

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Aegierungsertiärungen zur Tohn und Preissenrung.

Reine allgemeinen und schematischen Lohn= und Gehaltskürzungen.

Eine Klarstellung des Kanzlers und Reichsarbeitsministers.

CNB Berlin, 21. Nov. Das Blatt der christlichen Ge­werkschaften der Deutsche, bringt ausführliche Berichte über die Tagung des Großen Ausschusses des Deutschen Gewerk­schaftsbundes, an der Reichskanzler Brüning und Reichsarbeitsminister Stegerwald teilnahmen.

In der Aussprache nahm

Reichskanzler Dr. Brüning das Wort. In einer Zeit, wo Deutschland stark von den ausländischen Krediten abhängig sei, sei es die Hauptauf­gabe der Regierung, so zu handeln, daß das Vertrauen zu Deutschland in der Welt wiederhergestellt werde. Alles andere nütze nichts. Kein Gläubiger glaube einem Schuld­ner, wenn dieser einen Aufwand treibe, der mit seinen Klagen nicht vereinbar sei. Es sei u. a. unmöglich, Lohn­politik zu treiben mit andauernder Steigerung der Löhne und gleichzeitig das Reich mit starken sozial politischen Ausgaben zu belasten. Die Finanzsanierung des Reiches sei die vordringlichste Aufgabe. Vom D. G. B. könne er keine Zustimmung zu den Lohn­fenkungen erwarten. Wirtschaftlich komme es darauf an, die arbeitsintensiven Betriebe der Wirtschaft gegenüber den kapitalintensiven zu entlasten. Dadurch würde die Gefahr weiterer Arbeitslosigkeit vermindert. Die Lohnsen­kungen in Deutschland wären keine Folge des Re­gierungsprogramms. Andere Länder seien Deutschland vorausgegangen.

Die Regierung denke gar nicht daran, schematische Lohnkürzungen durchzuführen.

Die Preissenkung lasse sich nicht von heute auf mor­gen durchführen. Jeder Pfennig aber, der gespart werden könne, mache bei knappen Löhnen, bei Kurzarbeit und Ar­beitslosigkeit schon etwas aus. Die vielfach unbequemen Maßnahmen, die die Reichsregierung für notwendig er­achte, müßten schnell durchgeführt werden. Kein Volk könne auf lange Zeit eine solche Beunruhigung er­tragen. Deshalb müßten die Aufgaben entschlossen ange­faßt und durchgeführt werden. Werden die Nerven ver­loren, so sei für alle alles verloren.

Reichsarbeitsminister Dr. Stegerwald erklärte, man hätte sich die Tatsache vor Augen zu halten, daß in Deutschland

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und durch Tarifvertrag gebunden

wären Ein solcher Zustand sei in keinem anderen Lande der Welt gegeben. Andere Länder zeigten deshalb, und weil die Kartellpolitik weniger stark entwickelt sei, auch eine stärkere Nachgiebigkeit der Preise bei Wirtschafts­krisen. Der Kampf in der Berliner Metallindu­strie habe schnell beendet werden müssen, weil er in sei­nen politischen Auswirkungen nicht wieder gut zu machende Schäden für die deutsche Wirtschaft hätte anrich­ten können.

Es sei weder der Wille der gesamten Reichsregie­rung, noch der des Reichsarbeitsministers, daß die deutschen Löhne allgemein und schemalisch gesenkt würden. Demenlsprechend seien auch die Schlich­ter angewiesen worden.

In der weiteren Aussprache bejahte Reichsarbeitsmini­ster Dr. Stegerwald die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung als Mittel der Erziehung zu staats­bürgerlicher Verantwortung. Allerdings sei die Zeit zur Erweiterung der Selbstverwaltung nicht sonderlich günstig. Es sei Vorsicht im Tempo des Ausbaues der Selbstverwal­tung angebracht. Die Staatsaufsicht könne nicht entbehrt werden. In der Gliederung der Sozialversicherung sei durch die Verwaltung mehrerer Sozialversicherungszweige eine Vereinfachung und damit eine Verbilligung der Ver­waltung zu erstreben. Im Tarifrecht müsse die Ent­wicklung dahin gehen, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht von den Gegensätzen zwischen den einzelnen Gruppen ausgingen, sondern von den gemeinsamen Aufgaben.

Nochmalige Amnestierung der Steuerflüchtlinge.

In Ergänzung unseres Berichts über eine bevorstehende Steueramnestie wird noch folgendes bekannt:

Man will den Rückfluß des im Ausland verheimlichten Kapitals erleichtern.

Das Steuervereinfachungsgesetz, das der Reichsrat bis zum nächsten Donnerstag beraten soll, ent­hält eine neue Steueramnestie. Wer nach In­krafttreten des Gesetzes bis 30. Juni 1931 das bisher nicht angegebene Vermögen oder Einkommen deklariert, wird von der Strafe und der Nachzahlungspflicht hinsichtlich der Zeit vor dem 1. Januar 1931 befreit, soweit die Behörden nicht vorher schon Kenntnis hatten. Diese Steueramnestie soll den Rückfluß des im Auslande verheim­lichten Kapitals erleichtern.

In der Begründung zu diesem Schritt, zu dem sich die Reichsregierung entschlossen hat, wird folgendes ausgeführt:

Die Reichsregierung ist sich der Nachteile, die in ei­ner Steueramnestie überhaupt liegen, voll bewußt, hat aber dennoch geglaubt, diese Bedenken in diesem Augenblick zurückstellen zu sollen. Es gibt unzweifelhaft viele Personen, die steuerflüchtig geworden sind, und an sich dennoch bereit wären, mit ihrem Kapital ins Inland zurückzukehren, denen aber der Weg solange verbaut erscheint, als sie nicht die Gewißheit haben, daß sie nicht nur von Strafen, sondern auch von Nachsteuern für vergangene Jahre befreit sind. Dieser Entschluß wird sich gerade in diesem Augenblick verstärken, weil die ge­samte Oeffentlichkeit im Inland und Ausland sieht, daß im Rahmen des Finanz= und Wirtschaftsplans der Reichs­regierung die Gesundung der öffentlichen Hand mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und nachdrücklich herbei­geführt werden soll. Aus diesem Grunde erscheint der

gegenwärtige Zeitpunkt für eine solche außer­gewöhnliche Maßnahme besonders geeig­net. Wenn auch den Ausgangspunkt für diese Erwä­gungen die starke Steuerflucht ins Ausland gebildet hat, so erschien es doch nicht gerechtfertigt, die Amnestie nur auf das ins Ausland verbrachte Vermögen zu beschränken. Sie ist daher auch auf das

im Inland hinkerzogene Vermögen und Einkommen ausgedehnt worden.

Es soll allen Zensiten, die Hinterziehungen begangen haben, zu Nutz und Frommen des Staates und der ehr­lichen Steuerzahler noch einmal die Möglichkeit geboten werden, den Weg zur Steuerehrlichkeit zurückfinden.

Das Schiafal der Tandgemeinden.

Trotz ihrer Uotlage wollen selbst die kleinsten Gemeinden(Die nicht leben und nicht sterben können, sagt Severing) nichtzu­

sammengelegt werden.

Brüning und Severing vor dem Verband preußischer Landgemeinden.

Berlin, 21. Nov. Vor den Delegierten des Ver­bandes preußischer Landgemeinden sprachen heute Reichskanzler Brüning und der preußische Innen­minister Severing.

In seiner Begrüßungsansprache dankte Bürgermeister Lange(Weißwasser) besonders dem Reichskanzler für sein Erscheinen, da es das erstemal ist, daß der Leiter der deutschen Politik auf der Tagung der Landgemein­

den das Wort ergreife, und Minister Severing, den die Versammelten mit Beifall begrüßten.

Der Redner verwies auf die Belastung der Ge­meinden mit der Aufgabe, die Erwerbslosen über Wasser zu halten. Das Senkungsprogramm der Reichs­regierung denke leider nicht an die Gemeinden. Die Ueberindustrialisierung werde uns noch für mehrere Jahre hinaus die Sorge um die Arbeitslosen auferle­gen. Deshalb müsse den Gemeinden, die das Funda­ment des Staates bilden, diese Last erleichtert werden. Das ganze Problem sei nur zu lösen mit Hilfe der Be­amten. Da müsse man die Hetze gegen die Be­amten energisch zurückweisen.(Beifall.) Die Gesetzgebung, namentlich die Steuergesetzgebung, müsse einfacher und durchsichtiger werden. (Sehr richtig!) Dasselbe müsse für den Aufbau der Verwaltungen gelten. Der untere Ausbau für die Ver­waltungen, die doch das Reich geschaffen habe, sei völlig überflüssig gewesen. Die vorhandenen Verwaltungen der Kommunen hätten ausgereicht.(Lebhafte Zustim­mung.) Vielleicht könne man das noch rückwärts re­vedieren.

Reichskanzler Dr. Brüning

machte dann einige Ausführungen über den Finanz­und Wirtschaftsplan.

Die Regierung sei sich klar darüber, daß sie nicht auf einmal allen helfen könne. Aber sie wisse, wie schwer gerade die Lage der Landgemeinden sei. Der fürchterliche Stoß der Agrarkrise und der industriellen Krise zugleich treffe zuerst die Landgemeinden, die ohne steuerliche Reserven daständen.(Sehr richtig.) Keine Regierung könne jedoch im Handumdrehen die Pro­bleme meistern, die die Entwicklung der letzten Jahre und die daraus entstandene Weltwirtschaftskrise ihr auferlegten. Auch der Reichstag habe leider jahrelang geglaubt, Lasten auch den Ländern und Gemeinden auf­erlegen zu können. Wir sind uns heute klar darüber, daß dadurch namentlich die Realsteuerlast zu einem schweren Druck geworden ist, aber Deutschland sei nicht das einzige Land, das die Wirtschaftsentwicklung über­schätzt habe und jetzt zu drakonischen Sparmaß­nahmen greifen müsse. Die Politik der Reichsregie­rung habe die stärkste Unterstützung auch der preußischen Regierung und aller Länder gefunden. Trotz der Agrar­krise sei es der Regierung gelungen, die Agrarkrise vom Weltmarkt abzuhängen. In kürzester Frist werde die Regierung weitere Maßnahmen treffen, denn von der Konsolidierung der Landwirtschaft her könne ein großer Teil der Arbeitslosigkeit behoben wer­den.(Sehr richtig!)

Uebrigens sehe das neue Realsteuergesetz einen Aus­gleichsfonds vor, aus dem den Gemeinden gehol­fen werden soll, die durch Wohlfahrtsausgaben besonders belastet seien. Ferner seien Mehr­summen für die Krisenfürsorge in den Etat eingesetzt und die Krisenfürsorge ausgedehnt. Das bedeute eine künftige Entlastung für die Gemeinden. Auch die Rettung der Arbeitslosenversicherung sei eine solche Entlastung, denn mit dem Zusammenbruch der Versicherung wären auch die dann noch stärker belasteten Finanzen der Gemeinden zusammengebrochen. Für das nächste halbe oder ganze Jahr könne die Regierung noch keine volle Gesundung herbeiführen. Sie wolle die wirtschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten nur so weit abdämmen, daß das Vaterland nicht völlig zusam­menbreche.(Bravo!)

Die Lage sei erheblich schwieriger als am Ende 1923. Man könne nicht an das Ende wie­der eine Rentenmark setzen, man könne nur eine Stabilisierung in der gesamten öffent­dichen Finanzwirtschaft herbeiführen. Wenn Sie nicht daran glauben, dann kann ich Ihnen allerdings den Glauben nicht beibringen. Ich darf Sie aber bitten, erst einmal die Gesetze anzusehen, und sich erst dann Ihr Urteil zu bilden.(Sehr gut! und Beifall.)

Im übrigen möchte ich damit schließen, daß entschei­dend für die weitere wirtschaftliche Entwicklung die Durchführung und zwar in schnellstem Tempo des Gesamtprogramms der Reichsregie­rung ist.

Die Kreditwürdigkeit der öffentlichen Körperschaften und die Kreditsicherheit unserer ganzen Wirtschaft muß wiederherge­stellt werden sowohl durch die Einzelmaßnahmen, die

die Reichsregierung vorgeschlagen hat, wie aber auch nach der psychologischen Seite hin.

Bevor diese Sicherheit geschaffen ist, ist eine Reihe on weiteren Maßnahmen, die in stärkerem Maße in erster Linie auch die Lebensfähigkeit und die Erleichterung der Lasten der Landgemeinden tangieren, nicht durchzuführen. Ich bitte Sie deshalb, das Werk der Reichsregierung als ein einheitliches Gan­zes anzusehen und

daran zu glauben, daß von der schnellen Durchführung dieses Werkes nicht nur die Finanzsanierung des Reiches, sondern unmittelbar auch die der Länder und Ge­meinden abhängig ist, ebenso die Sicherheit und Ret­tung der Wirtschaft in einem der fürchterlich­sten Augenblicke, die die Wirtschaftsgeschichte der letz­ten Jahrzehnte gekannt hat. Es ist kein Grund vorhanden, zu verzweifeln und nur skeptisch zu sein. Wenn man den Mut gehabt hat, auch in der schwersten Stunde zuzugreifen und zu handeln, dann ist noch nie ein Volk verloren gewesen. Wenn Sie von diesem Glauben beseelt wieder an die Arbeit gehen, sind auch die Landgemeinden und ihre Zukunft nicht verloren, sondern im Gegenteil gesichert.(Stürmischer Beifall.)

In seinen Dankesworten an den Reichskanzler erklärte der Vorsitzende, die Darlegungen Brünings bewiesen, daß die Reichsregierung regen Anteil an den [Sorgen der Landgemeinden nehme. Das werde günstige Wirkungen im Lande auslösen. Der Kanzler habe ihn aber falsch verstanden, wenn er glaube, er, der Redner, hätte die Wirtschaftsnot allein auf die Reparationen hinführen wollen.

Der preußische Innenminister Severing, mit lebhaftem Beifall begrüßt, wünschte der Tagung namens der preußischen Staatsregierung besten Ver­lauf und führte u. a. noch aus:

Ihr Herr Vorsitzender hat einmal davon gesprochen, daß es jetzt auch an der Zeit sei, energisch zur Ver­einfachung der Verwaltung zu schreiten. Akademische Erörterungen über Selbstverwaltungsge­setze sind in diesem Augenblick nicht am Platz, wo die Regierung fast jeden Tag Staatskommissare einsetzen muß. Aber wir können die Verwaltung rationalisieren und das sage ich insbesondere der Loge der Klein­gläubigen, die sich während der Rede des Reichskanzlers bemerkbar machte etwa durch Zusammenle­gung von kleinen, leistungsschwachen Landkreisen.(Unruhe.) Kaum aber ist die Ab­sicht der Staatsregierung bekannt geworden, kleine Land­kreise, die wirklich nicht leben können, aber auch nicht sterben wollen, zusammenzulegen, wird die Staatsregierung überstürmt, man solle doch zunächst ein­mal Deputationen aus den Kreisen hören. Aber es sind gerade die Vertreter der kleinen Landgemeinden, die dann zum Minister kommen mit dem Wunsch, alles beim gewohnten Alten zu belassen. In solchen Situatio­nen ist dennoch der Hang zur Tradition und in diesem Fall zu einer üblen Tradition so stark, daß alles aufgeboten werden muß, um derartige Wünsche als un­gerecht auch in der Oeffentlichkeit erscheinen zu lassen. In diesem Augenblick kommt es nicht darauf an, ein­ander Vorwürfe zu machen, sondern in Einigkeit und von einem Willen beseelt die Nöte des Winters zu meistern.Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern, und eine Fracht macht uns alle frei. Meines Erachtens ist der gefährlichste unsrer inneren Feinde der Hunger, und den Hunger zu be­kämpfen, muß unser aller Aufgabe sein. Ein anderer Feind, der auch hier zum Vorschein gekommen ist, ist der Pessimismus. Ich bin der letzte, der die Dinge in Deutschland rot in rot malen möchte(Heiter­keit), ich meine damit, der sie schönfärberisch zeichnen wollte.(Erneute Heiterkeit.)

Der Minister erklärte noch, daß ihm der Gedanke der Kürzung der Arbeitszeit als Arbeitsstreckung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sympathisch sei, und hob hervor, daß er als Kommunalminister durch spezielle Bestimmungen, die Preußen erlassen werde, sich gegen etwaige Pläne auf Rechtlosmachung der Beamten wenden werde. Die Beamten müßten aber verstehen, daß sie gegenüber dem großen Heere der Arbeitslosen infolge der Sicherheit ihrer Position besser daständen. Er sage das auch im Interesse der Beamten, denn wenn die Bevölkerung den Eindruck habe, daß in der jetzigen Zeit die Beamtenbevorzugt würden, dann würde das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Beam­ten und Bevölkerung erschüttert werden. Der Minister schloß mit einem Appell zu einiger Arbeit an der Ueber­windung der gegenwärtigen Notzeit. Es müßte, wenn dieser Appell befolgt werde, unbedingt mit Deutschland wieder aufwärts gehen.(Stürmischer Beifall.)

Nationalistischer Scherz und Ernst.

Zum zweitausendsten Geburtstage Virgils hat die italienische Postbehörde eine Serie von dreizehn Ge­denkbriefmarken herausgegeben, die künstlerisch hervor­ragend ausgeführt, jedenfalls in kurzer Zeit das Ent­zücken aller Sammler sein werden. Alle sind gleich groß und gleich gegliedert. In einer Art Torbau sind Bilder eingezeichnet, unter denen zur Erläuterung jedesmal ein Virgil=Zitat in der Ursprache steht. Also eine Postbehörde, die lateinisch spricht. Man möchte darin nur einen gelungenen und ja schließlich auch be­rechtigten Scherz erblicken. Aber die Auswahl der Zitate ergibt doch einen ganz anderen Sinn. Es sind nur solche Stellen ausgewählt, die Mussolinis bekannte Ziele fördern sollen als da sind: Die Landflucht zu hemmen, die Bevölkerung zu mehren und vor allem für imperialistische Politik zu begeistern. Um nur von letzteren Typen zu reden die anderen betreffen ja rein italienische Angelegenheiten so werden Ziele, Mittel und Unbegrenztheit des neu=italienischen Im­perialismus in folgenden Stellen angekündigt:Du, Römer, halte Dich daran, die Völker zu beherrschen!" Die Völker sagt genug. Weiter:Macht haben wir und noch unversehrtes Kriegsvolk, und schließlich: Euch setze ich keine Schranken, weder im Raum noch der Zeit.

Deutlicher kann man kaum werden.

Am Waffenstillstandstage hat es in Eupen und Straßburg einenZwischenfall gegeben. Als die Eupener am Morgen erwachten, konnten sie auf dem Marktplatz an einem Telegraphenmast befestigt die deut­sche Reichsflagge schwarz=rot=gold lustig im Winde flattern sehen. Natürlich wurde sie prompt entfernt. Die Straßburger ihrerseits waren nicht wenigen darüber erfreut, am Vorabend ihr Rathaus im festlichen Glanze zu erblicken. Die ganz autonomistische Straß­burger Stadtverwaltung hält sich nämlich grundsätzlich von allen nationalen(d. h. französisch=nationalen) Kundgebungen fern. In Wirklichkeit war es ein ge­lungener Handstreich einiger Camelots du Roy, dis am Broglie=Platz, dem Rathaus gegenüber, ein Fenster gemietet und von dort aus das Rathaus unter das Licht zweier Scheinwerfer gesetzt hatten. Ueber diesen Handstreich hat sich ganz Straßburg amüsiert. Aber wohl noch mehr hat das Pensionsministerium in Paris dieser Tage zur Erheiterung seiner Neu=Franzosen bei­getragen. Es ließ an die Verwundeten aus dem Kriege ein Rundschreiben ergehen, worin diese aufgefordert wer­den, sich zu einer Art Appell zusammenzufinden. Na­türlich auf Französisch. Nun hatte man aber mit ähn­lichen Aufforderungen in französischer Sprache die böse Erfahrung gemacht, daß sie im Elsaß einfach nicht ver­standen und darum nicht befolgt wurden. Wie sollte man aus diesem Dilemma einen Weg finden? Der einfachste, nämlich eine deutsche Uebersetzung hinzu­zufügen, war natürlich ungangbar. Da verfiel man übrigens nicht zum ersten Male auf den genialen Gedanken, den elsässischen Dialekt zu einer Schriftsprache zu erheben. Man ließ also ein Zirkular, worin sich u. a. folgende Stellen finden, los:

Sie wäre gebedde sich vorzestelle am... Es isch im Interesse vum Verletzte, sich der Bstellung gemäß vor­zustelle, die ihm zügstellt wurd, um ihn mit eme Appa­rat zu versähn. Alle Verwundete, die bstellt wäre um e Apparat erhalte, un sich nit vorstelle, verliere ihre Reih un ihr wertvolles Recht uff de Apparat. Wer sech am en andere Daa vorstellt als der, wo uff dem Zettel bestimmt isch, hett kenn Recht uff Reisegebühre; wer nit kumme kann, soll'Inladung zeruckschicke un en andri verlange.

Wie die Elsässer selbst über diesen Streich denken, zeigt nachfolgende Kritik des alles anders als deutsch­freundlich eingestelltenElsässer":

Es ist kein Witz, es ist kein Traum, es ist kein Wahlschwindel und ist auch keine böswillige Erfindung der deutschen Propaganda. Wir wissen nicht, wer das Pensionsministerium auf den genialen Gedanken dieser neuen Art von Zweisprachigkeit gebracht hat. Wir nehmen an, daß die französische Regierung im Elsaß irgendeinen großen Unbekannten sitzen hat, bei dem sie sich von Zeit zu Zeit Rat holt, wie man wohl die Elsässer wieder einmal lachen machen kann. Wir können nur dankend feststellen, daß es auch diesmal wieder restlos gelungen ist. Das ganze Elsaß grinst.

Wir erwähnten schon, daß die Versuche, eine elsässische Nationalsprache zu konstruieren, nicht neu sind, d. h. sie datieren vom Waffenstillstand ab. Weder das Frank­reich der Bourbonen, noch das der Revolution und der verschiedenen Republiken, noch der beiden Napoleone, gaben sich mit derartigen Albernheiten ab. Aber es war sehr peinlich für dieBefreier", daß der einfache Soldat bei seinem Einmarsch 1918 konstatieren mußte, wie wenig seine Sprache dort verstanden wurde. Da erfand man eben beim ersten Spielbeginn des Straß­burger Stadttheaters 1919 die elsässische National­sprache, der man die Rolle etwa des Holländischen oder Flämischen zuweisen wollte. Auch der Straßburger Radiosender beteiligt sich gelegentlich an diesem Unfug und man konnte beispielsweise folgende Programm­ankündigung vernehmen:

Sie wäre jetz höre en Arie aus der Flüte enchantée

Uebrigens wäre es sehr verfehlt, in dem Beharren der Elsässer auf ihrem Volkstum auf irgendwelche Deutschfreundlichkeit zu schließen. Davon kann gar keine Rede sein. Auch nimmt die französische Sprache, deren vollständiges Beherrschen heute eine Art Eintrittsbillet für jegliche Laufbahn, insbesondere die des Beamten ist, im Elsaß zu. Nur wird diese Hoffnung kann man wohl haben weder das deutsche Kultur=, noch das deutsche Sprachgut dort ganz verschwinden, wie es in dem isolierten Südtirol gegenüber dem Italiener= tum wohl leider der Fall sein wird,

Die heutige Nummer umfaßt 38 Seiten