41. Jahrgang. Nr. 13688.

Dienstag, 1. April 1930.

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Vereidigung des neuen Kabinetis.

Berlin, 1. April. Gestern abend hat sich das neue Reichskabinett dem Reichspräsidenten vorgestellt. Sämt­liche Minister, auch die, die bisher schon ein Ministeramt bekleidet haben, mußten den Eid leisten, weil nach dem Gesetz über die Rechtsverhältnisse des Reichskanzlers und der Reichsminister vom 27. März 1930 die Eidesformel etwas geändert worden ist. Bisher lautete der Eid:

Ich schwöre der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen, gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten.

Die jetzige Form heißt:

Ich schwöre, ich werde meine Kraft für das Wohl des deutschen Volkes einsetzen, die Verfassung und die Gesetze des Reiches wahren, die mir obliegenden Pflich­ten gewissenhaft erfüllen und meine Geschäfte unpartei­isch und gerecht gegen jedermann führen.

Die Beifügung einer religiösen Formel ist zulässig. Bei denjenigen, die keinen Eid leisten wollen, genügt die Beteuerungsformel(§ 3 des Gesetzes über die Rechtsver­hältnisse des Reichskanzlers und der Reichsminister vom 27. 3. 1930).

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Zur Zusammensetzung des Kabinekts Brüning.

Im Kabinett Brüning hat Dr. Wirth nur das Reichsministerium des Innern übemnommen. Treviranus, der zunächst Minister ohne Portefeuille werden sollte, hat das Ministerium der besetzten Gebiete übernommen. Außerdem wurde Dietrich (Dem.) mit dem Amte des Vizekanzlers betraut.

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Amtsübergabe in der Reichskanzlei.

WTB Berlin, 31. März. In der Reichskanzlei fand heute vormittag 11 Uhr in feierlicher Form die Verab­schiedung des bisherigen Reichskanzlers Müller und die Einführung des neuen Reichskanzlers Dr. Brüning statt. Staatssekretär Dr. Pünder dankte dem bisherigen Reichskanzler für das Wohlwollen, das er den Beamten, An­gestellten und Arbeitern der Reichskanzlei bewiesen und sicherte dem neuen Reichskanzler die vollste Hingabe des Personals der Reichskanzlei zu. Reichskanzler Müller sprach seinen Dank für die treue Mitarbeit aus und übergab die Amtsgeschäfte in einer längeren Ansprache dem neuen Reichskanzler, der darauf in herzlichen Worten erwiderte und dabei die Hoff­nung aussprach, daß ihm die Reichskanzlei in derselben Weise zur Seite stehen werde, wie das in so vorbildlicher Weise in der Zeit seines Amtsvorgängers der Fall gewesen sei,

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DerVorwärts zur Vorgeschichte der Regierungskrise.

Berlin, 1. April. Unter der UeberschriftBorsig stürzte Müller=Wissell veröffentlicht derVor­wärts in großer Aufmachung auf der ersten Seite des Blattes einen Brief, den der Vorsitzende der Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände, v. Borsig, Anfang März an den Reichsfinanzminister Dr. Moldenhauer ge­richtet hat. In dem Schreiben wird erklärt, daß eine Er­höhung der Beiträge in der Arbeitslosenversicherung mit der Lage der Wirtschaft nicht vereinbart werden könne und sie deshalb völlig außer Stande sei, bei etwaigen Verhandlungen des Vorstandes der Reichsanstalt einer Beitragserhöhung über das bereits vorhandene ungewöhn­liche Maß hinaus ihre Justimmung zu erteilen. Der Vorwärts hält dieses Schreiben Borsigs für die Trieb­feder des Verhaltens der bürgerlichen Minister, die sich weigerten, zu dem Regierungsentwurf in der Arbeits­losenfrage, der mit den Stimmen ihrer Minister beschlos­sen war, zurückzukehren. Sie verharrten bei der Kom­promißlösung, so daß es zum Bruch kam. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen behauptet das Blatt, daß der Reichsfinanzminister weder dem Kabinett noch dem Reichskanzler noch dem Reichsarbeitsminister von dem Schreiben Borsigs Kenntnis gegeben habe, und ersucht Dr. Moldenhauer um Aufklärung dieser Angelegenheit.

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Hindenburgs Dank an das scheidende Kabinett.

MTB Berlin, 31. März. Der Reichspräsident von Hindenburg hat an den Reichskanzler Müller ein Schreiben gerichtet, worin er im Namen des Reiche wie auch persönlich Dank und Anerkennung für die pflichttreue, mühevolle und stets vom Streben nach Sach­

lichkeit getragene Arbeit des Kanzlers ausspricht. In ähnlicher Weise hat der Reichspräsident auch den an­dern aus dem Amte scheidenden Mitgliedern der Reichsregierung mit der Uebersendung der Entlas­sungsurkunden seinen Dank für ihre aufopfernde Tätig­keit zum Ausdruck gebracht.

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Abschied des Reichskanzlers Müller beim Reichspräsidenten.

WTB Berlin, 31. März. Der Reichspräsident empfing heute vormittag den aus seinem Amte scheidenden Reichskanzler Hermann Müller zur Verabschiedung.

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Der parlamentarische Nachfolger Schieles.

CNB Berlin, 31. März. An Stelle des aus dem Reichstage ausgeschiedenen deutschnationalen Abgeordneten Schiele wird der Oberst a. D. Gustav von Bartenwerf­fer, Thale(Harz), in den Reichstag eintreten.

Der Preußische Landtag

begann am Montag die zweite Beratung des Kultushaus­halts für 1930 mit der Aussprache über den ersten Ab­schnitt: Ministergehalt, Volksschulwesen, evangelische, katholische Kirche und Synagogengemeinden". Die Aus­schüsse empfehlen die Annahme von etwa 50 Anträgen, die u. a. einen besonderen Kulturausschuß des Landtags zur Förderung enger Zusammenarbeit von Parlament und Ministerium verlangen, sowie Bekämpfung des Berech­tigungsunwesens, Neuordnung der Ferien, Kalenderreform mit dem Ziele, das Osterfest festzulegen, stärkere Schul­gefundheitspflege, gründliche kulturelle Betreuung der Grenzgebiete, besonders im Osten, baldige Verabschiedung des Vertrages mit den evangelischen Kirchen usw.

Nach den Ausschußberichterstattern nahm

der neue Kultusminister Dr. Grimme das Wort zu seiner ersten Rede vor dem Landtag. Das Haus und die Tribünen waren außerordentlich stark be­setzt. Grimme begann mit dem Ausdruck seiner Hoch­achtung für das Wirken und die Persönlichkeit des Mi­nisters Becker, der das Signal zur Mitarbeit der gei­stigen Schichten an der Republik gegeben habe. Im

übrigen schilderte er dem Hause seine grundsätzliche Ein­stellung, die im Rahmen der Regierungsprogramms des Kabinetts Braun liege. Er erklärte, daß die Kultur heute erschüttert sei bis an den Tiefstand des Leugnens geistiger Werte überhaupt. Der Staat habe den verschiedenen geistigen Richtungen gegen­über die Pflicht zur Toleranz. Diese Toleranz sei natür­sch bedroht von jener Inteleranz, die den demokratischen

Das Kuvinen Brauing vor dem

vor einer entscheidungsvollen Sitzung.

Die Brüningsche Regierungs=Erklärung.

Berlin, 31. März. Das neue Reichskabinett trat heute nachmittag unter Vorsitz des Reichskanzlers Dr. Brüning zu seiner ersten Sitzung zusammen. Den Gegenstand der Beratungen bildete die morgige von dem Reichskanzler im Reichstag abzugebende Regierungs­erklärung.

Das Reichskabinett wird zu einer letzten Formulierung der Regierungserklärung morgen zu einer kurzen Sitzung zusammentreten.

Hierzu meldet uns ein Berliner Mitarbeiter:

Der Inhalt der Regierungserklärung ist sehr knapp gehalten. Inbezug auf die Finanzlage dürfte sich die Erklärung im wesentlichen an die zuletzt unter den bisherigen Regierungsparteien vereinbarten, aber von den Sozialdemokraten in den entscheidenden Punkten der Arbeitslosenversicherung ver­worfenen Grundlinien halten. In den Finanzfra­gen wird die enge Verbindung zwischen dem Steuer­programm einerseits, der Arbeitslosenver­versicherung und dem Steuersenkungsplan andererseits festgestellt werden. Ob auch die Vorschläge inbezug auf die Arbeitslosenversicherung gegen die Deutsche Volkspartei eine Aenderung erfahren werden, bleibt ab­zuwarten. Obschon bisher noch die Finanzpolitik im Mit­telpunkte der Besprechungen stand, sieht man den Mittei­lungen über die Agrarpläne der neuen Regierung mit großer Spannung entgegen. Sollten diese, wie man erwartet, nicht allein ausgiebig ausfallen, so werden in der Reichstagsdebatte zweifellos von rechts und links Er­gänzungen dieser Mitteilungen gefordert werden.

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Zwei Mißtrauensanträge.

CNB Berlin, 1. April. Der Regierungserklä­rung Brünings, die heute im Reichstag von dem Reichskanzler abgegeben werden wird, soll eine po­litische Debatte folgen, die am Mittwoch beginnen wird. Zwei Mißtrauensanträge sind zu erwarten, von den Sozialdemokraten und von den Kommu­nisten.

Wie die Deutsche Allgem. Ztg. wissen will, wird die sozialdemokratische Reichstagsfraktion ein motivier­tes Mißtrauensvotum einbringen. Nach Mittei­lung der Roten Fahne soll das Mißtrauensvotum der Kommunistischen Reichstagsfraktion so gehalten sein, daß die SPD. keine Möglichkeit habe, sich der Stimme zu ent­halten. Außerdem werde die kommunistische Fraktion namentliche Abstimmung beantragen, um eotl. Abkom­mandierungen von Abgeordneten durch die scheinopposi­tionellen Parteien festzunggeln. Gleichzeitig ruft das kommunistische Zentralorgan für morgen nach Arbeits­schluß zu einer Protestkundgebung im Lustgar­ten auf, wo außerhalb des Parlaments die Massen des Berliner Proletariats aufmarschieren müssen, um ihr Vo­tum abzugeben.

Dem gleichen Blatte zufolge hat Reichskanzler Dr. Brüning am Montag eine Besprechung mit dem deutschnationalen Fraktionsvorsitzenden Dr. Oberfoh­ren über die Haltung der Deutschnationalen zum Kabi­nett gehabt. Am Nachmittag hätten Besprechungen zwi­schen den Mitgliedern des Deutschnationalen Parteivor­standes stattgefunden. Bisher habe man lediglich gehört, daß die Regierungserklärung abgewartet wer­den und die weitere Stellungnahme von ihrem Inhalt in der Frage der Agrar= und Ostprogramme abhän­gig gemacht werden soll. Das genannte Blatt hält es für zweifellos, daß ein Teil der Deutschnationalen Fraktion für das Kabinett stimmen werde.

Die Deutsche Zeitung, das Sprachorgan der Die­hards in der Deutschnationalen Partei, erklärt erneut den Sturz der Regierung Brüning und die mög­gichst schnelle Erzwingung von Neuwahlen für notwendig.

Nach Ansicht der Voss. Ztg. sind die Mißtrauensan­träge nur abzuwehren, wenn mindestens zwei Dutzend Deutschnationale für die Regierung stim­men, die übrigen sich mindestens der Stimme enthalten. Trotzdemn scheint der neue Kanzler die Hoffnung nicht auf­gegeben zu haben, daß mit einer allerdings sehr knappen Mehrheit die Mißtrauensanträge abgelehnt werden.

Eine Regierung der nationalen Dienstpflicht.

Neuwahlen nur ein Risiko für die Parteien, nicht für das

Rabinett Brüning.

reich seine letzten Forderungen erheblich abschwächen würde. Der Korrespondent ist der An­sicht, daß die Mitgliederstaaten des Völkerbundes über­haupt nicht das Recht hätten, der Völkerbundsatzung selb­ständig eine Auslegung zu geben, denn dafür sei die Völ­kerbundversammlung zuständig.

Morningpost sagt, wenn nicht völlig Unerwartetes ein­tritt, dann wird die Vollsitzung am nächsten Frei­tag das Ende der Flottenkonferenz bringen. MacDonald will an einem Fünfmächtepakt festhalten. WTB London, 31. März. In Beantwortung einer Anfrage im Unterhaus äußerte sich Mac Donald, daß die Regierung nach wie vor an ihrem Entschluß festhalte, zu einer Vereinbarung zwischen allen fünf Mächten, die an der Londoner Flottenkonferenz teilnehmen und nicht etwa nur zwischen zwei oder drei von ihnen zu gelangen.

Malin=Enthüllungen.

fl. Paris, 1. April. Ein großer Skandal über die Gefangenentransporte nach der franzö­sischen Strafkolonie Guayana scheint auszu­brechen. Nachdem in den letzten Tagen die Blätter bereits den Tod einer französischen Berühmtheit, des Parisee Juweliers Mestorino, gemeldet hatten, der bekannt­lich einen Kollegen ermordet und versucht hatte, seine Leiche zu verbrennen, berichtet jetzt der Korrespon­dent desMatin aus La Rochelle, ein dortiger Einge­borener habe einen Brief aus Guayana, datiert vom 6. März, erhalten mit der Mitteilung, daß 200 Sträf­

linge von den 673 Gefangenen zählenden Transport, der Anfang November letzten Jahres auf dem Transport­schiff La Martinière die Reise nach Guayana angetreten hatte, gestorben seien. Der Briefschreiber sei ein An­gestellter der Strafkolonie. Mestorino sei am 3. März durch einen Haifisch entweder auf der Flucht oder beim Baden schwer verletzt worden und später im Krankenhaus gestorben.

Das Kolonialministerium erklärt, daß lediglich drei Todesopfer auf dem Transportschiff gemeldet worden seien.

General Kutiepows Schicksal.

WIB Paris, 1. April. Nach der Morgenpresse be­trachtet die Polizei aufgrund übereinstimmender Zeugen­aussagen die Verschiffung des Generals Kutie­pow an der normannischen Küste zwischen Villers und Houlgate als erwiesen. Aufgrund der verschiedenen Zeugenaussagen soll, demnächst eine Rekonstruktion der Einschiffung an Ort und Stelle vorgenommen werden. Die Polizei ist gegenwärtig damit beschäftigt, die Schiffs­bewegungen im Kanal in den letzten Januartagen nachzu­prüfen, um festzustellen, mit welchem Schiff General Kutiepow wegbefördert worden fein könnte.

WTB Paris, 1. April. Das Echo de Paris erklärt, daß gestern das Gerücht im Umlauf war, die Reise Sir Henry Deterdings und seine Unterredung mit dem Mini­sterpräsidenten Tardieu habe sich auf die Angelegenheit des Generals Kutiepow bezogen.

Reichsminister Treviranus über die Aufgaben des neuen Kabinelts.

WTE Wien, 31. März. DieNeue Freie Presse veröffentlicht ein Gespräch eines Berliner Mitarbei­ters mit dem Reichsminister für die besetzten Gebiete Treviranus über die Aufgaben des neuen Ka­binetts, in dem es heißt:

Die mit der besonderen Autorität des Reichsprüsi­denten berufene neue Reichsregierung wird eine Re­gierung der nationalen Dienstpflicht sein. Ihre Auf­gaben sind klar vorgezeichnet. In der äußeren Politik beginnt ein neuer Abschnitt. In ihr gibt es keine Parteigegensätze und keinen Streit, keine Mehrheit und keine Minderheit. Die Außenpolitik wird aus dem Rahmen der Parteipolitik befreit. Das

Hauptproblem Deutschlands ist die steigende Ar­beitslosigkeit. Der bisherige Weg führt nicht zum Ziele. Man hat die steigende Zahl der Arbeitslosen und der drohenden Konkurse bisher zum Anlaß ge­nommen, um deren Wirkungen abzuschwächen. Wir werden den umgekehrten Weg gehen und nicht die Folgen, sondern die Ursachen der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit bekämpfen. Auf diese Weise werden sich auch die Fragen der Arbeitslosenver­sicherung lösen. Die besondere Sorge der Reichs­

regierung gilt selbstverständlich der Landwirtschaft, deren Bedeutung als nationale Grundindustrie von allen Wirtschaftskreisen heute anerkannt wird. Ebenso wird die Wiederaufrichtung der Kräfte des deutschen Ostens dem Ziele der Reichsregie­rung dienen, die Kräfte der ganzen Nation wieder fruchtbar zu machen. Die bisherigen Versuche, welche die letzte Koalitionsregierung Monate hindurch unternahm, um dem weiterschreitenden Unheil zu steuern, haben versagt. Aus diesem Grunde hat der Herr Reichspräsident eingegriffen und seine ver­fassungsmäßigen Rechte eingesetzt. Die Sozial­demokratie hat grundsätzliche Opposition ange­kündigt. Darauf mußte man gefaßt sein, obwohl es ja ausschließlich der Wille der Sozialdemokratie ge­wesen ist, welcher der letzten Koalitionsregierung ein Ende machte.

Wenn jetzt Vermutungen über die Haltung der Deutschnationalen Partei angestellt wer­den, so gehen sie an der Tatsache vorbei, daß der Versuch, Neuwahlen zu erzwingen, nur für die Par­teien ein Risiko birgt, nicht aber für die Reichsregie­rung, welche mit dem Notstandsartikel die praktische Arbeit weiterführen würde.

Staat in einem politischen Rowdytum zu unter­höhlen suche. Die Erwachsenen sollten den Idealismus der Jugend mobil machen zum Kreuzzug gegen den Un­geist der politischen Verleumdung. Gegen das Berech­tigungsunwesen gelte es, schnell praktische Maß­nahmen zu ergreisen. Gerade wer die Persönlich­keit schätze, dürfe sich nicht allein auf Zeugnisse stützen.

In den schweren Zeiten der letzten zehn Jahre hätten wir sehr eindringlich erlebt, daß Männer mit bloßer Volksschulbildung imstande waren, an entschei­dender Stelle da deutsch zu sprechen, wo andere mit ihrem Latein am Ende waren. Bei einer ausführlichen Gegenüberstellung der Begriffe Individualismus und Kollektivismus er­klärte der Minister, daß gerade, wer die Persönlich­keit wolle, zur Masse stehen und ihr um der Persön­lichkeitswerte willen helfen müsse. Das Ziel einer nolwendigen Symthese von Masse und Persönlichkeit sollten alle, über politische Gegensätze hinweg, bejahen.

Die Rede des Ministers wurde mit lebhaftem Beifall, in einzelnen Teilen auch über die Bänke der Regie­rungsparteien hinaus, ausgenommen.

Abg. Oelze(Dnat.) hielt dem Minister vor, daß ge­rade die Sozialdemokraten der Betätigung der freien Meinung in den Schulen in Toleranz gegenüberständen.

Abg. König(Soz.) lehnte aufs schärfste die Gewalt­taten gegen die Kirche, wie sie in Rußland geschehen, ab und forderte Ausbau der Volksschulen. Dr. Lauscher (.) meinte, daß die Besetzung des Kultusministeriums mit einem Sozialisten den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Christentum und Sozialismus wieder besonders zum Bewußtsein gebracht habe, daß aber der neue Mi­nister ein ehrlicher und entschiedener Charakter sei. Dr. Ausländer(.) hielt dem Minister vor, er habe nur abstrakte, in die Luft gebaute philosophische Ueber­

legungen ausgesprochen, zeige in der Tat aber einen an allen Kulturaufgaben gedrosselten Etat.

Die Aussprache wird am Dienstag fortgesetzt.

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Rheinland=Amnestie.

z17B Berlin, 1. April. Wie die Presse berichtet, ist auf einer Zusammenkunft politischer und wirtschaftlicher Führer der Pfalz in der der Verteidiger vor französischen und belgischen Kriegsgerichten, Rechtsanwalt Dr. Grimm, einen Vortrag über die Amnestie aus Anlaß der Rhein­landräumung hielt, eine Entschließung angenommen, die an den Reichspräsidenten, den Reichssustizminister und das Bayerische Staatsministerium das dringende Ersuchen richtet, sofort die notwendigen Maßnahmen einzuleiten zum Erlaß einer allgemeinen Befreiungsamnestie.

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Frankreichs Sicherheits=Forderungen.

Die Marinekonferenz vor der letzten Entscheidung.

WTB London, 1. April. Den Blättern zufolge ist die Suche nach einer politischen Formel, die Frankreich befriedigen soll, nach wie vor im Gange. Der diplomatische Korrespondent des Daily He­rald hofft, daß die nächsten 24 Stunden eine Ent­scheidung bringen werden, und spricht im Anschluß daran seine Genugtuung darüber aus, daß die Aussichten auf einen Dreimächtevertrag sich infolge der gün­stigen Nachrichten aus Tokio besserten.

Der diplomatische Korrespondent des Daily Telegraph schreibt:Auf der gestrigen Zusammenkunft zwischen Briand und Henderson wurden einige neue An­regungen für die Auslegung des Art. 16 der Völkerbund­satzung schriftlich festgelegt. Aber es kann nicht behauptet werden, daß die Besprechung eine sehr optimistische Stim­mung hinterlassen habe. Auf britischer Seite werde jetzt der Standpunkt vertreten, daß eine bestimmte poli­tische Formel nur aufgestellt werden könne, wenn Frank­

Lockerung des Trinkverbots.

kl. New York, 1. April. Der Herald Tribune zu­folge wird der gegenwärtig in London auf der Flotten­konferenz weilende Botschafter und Senator Morrow nach seiner Rückkehr nach Amerika zugunsten der Aende­rung des Prohihitionsgesetzes in der Weise eintreten, daß den Staaten, die sich bei der jüngsten Abstimmung der Zeitung Literary Digest für den Ausschank von Bier und leichten Weinen ausgesprochen haben, die Er laubnis zur Herstellung dieser Getränke auf ihrem Gebiet gegeben werden soll.

Wieder drei Missionare entführt.

ll. Schanghai, 31. März. Einem Bericht der North Chine Daily News zufolge sind in der Provinz Kiangsu von chinesischen Banditen abermals drei Missionare ent­führt worden. Es handelt sich um zwei amerikanische Missionare und eine Missionarin, die zu der chinesischen Internationalen Kommission in Yuanchau gehörten. Wie aus Telegrammen hervorgeht, soll Yuanchau von Räubern gestürmt und die dortige Mission geplündert wor­den sein. Ueber das Schicksal der drei entführten Missio­nare herrscht völlige Ungewißheit.

Protest gegen Gefangenhaltung amerikanischer Missionare.

kl. Washington, 1. April. Gegen die Gefan­genhaltung der amerikanischen Missionare von der chinesischen Inlandskommission in Yuanchau hat der Gene­ralkonsul der Vereinigten Staaten bei den Provinzial­behörden von Kiangsi Protest erhoben und gefordert, daß sofort Schritte zur Freilassung der drei entführten Missionare getan werden.

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Schiffs-Unglück auf dem Columbiafluß.

WTB Portland(Oregon), 31. März. Das Ver­gnügungsbootSwan, auf dem sich eine durch zwei Decks bestehende Tanzhalle befindet, wurde bei St. Helens am Columbiafluß von dem KüstendampferDavenport ge­zammt. Der Bug der Davenport zersplitterte die Sei­tenwand der Swan und drang tief in das Tanzdeck ein, auf dem sich gerade eine große Anzahl von Tanzenden be­fand. Vier Personen wurden getötet, zwölf verletzt und einige weitere werden vermißt. Da das Vergnügungsboot auf eine Sandbank auflief und so vor dem Sinken bewahrt wurde, konnte die Mehrzahl der 286 Passagiere ohne Schwierigkeiten und rasch gerettet werden. Der Dampfer, der die Swan im Schlepptau hatte, wurde bei dem. Zusamenstoß leck und sank.

Sieben Tote bei dem Schiffszusammenstoß auf dem Columbia-Fluß.

WTB Portland(Oregon), 31. März. Wie jetzt be­kann twird, sind bei dem Schiffszusammenstoß auf dem Columbia=Fluß sieben Tote zu beklagen. Die Zahl der Verletzten hat sich nicht erhöht.

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4000 Jahre alte Mumie.

fl. Philadelphia, 31. März. Einem Telegramm des Führers der amerikanischen Ausgrabungsexpedition in Meydum in Aegypten zufolge hat die Expedition in einem Grabmal eine Mumie einer Frau entdeckt, die min­destens schon 4000 Jahre in ihrem Grab gelegen hat.

Die heutige Rummer umsaßt 16 Seiten