s0. Jahrgang. Nr. 13337.

Samstag, 28. September 1929.

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Forderungen des Deutschen Städtetags.

Ausbau der Selbstverwaltung und selbständige Zinanzwirtschaft.

Deutscher Städtetag.

WIB Frankfurt a.., 27. Sept. Im Stiftsaal des Palmengartens wurde heute früh die Jahresversammlung des Deutschen Städtetages eröffnet. Präsident Mulert be­grüßte die Vertreter der Reichs= und Staatsbehörden, ins­besondere der preußischen Innenminister Grzesinski, den preußischen Finanzminister Dr. Höpker=Aschoff, den Oberpräsidenten Dr. Schwander und den Vertre­ter des Memellandes und erstattete sodann ein Referat über Sinn und Form der Selbstverwaltung.

Der preußische Innenminister Grzesinsti, der dann das Wort nahm, übermittelte der Tagung die besten Wünsche der preußischen Staatsregierung. Auf programmatische Ausführungen, so führte der Minister u. a. aus, könne er diesmal um so mehr ver­zichten, als der Landtag durch das Gesetz vom 31. Juli d. J. alle die Grundsätze angenommen habe, die er, der Minister vorschlug, und die über den Rahmen des rhei­nisch=westfälischen Umgemeindungsge­setzes hinaus nun für die kommunale Verfassung im ganzen preußischen Staatsgebiet Geltung erlangt hätten. Weiter könne er auf längere Ausführungen deshalb ver­zichten, weil er dem sehr inhaltsreichen Vortrag des Prä­sidenten Mulert zu seiner großen Freude durchaus zu­stimmen könne. Besonders unterstreiche er den Gedanken Mulerts, der so stark die kommunale Gemeinschaft nach den verschiedenen Richtungen betont. Er, der Minister, habe den Gedanken der Gemeinschaft in Wort und Tat stets vertreten. Die örtliche Gemeinschaft richtig abzu­grenzen und mit frischem, lebendigem kommunalen Leben zu erfüllen, sei gerade das Ziel der großen Eingemein­dungsgesetze gewesen, die im preußischen Innenministe­rium in den letzten Jahren entstanden. Es komme auch darauf an, gerade da, wo der räumliche Umfang der ört­lichen Gemeinschaft die noch übersichtlichen Grenzen über­schreitet, die Möglichkeit der ehrenamtlichen Betätigung der Bürger nicht zu kurz kommen zu lassen.

Den Bürgern in der großstädtischen Verfassung aus­reichender als bisher Gelegenheit zur Teilnahme an der Verwaltung der sie unmittelbar angehenden Angelegenhei­ten zu verschaffen, sei das Ziel der dekonzentrier= ten großstädtischen Verwaltung, die das Gesetz vom 31. Juli den Großstädten als eine Aufgabe der Selbstverwal­tung übertrage. Auch die wechselseitige Verbundenheit zwischen Stadt und Land müsse noch viel stärker anerkannt werden, als es bisher der Fall war. Klar müsse aber auch erkannt werden, daß die Gemeinschaft Pflichten und Opfer und die Zurückstellung von Einzelinteressen gegen­über der Gesamtheit fordere. Leider werde diese Erkennt­nis auch in den Kreisen der Selbstverwaltung noch vielfach vermißt, was sich z. B. bei dem Widerstand kommunaler Kreise gegen die großen Eingemeindungsgesetze zeigte.

Für das Verhältnis der Gemeinden zu Staat und Reich und zur Wirtschaft werde eine Neuregelung erforderlich sein, deren Rahmen als drin­gendste Aufgaben der nächsten Zukunft der Verwaltungs­reform und die Schaffung eines wirklichen Finanzaus­gleiches zu erwähnen wären. Die Gedanken, die Prä­sident Mulert in dieser Richtung entwickelt habe, fänden seine, des Ministers, grundsätzliche Zustimmung. Jedoch könne die Gesamtheit der Gemeinden bei Regelung dieser Frage nicht anders angesehen und behandelt werden, als die Gesamtheit der Länder und das Reich. Ausgabe des Finanzausgleichs zwischen Reich, Ländern und Gemeinden müsse daher sein, bei aller Anerkennung der Notwendig­keit äußerster Sparsamkeit der öffentlichen Wirtschaft die Elnnahmequellen so zu verteilen, daß nicht eine von den dreien von vornherein benachteiligt werde.

Bezüglich der wirtschaftlichen Betätigung der Kommunen habe ich, so führte der Minister weiter aus, wiederholt in der Oeffentlichkeit erklärt, daß ich jeden Versuch, diese Betätigung der Kommunen einzu­engen, aufs schärfste bekämpfen. Die Gemeinden haben das Recht auf wirtschaftliche Betätigung stets angesehen als einen Zweig der Selbstverwaltung, und die Staats­regierung wird dafür sorgen, daß dieses Recht nicht ver­kümmert wird. Die preußische Staatsregierung hält mit mir die Angriffe der Privatwirtschaft auf die kommunale Wirtschaft für gänzlich ungerechtfertigt; denn die kommu­nale Wirtschaft erfüllt ein öffentliches Bedürfnis und hat das gleiche Recht wie die Privatwirtschaft, im Interesse ihrer Betriebe an den öffentlichen Kreditmarkt heranzu­treten. Eine Belastung des Kreditmarktes kann schon des­wegen nicht stattfinden, weil ja die Aufgaben der kommu­nalen Betriebe Lebensbedürfnisse der Bevölkerung er­füllen, die bei Nichtbestehen der kommunalen Wirtschaft von der Privatwirtschaft übernommen werden müssen.

Der Minister schloß mit Ausführungen zu den bevor­stehenden

preußischen Kommunalwahlen,

wobei er erklärte:

Die Demokratie bringt es mit sich, daß auch die Wahlen zu den kommunalen Körperschaften mit politischer Leiden­schaft geführt werden. Ich glaube, das schadet nichts; denn erst im Kampfe wachsen die Kräfte, und im Ringen um eine Macht, die immer wieder erobert werden muß, be­währt sich schließlich das Gute und Richtige. Allerdings hat sich leider bei uns in Deutschland im politischen Kampf immer mehr eine Methode entwickelt, die den politischen Gegner nicht mehr mit sachlichen Argumenten, sondern mit brutalen Gewaltmitteln, mit Beschimpfun­gen und Verleumdungen bekämpft. Daß besonders die politischen Extreme dieser Methode huldigen, brauche ich nicht einmal darzulegen. Hiervon sollten alle anstän­digen Menschen abrücken. Dem Gemeinwohl wird damit bestimmt nicht gedient, sondern nur ge­schadet. Ich möchte deshalb als meinen Wunsch für den Kommunalwahlkampf zum Ausdruck bringen: So heftig auch die Parteien in den einzelnen Gemeinden sich befehden, so mögen sie doch nie vergessen, daß gerade die kommunale Arbeit im Gemeindeparlament und in der kommunalen Verwaltung auf ein und dasselbe Ziel ge­richtet sein muß, ein Ziel, dem alle zur positiven Mitar­beit berufene Kräften zu dienen haben, dem Wohl der ört­lichen Gemeinschaft und damit auch dem Wohle des ganzen Volkes.

Die Ausführungen des Ministers wurden von der Ver­sammlung mit lebhaftem Beifall aufgenommen.

Nach einem Schlußwort von Mulert schritt man zur Abstimmung über die beiden vom Vorstand vorge­legten Entschließungen und die zahlreichen Aenderungsanträge. Unter Ablehnung sämtlicher Anträge nahm der Städtetag die beiden vorliegenden Entschließun­gen in folgender Form an:

Zur Iinanzreform.

Die finanziellen Auswirkungen der Haager Verhand­lungen müssen zu einer von wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten geleiteten Neugestaltung des Steuersystems und einer endgültigen Ordnung des Finanzausgleichs führen. Die verbliebenen Kriegs­lasten üben nach wie vor einen überaus schweren Druck auf das gesamte Wirtschaftsleben, insbesondere auf die Lebenshaltung der Bevölkerung aus. Die finanzielle Re­form muß daher durch strenge Sparsamkeit in den öffent­lichen Verwaltungen wirksam unterstützt werden. Dabei dürfen jedoch die für das deutsche Volk lebensnotwendigen Aufgaben auch der Städte, insbesondere auf kulturellem und sozialem Gebiet, nicht notleidend werden. Die An­spannung der finanziellen Verhältnisse in Reich und Län­dern hat im letzten Jahr ohnehin bereits den Druck auf die Gemeindefinanzen weiter erhöht.

Für die Gemeinden ist es unerläßlich zur Erledi­gung ihrer Aufgaben, insbesondere zur Erhaltung der wer­benden Unternehmungen, zum Ausbau ihrer Ver­kehrseinrichtungen, zur Fortführung des Woh­nungs- und Straßenbaus und zur Milderung der Arbeits­losigkeit, die als Folge der Wirtschaftslage und der Ratio­nalisierung noch wächst, insbesondere auch weiter an den Anleihemarkt heranzutreten. Ein Verzicht auf den Anleihemarkt würde weitere Rückwirkungen auf Wirt­schafts= und Arbeitsmarkt hervorrufen. Die Gemeinden werden ihre Bestrebungen verstärken, durch freiwillige Verständigung den gegenwärtigen Machtverhältnissen Rech­nung zu tragen. Der Zwang, durch Anleiheberatungs­stellen staatlicherseits einzugreifen, ist abzulehnen.

Die Gemeinden sind sich der Schwere der Sachlage in voller Eigenverantwortlichkeit bewußt. Sie erwarten, daß auch die maßgebenden Faktoren in Reich und Ländern sie in ihren Bemühungen um möglichst sparsame und zweck­mäßige Verwaltung und Wirtschaft unterstützen und ihnen neue Aufgaben nicht ohne gleichzeitige Bereitstellung der erforderlichen Deckung übertragen. Die notwendige Re­form der Arbeitslosenversicherung darf nicht zu Lasten der gemeindlichen Wohlfahrtspflege gehen.

Die Gemeinden fordern von dem kommenden Finanz­ausgleich die Wiederherstellung der

Grundlagen einer selbständigen und selbstverantwort­lichen Ilnanzwirtschaft

und die Eröffnung ausreichender eigner und beweglicher Einnahmequellen in einer den jetzigen Verhältnissen an­gemessenen Form. Eine erhöhte Beteiligung an der Ein­kommensteuer entspricht ihren gesteigerten Aufgaben und Lasten.

Die Gewerbesteuer muß auch künftig einen we­sentlichen Bestandteil des kommunalen Steuersystems bil­den. Wo in einzelnen Ländern die finanzielle Notlage der Gemeinden zu einer Ueberspannung der Gewerbesteuer geführt hat, ist sie ohne schematische Zwangsmaßnahme und unter ausreichendem Ersatz für die entsprechenden Ausfälle organisch umzugestalten. Der Ausbau der Ge­tränkesteuern als wesentliche gemeindliche Einnahmequelle ist unerläßlich. Der Ernst der finanziellen Lage erfordert, daß die notwendigen Maßnahmen mit größter Beschleuni­gung durchgeführt werden.

Ausbau der Selbstverwaltung.

Die wichtigen außenpolitischen Entscheidungen der letz­ten Zeit ermöglichen und erfordern nunmehr die Durch­führung der unerläßlichen innern Reformen in Reich und Ländern. Ausgangspunkt und Grundlage dieser Re­formen muß ein modernen Anforderungen entsprechender Ausbau der gemeindlichen Selbstverwaltung sein, die den Unterbau für die Verwaltung des Reichs wie der Länder bildet. Bewegungsfreiheit und Verantwortungs­freudigkeit der Selbstverwaltung, verstärkte Mitwirkung des Bürgers in einer von kraftvoller Initiative geführten Verwaltung, Vertrauen der Bürgerschaft, leistungsfähige Gebietskörperschaften, klare Abgrenzung der Verantwort­lichkeiten der städtischen Organe, praktische'''al­tungsvereinfachung sind die wesentlichen Ziele der kommunale Reform. Die kommunale Praxis hat auf wichtigen Gebieten bereits Wege gewiesen. Aufgabe der Reform wird es zugleich sein, hierfür die staatsmännisch abgewogene gesetzliche Form zu finden. In der Hand der so gestalteten Selbstverwaltung sind alsdann alle Aufgaben zusammenzufassen, die im gesamten Interesse in der ört­lichen Instanz erledigt werden müssen. So sehr diese Grundsätze einheitlich für alle Gemeinden Geltung haben, erfordert zugleich die äußere Verschiedenartigkeit der deut­schen Gemeinden weitgehende Bewegungsfreiheit bei der Durchführung der Aufgaben.

Die Jahres-Versammlung des Deutschen Städtetags begrüßt es, daß der Vorstand sich der Aufgabe unterzogen hat, mit dem Entwurf einer Reichsstädteord­nung die Grundlagen für die Fortentwicklung einer star­ken und verantwortungsbewußten Selbstverwaltung zu schaffen. Sie erwartet, daß die Reichsregierung und die Landesregierungen bei Gesetzen, Verwaltungsmaßnahmen und bei allen Reformarrbeiten, insbesondere bei der Städte­ordnung, sich diese Gesichtspunkte zu eigen machen.

Eine hochpolilische Amerikafahrt.

Macdonalds Sturmfahrt.

Frankreich alsböser Wind.

Das größte Ereignis des politischen Augenolicks ist ohne jeden Zweifel die Reise Macdonalds nach Limerika. Am 28 September betritt der lritische Wiinisterpräsident das Schiff, das ihn über den At­lantik führt. Am 4. Oktober wird er seine Verhand­lungen mit Präsident Hoover beginnen.

In englisch=poltischen Kreisen wird die Reise Macdonalds mit besonderer Aufmerksamkeit ver­folgt. Man ist sich dort darüber im klaren, daß von dieser Reise einerseits das Schicksal englisch=ameri­kanischer Beziehungen abhängt, andererseits das Schicksal der Arbeiterpartei=Regierung. Das Kabi­nett Macdonald, das über keine sichere Mehrheit im Parlament verfügt und schon aus diesem Grunde auf Verwirklichung seines sozialistischen Pro­gramms verzichten muß, ist wie keine andere Re­gierung Englands gezwungen, Erfolge auf dem außenpolitischen Gebiet zu suchen, um die Wähler nicht zu enttäuschen.

Ja mehr noch: Macdonald betrachtet seine jetzige Regierung als ein Uebergangskabinett und das jetzige englische Parlament als Ueber­gangsparlament. Er ist gewillt, die erste und beste Gelegenheit zur Auflösung des Parla­ments und zur Ausschreibung von Neuwahlen zu benutzen, selbstverständlich mit der Berechnung, daß er im neugewählten Parlament über eine ab­solute Mehrheit verfügen wird. Er muß je­doch dabei imstande sein, solche Trümpfe aufzuwei­sen, die ihm die bürgerlichen Stimmen in einem noch viel stärkerem Maße zufließen lassen werden, als es schon bei den vergangenen Wahlen der Fall war.

Würde es ihm gelingen, eine weitgehende Eini­gung mit Amerika herbeizuführen, so ist ihm der Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen und die Ministerpräsidentschaft für absehbare Zeit sicher. Ein Mißerfolg in Amerika würde dagegen das Ende der Regierung Macdonald sein. Die Konser­vativen, die im Laufe ihrer Regierungszeit sämt­liche Gelegenheiten einer Verständigung mit Ame­rika versäumt haben, würden mit Recht darüber triumphieren, daß ihre Gegnerin, die Arbeiter=Par­tei, selbst nichts auszurichten wußte. Für England würde ein Mißerfolg Macdonalds ein neues Wett­rüsten mit Amerika und weitere Schwächung der Position des britischen Reiches in allen gefährdeten Punkten bedeuten und daß die Anzahl solcher ge­fahrdeten Punkte überaus groß ist, weiß heute in England jederMann auf der Straße".

So bedeutet Macdonalds Amerika=Reise ein ge­wagtes, aber dankbares Unternehmen. Umso sorg­fältiger waren die Vorbereitungen Macdonalds zu seiner Reise. Wochenlang hat er mit dem Londoner Botschafter der Vereinigten Staaten, General Da­

wes, konferiert. In Washington ließ er den Bo­den zuerst durch den britischen Botschafter, dann aber durch seinen, Macdonalds Priwatsekretär, ab­tasten. Er ließ sich über die wahren Absichten des Präsidenten Hoover genau informieren und hat sich nicht eher zur Reise entschieden, als eine Einigung in der Frage der Flottenab­rüstung, wenigstens in ihren Grundzügen, bereits erzielt worden war. Ja, es heißt so­gar, die Besprechungen Macdonalds mit Hoover werden die Flottenabrüstung in ihren Einzelheiten garnicht mehr zum Gegenstand haben, weil diese Frage bereits völlig geklärt sei: Macdonald wolle lediglich mit seinem Besuch in Washington dem be­reits erzielten Uebereinkommen eine besondere Note verleihen und mit umso größerem Nachdruck auf die Auswirkungen dieses Uebereinkommens eingehen. Diese Auswirkungen sind in der Tat von kaum übersehbarer Tragweite. Es gilt zunächst, die Zu­sammenberufung der Fünf=Mächte=Konfe­renz zu ermöglichen, dann zu dem Problem der allgemeinen Landesabrüstung überzu­gehen und hiermit den ersten entscheidenden Schritt auf dem Wege der Neuordnung der Welt zu tun.

Es kann nicht behauptet werden, daß Macdonald auf seiner Reise von allzu zahlreichen Segenswün­schen gewisser Großmächte geleitet wird. Frank­reich auf jeden Fall macht kein Hehl daraus, daß es das Scheitern der Amerika=Mission Macdonalds herzlich begrüßen würde.

Frankreich will keine Abrüstung, keine noch so bescheidene Rüstungsregelung. Es genügt, um sich darüber erstmals zu überzeugen, den hochoffiziösenTemps in die Hand zu neh­men. In diesem Leiborgan des französischen Außenministeriums werden täglich anti=eng­lische Leitartikel von solcher Gehässigkeit und solcher Unverfrorenheit veröffentlicht, wie es in der Geschichte der englisch=französischen Beziehun­gen im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht vorgekom­men ist. Dabei wird derTemps nicht müde, immer wieder zu unterstreichen, daß Frankreich in keinem Fall einem allgemeinen Uebereinkommen beistimmen wird, das ja nur im Interesse der angelsächsischen Mächte geschlossen sein soll.

Allem Anschein nach ist Frankreich fest entschlossen, die kommende Seeabrüstungs=Konferenz zu spren­gen. Es wäre denn, daß es feste Zusicherungen be­züglich der Rüstungen zu Lande erhielte.Eine Verständigung über die gleiche Stärke der britischen und amerikanischen Flotte ist eine Sache für sich: eine ganz andere Sache ist dagegen eine allgemeine Ver­ständigung zwecks Einschränkung der Rüstungen. Man sieht klar daraus, wohin Frankreich will. Während Macdonald auf dem Wege nach Amerika ist, um ein großes Friedenswerk zu vollbringen, sucht Frankreich von vornherein die Bemühungen

des englischen Ministerpräsidenten zu gefährden. Es ist eine Sturmfahrt, die Macdonald unternommen hat. Frankreich hat dabei die Rolle des bösen Windes übernommen und wird diese Rolle in Ehren" zu Ende zu führen suchen.

Die

Das Berliner Tageblatt meldet aus Wiesbaden: Wie nunmehr bestimmt feststeht, wird der militärische Schutz der Rheinlandkommission nach ihrem Umzug aus 300 Mann Soldaten und 25 Gendarmen bestehen. Beschlag­nahmt wurden vorläufig ein Exerzierplatz, die Wilhelm­Heilanstalt, die von der Reichsvermögensverwaltung er­richteten Wohnungen und 18 größere Privatwohnungen.

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Ernst von Salomon Reichstagsattentäter?

Das Bombenattentat auf den Reichstag, das bisher noch nicht restlos aufgeklärt werden konnte, scheint jetzt, wie das Tempo berichtet, durch ein sensationelles Ereignis bei der richterlichen Vernehmung im wesentlichen geklärt zu sein. Ein Arbeitsloser, der in der Nacht des Bombenattentates außerordentlich wichtige Beobachtungen am Reichstag gemacht und diese Beobachtungen sofort der Kriminalpolizei mitgeteilt hatte, erkannte bei einer Gegenüberstellung vor dem Untersuchungs­richter den einen der Verhafteten, Ernst von Salomon, als einen der beiden Männer wieder, die er unter so verdächtigen Umständen beobachtet hatte.

Enklassen, verhaftet, wieder enklassen.

WTB Berlin, 27. Sept. Hamkens und Muth­mann wurden unmittelbar nach ihrer Entlassung von Beamten der politischen Polizei erneut festge­nommen und in der Angelegenheit der Sprengstoff­Anschläge vernommen. Hamkens wurde dann wieder entlassen.

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Zweiter Abstecher desGraf Zeppelin.

nach der Schweiz.

Friedrichshafen, 27. Sept. Heute früh startete Graf Zeppelin erneut zur Schweiz zu einer Sonder­fahrt, die von dem Freiherrn von Stietencron in Welsede in Hannover finanziert wurde. Es soll sich um Film­aufnahmen handeln. Führer der Fahrt war Kapitän Lehmann. Baron Stietencron hatte 20 Passagiere eingeladen, darunter 4 Herren der japanischen Botschaft in Berlin. Die Sensation der Fahrt bildete ein Abstecher ins Wallis und ins Berner Oberland, wo die Passagiere die Hochgebirgsstimmung der Alpenwelt genießen konnten. Am Nachmittag kehrte das LuftschiffGraf Zeppelin nach Friedrichshafen zurück.

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Französischer Langstreckenflug in Weltrekord­

absicht.

WTB Paris, 27: Sept. Heute früh um.20 Uhr sind die beiden französischen Flieger Costes und Bellonte mit einem 600=PS=Flugzeug, das den Namen Fragezeichen trägt, zu einem Langstrecken­flug zur Verbesserung des Weltrekords in Richtung Irkutsk vom Flugplatz Le Bourget aufgestiegen. Es gelang ihnen, das 6000 Kilogramm schwere Flugzeug in 51 Sekunden vom Boden hochzubringen. Ein deutsches Verkehrsflugzeug hat nach dem Flugplatz Le Bourget be­reits folgende Stellungsangabe des Flugzeugs von Costes und Bellonte gegeben: Das Flugzeug Fragezeichen hat um .50 Uhr in 700 Meter Höhe die Stadt Villers=les=Cot­terets überflogen. Es flog um.56 Uhr südlich von Laon und um.25 Uhr in 110 Meter Höhe über Charleville, dann um.50 Uhr südlich von Lüttich und überflog Köln um 10.22 Uhr.

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Zur Italia=Ratastrophe.

WIB Oslo, 26. Sept. Das letzte Kapitel in der Ge­schichte der tragischen italienischen Polarexpedition von 1928 mit dem Luftschiff Italia wurde heute abgeschlossen, als der norwegische Walfischfänger Heimen Sucai mit der italienischen Expedition Albertini, die nach etwaigen Ueberlebenden der Italia in den Nordpolargebieten gesucht hat, nach Tromsö zurückkehrte, ohne trotz langer mühsamer Nachforschungen im Nordosten Spitzbergens und längs der Küfte von Nowaja Semlja irgendeine Spur von den ver­mißten Mitgliedern der Italia=Expedition gefunden zu haben.

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Heimwehrfreundliche Regierungserklärung Schobers.

Wien, 27. Sept. Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schober war im wesentlichen eine Verbeugung vor den Heimwehren. Tadellose Männer aus allen Schichten der Bevölkerung gehörten den Heimwehren an in der Erkenntnis, daß viele unserer öffentlichen Einrichtungen dringend der Abänderung be­dürften. Das bisher eingeschlagene Tempo zur Reform sei zu schleppend gewesen. Die im Auslande auftauchende Auffassung, daß die Heimwehrbewegung auf Putsch und Bürgerkrieg abziele, sei falsch. Die Machtmittel des Staates seien stark und völlig verläßlich und daher aus­reichend, einem etwaigen Umsturz vorzubeugen. Schover sprach dann im einzelnen über die von der Regierung geplanten Verwaltungs= und Verfassungsreformen.

Bei der Besprechung der Regierungserklärung hielt der Vertreter der Sozialdemokratie eine scharf ab­lehnende Rede.

Irau Oberreuter aus der Haft enklassen.

WD Köln, 27. Sept. Die vor etwa zwei Jahren in dem Giftmordprozeß Dr. Broicher, der seinen Patienten Karl Oberreuter, den Mann seiner Geliebten, durch Gift getötet hatte, mitangeklagte Frau Oberreuter, ist heute aus der Haft entlassen worden. Sie wurde damals wegen Beihilfe zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Es handelt sich um einen Krankheitsurlaub, jedoch ist gleichzeitig ein Gnadengesuch für sie eingereicht worden. Dr. Broicher wurde in diesem Prozeß zum Tode verurteilt, jedoch zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.

Die dentge Ahmmer umsast 42 Seiten