#8. Pohrgang. ur. Nr 19197.

Dopnerstag, 28. Juni 1928.

Grändungsjahr des Verlags 1723.

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Kriegsverzichtpakt ohne Verpflichtung.

Für die bis auf das Hemd abgerüsteten Staaten gemäß der Diktatur der Siegermächte wir meinen ein richtiggehendes Hemd, nicht etwa ein Panzerhemd ist es nicht ohne Reiz, das Katz= Maus=Spiel um den Kelloggschen Kriegs­ächtungspakt zu verfolgen. Ganz besonders eigenartig sind die Methoden, die man in dieser Hinsicht in Frankreich anzuwenden für zweckmäßig erachtet, Methoden, die etwa zu vergleichen sind mit dem TTrick des hakenschlagenden Hasen, dem die Hunde auf den Fersen sind. Deutschland hat sich, wie immer bei allen Anregungen, die der Befrie­dung der Welt dienen, uneingeschränkt zu den ame­rikanischen Vorschlägen bekannt. In Paris dagegen kann man wieder das Schaukelspiel des politischen Jongleurs mit dem Friedenskittel über dem Pan­zerhemd beobachten. Während zunächst die letzte Kelloggsche Note in der französischen Presse eine recht deutliche Ablehnung erfuhr, konnte man plötz­lich einen auffälligen Stellungswechsel der gleichen Presse feststellen. Vom Quai'Orsay war augen­scheinlich ein sehr deutlicher Wink erteilt worden, das wohlmeinende Einverständnis Frankreichs für den neuen Vorschlag Kelloggs in Aussicht zu stellen. Dieser Stellungswechsel ist jedoch offensichtlich durch­aus realpolitischen Motiven entsprungen. Als Enfant terrible verrät die Zusammenhänge der bekannte Pariser Politiker Bainville, der ungeniert in derLiberte erklärt, Frankreich möge die Ver­träge nur ruhig annehmen, da man sich eben nun einmal mit dem amerikanischen Gläubiger gut stel­len müsse; denn von den meisten Leuten werde ja der jüngsten Kelloggnote gar keine Bedeutung zu­geschrieben, und das mit vollem Recht. Da eben nun einmal der Friede keine Angelegenheit von Punkten und Kommatas in Verträgen bilde, so könne kein Vertrag einen Staat an der Krieg­führung hindern, wenn dieser Staat eben dazu ent­schlossen sei. Ebenso würde keinerlei Machtmittel einen Staat an der Neutralität hindern können, sofern ein solcher Staat nun einmal neutral zu bleiben beabsichtige. Herr Bainville beurteilt weiter die Kelloggsche Anregung einfach als Konjunktur­politik, da die gegenwärtige Konjunktur eben auf Frieden eingestellt sei, obwohl trotz der Friedens­verträge von 1919 viel mehr Ursache für einen Krieg als vor 1914 in der Luft läge. Frankreich solle deshalb die Verträge ruhig annehmen, um den Vereinigten Staaten zu gefallen; denn der Schuld­ner müsse stets dem Gläubiger zu gefallen suchen. In diesem Zusammenhange ist es übrigens nicht un­interessant, daß, wie der Pariser Korrespondent der Morning Post erfährt, die französische Regierung die jüngste amerikanische Note lediglich mit einer einfachen Empfangsbestätigung zu quittieren beab­sichtigt. Auch in England nimmt man sich übrigens Zeit zur Beantwortung der neuen Kelloggnote, und der diplomatische Korrespondent des Daily Tele­graph meint, daß man im allgemeinen eine Unter­zeichnung der neuen Kelloggschen Vorschläge nicht in allzuferner Zukunft erwarten könne. Im übrigen könnten ja auch noch die neu eingeladenen Staaten irgendeine Sonderstellung einzunehmen wünschen. Der Korrespondent zielt hier offensichtlich auf Polen ab, wo man dem Kelloggschen Pakt lediglich mora­lische Bedeutung zuspricht, die reale Sicherheit Polens aber auch weiterhin im Bündnis mit Frank­reich erblickt.

Wer verriet Schlageter?

MTB Berlin, 28. Juni. Im weiteren Verlaufe des Schlageter=Prozesses wurde der Büroinspektor Neuhaus vernommen, der erklärte, der französische Kriminal­beamte Allard habe ihm gesagt, die Nachricht von dem Aufenthalte Schlageters im HotelUnion sei ihm durch ein Mädchen hinterbracht worden. Dann wurde der Privatdetektiv Beuster vernommen, wobei es zu einem stürmischen Auftritt kam, da Beuster durch einen anderen Zeugen der Verbindung mit dem französischen Nachrichten­büro beschuldigt wurde. Beuster geriet in große Erregung und bat den Vorsitzenden unter Tränen, ihn gegen die Behauptung des Zeugen in Schutz zu nehmen. Er habe seinem Vaterlande immer treu gedient und mit den Schuften, die die deutsche Sache verraten haben, nichts zu tun. Nur mit großer Mühe gelang es, Beuster zu be­ruhigen. Aus der Vernehmung des Zeugen Federer, des früheren Burschen Schlageters, ist zu entnehmen, daß der Zeuge deshalb Schneider und Goetze nicht traute, weil sie mehrfach versucht hätten, Hauenstein nach Essen zu locken. Das sei ihm verdächtig vorgekommen. Auch sei er einmal im Auftrage Hauensteins dem Schneider nach Essen ge­folgt und habe dort gesehen, wie Schneider von einem Herrn empfangen wurde, der das Aeußere eines fran­zösischen Kriminalbeamten gehabt habe. Nach der Ver­nehmung Bergers, der ebenfalls mit der französischen Kriminalpolizei in Verbindung gestanden hatte, und der angab, in den Akten des französischen Kriminalbeamten Allard die Namen Schneider und Goetze gesehen zu haben, wurde die Zeugenvernehmung vorläufig abgeschlossen. Darauf stellte der Verteidiger Goetzes, Rechtsanwalt Dr. Sack, verschiedene Beweisanträge bezüglich Hauensteins, die Behauptungen enthielten, die sämtlich von den Zeugen Hauensteins widerlegt werden konnten, so daß Dr. Sack die Beweisanträge zurückzog. Der Verteidiger bat das Ge­richt, ihm Gelegenheit zu geben, einen Teil seines Plä­doyers in öffentlicher und einen Teil in nichtöffentlicher Sitzung zu halten, da er nur so der Beweisaufnahme ge­recht werden könne. Das Gericht lehnte dann die Ver­eidigung des unter dem Verdacht der Anstiftung zum Meineid stehenden Schneiders ab. Die Verhandlung wurde darauf auf Freitag vertagt.

WTB Paris, 28. Juni. Wie dem Matin aus Brüssel gemeldet wird, hat der Antwerpener Zeitungsmetropole zufolge der belgische Außenminister Hymans die Zustim­mung der belgischen Regierung zu den amerikanischen Antikriegspaktvorschlägen durchgesetzt.

Die Juspihung der Krise.

Hermann Mäller bei Hindenburg. Ein amtlicher Bericht. Die Sozialdemokraten beharren bei Severing

als Innenminister.

Morgen sind es drei Wochen, daß der Reichspräsident den sozialdemokratischen Parteivorsitzenden Hermann Mül­ler mit der Regierungsbildung beauftragte, wobei ihm völlig freie Hand gelassen wurde, sein Kabinett zu gestal­ten. Hermann Müller hat es mit der Großen, der Wei­marer und schließlich ohne Koalition versucht. Er hat gestern abend dem Reichspräsidenten mitteilen müssen, daß er noch keine Aussicht habe, ein tragfähiges Kabinett zustande zu bringen.

Im Reichstag betrachtet man die Versuche Hermann Müllers, ein Kabinett ohne fraktionsmäßige Bindungen zu bilden, zunächst als gescheitert. Ueber die weiteren Absichten Hermann Müllers verlautet nichts Authentisches. Es herrscht aber die Auffassung vor, daß er voraussichtlich heute dem Reichspräsidenten seinen Auftrag zurückgeben wird. Diese Auffassung ergibt sich daraus, daß das Zen­trum auch den Posten des Finanzministers als nicht zu­reichend ablehnte, den die Sozialdemokratie ihm als letzte Konzession angeboten hatte. Ob der Reichspräsident, wenn Hermann Müller seinen Auftrag zurückgibt, seinen Beauftragten von der Aufgabe entbinden wird, ist nicht bekannt. Sollte dies der Fall sein, so rechnet man in par­lamentarischen Kreisen mit der

Beauftragung eines Zentrumsmannes.

Es wird aber auch der Gedanke erörtert, daß Hermann Müller seine Bemühungen fortsetzen könnte, nunmehr in der Richtung auf ein Kabinett ohne Zentrum und der Verteilung der bisher dem Zentrum zugedachten Ministe­rien auf die übrigen Parteien.

Gegen eine solche Absicht bestehen in den Kreisen der Deutschen Volkspartei erhebliche Bedenken und auch Her­mann Müller hat seine

Abneigung gegen ein Kabinekt ohne das Zentrum

zum Ausdruck gebracht. Wie die Dinge sich weiter ent¬­wickeln werden, hängt aber von der Unterredung ab, die Hermann Müller mit dem Reichspräsidenten haben wird. Man nimmt an, daß die Initiative nunmehr beim Reichs­präsidenten liegt.

In später Abendstunde haben sich übrigens überraschend die Abg. Dr. Stegerwald und Esser vom Zentrum erneut zu Hermann Müller begeben. Auch diese Unterredung hat nicht dazu geführt, den zerrissenen Faden wieder anzuknüp­fen, so daß Hermann Müller nunmehr keinen anderen Weg sah, als seinen Auftrag in die Hände des Reichspräsidenten zurückzugeben.

Hermann Müller beim Reichspräsidenten.

Der Abg. Müller=Franken erstattete am Mittwoch nach­mittag um 6 Uhr dem Reichspräsidenten Bericht über die Verhandlungen, die er seit dem Freitag mit den Persönlich­keiten geführt hat, die er zur Regierungsbildung vorschla­gen wollte. Die Unterredung dauerte 20 Minuten. Fol­gende

amtliche Mitteilungen.

wurde hierüber ausgegeben:

Abg. Müller=Franken berichtete heute nachmittag dem Herrn Reichspräsidenten über den weiteren Fortgang seiner Verhandlungen mit den für die Regierungsbildung in Be­tracht kommenden Persönlichkeiten und den Fraktionen des Reichstages, denen diese Herren angehören. Seine Be­mühungen seien dadurch auf Schwierigkeiten gestoßen, daß die Zentrumsfraktion nach ihren heutigen Erklärungen darauf bestehe, entweder für den Abg. Dr. Wirth neben dem. Verkehrsministerium auch das Amt eines Vizekanzlers oder anstelle des Verkehrsministeriums ein politisches Mi­nisterium, wie das Reichsministerium des Innern zu er­halten. Er sehe bei dieser Sachlage keine Möglichkeit mehr für aussichtsreiche Verhandlungen.

Der Reichspräsident erwiderte, daß er an sich kein Be­dürfnis für die Einrichtung des in der Verfassung und in der Geschäftsordnung der Reichsregierung nicht als regel­mäßig vorgesehenen Amtes eines Vizekanzlers anerkenne, es im übrigen auch ablehnen müsse, in Aus­übung seiner verfassungsmäßigen Rechte sich von einer Fraktion für die Zusammensetzung des Reichskabinetts bin­dende Vorschriften machen zu lassen. Er ersuchte den Abg. Hermann Müller=Franken, diese seine Entschließung der Zentrumsfraktion mitzuteilen. Abg. Müller=Franken wird dem Reichspräsidenten im Laufe des morgigen Vormittags Bericht über seine weiteren Besprechungen mit dem Vor­stand der Zentrumsfraktion erstatten.

In parlamentarischen Kreisen verlautet, daß die Sozial­demokraten nicht gewillt sind, auf Severing als Innenmini­ster zugunsten eines Zentrumsmannes zu verzichten.

*

Was geschehen wird, wenn Hermann Müller seinen Auf­trag heute an den Reichspräsidenten zurückgeben sollte, ist noch nicht klar. Es wäre denkbar, daß der Reichspräsident nunmehr das Zentrum mit der Regierungsbildung betraut, einmal als zweitstärkste Partei in der in Frage kommenden parlamentarischen Konstellation, zum anderen, weil es die Ursache war, den Auftrag Hermann Müllers zum Schei­tern zu bringen. Es wäre aber auch denkbar, daß der Reichspräsident eine andere sozialdemokratische Persönlich­keit mit der Regierungsbildung betraut. Auf jeden Fall sieht man in parlamentarischen Kreisen die Lage heute als ziemlich kritisch an.

Die Haltung des Zentrums.

* Berlin, 27. Juni. Die Zentrumsfraktion des Reichs­tages nahm am Mittwoch abend nochmals einen Bericht ihrer Unterhändler über den Stand der Regierungsver­handlungen entgegen. Die Zentrumsfraktion billigte das Verhalten ihrer Unterhändler und hält einmütig an der Auffassung fest, daß es auf ein politisches Ministerium im Kabinett nicht verzichten kann. Danach ist, wie wir hören, die Zentrumsfraktion bereit, unter Preisgabe des Reichs­arbeitsministeriums, auf den Vizekanzlerposten und das Reichsernährungsministerium zu verzichten, fordert dafür

aber außer den beiden ihr angebotenen Ministerien ein politisches Ministerium.

*

DieKölnische Volkszeitung zum amtlichen Bericht:

DieKölnische Volkszeitung" bemerkt zu dem amtlichen Bericht über den Besuch Hermann Müllers beim Reichsprä­sidenten, daß es der Zentrumsfraktion in keinem Stadium der Verhandlungen in den Sinn gekommen sei, in die satzungs­mäßigen Rechte des Reichspräsidenten einzugreisen und ihm irgendwelche Vorschriften zu machen. Aber, so sagt das Blatt, man könne dem Zentrum auch nicht zumuten, sozusagen mit geschlossenen Augen in eine Regierung zu gehen, und Hilfe­stellung für ein Kabinett zu leisten, in dem es so gut wie nichts zu melden hat. Es gebe zwar ein geschriebenes Recht über den Aufgabenkreis des Reichspräsidenten und des Reichstages, die Praxis habe aber gezeigt, daß diese Vor­schriften nicht ausreichen, und durch ein vertrauensvolles Zu­sammenarbeiten beider für die Gesetzgebung wichtiger Fak­toren ergänzt werden müssen. Der nicht gerade freundliche Ton des Communiques, für den das Blatt aber in keiner Weise den Herrn Reichspräsidenten verantwortlich machen will, scheine ihm wenig zu der tatsächlichen Lage zu stimmen, wie sie sich ohne die Schuld des Zentrums herausgebildet hat.

Das Blatt weist auch den Vorwurf zurück, als habe das Zentrum die Schuld an der Scheiterung der Verhandlungen zu tragen. Im Gegenteil sei die Fraktion mit wünschens­werter Einmütigkeit vorgegangen und konnte das Gewicht ihrer einheitlichen Meinung und völligen Geschlossenheit in die Wagschale wersen, was um so nötiger war, als sie in ihrem Streben nach politischer Geltendmachung einer Ein­heitsfront der Deutschen Volkspartei und der Sozialdemokratie gegenüberstand und hinreichend verdächtige Gründe vorlagen, als sollte die Zentrumspartei das Opfer einer poli tischen Prellerei werden. Diesen Gefahren ist die Fraktion ausgewichen und es sei nicht ihre Schuld, wenn in der Abwehr solcher Bestrebungen auch der zweite Versuch Hermann Müllers im Sande verlief.

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Die Sozialdemokraten beharren bei Severing als Innen­minister.

Berlin, 27. Juni. In der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion erstattete heute abend Hermann Müller über seinen Besuch beim Reichspräsidenten Bericht. Er erwähnte hierbei, daß er bereits den Reichspräsidenten davon unterrichtet habe, daß die sozialdemokratische Frak­tion auf die Besetzung des Reichsministeriums des In­nern durch Severing nicht verzichten zu können glaube. Weiter habe er dem Reichspräsidenten erklärt, er glaube ohne Hinzuziehung der Zentrumspartei keine Regierung auf tragfähiger Grundlage bilden zu können. Unter

völliger Aufrechthaltung seiner sachlichen Bedenken gegen die Notwendigkeit eines Vizekanzleramtes sei er gleichwohl bereit, dem Zentrum in diesem Punkt entgegenzukommen; das würde aber nur neue Schwierigkeiten eintragen, da er wisse, daß die Deutsche Volkspartei ihrerseits ebenfalls schwerste Bedenken gegen die Errichtung des Vizekanzler­amtes hege. Im Laufe des Gesprächs mit dem Reichs­präsidenten sei diese seine Auffassung bestätigt worden durch eine Mitteilung, die Dr. Stresemann von seinem Kurauf­enthalt in Baden dem Büro des Reichspräsidenten habe zukommen lassen.

Die sozialdemokratische Fraktion beschloß nach dem Be­richte Hermann Müllers, wie zu erwarten war, einmütig, an der Kandidatur Severings für das Reichsministerium des Innern festzuhalten.

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Scholz gegen Stresemann.

Berlin, 27. Juni. Die Vossische Zeitung meldet, daß in der heutigen Fraktionssitzung der DBP. Abg. Dr. Scholz erklärte, den Vorsitz in der Fraktion niederlegen zu wollen, und zwar aus Verstimmung darüber, daß der Parteiführer Dr. Stresemann sein bekanntes Telegramm an Müller=Franken abgeschickt hatte, ohne sich vorher mit Dr. Scholz in Verbindung gesetzt oder ihn unterrichtet zu haben. Dr. Scholz wird den Vorsitz aber wohl behal­ten, da die Fraktion ihm mit Stimmeneinhelligkeit ihr Vertrauen votiert hat.

Zur Regierungsbildung wurde folgendes beschlossen: Die Fraktion will, um das Zustandekommen der Re­gierung nicht ihrerseits zu verzögern, gegen eine Beteili­gung ihrer beiden bisherigen Minister an einer nichtfrak­tionsmäßig gebundenen Regierung keine Einwendungen erheben. Sie stellt jedoch ausdrücklich fest, daß ihre Hal­tung zu etwaigen Vertrauens= und Mißtrauensvoten da­durch in keiner Weise gebunden ist und insbesondere von dem Inhalt der Regierungserklärung abhängig sein wird.

Keine neue Partei.

Berlin, 27. Juni. Die von einem Parlamentarischen Nachrichtenbüro verbreitete Mitteilung von der Gründung einer Deutschen republikanischen Partei scheint sich als salsch herauszustellen. Wie die Germania berichtet, ist die Nach­richt ausgegangen von einer einzelnen Person, die als Unter­mieter die in der Meldung angegebene Adresse vorgeschoden hat. Das Berliner Tageblatt, das vor einiger Zeit den Ge­danken einer Deutschen republikanischen Partei lebhaft erörtert hatte, rückt laut und vernehmlich von der in der Meldung be­haupteten Parteigründung ab.

Die Böhsser derIlala Teale.

Das Luftschiff verbrannt. 1 Mann tot.

Wie dieItalia abstürzte.

MTB Rom, 27. Juni. DieAgentur Stefanl keilt mit, daß von General Nobile nunmehr weitere Einzel­heiten über den Absturz derItalia mitgeteilt worden sind. Aus den Darstellungen des Generals ergibt sich, daß die hintere Motorgondel auf die Eisdecke aufschlug, wobei der Monteur Ponella den Tod fand. Er hatte schwere Gehirnverletzungen erlitten und fand ein ehrenvolles Be­gräbnis. Die Insassen der liegengebliebenen Kommando­kabine bemerkten, nachdem das Luftschiff führerlos abge­trieben war, in ungefähr 10 Kilometer Entfernung eine außerordentlich große Rauchsäule. Die Darstellung No­biles, daß ein Oel- oder Benzinkank des Luftschiffes explo­diert sei und diese Explosion die Rauchsäule hervorgerufen haben müsse, ist etwas unklar, da die Angabe der Gründe fehlt, auf die sich Nahiles Auffassung stützt. Ebenso leicht möglich ist es, daß der ganze Ballonkörper verbrannt ist.

In dem amtlichen Kommunigus wird weiter mitgeteilt, daß Nobile angeregt habe, Erkundungsflüge von seiner zurückgelassenen Gruppe aus in einem Radius von 50 Kilometer unternehmen zu lassen, um das Verbleiben der mit dem Luftschiff abgetriebenen Mannschaften festzu­stellen. Was die Malgreengruppe anbetreffe, so könne diese den Marsch zur Insel Joyn nur in Elappen von täg­lich rund 5 Kilometern zurücklegen. Sie sei mit Lebens­mitteln für etwa 40 Tage und den nötigen Instrumenten und Hilfsgegenständen ausgerüstet. Die Gruppe habe ihren Marsch angetreten, als die radiotelegraphische Station Nobiles bereits funktionierte und die Schiffbrüchigen von

der Organisierung der Hilfsexpedition unterrichtet waren.

*

Ist der Rest der Besatzung tot?

Kopenhagen, 27. Juni. Seitdem Nobile ganz neue Mitteilungen über den Absturz derItalia gemacht und erklärt hat, man habe von der abgetriebenen Ballonhülle eine Rauchsäule aufsteigen sehen, die vermutlich von einem Brand in dem Benzin= und Oeltank herrührte, wächst der Pessimismus bei der Beurteilung der Lage. Es muß be­fürchtet werden, daß der Rest der Besatzung derItalia längst ums Leben gekommen ist. Sollte ein Teil der Leute die Katastrophe überlebt haben, so werden diese Expeditionsteilnehmer wahrscheinlich den Hungertod er­litten haben. Auch die Gruppe Malmgren ist nach den letzten Meldungen Nobiles ohne Lebensmittel gewesen und ohne die Möglichkeit, durch die Jagd das Dasein zu fristen. Auch diese Gruppe ist wahrscheinlich umgekommen. Die Pläne für die Hilfsarbeiten werden voraussichtlich auf Grund dieser neuen Nachrichten abgeändert werden.

Die Geldmittel, die zur Durchführung der privaten Hilfsexpedition für Amundsen noch fehlen, sind inzwischen durch die von den Osloer Zeitungen veranstaltete Samm­lung aufgebracht worden, und die Expedition, an der der Polarforscher Tryggve Gran als Führer teilnimmt, wird bereits morgen, Donnerstag, starten.

Nordweststurm über dem Eismeer.

. Berlin, 28. Juni. Der Sonderberichterstatter des Berliner Lokalanzeigers an Bord der Braganza meldet seinem Blatte: Lundberg funkte, daß das Eis mit dem Lager sich in schneller Bewegung nach Osten befindet. Es haben sich mehrere Spalten gebildet, in denen, wenn der Nordweststurm anhalten würde, sich gute Landungsplätze für Flugboote bieten. Trotz des Schneetreibens hat die Ausbesserung des Flugzeuges gute Fortschritte gemacht und wird in zwei oder drei Tagen beendet sein, sobald noch die fehlenden Ersatzteile abgeworfen sein werden. Der Startplatz ist verbessert worden.

Von Bord der Quest wird gemeldet, daß der Nordwest­sturm der letzten Tage mächtige Eisschollen von Norden her abgetrieben habe. Das Schiff lause Gefahr, vom Eise eingeschlossen zu werden Es sei bereits jetzt unmöglich, nach der Amsterdaminsel zurückzukehren. Deshalb würde das Schiff im Notfalle in der Vallenberg=Bay sich einschlie­ßen lassen und versuchen, durch die Hinlopen=Straße in die Lomme=Bay zu gelangen.

Em wweiter Londen.

MTB Paris, 27. Juni. Die Polizei von Marseille ist einem neuen Mörder von der Art Landrus auf die Spur gekommen. Es handelt sich um einen gewissen Drat, der sich aber unter falschem Namen herumtrieb. Vor einigen Tagen hörten die Nachbarn einer Billa in der Nähe Mar­seilles Hilferufe. Als sie daraufhin in das Haus ein­drangen, fanden sie dort die Leiche einer etwa 40 Jahre alten hübschen Frau, die mit einer dünnen Stahlschnur ganz besonderer Fabrikation erdrosselt worden war, vor. Der Verdacht lenkte sich sofort auf den fraglichen Drat. der mit der Toten wegen Ankaufs der Billa in Unter­handlungen gestanden hatte. Drat konnte bisher nicht aufgefunden werden. Die Untersuchung hat ergeben, daß Drat vor einiger Zeit ebenfalls in der Nähe von Mar­seille eine Villa gemietet hatte, und daß er in dieser Villa fünf Frauen in dem betreffenden Zeitabschnitt empfing, die alle auf rätselhafte Weise plötzlich verschwanden. Die Poli­zei hat nun gestern in dieser Villa, die ihren Besitzer mitt­lerweile gewechselt hat, eine Haussuchung vorgenommen und dabei im Keller und im Hühnerstall unter einer Je­mentdecke je eine Frauenleiche ausgegraben. Die beiden Leichen waren vorher zerstückelt worden. Es gilt als wahrscheinlich, daß im Garken oder im Keller noch weitere, Leichen verborgen liegen. Der Mieter, der nach Drat die Villa bezog, fand im Keller eine auffallende Menge Sekt­und Likörflaschen. Man nimmt deshalb an, daß der Mör­der seine Opfer jeweils berauschte und sie dann kötete. Die Nachforschungen nach dem jetzigen Aufenthaltsoit des Drat waren bislang erfolglos. Man konnte allerhings ein Hotelzimmer ausfindig machen, in dem Drat zuletzt ge­wohnt hat und in dem sich noch seine Sachen befanden. Unter den Sachen fand man eine große Anzahl Frauen­kleider und Frauenschmuckstücke.

Die heutige Nummer umfaßt 18 Seiten