38. Jahrgang. Nr. 12806.. Bonn, Donnerstag, 28. April 1927. Gründungssahr des Verlags 1725.

Neue Vermielungen in Badchina.

Muß England ohne Amerika die Chinasuppe auslösfeln?

Ende

der Abrüstungs=Vorkonferenz.

Das Ende der ergebnislosen Verhandlungen.

Beratungen über den chemischen Krieg. Der

Vorschlag des deutschen Vertreiers. Die Zu­

ziehung Sowjetrußlands zu den Verhandlungen.

Der wenig erfreuliche Schlußbericht. Was wird werden?

Die Abrüstungskonferenz hat am 26. April in Genf ihre letzte Sitzung abgehalten und ist dann sang= und klang­los geschlossen worden, nachdem die Mitglieder selbst das Ergebnislose weiterer Beratungen eingesehen haben. Die ganzen Verhandlungen sind, wie von vornherein nicht anders zu erwarten war, ein ungeheures Fiasko geworden, und zwar lediglich aus dem Grunde, weil die meisten Staaten einfach nicht abrüsten wollen. Es ist von allen Seiten anerkannt worden, daß Deutschland nach der Ein­leitung zu Absatz 5 des Friedensvertrages von Versailles mit Recht für sich verlangen kann, daß nunmehr die allge­meine Abrüstung auch der übrigen Staaten eingeleitet wird. Tatsächlich aber will keine andere Macht mit der Beschränkung der Rüstungen beginnen aus Furcht vor den übrigen. Dabei wird aber als ganz selbstverständlich angesehen, daß es für Deutschland und für seine Bundes­genossen im Weltkriege bei der völligen Entwaffnung bleibt. Mehrere Male wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß an den Bestimmungen des Versailler Friedensver­trages in dieser Hinsicht unter keinen Umständen gerüttelt werden dürfe.

In den beiden letzten Sitzungen ist der deutsche Ver­treter Graf Bernstorff wiederum besonders hervor­getreten und hat auch bei den Beratungen über die Ab­schaffung des chemischen Krieges einen gewissen Erfolg errungen. Belgien, Polen, Jugoslawien, Rumänien und die Tscheechoslowakei haben ein Abkommen vorgeschlagen, durch das sich alle Staaten verpflichten müssen, die Anwen­dung von Giftgasen und allen änlichen Stoffen sowie der Mittel des bakteriologischen Krieges zu verbieten und weder die Einfuhr noch die Ausfuhr oder die Herstellung von Substanzen zu gestatten, die für diese Art des Krieges verwendet werden sollen. Graf Bernstorff wies darauf hin, daß er einen ähnlichen Antrag bereits im Juni vorigen Jahres für Deutschland gestellt und sich bei der Waffenhandels­konferenz im Herbst 1926 ohne Vorbehalt bereit erklärt habe, jede internationale Maßregel zur Unterdrückung des chemischen Krieges anzunehmen. Er wiederholte darauf diese Erklärung nochmals und beantragte, daß in den Vorschlag der übrigen Staaten auch die Bemerkung einbezogen werden müßte, daß jede Vorbereitung der Ver­wendung dieser Stoffe schon in Friedenszeiten verboten wäre.

Nachdem der französische Vertreter jedes Verbot der chemischen und bakteriologischen Kriegführung mit größter Sympathie begrüßt hatte, wurde der deutsche Vorschlag angenommen. Nur die Vereinigten Staaten von Nord­amerika haben sich in ihrer Dentschrift gegen jedes der­artige Verbot ausgesprochen, obwohl es in dem Washing­toner Protokoll über die Seeabrüstungskonvention bereits enthalten ist.

Sodann erinnerte Graf Bernstorf nochmals daran, daß Deutschland es als selbstverständlich ansehen müsse, daß zu den Beratungen über die allgemeine Abrüstung auch Sowjetrußland hinzugezogen werden müsse. Es sei nicht angängig, daß Polen und die übrigen Rand­staaten von der Abrüstungspflicht befreit werden müßten, wenn Rußland der Konvention der Rüstungsbeschränkun­gen nicht beitreten sollte. Für Deutschland wäre es eine wichtige Frage, ob Polen seine Rüstungen unvermindert fortsetzen könnte, während die übrigen Staaten mit der Einschränkung der Rüstungen begännen. Die Frage der russischen Teilnahme sei ja durch den mit der Schweiz jetzt geschlossenen Frieden lediglich vereinfacht worden, die Machthaber in Moskau hätten nunmehr keinen Vorwand mehr, eine erneute Einladung zu der Konferenz abzuleh­nen. Die Frage wurde zwar noch nicht entschieden, doch verfehlte der Hinweis des deutschen Vertreters seinen Ein­druck auf die übrigen Konferenzmitglieder nicht. Sicherlich hat Graf Bernstorff erreicht, daß über diese Angelegen­heit bei der nächsten Sitzung des Völkerbundsrates ge­sprochen werden muß.

Alle Konferenzmitglieder nehmen wohl das Gefühl mit nach Hause, daß die Beratungen nicht den geringsten Erfolg gehabt haben. Sie haben daher auch das Bedürfnis gehabt, sich gleichsam für das nega­tive Ergebnis zu entschuldigen. Bei der letzten Bespre­chung wies der polnische Vertreter auf die zahlreichen An­klagen der öffentlichen Meinung gegen die Konferenz hin und entschuldigte sie damit, daß den meisten Leuten die Kompliziertheit des Abrüstungsproblems nicht genügend bekannt wäre, dann kam er wieder auf die berühmte Formel der letzten Jahre,Schiedsgerichtsbarkeit, Sicher­heit und Abrüstung, zu sprechen und betonte ausdrücklich, daß man durch Vorbereitung der moralischen Abrüstung wesentlich zu der materiellen Abrüstung beitragen könnte. Der deutsche Vertreter konnte sich nicht enthalten, die öffentliche Meinung in etwa in Schutz zu nehmen, denn es sei wirklich sehr wenig für die Abrüstung geschehen. Für einen Bericht an den Völkerbundsrat und einen Vorschlag für die eigentliche Abrüstungskonferenz sei es noch viel zu früh, denn in kaum einem wichtigen Punkte sei eine Uebereinstimmung erzielt worden. Schließlich wurde nach stundenlanger Besprechung beschlossen, daß das Büro der Konferenz eine kurze Einleitung verfassen soll, aus der hervorgeht, warum nur so geringe praktische Ergebnisse erzielt werden konnten.

Somit hat die Abrüstungs=Vorkonferenz ihren Zweck nicht erfüllt und ihre Aufgabe, dem Völkerbundsrate einen Vorschlag für die eigentliche Abrüstungs=Vorkon­ferenz vorzulegen, nicht erfüllen können. Aber auch weitere Beratungen dürften jetzt unnütz sein, denn zu einer Eini­gung wird man doch nicht kommen. Frankreich hat wie­der einmal einen großen Erfolg errungen, in dem es die Abrüstung sabotiert und veranlaßt hat, daß diese so wich­tige Frage bis auf weiteres vertagt wird.

Parkeitag des preußischen Zentrums.

P Berlin, 28. April. Die preußische Zentrumspartei wird am Samstag, den 21., und Sonntag, den 22. Mai in Berlin einen Parteitag abhalten. Am 21. Mai findet vormittags 10 Uhr im Preußischen Landtag zunächst eine Vorstandssitzung statt. Ihr folgt um 2 Uhr nachmittags im Plenarsaal des Landtages die erste Vollversammlung, die zwei außerordentlich wichtige Referate bringen wird. Zunächst wird der Abg. Dr. des über die allgemeine Politik der Zentrumspartei in Breußen seit der Revolution sprechen. Zweiter Referent in der bekannte Kulturpolitiker des Zentrums, Dr. Lauscher, der über dieses sein Spezialgebiet sprechen wird. Der zweite Tag des Parteitages bringt die Besprechung der Finanz= und Steuerfragen. Zunächst wird der Abg. Dr. Schmeding Aber Preußens Finanzlage reserieren. Sodann stiebt ein Re­serat des Abg. KölgesZentrum und Steuerg auf der kagekordnung.

Neue Ueberraschungen in China;

Nach den heutigen Nachrichten hat die politische und die militärische Lage in Südchina Formen angenommen, die die Annahme rechtfertigen, daß nach der Spaltung der Kommunistischen Partei, der Kuomintang, die Situation noch weiter verwickelter wird. Bekanntlich hatten London und Washington große Hoffnungen auf den energischen Schritt Tschangkaischeks, des südchine­sischen Oberbefehlshabers, gesetzt, der die gemäßigten Ele­mente der Kuomintang von dem stark nach Moskau nei­genden Flügel trennte. Aber die Hoffnungen der Proto­kollmächte scheinen trügerisch zu bleiben. Es ist Tschang­kaischek nicht gelungen, eine lebensfähige Re­gierung in Nanking zu gründen. Wohl hatte in den jüngsten Tagen Tschangkaischek die Genugtuung, daß der Pariser Kongreß der europäischen Kuomintang­Vertreter sich gegen die Moskauer Richtung aus­sprach. Aber diese Beschlüsse sind für den Politiker und General Tschangkaischek zunächst ohne praktische Bedeu­tung. Im Gegenteil, die politische Spaltung der Kuomin­tang hat auch zu einer militärischen Spaltung geführt, so daß die Heeresmacht Tschangkaischeks wesentlich geschwächt ist. Nach einer Privatmeldung hat sich die Spaltung der Kuomintang dahin militärisch ausgewirkt, daß 27 Divisionen zur Verfügung Tschangkai­scheks stehen, während 17 Divisionen zu den An­hängern des Bolschewisten Borodin übergegangen sind.

In Moskau zeigt man sich darüber beunruhigt, daß nach zahlreichen Meldungen Annäherungsver­suche zwischen Tschangkaischek und dem Führer der Nordtruppen, Tschangtsolin erfolgen, ferner lau­fen in Moskau fortwährend eingehende Berichte über Massenverhaftungen und=verurteilungen von Kommunisten im Kantongebiete ein. Auch gehe Tschangkaischek mit bewaffneten Bauernhorden gegen die Kommunisten vor.

Hankau, der Sitz der Regierung des linken Flügels der Kuomintang, ist nach Meldungen der United Preß und der Agentur Indor cifique von einem militärischen Angriff Tschangkaischeks unmittelbar bedroht. Mi­nister Tschen trifft in Hankau Verteidigungsmaßnahmen.

In London und Washington ist man von diesem verstärkten Bruderkampf der Chinesen natürlich wenig entzückt, zumal fortgesetzt amerikanische und englische Kriegsschiffe von den chinesischen Streitkräften beschossen werden.

Reichsfinanzminister Dr. Köhler zu den Angrissen seines Amtsvorgängers.

MTB Berlin, 26. April. Die Vertreter der Zentrums­presse hatten heute eine Aussprache mit Reichsfinanz­minister Dr. Köhler über die Rede, die Minister a. D. Dr. Reinhold am Samstag auf dem Demokratischen Parteitag in Hamburg gehalten hat. Auf die Frage, ob Dr. Köhler beabsichtige, die Angriffe seines Amtsvorgängers gegen ihn im einzelnen zu widerlegen, antwortete der Minister be­stimmt: Ich werde allen Angriffen zum Trotz auch künftig die gute Tradition der Vergangenheit aufrechterhalten und meine Aufgabe nicht darin sehen, in eine Zeitungs= oder Versammlungspolemik mit meinem Amtsvorgänger einzu­treten. Die Verantwortung meines Amtes steht mir höher als irgendwelche Rechthaberei. Dem deutschen Volke das Schauspiel zweier sich in der Oeffentlich­keit bekämpfenden Minister zu bieten, lehne ich bestimmt ab. Auf den Einwand hin, daß Dr. Reinhold dem Finanzminister aber gerade vorwerfe, daß er(Finanz­minister Köhler) von der alten Tradition abwiche, dem Vor­gänger keinen Dank ausgesprochen und ihn in der Polemik nicht verteidigt hätte, antwortete Dr. Köhler: Ein sonder­barer Vorwurf! Ich habe in Wirklichkeit genau das getan, was Dr. Reinhold seinem Vorgänger gegenüber geübt hat. Dr. Reinhold mag seine Etatsrede nachlesen und sie mit der meinigen vergleichen. Er wird darin finden, daß ich mich über seine Tätigkeit genau so ausgesprochen habe, wie er es seinerzeit über Herrn von Schlieben getan hat. Ich habe mich also gerade an die von ihm geübteTradition ge­halten. Die gegenteilige Behauptung Dr. Reinholds ist nicht zutreffend. Im übrigen war es doch wohl mein Amtsvorgänger selbst, der auch darin dieTradition ver­ließ, daß er wenige Tage nach seinem Ausscheiden aus dem Reichsfinanzministerium in einer Berliner Zeitung einen Artkel veröffentlicht hat, durch welchen er seinem Amtsnach­folger u. a. Mitteilungen zukommen ließ, die wohl besser bei der Aussprache anläßlich der Amtsübergabe gemacht worden wären, dort aber von ihm aus mir nicht bekannten Gründen unterlassen wurden.

Von Seiten der Pressevertreter wurde auch auf die Be­hauptung Dr. Reinholds in Hamburg eingegangen, wonach die Reserven und Ueberschüsse früherer Jahre noch vorhanden, für die Erwerbslosenfürsorge und die Beamten­besoldung aber im Etat 1927 schon Reserven vorgesehen ge­wesen seien, insbesondere in den Steuerrückständen der früheren Jahre. Hierzu erklärte der Reichsfinanzminister: Ich habe über die Verwendung der Reserven und Ueber­schüsse aus den früheren Jahren im Reichstagsplenum wie im Haushaltsausschuß mehrfach erschöpfend Auskunft ge­geben. Meine damaligen Ausführungen halte ich aufrecht, ebenso diejenigen über die Erwerbslosenfürsorge. Ich habe ihnen garnichts hinzuzufügen. Daß für die Ueber­nahme der unterstützenden Erwerbslosenfürsorge der Län­der und Gemeinden auf das Reich sowie für eine Reform der Beamtenbesoldung im Etat 1927 Reserven vorge­sehen waren, ist mir nicht bekannt und würde auch dem widersprechen, was mein Vorgänger bei der Amts­übergabe mir erklärt hat. Daß er mit den verwendbaren Reserven nicht den Betriebsfonds gemeint haben kann, geht schon aus einer Rede hervor, die er am 12. Februar 1926 im Reichstag gehalten und worin er erklärt hat, daß er den Betriebsfonds unbedingt erhalten wissen wolle. In den Steuerrückständen aber kann schon deshalb keine

Gestern beschäftigte sich das englische Kabinett mit der Lage in China. Der Erste Seelord und der Luft­marschall nahmen an der Sitzung teil, was in politischen Kreisen als ein Zeichen dafür angesehen wird, daß die sich häufenden Fälle von Beschießungen ausländischer Schiffe auf dem Yangtse Beunruhigungen hervorrufen. Die Ent­sendung von Flugzeugen nach den chinesischen Gewässern ist zu erwarten. Die englische Regierung scheint im Be­griffe zu stehen, entscheidende Maßnahmen zu treffen.

Wie sich die Dinge weiter entwickeln, ist noch ungewiß. Der Sonderberichterstatter der Agentur Havas spricht von einer Verschlechterung der Stellung Tschangkaischeks, da er sich auf einem Gebiet befinde, das zwischen der Offensiv­basis Hankaus und dem Widerstandsfeld der Nordtruppen liegt, die noch immer Pukau halten. Von Pukau aus bombardiert ein weißrussischer Panzerzug die Hauptstadt.

Man ist nach Havas in europäischen Kreisen der An­sicht, die Zurückhaltung Amerikas könne die Wirkung haben, jedes entschlossene Vorgehen der Mächte zu verhin­dern, was eine einseitige englische Entscheidung beschleuni­gen könnte, besonders weil die Ruhe in den Konzessions­zonen zum Teil die in Schanghai zusammengezogenen militärischen Streitkräfte freimache.

Abgeordneter Rosenberg aus der K. P. D. ausgetreten.

WTB Berlin, 26., April. Der Reichstagsabgeordnete Dr. Rosenberg ist aus der Kommunistischen Partei aus­getreten. Wie in parlamentarischen Kreisen verlautet, be­gründet er seinen Schritt mitdem völligen Zusammen­bruch der Politik der Komintern in China. Er beabsichtigt im übrigen, sein Reichstagsmandat als parteiloser Abge­ordneter weiter auszuüben.

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Der Kommunistenführer Dr. Rosenberg über seinen Austritt aus der KPD.

* Berlin, 27. April. Dr. Rosenberg, Privatdozent für Geschichte und bisheriger kommunistischer Reichstags­abgeordneter, hat an die KPD. ein Schreiben ge­richtet, worin er erklärt, er könne die widerspruchs­volle Politik Sowjetrußlands und der Kom­munistischen Internationale nicht mehr mit­machen. Die Sowjetführer Rüßlands trieben eine Poli­tik der Zugeständnisse an die wohlhabenden Bauern und das Kleinbürgertum. Das sei keine Arbeiterpolltit mehr.

Dr. Rosenberg war der Sprecher der Kommunisten namentlich auf dem Gebiet der Außenpolitik. Sein Aus­tritt aus der KPD. bedeutet für letztere zu mindestens den Verlust einer über den Durchschnitt hinausragenden In­telligenz.

Reserve liegen, weil, wie Dr. Reinhold wohl bekannt ist, diese Rückstände und falschen Ansätze seiner Schätzung für das Steueraufkommen 1927 berücksichtigt worden sind.

Ueber die von den Pressevertretern erwähnte besonders starke Kritik, die der provisorische Finanzausgleich mit sei­ner Garantiesumme von 2,6 Milliarden und der Erhöhung der Biersteuerüberweisung, derLiebes­gabenpolitik erfuhr, äußerte sich der Reichsfinanz­minister folgendermaßen: Ich habe bis jetzt volle Zurück­haltung geübt in der Darlegung des vorläufigen Zwangs­ausgleichs mit seinenLiebesgaben. Auch die Posaunen­stöße der oppositionellen Kritik haben nicht vermocht, mich aus dieser Zurückhaltung herauszubringen. Die Gründe dafür habe ich Ihnen oben gegeben. Wenn aber mein ver­ehrter Herr Amtsvorgänger glauben sollte, der bekannte Satz im napoleonischen Code civil, der da lautet:La re­cherche de la paternité est interdite(Die Feststellung der Vaterschaft ist verboten), könne auch hier gelten, so dürfte er sich wohl täuschen. Eine Untersuchung würde nicht nur für Posaunenbläser, sondern auch für andere Leute ein überraschendes Ergebnis bringen; denn sie würde zeigen, daß ich in dieser Angelegenheit mehr die Stelle des Adop­tivvaters einnehme. Mehr möchte ich im gegenwärtigen Augenblick wirklich nicht sagen.

Von Seiten der Pressevertreter wurde weiter auf die Er­klärung Dr. Reinholds aufmerksam gemacht, daß, wenn er die neue Reichsanleihe nicht nur aufgelegt, sondern auch in Zukunft hätte behandeln dürfen, der Erfolg wohl ein besserer gewesen wäre. Hierzu gab Dr. Köhler fol­gende Erklärung ab:Auch in dieser Angelegenheit werde ich in der Oeffentlichkeit zu einer Diskussion Gelegenheit bieten, denn die Frage der Kreditwürdigkeit des Reiches steht mir höher als alles andere. Danach habe ich in den vergangenen Monaten gehandelt. Auch die Zu­kunft wird mich auf dem Posten finden, ganz gleich, ob ich mit meinen Maßnahmen bei irgendeiner Persönlichkeit Freude oder Mißbehagen auslöse. Mit diesen Bemerkun­gen möchte ich aber das unerquickliche Gebiet persönlicher Auseinandersetzungen verlassen, denn ich habe Wichtigeres zu tun.

Augenblicksbilder aus dem Reich der Mitte.

Von Achim von Winterfeld, Berlin.

Der erste nachhaltige Eindruck, den ich im schmutzstar­renden Reiche der Mitte empfing, war der einer gelinden Beklemmung. Am Spätnachmittag war ich in einer jener Riesenstädte angekommen, von deren Bienenkorbgewimmel sich der Europäer, der niemals dort war, kaum einen Be­griff machen kann. Mein dampfender, übelriechender Kuli hatte mich irgendwie im Zentrum des Verkehrs abgesetzt und ich schlenderte nun, als ginge ich mitten durch ein phantastisches Ausstattungsstück, durch das bunte Mensch­heitsgesumme der Gossen und Gäßchen.

Flaternde Buntheit überall, huschendes Hin und Her und seltsame, nicht gerade sympathische Düfte, überhaucht von dem rosigen Licht vereinzelt aufleuchtender Papierlam= pions. Auf Filzpantoffeln einherschlurrende gelbe Ge­stalten, glattrasierte Köpfe, sonnengedörrte oder unan­genehm fette Körper mit dicken Specksalten im Nacken, zerknitterte und verschrumpelte Pergamentgesichter, tasten­des Lächeln, ein Gewirr öliger Stimmen. Aus stickigen Fensterhöhlen lugte es von schwitzenden Gesichtern.

Ein seltsames Volk, in dem als die drei köstlichsten Le­bensgüter Amt und Würden, männliche Nachkommen und langes Leben gelten, dieses Volk der Faulheit und der stoischen Aufopferung, der pflichtlosen Beamten und der Pflichttreue, der Grausamkeit und des Schmutzes und hin­wiederum des seinen Formgefühls, des Aberglaubens und des Scharssinns, dieses Volk der verachteten Mädchen und der durch starre klassische Erziehung lebensuntauglich ge­machten Knaben, das Volk, in dem das Gefühl eine höchst untergeordnete Rolle spielt, in dem Ehen lediglich durch Eltern und Heiratsvermittler geschlossen werden, und in dem doch die Familie das Zentrum ist, das Volk, in dem die Vernachlässigung der Schwiegermutter als Scheidungs­grund und ein bis zum Wahnsinn unhygienisches Leben als selbstverständlich gilt, ein Volk, dessen Heilkunst noch so in den Kinderschuhen steckt, daß man das Blut hinge­richteter Verbrecher als Verdauungsmittel verschreibt, ein Volk, das über seiner uralten Tradition eingeschlafen scheint und das doch von Umwälzung zu Umwälzung eilt.

Hier geht einer unter der Last seiner an den Enden einer Bambusstange um die Schultern balancierenden Waren, dort wieder hocken verschlagen lächelnde Gesichter in den Läden wie Spinnen, die auf die Fliegen warten, die sich zu ihnen verirren sollen. Kaufhäuser, von außen unscheinbar, die doch im Innern eine Fülle von Reichtum und Kostbarkeiten bergen, Seidenballen und feine Bron­zen, kunstvoll geschnitzte Elefantenzähne, delikates Porzellan und leuchtende Lackwaren, Holzschnitzereien von exquisitem Geschmack.

Eine auf uns gradezu märchenhaft wirkende Buntheit im Straßenbild. Blaue, rote, gelbe Säulen an den ein­stöckigen, balkongeschmückten Häuschen, die um= und über­ringelt sind von schlangenartig gewundenen Ornamenten aus Holz und Ton, darstellend die Lieblingstiere der Chi­nesen, den Drachen, den sagenhaften Vogel Phönix, die in vielen Tempeln als heilig verehrte Schildkröte oder den Affen. Dann wieder hunderte von Schildern, geschmückt mit langen Reihen vergoldeter, roter, blauer Buchstaben auf andersfarbigem Grund, Schriftzeichen, die schon an sich wie kleine Kunstwerke, wie Arabesken und Ornamente wirken. Dazwischen Räucherwerkduft, der die dickte At­mosphäre noch mehr verdickt, einen Hauch von Betäubung über das Ameisengewimmel ausstreut, das überall in drangvoll fürchterlicher Enge einherkribbelt und krabbelt.

Prasselnde Pfannen in den Garküchen oder schrille Laute der zweisaitigen Bambusvioline aus den zahllosen Tee­häusern, in denen die Söhne des Himmels sitzen, sich mit einer für uns ganz unwahrscheinlichen Geschicklichkeit mit Hilfe von Eßstäbchen Reis in den Mund schaufeln, aus winzigen Bechern ihren Reiswein trinken oder mit leisem Wonnegrunzen den dick eingekochten grünen Tee schlürfen, Nußkerne und kleine verzuckerte Kuchen knabbern oder die winzigen Köpfe ihrer Pfeifen stopfen, in denen kaum ein erbensgroßes Tabakkügelchen Platz hat, das höchstens für zwei oder drei Züge ausreicht.

Armut und Reichtum liegen in China kraß nebenein­ander. Hier in der Ecke einer Seitenstraße ein Bettler, der in Gesellschaft eines Hundes vor Hunger auf einem der zahlreichen Misthaufen stirbt, dort wieder vornehme millionenreiche Chinesen in kostbaren blauen Seidenge­wändern, von ihren Dienern durch die Menge getragen in wiegenden prunkvollen Sänften.

Chinesisches Theater. Man spielt GoethesFaust. Um sieben Uhr hat die Vorstellung bereits begonnen, um eins soll sie zu Ende sein. Jetzt ist es elf Uhr: ich komme also gerade zu den Gretchenszenen. Der Luschauerraum mit seinen vielen Hotzkästen, die Logen darftellen sollen, er­innert ein wenig an das üble Zwischendeck unserer in­zwischen selig entschlafenen Auswandererdampfer alten Typs. Alles sitzt eingeschachtelt in solche Kästen, Männlein, Weiblein, und die nicht unbeträchtliche Kinderschar ißt Kuchen, schlürft Tee, saugt an einem Zuckerrohr, spuckt Obstkerne oder Schalen in die Gegend. Mit Goethes un­sterblichemFaust scheint dieses Stück nicht allzuviel zu tun haben. Neben einigen aus Heulen, Lachen und pathö­logischen Tiraden gemischten Auftritten, die so etwas wie die Gretchenszenen darstellen sollen, schiebt sich ein Auf­klärungsstück für das Volk in den Vordergrund, in dem es im Anschluß an Gretchens Soldatenbruder Valentin von Soldatenszenen wimmelt. Verspottung dieser oder jener Militärpartei, Exerzieren und Schlachtenbilder, Auf­werfen von Schützengräben, Generäle, die gewichtig zu Pferd steigen, als das ihnen ein Stuhl dient, das alles ist zur Modernisierung des Stoffes gewaltsam hineinge­schachtelt. Prunkaufzüge, Familien= und Gerichtsszenen, alles umrauscht von lärmender Musikbegleitung, rollt sich auf primitiver Bühne ab, die Frauenrollen in Stimme, Gang und Mimik erstaunlich echt von Männern dargestellt. Wenn es in den Gretchenszenen zu tragisch wird und das Publikum seiner Teilnahme durch Schluchzen und lautes Weinen Ausdruck gibt, werden schnell einige Witze hinein­improvisiert, die das seelische Gleichgewicht wieder her­stellen. Ueberall starke Anklänge an das alte Volksdrama der griechisch=römischen Kaiserzeit, den Minus, der ja überall in der weiten Welt Wurzel geschlagen hat. Nach Schluß der Vorstellung werde ich dem Darsteller des Faust, einem massigen gelben Koloß, vorgestellt, mit dem ich auf Englisch ein paar Worte wechsele, dem ich meine Anerken­nung für sein Spiel zum Ausdruck bringe, was ein fettes, breites Grinsen auf dem gedunsenen Gesicht des Mimen zur Folge hat. Mein chinesischer Begleiter, eine hoch­stehende Persönlichkeit, die einen Teil ihrer Bildung in Deutschland bezogen hat, hat mir vorher zugeflüstert, daß ich es mit dem Matkowsky der chinesischen Bühne zu tun habe. Nun, so wenig mich der Faust an Goethe erinnerte, so wenig erinnerte mich dieser fette Mime an die geniale Kraft Matkowskys.

Dann geht es im Auto meines Gastgebers vorbei an phantastisch geschwungenen Dachlinien, malerischen Gie­beln und Dächern, an gespenstisch aufragenden knorrigen Bäumen und bläulich leuchtenden Tempeldächern schnellen Fluges zum Nachtquartier in der reichen Villa mit den schweren geschnitzten schwarzen Möbeln, den prächtigen Spiegeln und Aquarellmnalereien, den Tierbildern und Gedichten in Läuferform an den Wänden. Ein bunter Tag im bunten Reich der Mitte geht zur Neige.

Neuer Zuganschlag in Mexiko.

MTB Mexiko, 27. April. Bei Las Salas im Staate Guanajuate ist ein neuer Anschlag gegen einen Zug verübt worden. Dabei wurden zehn Banditen, ein Bundessoldat und ein Heizer getötet. In einem Gefecht gegen Rebellen bei Los Lobos im Staate Jalisco fanden 15 Rebellen und ein Bundessoldat den Tod.

Der Kampf gegen die mexikanischen Eisenbahnräuber.

WTB Mexiko, 26. April. Sechzig Mitglieder der Räuberbande, die den Zugüberfall bei Guadalajara aus­führte, wurden nach fünfstündigem Kampf mit den Bundestruppen bei Eiquitarrero im Staate Jalisco getötet.

De Leule Duner umsk 12 Ceten)