37. Jahrgang. Nr. 12626 Bonn, Montag, 20. September 1926. Gründungsjahr des Verlags 1725.
Erörterungen über Thoiry.
Politische und wirtschaftliche Verständigungsversuche.
Das große Rätselraten um Thoiry.
Mobilisierung der Eisenbahn-Obligationen?
Die„Germania“ lüftet den Schleier von Thoiry. Sie macht folgende als zuverlässig geltende Angaben über den Inhalt der Unterredung zwischen Briand und Stresemann:
Zunächst beabsichtigt die französische Regierung. Ende dieses Monats einen Finanzsachverständigen nach Beelin zu entsenden. Je nach dem Ergebnis der weiteren Verhandlungen wird dann voraussichtlich Anfang Okkober Briand nach Berlin oder Stresemann nach Paris kommen, oder die beiden Herren werden sich an einem Zwischenort treffen. Was den im Vertrag von Versailles vorgesehenen Rückkauf der Kohlengruben im Saargeblet angeht, so kann als Rückkaufsumme schwerlich ein höherer Betrag als 250 Millionen Goldmark in Frage kommen. Als einen wesentlichen Jakkor der Besprechungen betrachtet man allerorten die Mobilisierung eines Teils der von Deutschland auf Grund des Dawesschen Plans ausgestellten fünfprozentigen Eisenbahnobligationen im Gesamtbetrag von 11 Milliarden Goldmark. Natürlich kann schon im Hinblick auf die Aufnahmefähigkeit des Wellmarkts, insbesondere des amerikanischen Markts, von so phantastischen Summen, wie sie in manchen französischen Blättern genannt wu den, vier oder gar sechs Milliarden Goldmark, überhaun keine Rede sein. Wir können uns nicht denken, daß füs einen größeren Betrag als höchstens 11(die Germania sagt Millionen, es soll aber wohl Milliarden heißen) zurzeit Abnehmer zu finden sein würden. Dabei ist es klar und soll auch an dieser Stelle besonders anerkannt werden, daß eine derartige Transaktion der vorgängigen Zustimmung des Enkschädigungsagenten in Berlin bedarf. Amerika ebenso wie England sind an einer Gesundung der europäischen Verhältnisse selbst im höchsten Maße interessiert. So darf man für den Fall eines erfolgreichen Verlaufs der gesamten Verhandlungen mit der Zustimmung des Entschädigungsagenten wohl auch rechnen.
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Räumung und Obligationen.
In Ergänzung der„Germania“=Darstellung erfährt unser -Mitarbeiter aus Berlin, 20. Sept.:
Die Frage der Aufhebung der Besatzung in der
2. und 3. Zone, die Lösung der Saarfragen und die Aufhebung der Militärkontrolle beschäftigten auch gestern interne politische Kreise. Immer wieder konnte man hören, daß es sich diesmal nicht um die Verringerung der Besatzungsstärke um einige Tausend Mann, sondern um einen Abbau der gesamten Besatzung handele, wobei auch immer wieder besonders betont wurde, daß durch die Locarnoverträge sowohl Besatzung wie Militärkontrolle ihre Existenzberechtigung vollkommen verloren haben. Jede weitere Besatzung habe den Keim zu neuen Zwischenfällen in sich, die jederzeit entstehen könnten und ließen eine versöhnliche Stimmung im besetzten Gebiet nicht aufkommen. Man weist noch einmal auf die Aeußerung des Manchester Guardian vom 14. hin, die besagte, daß eine, wenn auch unbeabsichtigte Erniedrigung und Beleidigung des Volkes durch die Besetzung erfolgt, das sich mit diesen Zuständen abfinden muß. Es wird aber als sicher angenommen, daß zwischen Stresemann und Briand eine weitgehende Verständigung geschaffen worden ist, deren Verwirklichung dann beweisen wird, daß die jetzt eingeschlagene Außenpolitik die richtige ist. Natürlich kann man eine sofortige sichtbare Folge nicht erwarten. Eine gewisse Zeit— man rechnet immerhin mit—3 Monaten — wird doch wohl vergehen, bis die eingeleiteten Bestrebungen in die Tat umgesetzt werden. Uebrigens weiß man genau, daß auch der französische Generalstab in der Besetzung der 2. und 3. Zone, nachdem die
1. geräumt ist, ein strategisches Haar gefunden hat. Grundsätzlich sind die regierenden Männer in Frankreich auch zu einer baldigen Räumung bereit, aber man hofft doch noch dafür von Deutschland Konzessionen erhalten zu können, und es ist schon besonders darauf hingewiesen worden, daß man versuchen will, einen Teil der deutschen Eisenbahnobligationen zu emissieren(im ganzen 11 Milliarden Mark), wogegen man in Deutschland sich natürlich widersetzen wird, da dadurch Deutschlands wirtschaftliche Lage gefährdet wird.
Auch die in Genf angebahnte deutschenglische Zusammenarbeit begegnet hier im weitgehendstem Maße Verständnis. Man sieht in ihr dieselben Möglichkeiten, wie bei der kommenden deutsch=französischen. Besonders hätte sich schon bei den Verhandlungen über den Eisenpakt die englische Mitarbeit wertvoll gezeigt. Man erhofft in Zukunft noch auf ein besseres Zusammenarbeiten.
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Eine internationale Wirtschaftskonferenz?
P Berlin, 20. Sept. Wie zuverlässig verlautet, wird Reichsaußenminister Dr. Stresemann den Zusammentritt einer großen internationalen Wirtschaftskonferenz auf das wärmste befürworten. Dieses ist von größter Wichtigkeit für die zukünftigen Entscheidungen, die sich aus den Besprechungen zwischen Briand und Stresemann ergeben werden. Sollte Frankreich gewisse politische Konzessionen machen wollen, so dürfte sicherlich auch von Deutschland eine Gegenleistung verlangt werden, deren Erfüllung schwerwiegende wirtschaftspolitische Komplikationen für Deutschland haben könnte. Die größte Gefahr liegt in der Begebung der deutschen Reparationsobligationen in unbestimmter Höhe. Wenn diese Obligationen überhaupt untergebracht werden könnten, so müßten sie vor allem in Verzinsung und Amortisation transferfrei sein, da sonst niemand im Auslande diese Obligationen zeichnen würde, wenn die Gefahr bestände, daß der Reparationsagent eines Tages die Transferierung verhindere. Der deutschen Wirtschaft dient die Transferregelung heute zum Schutze. Vergessen darf auch nicht werden, daß Deutschland seine Zahlungen bisher nur aus Auslandskrediten geleistet hat. Auf die Dauer davon allein zu leben ist aber unmöglich. So hat schon in den ersten 11 Monaten des zweiten Reparationsjahres die deutsche Handelsbilanz ein Passivsaldo von 350 Millionen Mark ergeben.
Verschiedene Stimmen warnen ausdrücklich davor, für den Dienst der Obligationen den Transferschutz preiszugeben. Darum ist der von Dr. Stresemann gehegte Wunsch, eine große internationale Wirtschaftskonferenz zu berufen, auf der auch diese Frage erörtert werden müßte, jedenfalls sehr zu begrüßen.
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Auch eine Locarno-Rede.
WTB Paris, 20. Sept. Anläßlich des 10. Jahrestages der Wiedereroberung des Forts Douaumont hielt u. a. auch der französische Generalstabschef Debens eine Ansprache, in der er erklärte: Neun Jahre lang geben uns die Verträge das Recht, das linke Rheinufer noch besetzt zu hal
MTB Berlin, 19. Sept. Während in Berlin die Besprechung Stresemanns mit Briand scheinbar die Arbeiten in den Ministerien und im Kabinett noch nicht im geringsten beeinflußt hat, herrscht am Pariser Quai'Orsay seit der Rückkehr Briands aus Genf bereits äußerste Geschäftigkeit. Samstag nachmittag hat„Briand Poincars einen mehr als zweistündigen Vortrag über die Unterredung von Thoiry gehalten. Die für Dienstag angesetzte Kabinettssitzung in Paris wird sich ausschließlich mit dem Bericht Briands beschäftigen. Es verlautet auch mit größter Bestimmtheit, daß Loucheur im Laufe des Oktober nach Berlin kommen wird, um angeblich gewisse technische Fragenk' der deutschfranzösischen Verhandlungen zu erörtern.
Ueber den Inhalt der Besprechungen zwischen Briand und Stresemann hat trotz aller Bemühungen auch die französische Presse bisher nichts erfahren können, was über die bisherige Andeutung hinausgeht. Briand soll sie vertröstet haben bis nach der Kabinettsitzung, wo er hofft, einige Angaben machen zu können. Im übrigen hat er die Pressevertreter davor gewarnt, sich allzusehr in ungezügelte Erörterungen über die Besprechungen von Thoiry zu stürzen, da dadurch die eingeleitete Verständigung nur erschwert werden könnte.
In Ermangelung positiver Unterlagen versucht man in der französischen Presse durch eine erneute politische Analyse des Berichtes über Thoiry den dort behandelten Fragenkomplex etwas umrissener herauszuarbeiten. Neuerdings hat man in der französischen Presse festgestellt, daß hinter dem Ausdruck„Gesamtlösung“ zu verstehen sei, daß es sich nicht nur um eine Regelung der politischen, sondern auch der„wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder behandelt, und daß bei den bevorstehenden Verhandlungen zwischen Paris und Berlin politische Leistungen mit wirtschaftlichen Gegenleistungen in Uebereinstimmung gebracht werden würden. Trotz der vor einigen Tagen von de Jouvenel abgegebenen Erklärung, daß man französischerseits keine Neigung habe, politische Fragen mit geschäftlichen Dingen zu vermischen, wird die Verbindung der Rheinlandfragen mit einer finanziellen Aktion Deutschlands zu Gunsten Frankreichs in der französischen Presse sehr eingehend und ernsthaft behandelt.
Von zuständiger deutscher Seite war irgendwelche Stellungnahme oder Erklärung bisher nicht zu erlangen. Man weist darauf hin, daß die deutsche Delegation nach wie vor in Genf weile, man also über die Einzelheiten der Unterredung von Thoiry noch nicht unterrichtet sei, und empfiehlt wie in Paris, sich von unfruchtbaren Erörterungen zurückzuhalten. Das hindert trotzdem nicht, daß man auf Grund von Genfer Gerüchten und Meinungen in der ausländischen Presse Mutmaßungen und Behauptungen über den Inhalt der Unterredung von Thoiry aufstellt. Die Erörterungen in der deutschen Presse decken sich rein materiell im wesentlichen mit den Mitteilungen in der Pariser und Londoner Presse. Eine neue Nuance in der Pressepolemik bringt eine Aeußerung des Genfer Sonderberichterstatters des Manchester Guardian“, wonach sich große Schwierigkeiten in der Frage der deutschen Entwaffnung ergeben hätten. Man sei darüber schließlich nur hinweggekommen, nachdem Stresemann eingewilligt habe, die preußischen Polizeikräfte gemäß den französischen Wünschen umzugestalten. Auch habe er versprochen, einigen ähnlichen Wünschen nachzugeben. Für dieses Zugeständnis habe Briand zugestanden, daß die interalliierte Kontrollkommission aus Deutschland verschwinden solle und daß die Kontrolle dann in die Hand des Völkerbundes übergehen soll.
Während man aber in Frankreich in der Hauptsache die Vergleichsfragen„Rheinlandbesatzung— finanzielle Gegenleistung“ vom rein politischen Gesichtspunkt aus betrachtet, ist man deutscherseits geneigt, die Frage mehr vom finanzpolitischen Standpunkte aus anzusehen. Es wird dabei darauf hingewiesen, daß es sich bei den in Frage stehenden Reparationsobligationen um eine recht heikle Angelegenheit handele, nicht nur, weil hier auch andere Faktoren als Deutschland und Frankreich mitzureden haben, sondern weil es sich hier um ein Finanzexperiment handelt, bei dem man nicht voraussagen kann, welche Rückwirkungen es auf das Währungs= und Schuldenproblem ausüben könne. Man ist daher geneigt, vor jeder optimistischen Beurteilung dieser Frage zu warnen. Wenn es auch selbstverständlich ist, daß die von Briand und Stresemann erstrebte Verständigung zwischen beiden Ländern Opfer auf beiden Seiten verlangen, so wird es dennoch sehr
seingehender und sorgfältiger Prüfung bedürfen, ehe man erklären kann, daß tatsächlich eine Kommerzialisierung der Eisenbahnobligationen im Interesse beider Länder liegt.
Was wird Peincaré tun?
Briand hat Poincaré bereits einen zweistündigen Vortrag über die Ergebnisse von Thoiry gehalten. Er wird am morgigen Dienstag in einer besonderen Kabinettsratssitzung die in Thoiry eingenommene Haltung zu verteidigen haben. Seine Stellung gegenüber Poincaré ist nicht leicht. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß er seine Volksgenossen nicht falsch einschätzt, wenn er nach seiner Rückkunft von Genf Pariser Presseleuten erklärte, ein großer Teil seiner Landsleute teile seine Auffassung über die konsequente Durchführung einer friedlichen Verständigungspolitik mit Deutschland. Aber er gebrauchte auch die Wendung, daß die Zugeständnisse an Deutschland durchaus keine Demütigung für Frankreich darstellten, und das scheint uns angesichts der Empfindlichkeit der nationalen Psyche des Franzosentums keine sehr kluge Aeußerung gewesen zu sein.
Gerade an diesem Punkt wird Poincars einsetzen. Er, der in und mit dem Nationalen Block bisher immer wieder erfolgreich auf dem Instrument der sehr sensiblen französischen Volksseele gespielt hat, weiß nur zu genau, daß gerade die Frage des Entgegenkommens gegenüber Deutschland, die für Briand eine rein realpolitische Angelegenheit ist, auch für die nicht rechtsgerichteten Kreise Frankreichs als eine Frage gilt, bei der die französische Nationalehre engagiert ist. Es wirft sich daher die Frage auf, wer in dem Ringen zwischen Poincaré und Briand in dem morgigen Kabinettsrat Sieger bleiben wird.
Schon einmal war Briand auf dem Wege der Verständigung mit Deutschland. Damals in Cannes, wo er mit Walther Rathenau in einem ähnlichen Kontakt stand, wie jetzt mit Stresemann— der„Avenir“ Millerands spricht boshafterweise von dem„lieben Stresemann" des Herrn Briand— hatte es Poincaré vermocht, daß sein Ministerkollege als ein politisch toter Mann nach Paris zurückkehrte und die nationalistische, aggressive Politik des Lothringers ihr Spielchen zum Schaden Frankreichs und Deutschlands fortsetzen konnte.
Wird Poincars seinem Kollegen abermals einen solchen Streich spielen? Wird er ihm auch diesmal ein Bein stellen, über das er stolpert? Die Chancen sind diesmal für Briand wesentlich günstiger. Das französische Volk weiß heute, daß die Politik Poincarés zur Zerrüttung der französischen Finanzen, zur Zerstörung der französischen Valuta geführt hat, daß die großen imperialistischen Pläne des Lothringers Spreu im Winde sind. Briands äußerlich etwas idealistisch anmutende Verständigungspolitik hat eine sehr gesunde reale Ueberlegung zur Grundlage, die Ueberlegung, daß ohne ein wiedergesundendes Deutschland auch Frankreich sich nicht wieder aus dem Sumpf erheben könne. Die beiden Länder, die jahrhundertelang in widerholten Kriegen sich bekämpft haben, müssen nolens volens jetzt politisch und wirtschaftlich enger zusammenarbeiten, wenn das französische Volk, wenn Deutschland, wenn überhaupt Europa endlich wieder zur Ruhe kommen soll.
Dieses reale Moment, über das man sich in weiten Kreisen Frankreichs heute klar ist, ist ein sehr starker Aktivposten in der Politik Briands. Das scheint auch die Rechtspresse bereits zu spüren, denn ein Blatt vom Schlage des„Avenir“ spricht bereits davon, daß die Männer der Rechten im Kabinett ihre Freiheit wieder suchen sollten, weil sich von draußen manchmal besser kämpfen lasse als von innen. Also Flucht in die Opposition wäre demnach die Parole der Männer vom Schlage Poincarés.
Jedenfalls„. die morgige Kabinettssitzung in Paris von weittragender Bedeutung für die gesamte deutsch=französische Verständigungsaktion, wie sie in Thoiry verheißungsvoll eingeleitet wurde.
will sich nach dem Ministerrat am kommenden Dienstag für einige Tage zur Erholung ans Meer begeben.
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Um ganz große Dinge.
Sauerwein über die Unterredung Stresemann-Briand.
WTB Amsterdam, 18. Sept. Der Telegraaf veröffentlicht heute unter dem Titel„Nach einer Allianz Paris—Berlin“ einen sensationellen Geufer Artikel aus der Feder des bekannten Leitartiklers des Pariser Matin, Jules Sauerwein, in dem Sauerwein sagt, daß er bei der Rückkehr des deutschen und französischen Außenministers von ihrer Zusammenkunft in Thoiry eine Unterredung mit Briand und Stresemann gehabt habe, auf Grund deren er zu der Ansicht gekommen sei, daß es bei den augenblicklichen deutsch=französischen Unterhandlungen um ganz große Dinge gehe. Das über die Besprechung in Thoiry ausgegebene Communigus dürfe diesmal ausnahmsweise vollkommen wirklich ausgelegt werden. Die historische Begegnung zwischen dem deutschen und französischen Außenminister hätte nicht nur engste wirtschaftliche Zwecke, sondern auch eine politische Annäherung im Auge gehabt, bezüglich welcher selbst über die kühne Sache eines zukünftigen militärischen Bündnisses gesprochen worden sei.
Als hauptsächliche Interessen seien dabei von Stresemann die vollständige Räumung des besetzten deutschen Gebietes, Aufhebung der Militärkontrolle, französischer Verzicht auf Volksabstimmung im Saargebiet, ein ausgedehntes wirtschaftliches Abkommen und schließlich sogar die Möglichkeit der Erlangung deutscher Kolonialmandate und einer Verbesserung der deutschen Ostgrenzen hingestellt worden, während von Briands Seite Deutschlands Mitwirkung bei der Regelung der alliierten Schulden, Verpfändung eines Teiles der deutschen Eisenbahnobligationen zugunsten der Gläubiger Frankreichs und Zurverfügungstellung des gesamten deutschen Kredits zur Stützung des französischen Wechselkurses ersucht würde.
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Eine Denkschrifl über Schaffung eines deutschen Einheitsstaates.
Der Republikanische Reichsbund hat eine Denkschrift herausgegeben, in der unter eingehender Begründung für die Schaffung eines deutschen Einheitsstaates plädiert wird. Nicht weniger als 19 Länder ständen innerhalb der Reichsgrenzen immer noch nebeneinander und teilweise leider gegeneinander. Wir würden immer noch von 74 aktiven Ministern und annähernd 2600 Parlamentariern regiert und verwaltet. Der große deutsche Zukunftsstaat, der auch Deutsch=Oesterreich einschließt, gilt als Ziel dieser Denkschrift, die die völlige unorganische Ueberverwaltung beseitigen will, die
z. B. für Gebiete wie Schaumburg=Lippe oder Detmold eigene Regierungen und Parlamente am Leben läßt.
In der Denkschrift, an deren Verfassung wohl hauptsächlich Ministerialdirektor Dr. Spiecker beteiligt war, wird eine regionale Einteilung des zukünftigen Einheitsstaates in 12 in sich abgeschlossene, lebensfähige und annähernd gleichgroße Reichsprovinzen auf der Grundlage einer erweiterten Selbstverwaltung vorgeschlagen. U. a. wird als 8. Reichsprovinz Nordwestdeutschland oder Rheinland und Westfalen mit Köln, Essen, Düsseldorf, Dortmund und Duisburg genannt.
In der Denkschrift spricht Dr. Spiecker für die Schaffung des gedachten Einheitsstaates den Leitgedanken aus, daß nicht der zentralistische, sondern nur der dezentralisierte Einheitsstaat Sinn und Ziel der deutschen Vereinheitlichungspolitik sei.
Die zwölf Reichsprovinzen sollen sein:
1. Norvost=Deutschland oder Ostpreußen mit Königsberg.
2. Nord=Mittel=Deutschland oder Pommern=Meclenburg mit Stettin.
3. Ondeutschland oder Brandenburg=Berlin mit Berlin.
4. Südost=Deutschland oder Schlesien mit Breslau.
5. Mittel=Deutschland oder Groß=Sachsen mit Leipzig, Dresden, Chemnitz, Magdeburg.
6. Niedersachsen oder Hannover=Oldenburg mit Hannover und Bremen.
7. Nord=Deutschland oder Schleswig=Hamburg mit Hamburg.
8. Nordwest=Deutschland oder Rheinland=Westsalen mit Köln, Essen, Düsseldorf, Dortmund und Duisburg.
9. Südwest=Deutschland oder Rhein=Main=Gau mit Frankfurt a. M.
10. Süddeutschland oder Groß=Schwaben wit Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim.
11. Bayern mit München und Rürnberg.
12. Deutsch=Oesterreich mit Wien.
Man darf gespannt sein auf das Echo, daß dirse Denkschrift insbesondere in den süddeutschen Staaten und in den Hansastädten finden wird.
Tagung des Bayerischen Bauernvereins in Tunkenhausen.
TU München, 20. Sept. Am Sonntag sund in Tuntenhausen die Tagung des Bayerischen Patriotischen Bauernvereins statt. Landtagsabgeordneter Schäffer sprach über die politischen Verhältnisse und polemisierte gegen die Weimarer Verfassung, die vieles gebracht habe, was einem heimattreuen und bodenständigen Volk keine Freude bereiten könne. Die jetzige Regelung des Finanzausgleichs zwischen Bayern und dem Reich bezeichnete er als unhaltbar. Der Eintritt Deutschlands in den Völkerbund sei eine Frage der politischen Zweckmäßigkeit. Der bayerische Gedanke, der Gedanke der Heimattreue sei die Grundlage der Volkskraft. Weiter sprach der bekannte Bauernführer Dr. Heim. Er bezeichnete es als eine der schwersten Unterlassungssünden, daß man es versäumt habe, den Niedergang der Währung aufzuhalten. Man habe statt dessen große politische Reden gehalten über Schwarz=weiß-rot, über den Achtstundentag und über das Betriebsrätegesetz. Eine zweite Unterlassungssünde sei es, daß die Preise für die landwirtschaftlichen Produkte gegenwärtig zu niedrig seien. Man habe leider nicht das Verständnis dafür, daß die Privatwirtschaft auf dem Fundament der Landwirtschaft stehe. Ein Aufschwung komme solange nicht, bis die Urproduktion wieder auf feste Füße gestellt sei. Seine Ansprache schloß er mit einem begeistert aufgenommen Hoch auf das bayerische Herrscherhaus.
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Charleston beim Völkerbund nicht allseitig beliebt.
* Genf, 19. Sept. Die französischen und intalienischen Mitglieder des Völkerbundes erklärten, daß sie das Tanzen von Charleston in ihrer Gegenwart im Hotel Bergues, in dem sie wohnen, mißbilligen...
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WTB Paris, 20. Sept. In Nancy kam es gestern im Anschluß an einek mmunistische Versammlung, in der u. a. Cachin sprach, infolge eines aus der Menge gefeuerten Schusses zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei. 9 Polizeibeamte wurden verletzt, 6 Verhaftungen wurden vorgenommen.
Die heutige Rummer umfaßt 10 Seiten
ten. An uns liegt es, diese Frist zu benutzen, um unsere Finanzen, die während des Krieges hochherzig geopfert wurden, zu sanieren und unsere zerschossenen Gebiete wieder aufzurichten und unsere Armee zu reorganisieren. Wenn diese Aufgaben erfüllt sind und Frankreich wiederstark geworden ist, dann bin ich überzeugt, daß Frankreich das Friedenswerk fortsetzen und daran arbeiten kann, die Hoffnungen zu verwirklichen, die dieser Tage in Genf in beredten Worten wachgerufen wurden.“
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Briand über seine Unkerredung mit Stresemann.
TU Paris, 18. Sept. Briand empfing heute mittag die Pressevertreter und betonte, daß er über den Inhalt seiner gestrigen Aussprache mit Herrn Dr. Stresemann nichts bekannt geben könnte. Die beiden Regierungen seien noch nicht unterrichtet und es liege daher noch kein Beschluß vor Ich werde kommenden Dienstag, so fuhr Briand fort, den Ministerrat über den Inhalt meiner Unterredung mit Dr. Stresemann unterrichten, der seinerseits gegenüber seiner Regierung dasselbe tun wird. Wenn wir von unseren Regierungen die Zustimmung erhalten, so werde ich mich mit Herrn Stresemann wieder treffen. Auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt, antwortete Briand, das ist noch nicht festgelegt, aber es dürfte spätestens im Dezember sein. Ich glaube, daß es möglich ist, alle zwischen den beiden Ländern bestehenden Differenzen vernüftig zu regeln und! schließlich eine loyale and enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich herzustellen. Was mich be
trifft, so bleibe ich ein ergebner Anhänger der Friedensidee und des Willens zum Frieden. Frankreich braucht den Frieden notwendig. Es kann nur gewinnen. Das ist übrigens auch die Ansicht vieler und guter Franzosen. Ich war Ministerpräsident in den fürchterlichen Stunden des Krieges. Ich werde alles unternehmen, was in meinen Kräften steht, damit sich diese gräßlichen Zeiten nicht wiederholen, um den Frieden zu sichern und zwar einen dauerhaften Frieden. Das Land verliert gar nichts, indem es sich entschlossen dem Frieden zuwendet. Es sind nur einzelne Franzosen, die glauben machen wollen, daß Frankreich sich mit dieser Politik erniedrige. Sicherlich sieht niemand in Genf Frankreich in einer gedemütigten Lage, um so weniger, als Frankreich im Falle von diplomatischen Zwischenfällen, die man als innerpolitisches Manöver gegen mich ausspielen wollte(Briand spielte hier auf die italienischen Kundgebungen gegen Frankreich an) ruhig Blut bewahre.
Briand kam dann wieder auf die Unterredung mit Stresemann zu sprechen und schloß mit folgenden Worten: „Jetzt, nachdem Deutschland in den Völkerbund eingetreten ist, können wir uns viel leichter treffen. Ich werde Sie über den Gang der Verhandlungen unterrichten, sobald ich dazu in der Lage sein werde. In diesem Augenblick können Indiskretionen und Polemiken die Lösung gewisser deutsch=französischer Probleme nur erschweren. Ich wiederhole abermals, daß ich den Frieden will, und alles auf diesem Weg zu unterrehmen entschlossen bin.“ Briand