Dr. Luther über unsere Iinanz= und Wirtschaftslage.

Der Berliner Vertreter der Nieuwe Rotterdamsche Cou­rant berichtet seinem Blatt über eine Unterredung mit dem Reichsfinanzminister Dr. Luther über die Finanzlage des Reiches. Die Unterhaltung berichtete zunächst finanz­technische Dinge und die Kassenlage des Reiches, um sich dann dem Reichshaushalt und der allgemeinen Wirt­schaftslage zuzuwenden. Der Reichsfinanzminister bemerkte hierzu dem Anfrager laut W. T. B. u..:

Der dem Reichstag kürzlich zugestellte Hauschalts­plan für 1924 weist einen Fehlbetrag von 470 Millionen Mark auf. Wenn das Reich trotzdem noch immer zahlungsfähig geblieben ist, so beruht das darauf, daß in dem seit dem 1. April laufenden Rechnungsjahr noch gewisse Beträge aus den in den Wintermonaten ent­nommenen einmaligen Steuern und aus Darlehen, die die Rentenbank gesetzmäßig dem Reiche gegeben hat, entnom­men werden konnten. Freilich stehen diesen Beträgen gegenüber die Aufwendungen, die das Reich, um seine Währung zu erhalten, für den Ankauf der Gold­anleihe hat machen müssen. Anderseits ist das gesamte Ergebnis der Steuern in den ersten Monaten des Rech­nungsjahres etwas günstiger gewesen. Nur dadurch und durch dauernd fortgesetzte Ausgabenurosselungen war es überhaupt möglich, die Lasten zu tragen, die uns durch die immer noch andauernde Besetzung des Rhein­und Ruhrgebietes einschließlich der Vorentyaltung der dortigen Zolleinnahmen usw. immer noch auferlegt wer­den, obgleich im Sachverständigengutachten auf das deut­lichste dargelegt ist, daß die deutsche Wirtschaft diese Lasten nicht aufzubringen vermag.

Wie recht das Sachverständigengutachten hierin hat, geht daraus hervor, daß die Lage der deutschen Wirt­schaft jetzt beginnt, wirklich verzweifelt zu werden. Ich brauche nur auf den Widerhall hinzuweisen, den auch in den Reichstagsverhandlungen der letzten Woche die Fülle der Steuerstundungs= und Steuererlaßanträge ge­funden hat. Ich muß deshalb mit größter Sorge in die Zukunft blicken. Nach Schätzungen, die vor einigen Tagen gemacht worden sind, wird das Reich am 1. Oktober einen Fehlbetrag von etwa 140 Millionen haben, zu dessen Abdeckung weder neue Steuern möglich sind, noch eine längerfristige Anleihe bisher in Aussicht steht.

Frage: Ist zu diesem voraussichtlichen Fehlbetrag die Summe eingerechnet, die das Reich sich bereit erklärt hat, zur Ermöglichung der Juli=Reparationsleistun­gen an Kohlen der Ruhrkohlenindustrie als Beitrag zur Verfügung zu stellen?

Antwort: Dieser Betrag ist in die Summe selbstver­ständlich nicht eingerechnet, da nach allen Nachrich­ten, die bis dahin aus dem Ausland vorlagen, die Reichs­regierung vor einigen Tagen nicht damit gerechnet hat, daß Frankreich und Belgien trotz der bevorstehenden Neu­regelung der Reparationsfrage während des Monats Juli die unverkürzte Weiterlieferung der bisherigen Kohlen­und Koksmengen, und zwar ohne französisch=belgische fi­nanzielle Mithilfe, verlangen würden. Nur um vor aller Welt zu zeigen, daß Deutschland auch äußerlich Anstren­gungen zu machen bereit ist, um die Ziele des Sachver­ständigengutachtens nicht gefährden zu lassen, hat die Reichsregierung sich zu der Beihilfszahlung im Juli an die Industrie entschlossen, für die eine finanzielle Berechtigung in keiner Weise besteht. Die Frage der Deckung wird nicht geringe Schwierigkeiten bereiten.

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Das Reich bekeiligt sich an den Micumlasten.

Die Reichsregierung hat bei den Verhandlungen des Sechserausschusses mit der Micum in Düsseldorf erneut be­kannt werden lassen, daß sie für den Fall, daß anstelle der Abmachungen zwischen der Micum und den privaten Koh­lenzechen Vereinbarungen zwischen den beteiligten Regie­rungen treten würden, sie selbst die Kohlenlieferungen wie­der übernehme und an der Finanzierung mitwirken wolle. Frankreich und Belgien haben bekanntlich einen entspre­chenden Antrag jedoch abgelehnt. Die bei den Verhand­lungen den Kohlenzechen zugestandenen Erleichterungen waren so geringfügiger Natur, daß die Reichsregierung den Kohlenzechen eine Verlängerung der Micumverträge auf deren eigene Kosten allein nicht mehr zumuten könne. Andererseits konnte die Reichsregierung auch nicht zulassen, daß bei einem etwaigen Abbau der Verhand­lungen das besetzte Gebiet neuen Sanktionen sowie Betriebsstillegungen ausgesetzt wird, ferner daß im besetz­ten Gebiet Streiks heraufbeschworen werden, die auf die gesamte politische Lage kurz vor dem Zusammentritt der Londoner Konferenz die verhängnisvollsten Fol­gen hätten haben müssen. Die Reichsregierung erklärte sich daher dem Kohlenbergbau gegenüber bereit, für Juli die Hälfte der Micumlasten zu übernehmen un­ter der Voraussetzung, daß die Micum die in Aussicht ge­stellten, bisher aber unzureichenden Erleichte­rungen noch erweitern werde, und daß die Ver­längerung der Micumverträge auf Juli beschränkt wird. Die Reichsregierung entschloß sich aus den oben dargelegten Gründen zu einer geldlichen Beihilfe für einen Monat, obwohl die geldliche Lage des Reichs eine solche Beihilfe auch nur für einen Monat an sich nicht zuläßt. Eine Beihilfe für längere oder gar un­begrenzte Zeit kann bei der geldlichen Lage des Reichs nicht verantwortet werden.

Die Reichsregierung hat es nicht unterlassen, die franzö­sische und die belgische Regierung von der Tatsache dieser geldlichen Beihilfe noch während der Verhandlungen mit der Micum zu unterrichten und sie um eine entsprechende entgegenkommende Weisung an die Micum zu bitten. Gleichwohl ging die Micum von ihrem Standpunkt einer Verlängerung auf unbegrenzte Zeit nich ab. Das einzige, was sie zugestand, ist, daß die Verträge jeweils zum Monatsschluß gekündigt werden können. Der Sechserausschuß mußte schließlich am 30. Juni in später Nachtstunde dies annehmen in der Erwägung, daß ihm immerhin die Möglichkeit blieb, durch Kündigung seine Verpflichtungen gegenüber der Micum auf die Zeit zu be­schränken, für die ihr eine geldliche Beihilfe des Reichs zugestanden war, nämlich für Juli.

Da immerhin angesichts der bevorstehenden Londoner Konferenz und im Hinblick auf die allseitigen Bemühungen für eine möglichst rasche Wirksammachung des Sachver­ständigengutachtens die Reichsregierung damit rechnen muß, daß ein Uebergangszustand mit Ablauf Juli sein Ende findet, gab sie dem Sechserausschuß heute anheim, das Abkommen schon jetzt auf den 31. Juli zu kündigen.

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Sachverständigengutachten und Achtstundentag.

WTB Paris, 1. Juli. Havas meldet, der englisch und der französische Arbeitsminister hätten sich bei ihrer gestrigen Beratung dahin ausgesprochen, daß sich der Sachverständigenbericht auf dem Gedanken der Beibehaltung des Achtstundentages und der gleichmäßigen Belastung aller Industrienationen aufbaue. Der Plan der Entschädigungszahlungen sei in keiner Weise abhängig von der Verlängerung der Arbeitszeit.

Am die Londoner Konferenz nicht zu stören.

Etappe Londen.

Auf dem Leidensweg, den Deutschland seit Versailles wandelt, haben wir schon manche Etappe passiert, die uns dem Ziele der endlichen Befriedung mit den Gegnern im Weltkriege näher bringen sollte. London war schon ein­mal Etappe auf diesem Wege. Damals endete die Mis­sion des Außenministers Simon mit einem Fiasko. Wir erlebten die Verhandlungen von Spa, Cannes, Genua usw. und nunmehr haben wir unsere Hoffnung darauf gesetzt, daß auf der Grundlage des Dawesberichts die inter­nationale Finanzkonferenz in London am 16. Juli die Klärung des Reparationsproblems zeitigen werde, die uns zugleich die Wirtschafts= und Verkehrsein­heit zwischen dem unbesetzten und besetzten Gebiet wieder bringen soll.

Sowohl die Antwort, die wir auf die erneuten Mili­

ärkontrollforderungen gegeben haben, wie auch die entgegenkommende Haltung, die die Reichsregierung bei den jüngsten Micumverhandlungen in Düssel­dorf zeigte, bekunden aller Welt, daß wir das Aeußerste an finanziellen und moralischen Belastungen auf uns neh­men wollen, um nur ja durch keinerlei Mißton den Ver­lauf der Londoner Konferenz zu hemmen.

Das Wasser steht uns am Halse. Das mußte Reichs­finanzminister Dr. Luther noch gestern gegenüber einem Vertreter desNieuw Rotterdamsche Coucant hervor­heben, der auf Befragen über des Reiches Finanz= und Wirtschaftslage eine Auskunft gab, die sicht mehr und nicht weniger sagte, daß der Reichshaushalt aus der Hand in den Mund lebt und im Herbst durch abermaliges Anziehen der Steuerschraube gegen den drohenden Zusam­menbruch gestützt werden muß. Daß Luther bei der Schil­derung unserer katastrophalen Wirtschaftslage nicht über­trieb, wissen wir leider nur zu gut aus dem täglichen Leben auch unserer engeren rheinischen Geschäftswelt, aus dem fast völligen Stocken des Börsenverkehrs, aus der zwangsweisen Herabsetzung der Kohlenpreise und anderen Erscheinungen mehr.

Trotz alledem ist der Erfolg von London unsicher, sowohl aus innerpolitischen, wie außenpolitischen Gründen. Die im Dawesbericht vorgesehene Uebertragung des Be­triebs der Reichsbahn auf die Konzessions­gesellschaft führte bereits zu einem Beschluß des bayerischen Verfassungsausschusses, durch den der bayerische Landtag verpflichtet werden soll, gegen einen Gesetzentwurf des Reiches zu stimmen, nach dem das

Verkehrssystem rein international eingestellt und den Le­bensinteressen des Reiches und seiner Einzelstaaten, deren wirtschaftlichen Aufgaben und den berechtigten Ansprüchen der Eisenbahngläubiger nicht Rechnung getragen werde. Bayern bremst also gegenüber der notgedrungenen Kom­promißfreudigkeit des Reichskabinetts. Die gesetzgeberischen Verhandlungen im Reichstag werden es daher zu erweisen haben, ob die Vertreter des Reiches mit voller Legitimation aller Bundesstaaten in London sich auf dem Boden des Dawesplanes bewegen können.

Auch spricht die neuerliche Beschlagnahme von Landgütern im neubesetzten Gebiet zum Zwecke der Errichtung von landwirtschaftlichen Schulen nicht gerade dafür, daß eine Räumung des neubesetzten Ge­biets entsprechend den Vorschlägen des Dawesplanes in nächster Zeit zu erwarten sei.

In Frankreich ist eben die Stimmung gleichfalls nicht einheitlich. Während der Temps feststellt, die Frage der Militärkontrolle und die hierauf erfolgte Antwortnote habe die Krise in der Kontrollfrage, die Erneuerung der Micumverträge die Ruhrkrise verhindert, und hinzugefügt, man könne also weiter für die Sicherheit und für die Repa­rationszahlungen, mit einem Wort, für den Frieden arbeiten, findet sich im Echo du Rhin in einem Leitartiel die Forderung, man müsse den Allierten vorderhand die Regiebahn als Pfand in Händen lassen, wenigstens bis zu dem Augenblick, wo Frankreich und Belgien hinsichtlich der Sicherheitsfrage und der Reparationen völlig beruhigt seien. Auch spricht das Echo du Rhin für den Fall der Uebergabe der Regiebahnen von der Schaffung eines be­sonderen Eisenbahnregimes, das sich in völliger Uebereinstimmung mit den Schlußfolgerungen des Dawes­berichts befinde.

Unser Weg zur Etappe London bietet also innen= und außenpolitische Hemmungen in reichlichem Ausmaß.

Die Londoner Konferenz.

* London, 1. Juli. Von offiziöler Seite verlauirt, daß nunmehr Belgien, Frankreich, Italien, Japan und die Vereinigten Staaten vorbehaltlos die Einladung Englands zur interalliierten Konferenz vom 16. Juli angenommen haben. Die Konferenz wird nach englischen Erwariungen mindestens eine Woche dauern. Die Dominions werden nicht durch eigene Vertreter an der Konferenz teilnehmen, sondern es wird den Premierministern nur täglich ein Be­richt über die Vorgänge zugestellt werden.

verschiebt, sondern darüber hinaus eine Verzinsung festsetzt, die erst 1925 und auch nur mit 2 Prozent beginnt und erst 1928 auf 5 Prozent steigt. Sehr viel besser wäre die Re­gelung gewesen, die am 21. Januar der Deutsche Industrie­und Handelstag empfahl, indem er sagte:Eine gerechte und billige Lösung ist nur auf dem Boden der Entscheidung des fünften Zivilsenates des Reichsgerichts vom 28. No­vember 1923 möglich. Die Aufwertung von Forde­rungen muß grundsätzlich als zulässig er­achtet bleiben, die Höhe der Aufwertung ist jedoch im Einzelfalle von den Verhältnissen des Gläu­bigers und Schuldners abhängig zu machen. Um schnell klare Verhältnisse herbeizuführen, sollen Schiedsstellen er­richtet werden. Um eine gewisse Einheitlichkeit der Sprüche dieser Schiedsstellen zu gewährleisten, wird es sich empfeh­len, durch eine übergeordnete Stelle gemeinsame Richt­linien nach Anhörung der beteiligten Wirtschaftskreise zu erlassen. Individuelle Prüfung der Verhältnisse von Schuldner und Gläubiger, und zwar schnelle Prüfung und Entscheidung durch rasch arbeitende Schiedsgerichte das würde wohl am ehesten zu einer immerhin erträg­lichen Lösung führen.

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Metallmarkk und Wirtschaftslage im ausländischen Urkeil.

Von gutunterrichteter Fachseite erfährt die K. Ztg., daß die Abwicklung des letzten Ultimos sowohl im Rheinland und Westfalen als auch im ganzen Reiche keine neuen Schwierigkeiten verursacht hat. Das ist in der Hauptsache darauf zurückzuführen, weil die schwachen Firmen mittler­weile ausgeschieden sind, und das Material, das auf den Markt drückte, nunmehr in lediglich festen Händen ist. Im ganzen ist somit eine außerordentliche Beruhigung einge­treten, und die Preise können sich wieder zangsam erholen. Alle Gefahr, auch für die nächsten Termine, sind, falls nicht neue Störungen eintreten sollten, ausgeräumt, und das reguläre Geschäft scheint sich wieder zu beleben. Unser Gewährsmann, der gerabe von einer Auslandsreise zurückgekehrt ist, teilte weiter mit, daß im Ausland eine durchaus optimistische Beurtei­lung der deutschen Wirtschaft für die nächste Zeit vorherrsche, und daß vor allem Amerikaner und Engländer diese Auffassung im weitesten Maße teilten.

Hierzu wird dem WTB von unterrichteter Seite mitge­teilt: Das bezeichnende an dieser Meldung ist der Ver­such, die Ratifizierung der Washingtoner Abkommens als Voraussetzung des Sachverständigen­gutachtens und seiner Durchführung zu konstruieren, ein Versuch, den Herr Thomas schon auf der gegenwärtig tagenden Arbeitskonferenz in Genf unternommen hat. Schon damals hat die deutsche Regierung darauf hinge­wiesen, daß der Sachverständigenbericht die Arbeitszeit und das Washingtoner Abkommen überhaupt nicht er­wähnt, daß zur Zeit der Abfassung des Gutachtens be­reits die Verordnung über die Arbeitszeit vom Dezember bestand und die längere Arbeitszeit schon seit Monaten in Anwendung war.

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Weitere Zurücknahme von Ausweisungen.

* Speyer, 1. Juli. Der pfälzischen Kreisregierung in Speyer ist heute von der französischen Provinzdelegation eine Liste zugestellt worden, welche die Namen von über 2000 aus der Pfalz Ausgewiesenen enthält, deren Ausweisung nach einer Entscheidung der Interalliierten Rheinlandkommission zurückgenommen worden ist. Es handelt sich in der Hauptsache um Eisenbahner und Privatpersonen.

*<space> R e c k l i n g h a u s e n,<space> 1.<space> J u l i.<space> A u s<space> d e m<space> M i n i s t e r i u m<space> der besetzten Gebiete lief bei der Stadtverwaltung die Mitteilung ein, daß unter den 75 Personen, denen die Rückkehr in das besetzte Gebiet weiter vorenthal­ten wird, auch der Oberbürgermeister der Stadt Recklinghausen, Hamm, ist.ö

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Der Nachfolger Nollets in Berlin.

* Paris, 1. Juli. Besondere Beachtung wird in Deutschland die heute beschlossene Nachfolge des Generals Nollet in der Leitung des Militärüberwachungsausschusses finden. General Nollet hat für diesen Posten den Gene­ral Walch ausersehen. General Walch ist in der Oeffent­lichkeit wenig hervorgetreten. Es ist ohne weiteres anzu­nehmen, daß er die Arbeit als Leiter des Ueberwachungs­ausschusses im gleichen Geiste wie General Nollet, der ihm wohl auch weiterhin seine besondern Weisungen geben wird, fortzuführen gedenkt. Walch ist ein geborener Elsässer. Er war während des Krieges in Petersburg im Auftrag des französischen Generalstabs tätig. Später war er Verbindungsoffizier der französischen Heeresleitung mit den amerikanischen Truppen. Er gehört dem Inter­alliierten Militärüberwachungsausschuß bereits seit dem Jahre 1921 an.

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England zur deutschen Antwortnote.

WTB London, 1. Juli. Wie Reuter erfährt, hat das Auswärtige Amt die deutsche Antwortnote noch nicht erhalten Schon aus diesem Grunde sei es schwierig, eine bestimmte Ansicht darüber zu äußern. In gutunterrichteten Kreisen werde jedoch der Ton der deut­schen Antwort, wie sie in der Presse veröffentlicht werde, für befriedigend angesehen. Indes erscheine es nicht möglich, dem deutschen Vorschlag, die Kontrollar­beit endgültig bis zum 30. September zu beenden, zuzu­stimmen; möglicherweise werde ein Einwand gegen eine Bindung an einen bestimmten Zeitpunkt erhoben werden. Im allgemeinen werde die Note aber als fair und all­gemeinbefriedigend angesehen, ferner als ein Zei­chen, daß Deutschland mit den Verbündeten zusammenzu­wirken wünsche.

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Abbau der russischen Handelsvertretung.

TU Berlin, 1. Juli. Die Russische Telegraphen=Agen­tur teilt mit: Die Administratur der Russischen Han­delsvertretung entließ heute abermals 60 An­gestellte. Außerdem kommandierte sie 12 nach anderen Ländern ab. Ein Tagesbericht der Russischen Handels­vertretung stellt fest, daß der Konflikt bis zum 1. Juli nicht beigelegt wurde, weswegen die Handelsvertretung ihre Arbeiter nur auf Liquidierung einstellen konnte. Dem Tagesbericht zufolge gelten sämtliche Angestellte mit Aus­nahme der 250 bereits Entlassenen nur noch als vorläu­fige Angestellte für die Frist eines Monats zwecks Ab­

wichlung der Liquidierungsgeschäfte.

Die Koalition in Preußen.

7U Berlin, 1. Juli. DieNational=Korrespondenz schreibt: Ein großer Teil der Presse ergeht sich in Ver­mutungen und Behauptungen über einen bevorstehenden Austritt der Fraktion der Deutschen Volks partei aus der großen Koalition in Preußen. Es ist bekannt, daß eine Reihe von Umständen vorliegt, die das Verbleiben der D. V. P. in der bisherigen Regierung aufs äußerste erschweren oder in Frage stellen. Daß hierüber in der Fraktion eingehend gesprochen wurde, ist selbstverständlich. Beschlüsse sind jedoch noch nicht gefaßt worden. Die Fraktion wird sich alles weitere vorbehalten. Dies zur Richtigstellung von Behauptungen, die es so dar­stellen möchten, als ob über diese Fragen irgendwelche Meinungsverschiedenheiten in der Fraktion bestünden. Das ist durchaus nicht der Fall.

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TU Paris, 1. Juli. DieAgence Fournier mieldet aus Rom, der frühere sozialistische Abgeordnete Angelia sei von zwölf Unbekannten überfallen worden. Auf die Hilferufe des Abgeordneten eilten ihm ungefähr 20 Personen zu Hilfe und zwangen seine Angreifer, die Flucht zu ergreifen. Ein Bürger hat die Behörden von den Attentatsversuchen unterrichtet. Eine Untersuchung ist ein­geleitet.

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Die Winzer gegen staatliche Reblausbekämpfung.

* Oestrich, 1. Juli. In einer Versammlung der Oest­richer Winzer wurde wiederum energisch gegen die ge­plante staatliche Reblausbekämpfung Protest eingelegt und beschlossen, diese Arbeiten unter keinen Umständen zu dulden. Der Entwicklung dieser Angelegenheit sieht man im Rheingau allgemein mit Interesse entgegen. Bekannt­lich hatten die Winzer hier schon im vorigen Jahre die Bekämpfung wegen der unzureichenden Staatsentschädi­gung mit Gewalt verhindert, was ihnen sogar einen Pro­zeß wegen Landfriedensbruchs eintrug.

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Die Aufwerkungsfrage wird wieder aufgerollt.

Der Reichstag hat auf Veranlassung der Deutschnatio­nalen einen Sonderausschuß zur Beratung der Aufwer­tungsfrage eingesetzt. Das Problem ist also wieder aufgerollt. Und damit ist erwiesen, was die Regierung Marx=Luther sich von Anfang an hätte sagen sollen: es ist unmöglich, eine solche nicht nur alle Rechtsverhältnisse, sondern auch alles Rechtsempfinden aufs tiefste berührende Frage einfach durch Dekret auf Grund eines Ermächti­gungsgesetzes entscheiden zu wollen; wir hätten hierfür von vornherein den Weg der ordentlichen Gesetzgebung gehen müssen; so ist jetzt nur ein halbes Jahr und länger ver­strichen und wir stehen doch wieder am Anfang. Der Reichstagsausschuß wird darum jetzt vor allem rasch ar­beiten müssen. Denn die Wirtschaft, die eben mitten in der Arbeit für die Aufstellung der Goldbilanzen steht, braucht Klarheit und Sicherheit. In der Sache aber muß man sich darüber klar sein, daß kaum ein Problem so unerhörte Schwierigkeiten für eine wirklich gerechte und praktisch mögliche Lösung bietet, wie die Aufwertungsfrage. Eine volle Lösung ist überhaupt nicht zu schaffen. Wer sie vorspiegelt, treibt Demagogie, die in der Tat in dieser gan­zen Frage eine erschreckend große Rolle spielt. Das ein­zige, was angestrebt werden kann, ist eine Teillösung, die die praktische Regelung einigermaßen der Gerechtigkeit an­nähert. Viele schwere Ungerechtigkeiten werden auch dann noch bleiben. Aber die Ungerechtigkeit wenigstens im Rahmen des Möglichen zu vermindern besser, als die Aufwertungsverordnung vom 14. Februar es getan hat das ist darum gleichwohl eine große und zwingende Auf­gabe.

Die Aufwertungsverordnung vom 14. Februar statuiert eine Auswertung von 15 Prozent. Sie gibt dem Schuldner das Recht, mit Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage eine Herabsetzung dieses Betrages zu verlangen, verweigert aber dem Gläubiger das analoge Recht, gegebenenfalls eine Heraufsetzung zu fordern. Sie entwertet diese 15 Prozeat zudem dadurch, daß sie nicht nur die Auszahlung bis 1932

Die Fürsorge für die heimkehrenden Ausgewiesenen.

Angesichts der herrschenden Wohnungsnot bereitet die Heimkehr der Ausgewiesenen des besetzten Gebiets dem Reich und den Gemeinden gewisse Schwierigkeiten. Der Reichsausschuß für die besetzten Gebiete hat die von den verschiedenen Parteien hierzu vorliegenden Anträge durch einen Unterausschuß zusammenfassen lassen und daraufhin bestimmte Beschlüsse gefaßt. Hiernach sind die ausgewie­senen Arbeiter, Beamten und Angestellten des Reichs und der Gemeinden erst dann zur Rückkehr verpflichtet, wenn ihnen ausreichende Wohnung und den Beamten ein Amt, den Angestellten und Arbeitern eine entsprechende Beschäftigung nachgewiesen werden kann. Sinngemäß soll auch gegenüber den entlassenen Gefangenen verfahren wer­den. Die im besetzten Gebiet begonnenen Reichseigen­bauten, etwa 2000, sollen beschleunigt fertiggestellt wer­den und der Wohnungsaustausch zwischen dem be­setzten und unbesetzten Gebiet möglichst gefördert werden. Den zurückgekehrten Ausgewiesenen, denen eine alte oder neue Wohnung nicht zur Verfügung gestellt werden kann, sollen nach einem Wunsche des Ausschusses Tages= und Uebernachtungsgelder gezahlt werden. Unter Umständen soll noch eine Zulage für erschwerte Haus­haltführung gewährt werden. Die Reichsregierung soll ersucht werden, auf die Länder und Gemeinden dahin­zuwirken, daß sie ihnen jede amtliche und außeramtliche Unterstützung zuteil werden lassen.

Sanierung Ungarns mit englischem und amerikanischem Geld.

WTB London, 30. Juni. Nach einer Mitteilung der Evening News beläuft sich der Anteil der Lon­doner City an der Zeichnung der ungarischen Anleihe auf nahezu 8 Millionen Pfund Sterling. Die Anleihestücke wurden als 74 proz. Papiere sofort zu 88 an­geboten. Die Laufzeit der Anleihe beträgt 20 Jahre, doch hat sich die ungarische Regierung das Recht vorbe­halten, die Rückzahlung bereits nach 10 Jahren auszu­führen.

* Washington, 1. Juli. Der amerikanische Anteil an der ungarischen Anleihe beträgt.500 000 Dollar. Er wird am Dienstag an der Börse aufgelegt, und zwar durch ein Syndikat unter Führung der Speyergesellschaft. Die Equitable Trustgesellschaft ist ebenfalls interessiert. Die Anleihe wird unter folgenden Bedingungen ausgege­ben: 74 v. H. Verzinsung, 20 Jahre Tilgungszeit, Aus­gabekurs 874. Die Stücke laufen mit dem 1. August. Der erste Coupon ist fällig am 1. Februar 1925.

Sprengstoffunde bei Hannover.

TU Hannover, 1. Juli. Am Freitag abend sind in einem Walde bei Hannover durch Zufall fünf Kisten mit Sprengstoffen gefunden worden. Vier von den Kisten waren mit Pulver gefüllt, die fünfte enthielt Spreng­patronen. Die vier mit Pulver gefüllten Kisten sollen von einem großen Diebstahl aus der Pulverfabrik Schwarmstedt herrühren. Auch das bei Letter kürzlich ge­fundene Pulver stammt aus derselben Quelle. Die Unter­suchung ist noch nicht abgeschlossen.

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Seipels erste Ausfahrt.

TU Wien, 1. Juli. Bundeskanzler Seipel hat ge­stern seine erste Ausfahrt im Wagen unternehmen können.

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Kerenski reist zu Herriol.

TU Prag, 1. Juli. Wie die PragerBohemia" be­richtet, trift dieser Tage Kerenski in Prag ein und wird sich dann nach Paris begeben, wo er mit Herriot zusammentreffen wird.

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TU London, 1. Juli. Nach einer Meldung aus Hali­fax hat sich in dem Bergwerk Stellarten eine Explosion ereignet. 65 Bergarbeiter konnten an die Oberfläche be­fördert werden. 74 sind im Schacht verschüttet. Ihre Stimmen sind deutlich vernehmbar und es besteht Hoff­nung, sie zu retten.

* Petersburg, 1. Juli. In Krasnoskutsks, im Har­kowschen Gouvernement, zerstörte am 24. Juni ein unge­wöhnlich starker Wirbelsturm 850 Gebäude. Ein ähnlicher Wirbelsturm warf bei der Station Sinelnikow, im Ekate­rinoslawschen Gouvernement, einen ganzen Güterzug um

Die heutige Aummer umsaßt 10 Seiten.