Nr. 8957.

Sechsundzwanzigster Jahrgang:

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für Bonn und Umgegend.

Sonntag, 4. April 1913.

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Gescheiterte feindliche Angriffe in Flandern, im Priesterwald und Oberellaß.

Der deutsche Tagesbericht.

Deutsche Kriegsostern.

:=: Der starken Hoffnung wallendes Frühlings­panier rauscht diesmal am Auferstehungstage über das erzgewappnete Deutschland. Durch eine Pas­sionszeit ohnegleichen in der Weltgeschichte ist das Volk der Dichter und Denker, der Redlichen und Treuen geschritten, hat es dem geliebten, schnöde bedrohten Vaterlande Opfer gebracht, die nie aus dem Gedächtnis der Menschheit schwinden werden. denn sie umschimmert ewiger Osterglanz. Und noch ist die Zeit stolzen Leidens nicht abgelaufen, noch spinnen sich die Ränke der Hinterlistigen, versuchen sich die kalten Rechenkünste der Erbärmlichen. Der Gott aber, den jeder Deutsche tief im Herzen trägt, hat sich bisher als mächtiger Helfer des Gerechten erwiesen; er wird auch durch den Auferstehungs­morgen hinüberleiten in den Sonnentag einer prangenden deutschen Zukunft.

Auferstanden ist uns Deutschen, was verschollen schien im dumpfen Nebel verflachender Ueberkultur. In einem Meer von Blut und Tränen haben wir die Seele reingewaschen. Unser heißes Sehnen und Ver­langen gilt nur noch dem, was die wahrhaft Großen unseres Volkes zierte: Schlichtheit, Tiefe, Redlichkeit und die Treue ehrenfest und die Liebe, die nicht läßt! Die unser Volkstum nicht läßt, die über alles sie nicht läßt, die ihre Opferwilligkeit für die teure Heimat durch heldenmütiges Sterben besie­gelten und nun draußen weithin verstreut in ihren Gräbern ruhen.Deutschland, Deutschland! raunt es, wenn der Wind um ihre Ruhestatt streift. Deutschland, Deutschland! zieht es daheim in stol­zem Trost durch die Seele, wenn das Herz in lasten­der Trauer erbeben will. Fürwahr, welch' Ostern! Welch' eine Wiedergeburt brüderlichen Gefühls, ge­genseitiger Achtung, nimmer endenden Wetteifers in Hingabe von Leben und Gut! Welch' unbeugsames Vertrauen, daß über'm Sternenzelt ein gerechter Gott thront, der seine Deutschen zum Ziele, zum Siege führen wird auch durch die Nacht bitteren­Leidens!

Wir sind ohne Vorwurf und Furcht! hatte in der ersten Kriegssitzung der französischen Kammer am 4. August 1914 der Minister Viviani erklärt. Ob er noch heute solches Bekenntnis abzulegen den Mut hätte, will zweifelhaft erscheinen. Wir jedenfalls fühlen unser Gewissen ruhig, unsere Stirn frei. Un­befleckten Herzens und mit reiner Hand führen wir den Kampf um unser heiliges Recht weiter, sind wir gesonnen, ihn durchzufechten bis zum endlichen Sieg. Deutschlands Herrscher durfte jetzt vom Osterleuchten seines Innern Zeugnis ablegen in den Worten: er sei glücklich, in solcher Zeit der erste Diener solcher Nation zu sein. Ihm, dem die falsche Umwelt schänd­lichste Kränkung zufügte, hat sein Volk wohltuendste Genugtuung verschafft.

Wir feiern in des Wortes höchster Bedeutung still und gefaßt deutsche Ostern. Wir grüßen im sieg­haften Glanz dieses Auferstehungsfestes den fernen Frühlingstag unseres Triumphes über die Neider und Hasser. Wir tragen unser schweres Leid um die auf der Wahlstatt furchtlos dahinsinkenden Lieben, und fühlen uns doch getröstet zu jeder Stunde. Im heiligen Bewußtsein unserer gerechten Sache, im untrüglichen Gefühl, daß alle diese Opfer um des Vaterlandes willen gebracht werden müssen, daß nur, wer sein und seiner Lieben Leben nicht achtet, das erhöhte völkische Sein gewinnen wird.

Dieses Deutschland wird leben, ob viele seiner Söhne gleich stürben so klingt es uns aus dem Geläut der Osterglocken, so predigt es uns jeder aus kahler Flur sprossende Halm. Und derart bleibt das Gedächtnis der im Schlachtentod gefallenen Brüder im Segen. Sei und bleibe uns und den Deutschen bis in fernste Zeiten gegrüßt, du umflorte, von vaterländischer Weihe getragene Kriegsostern! Von deinen Altären steigt himmelan die Flamme deutschen Hochsinnes, selbstverleugnender Hingabe an das schimmernde vaterländische Ideal. In demü­tigem Dank an den Lenker der Geschicke für seinen stärkenden Beistand in schwerster Not, und in uner­schütterlicher Hoffnung auf den Sieg der deutschen Waffen, des deutschen Wesens feiern wir, fromm ergriffen:

deutsche Kriegsostern!

Mittellung der Obersten Heeresleitung.

* Großes Hauplquartier, 3. April.(Amtlich.) Westlicher Arlegsschauplatz. Ein Versuch der Belgier, das ihnen am 31. März entrissene Kloster Hoek=Gehöft wieder zu nehmen, scheiterte.

Im Priesterwald mißlang ein französischer Vorstoß.

Ein französischer Angriff auf die Höhen bei und füdlich von Nieder=Aspach, westlich von Mülhau­sen, wurde zurückgeschlagen.

Oestlicher Kriegsschauplatz. Auf der Ostfronk ereignete sich nichts Wesentliches.

Beschäftigung kriegsinvalider Eisenbahner.

Nach einer Verfügung der Staatsbahnver­waltung sollen kriegsinvalide Eisenbahner möglichst in ihrer bisherigen oder einer ähnlichen Stellung welter beschäftigt werden, wobei auf ihre körper­liche Beschaffenheit und ihre Befähigung Rücksicht zu nehmen ist. Ebenso sollen Kriegsinvaliden, eingestellt werden, die noch nicht im Eisenbahndienst beschäftigt, aber bereits in einer Bewerberliste aufgezeichnet waren. Die Vorschriften über die körnerliche Tauglichkeit sollen in die­sen Fällen nicht hinderlich sein. Kriegsinvalide Eisen­bahn arbeiter dürften auch dann in Beamtendienst

Deutsche Ostern!

Wacht auf! Es klingen schon die Ofterglocken So hoffnungsfreudig übers deutsche Land. es zieht ein zuverlichtliches Frohlocken Vom Rlipengiptel bis zum Meeresstrand.

Wacht auf! Die grauen Nebelwolken fliehen Und Ofterglanz die düftre Nacht durchbricht

Ein neuer Völkerfrühling wird uns biühen, Umitrahlt von einer neuen Sonne Licht.

Und Und auch ernit und ichwer die Prüfungsitunden Und bringt der Krieg viel bittres Herzeleid: Rildeutschland wird erltarken und gelunden Und herrlich auferltehn aus blut'gem Streit.

Der Lebensfürlt zerriß des Todes Bande Und sprengf' mit Rllgewalt des Grabes Stein

So wird auch unserm deutschen Vaterlande Nach schwerktem Kampf der Sieg beschieden sein!

Nun laßt das Zweifeln, laßt das bange Zagen Und blickt zum Himmel auf mit gläub'gem Sinn. Der Herr, der einit für uns das Kreuz getragen, Gab auch für uns lein teures Ceben hin.

Es dringt der ew'gen Liebe heil'ge slamme Durch alle deutschen Herzen voller Macht

Die hehre Liebestat am Kreuzesltamme Ist wahrlich nicht umsonft für uns vollbracht!

Wohlauf! Gott ist mit uns und unsern Waffen, Wir bringen gern zum Opfer Gut und Blut.

Gott ist mit uns! Wohlauf, wir werden's schaften, Denn uns beleelt der Väter Heldenmut.

Ob auch der haßerfüllten feinde soben Uns wild umkrallt in frevelhaftem Wahn:

Die göttliche Oerechtigkeit dort droben Bricht lich durch Nacht und Wetterwolken Bahn!

Durch Kampf zum Sieg! In brausenden Akkorden Tönt uns das alte Ruferltehungslied:

Und liehe, es ist alles neu geworden...

Der Heiland lebt und Gram und Schmerz entflicht... Wacht auf, die ihr durch Sturm und Rlot gegangen;

Des andern Lalt ein jeder freudig trag'

Bald wird uns Siegessubel hell umfangen

Rlldeutschland feiert leinen Oltertag...!

J. M. Burda.

verwendet werden, wenn sie den Vorschriften über die körperliche Tauglichkeit nicht voll genügen. Als Arbeiter können während des Krieges auch andere nicht im Eisen­bahndienst beschäftigt gewesene Kriegsinvaliden eingestellt werden, auch wenn sie den Vorschriften nicht voll ent­sprechen, aber zur Arbeiterbeschäftigung geeignet sind. Die Aemter und Dienststellen sollen sich die Unterbringung der Kriegsinvaliden besonders angelegen sein lassen.

Die Munitionssorgen der Verbündeten.

Sowohl French als auch Kitchener haben jüngst, wie uns geschrieben wird, in Unterredungen erklärt, daß augen­blicklich die wichtigste Frage die Munitionsfrage sei. Sie haben dadurch die Aufmerksamkeit auf eine der schwersten Sorgen gelenkt, welche sie bedrückt. Es ist der Mangel an Munition, der sich bei weiterer Dauer des Krieges bei unseren Feinden immer mehr fühlbar machen wird. Man muß sich nun fragen, wieso unsere Feinde gerade Muni­tionssorgen haben, da wir doch wissen, daß die Ame­rikaner ihnen ständig Kriegsmaterial liefern. Zwar haben die Amerikaner und besonders die Bethlehem Steel Co. unseren Feinden beträchtliche Mengen an Kriegs­material geliefert. Aber der Bedarf ist größer und kann durch Herstellung in den eigenen Ländern nicht gedeckt werden. Von Rußlands Munitionsverbrauch war schon oft die Rede. Je mehr neue Truppen ins Feld gestellt werden müssen, desto fühlbarer wird er. Rußland z. B. hat durch den Verlust an Menschen und Kriegsmaterial sogar die Ausrüstung der neu einzustellenden Mann­schaften, soweit sie Geschütze und Gewehre betrifft, verloren, während z. B. die Russen im russisch=japanischen Kriege das gleiche Material der gefallenen und vernichteten Trup­penteile den neuen Nachschüben zuwandten. Wenn auch vielleicht die Engländer und Franzosen nicht soviel Mate­rial verloren haben wie die Russen, so spielen doch bei ihnen wieder ganz andere Umstände mit, um auch hier einen fühlbaren Mangel eintreten zu lassen. Zwar sind die Geschützverluste der Franzosen auch recht beträchtlich. So brachte die Schlacht in Lothringen uns sofort 150 Ge­schütze ein, soweit man überhaupt damals bei dem schnellen Vormarsch die Beute zählte. Die Armee des Feldmar­schalls Bülow berichtet, daß sie Ende August 350 Geschütze erobert hatte. In Maubeuge wurden 400 Geschütze er­obert. Bei Soissons 35, in Lüttich, Namur und Antwer­pen mehr als 1000. Diese kleinen Stichproben zeigen, daß der reine tatsächliche Verlust nicht zu unterschätzen ist. Aber es kommt, wie gesagt, noch ein viel bedeutsamerer Umstand in Betracht. England muß erst langsam ein Heer auf­stellen und hat für dieses Heer weder Geschütze noch Ge­wehre noch Munition vorbereitet gehabt. Für einen so plötzlichen und so großen Bedarf reicht natürlich die Lie­ferung Amerikas nicht aus, da die amerikanischen Waffen­fabriken auf so große Fabrikation nicht eingerichtet sind. Aber auch die englischen und französischen Waffen­fabriken, die allein den Mangel heben können, reichen für so einen starken Bedarf nicht aus. Je mehr Leute Eng­land ins Feld stellt, oder auch nur zu den Waffen ruft, desto größer werden aus diesen Gründen die Munitons­sorgen. Jetzt wird man verstehen, warum French und Kitchener mit sorgenvoller Miene auf diese schwierige Frage hinweisen, um die Oeffentlichkeit über die Bedräng­nisse, in das das Heer geraten kann, aufzuklären.

Entlassung des Generals Rußkij.

Seltsame Vorgänge im russischen Heere werden jetzt, wie der KorrespondenzHeer und Politik geschrieben jwird, durch einen in russischen Blättern veröffentlichten Brief des Zaren an den nicht unrühmlich bekannt gewordenen russischen General Rußkij an das Licht der Oeffentlichkeit gezogen. General Rußkij, der Komman­deur der III. russischen Armee, hat nach dem Briefe des Jaren seinen Abschied eingereicht und erhalten. Unter allen Fuhrern Rußlands war Rußkij unstreitig einer der tüchtigsten. Man erinnert sich vielleicht noch der englischen und französischen Mitteilung, daß nach den ersten gewal­tigen Siegen Hindenburgs General Rußkl nach Polen geschickt wurde, um den besten Mann an die gefährdete Grenze zu stellen. Genecal Rußkij hatte vorher in den Kämpfen um Lemberg, in denen das österreichische Heer vor der dreifachen russischen Ueber­macht zurückweichen mußte, gezeigt, daß er ein Mann von Umsicht und schnellen Entschlüssen sei. Als nun Hin­denburg auf dem Kampfplatz erschien und den russischen Truppen einen tödlichen Hieb nach dem andern versetzte, galt Ruskis als der einzige Mann, der als Retter des rus­sischen Heeres durch geniale Feldherrnkunst in Betracht kam. General Rennenkampf wurde entlassen und Rußkis mit seiner Armee nach dem polnischen Kriegsschauplatz geschickt. Damals jubelten die französischen und englischen Blätter und erklärten, daß Hindenburg setzt auf einen gleichwertigen Gegner gestoßen sei. General Rußki, der mit seiner großen Stahlbrille eher einem Gelehrten als einem Feldherrn ähnlich sieht, war allerdings ein nicht zu unterschätzender Mann. Er hatte sich schon vor dem Kriege als hervorragender Theo­retiker bewährt. Besonders als kommandierender General des 21. russischen Armeekorps in Kiew hatte er sich aus­gezeichnet.

In diesem Kriege führte er die Truppen in den Kämpfen vor Warschau und bei Prasnysz. Er hätte vielleicht den Ruhm eines siegreichen Feldherrn ge­erntet, wenn es nicht sein Unstern gewollt hätte, daß er einem Manne von so überragender Kraft wie Hinden­burg gegenübertreten mußte. Hier war er fraglos der Kleinere. Aber die Tatsache, daß er nicht an Hindenburg heranreichte, besagt noch nicht, daß er nicht ein Mann von ungewöhnlichen Feldherrngaben gewesen ist. Sicher ist, daß er unter allen russischen Führern vielleicht der hervorragendste Kopf war. Nun hat er seinen Abschied eingereicht. Sein Rücktritt erfolgte angeblich aus Ge­sundheitsrücksichten. DieseGesundheitsrücksichten sind bereits zu allgemein bekannt, als daß sie noh für wahr genommen werden könnten. Es müssen also ungewöhn­liche Vorkommnisse innerhalb des russischen Hauptquartiers diesen verdienten Mann zum Abschied gedrängt haben.

Er war ein offener Gegner des Systems des Großfürsten Rikolai Nikolasewitsch. Ernst und pflichttreu hielt er mit seinem gegenteiligen Urteil nicht zurück. Diese Tatsache allein war völlig ausreichend. um Kräfte zu seiner Vernichtung ins Werk zu setzen. Die Mißerfolge, die seine Armee aufzuweisen hatte, genügten, um ihn zum Abschied zu drängen. Andererseits besagt aber sein Abschied auch noch, daß er in diesem Kriege bei ger Art der Oberleitung die Katastraphe des russischen Heeres voraussah, denn er ist=unbeugsam und widerstands­kräftig genug, um selbst vor den heftigsten Anfeindungen und Intriguen nicht zurückzuweichen, wenn er geglaubt hätte, das russische Heer noch retten zu können.

Der Zar berief ihn aus Anlaß seines Abschiedes in den Reichsrat, wo alle unbequemen Männer kaltgestellt werden.

Rebuksdnezar

in einer französischen Dorkkirche.

Unser nach dem Westen entsandter, vom Gro­ßen Generalstab genehmigter Kriegsbericht­erstatter, Herr Julius Hirsch, schickt uns aus dem Großen Hauptquartier des Westens folgenden Bericht vam 30. März 1915:

Deutsches Großes Hauptquarkier, 30. März.

oken. Wir verließen Bapaume im Kraftwagen, als die Morgensonne noch über den Feldern lag. Auf den braugen Aeckern wandelte die Einsamkeit. Nur zweimal auf einem Weg von vielen, Kilometern begegneten wir Bauern, die Zuckerrüben vom Felde einholten. Auch die Landstraßen sind verlassen. Die Begegnung mit einem Auto, das aus einer Staubwolke aufblitzt, wirkt fast wie ein Erlebnis. In der Ferne ziehen auf einer Parallelstraße singende Solda­ten. Marschübung. In ihrer Mitte spielt eine Militär­kapelle einen alten Soldatenmarsch. Das bringt Fröhlich­keit über das Land. Selbst das funge Grün an den Bäu­men scheint aufzuhorchen.

In einem armseligen Dorf macht unser,Wagen Halt. Ritt­meister., ein Verwandter des Generalgouverneurs von Belgien, hatte den klugen Einfall gehabt, mir hier ein Potemkinsches Dorf nach deutscher Art vorzustellen. Man kann kaum was traurigeres und hinfälligeres ersinnen. Da drücken sich die Häuschen, halb zerfallen und altersschwach, fast auf den Boden. Morsche Türen, zerbrochene Fenster­scheihen, rissige Mauern und ungedeckte Dächer mit einem Wort ein Armendorf! Für die deutschen Kavalle­risten aber, die in diesen trübseligen Wohnstätten Quartier nehmen mußten, gilt aber nicht das Sprichwort:Oben hut und unter pfui!. Im Gegenteil! In kaum zwei Wochen haben sie sich behagliche und reinliche Unterkünfte aus Holz in die Quartiere eingebaut. Geschickte Zimmerleute haben da wohleingerichtete Holzbaracken errichtet, die ein behag­liches Wohnen gewähren, selbst wenn Mauern und Dächer der armseligen Bauten von einem Sturm hinweggesegt würden. Die Unteroffiziere haben Wohn= und Schlaf­räume gesondert; die Mannschaft schläft in drei Etagen übereinander. Tische, Stühle und Schlaflager wurden eigens gezimmert. Und wie für sich haben die Soldaten auch für ihre Pferde gesorgt. Die Ställe sind in die alten schmutzigen Scheunen und Ställe eingebaut. Es ist kein Wunder, wenn die französische Bevölkerung in einem solchen Dorfe die deutschen Soldaten, die ihren wackeligen Häus­chen wieder Halt gaben, liebgewinnen.

Rittmeister B. lag mit seinen Leuten bis vor drei Mona­ten in dem benachbarten Dorfe M. Als der Quartierwechsel kam, weinten die französischen Frauen und Kinder, mit denen die deutschenBarbaren ihr Essen geteilt hatten. Wir gingen durch das Dorf, das früher an 2000 Einwohner zählte. Es war eine zeitlang das Quartier des früheren Generalquartiermeisters von Stein, der jetzt ein Korps kommandiert. Se. Exzellenz wohnte in einer einfachen ebenerdigen Villa; da diese aber meistens unter franzö­sischem Feuer lag, wurde das Stabsquartier in einem bom­bensicheren Unterstand, der im Garten der Villa angelegt war, eingerichtet. In einem armseligen Häuschen logierte damals der Chef des Stabes; ein Bettler erfreut sich mei­stens eines besseren Quartiers, und als Oberstleutnant von Kleist, der frühere Militärattachs in Rom, in diesem Häus­chen seinen Einzug hielt, stand ihm wohl sein Heim in der ewigen Stadt zu löblichen Vergleichen vor Augen.

Rittmeister von B. hatte den Wunsch, seine frühere Wir­tin zu begrüßen. Sie war nicht daheim, aber ihre Toch­ter holte sie rasch. Wie ein junges Mädchen kam die etwas beleibte Matrone herbeigelaufen. Der Ausdruck ihres Gesichtes zeigte wirklich eine herzliche Freude über das Wiedersehen mit ihrem früheren Zimmerherrn. Und dann bat sie, er möge doch wieder dableiben; das wieder­holte sie mit einer Inbrunst und ihr 14jähriges Töchter­chen ließ zwei Kirschenaugen die Bitte stumm nachsprechen. Als der Rittmeister lächelnd verneinte, standen die beiden Frauen tief traurig da.

Wir kamen zur Dorfkirche. Der Kirchturm lag in Schutt. So lag er bereits schon vor dem Kriege. Alt und gebrechsich war er eingestürzt und die Gemeinde brachte kein Geld auf, um ihn wieder aufzurichten. Und der Staat hatte kein Interesse daran. So blieb der Mauer­schutt liegen, die klaffenden Löcher in der Kirchenmauer sind durch Bretter verschalt.

Heute dringt ernste Musik aus der Kirche. Es klingt umso absonderlicher da alles um die Kirche still und tot llegt. Durch eine Seitentfür treien wir ein. Die Türe knarrt und die Musik verstummt. Wir haben die Probe einer Musikkapelle unterbrochen. Die feldgrauen Musiker stehen mit ihren Notenständern im Halbdunkel des Bet­raumes, als wollten sie den weihevollen Frieden, der zwischen den schlichten, weiß getünchten Mauern des lich­ten, sonnenerküllten Chors ruht, nicht stören. Zwei dürf­tige Heiligenbilder, eine alte staubige Kirchenfahne, eine Messingampel, die den Glanz verloren, sind der Schmuck des Kirchleins.

Wir bitten die Musiker, sich nicht stören zu lassen, und der kleine Unteroffizier hebt den Taktstock. Eine dumpf und ergreifende Melodie klingt auf, eine Melodie, mit der man die Lebendigen aufrüttelt und die Toten grüßt. Die feld­grauen Musiker sind zwar keine Künstler, aber sie flöten und blasen mit dem Herzen. Durch ihre Musik rauscht die Erinnerung an heiße Stunden im Gefechte, an brechende Augen gefallener Kameraden, an stille Hügel mit weißen Kreuzen, um die nun bald die Blumen knospen werden. Sie bauen vor uns einen Katafalk von Tönen. Um uns ist Gottesdienst...

Nun ist die Musik verrauscht. Es war die Ouvertüre zu VerdisNebukadnezar. Hier klang es bald wie ein Kirchenlied, bald wie ein Frühlingslied, als oben in den Kirchenfenstern ein paar vorlaute Spatzen zwitscherten. Es geht noch nicht gut, meinte der Kapellmeister, ein Württemberger.Die Roten sind erscht seit ei paar Tage da und im Schützengraben müsse wir schanze. Uebe könne wir nur während die wenige Tage Ruhe im Dorfe.

Als deutsche Kugeln französische Beobachter von der Reimser Kathedrale versagen mußten, erhoben auch italle­nische Künstler zeternd ihre Stimmen gegen die deutschen Barbaren.

Ich lade sie in die kleine Dorfkirche, von der ich erzählte, Dort können sie diese deutschenBarbaren sehen, die nach heißen Kämpfen an der Front, nach dem schraurigen Konzert des Maschinengewehrs drei Stunden in ein Dorf mar­schieren, um ihre Rubestunden dann der Kunst Maestro Verdis zu widmen. Diese deutschen Barbaren!

Julius Hirsch. Kriegsberichterstatter.*