Erscheint täglich ausschließlich der Sonn= und Festtage.
Bezugspreis
für den Monat 65 Pfg. einschließlich illustrierter Sonntagsbeilage; mit achtseit. illustriertem Familienblatt 75! Postbezug vierteljährlich 2,25 Mk.
Ternsprech=Ansching Nr. 193.
*
Einrückungsgebühren für die einspaltige Petitzeile oder deren Raum 15 Pfg., im Reklamen=Teile 40 Pfe.— Anzeigen von auswärts Josten 20 Pfg, die Petitzeile.
Bei Wiederholungen wird entsprechender Nachlaß gewährt.
Amtliches Kreisblatt für den Stadtkreis Mülheim a. d. Ruhr.
(Mülheim, Broich, Zümpten, Heißen, Saarn, Speldorf und Styrum.)
Bel.-Ahr: Reitung aallihstmratt.
Chefredakteur: G. Ottweiler, Mülheim(Ru
Geschäftsstellen:.=Broich: Julius Kurtz, Schloßstr.
Duisburger Str.
— Verlag: Mülheimer Zeitung G. m. b. H.— Druck von Ernst Marks in Mülheim(Ruhr).— Hauptgeschäftsstelle: Eppinghofer Straße 38.
.=Heißen: Franz Klostermann, Rathausplatz.—.=Saarn: Ernst Winternheim, Marktplatz.—.=Speldorf: Fritz Buchloh und Wilh. Anhäuser. M. Styrum: Joh. Schulten, Mülheimer Str. 62 und 92—94.— Oberhausen=Alstaden: Aug. Briem, Wilhelmstr. 35.
N 202
Dienstag, 30. August 1910
38. Jahrgang
Die heutige Nummer umfaßt 6 Seiten.
= Auf Wunsch
erhalten neu eintretende Bezieher die Mülkeimer Zeitung unentgeltlich und
= postfrei bis Ende d. Monats
durch die Geschäftsstelle zugesandt. Jedes Postamt nimmt jederzeit Bestellungen an. Jeder Abonnent (bei Verheirateten auch die Ehefrau) ist gegen Unfall mit Todeserfolg mit 600 Mark verlichert.
sseossseaeeegn
Deutsches Reich.
Berliner Nachrichten.
Eine Verschmelzung der antisemitischen Fraktionen des deutschen Reichstags steht nicht in Aussicht. Abgeordneter Liebermann v. Sonnenberg erklärte, die Wirtschaftliche Vereinigugg, deren Führer er ist, lege keinen Wert darauf, daß ihr in der letzten Session der Legislatur=Periode ein paar Sitze mehr zugerechnet werden. Die Mitglieder der deutschen Reformpartei könnten sich, wie bisher, der Reichspartei zuzählen.— Die Bestimmungen über den Auslieferungs=Verkehr zwischen Deutschland und Dänemark sowie zwischen Deutschland und der der Schweiz sind erweitert worden. Der Reichsanzeiger publiziert die Einzelheiten der Vertrags=Erweiterung.— Aus der Reihe von Anträgen, die den sozialdemokratischen Parteitag in Magdeburg beschäftigen werden, ist der hervorzuheben, der die Reichstagsfraktion auffordert, einen Gesetzentwurf auszuarbeiten, durch den verboten wird, Kindern Schnaps, Wein oder Bier zu geben. Von Interesse ist auch der Antrag, der die Herausgabe einer eigenen Modenzeitung mit Schnittmusterbogen fordert. Wir bekommen nun vielleicht noch eine besondere sozialdemokratischen Kleidertracht. Auch Licht= und Luftbäder werden verlangt.— Eine Feier zum Andenken an die Schlacht von Großbeeren fand am Sonntag in dem fteundlichen Dorf bei Berlin statt. In früheren Jahren wurde die Gedankfeier alljährlich abgehalten und war geradezu ein Volksfest, zu dem die Berliner in großen Scharen strömten. Von 1848 ab unterblieb das Fest lange Jahre und erst der jetzige Ortsgeistliche rief es wieder ins Leben.— Die badische Eisenbahnverwaltung hat ein nachahmenswertes Beispiel des Vogelschutzes gegeben. Sie hat den Bahnbauinspektionen die Erhaltung der lebenden Hecken, soweit sie nicht Schneeverwehungen begünstigen, zur Pflicht gemacht. Ebenso soll das Schneiden der Hecken nicht während des Brutgeschäftes der Vögel stattfinden.— Die vom Fürsten Eulenburg hinterlegte Kaution von 100000 Mk. befindet sich noch immer an Gerichtsstelle. Daß das Verfahren gegen den Fürsten niemals mehr aufgenommen werden wird, ist leider anscheinend so gut wie sicher. Die
homosernellen Verfehlungen des Fürsten sind durch einfreie Zeugen bewiesen und daraus folgt, daß der Fürst einen Meineid leistete, als er alles in Abrede stellte.
Das Echo der Königsberger Kaiserrede ist auch heute noch nicht verklungen, wobei man wieder die Bestätigung der alten Wahrheit beobachten kann: Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande. Das Urteil der englischen Blätter ist z. B. in weit größerem Umfange zustimmend gehalten als das der heimischen. Während die Mehrzahl der bürgerlichen Blätter Deutschlands bis hart an die konservativer Richtung ihr Bedauern nicht unterdrücken kann, daß der Kaiser die seit dem 17. November 1908 im Interesse der Stetigkeit der Politik des Reiches geübte Zurückhaltung mit der Königsberger Rede ausgegeben hat, sprechen sich Londoner und Pariser Zeitungen zum Teil in Worten höchster„Anerkennung über die Königsberger Rede aus. So liest man in Londoner Zeitungen: Die Empfindlichkeit der öffentlichen Mei
gung in Deutschland ist keineswegs berechtigt, die Ethik der Rede ist bewundernswert. Der Kaiser hat die Rechte einos konstitutionellen Monarchen nicht überschritten. Die Meinung, daß der Kaiser beabsichtige, die Verständigung vom November 1908 umzuwerfen, ist eine Beleidigung seiner persönlichen Ehrlichkeit und seines historischen Bewußtseins. Mit der Verehrung des Hohenzollern=Ideals
ist das treue Festhalten an der Konstitution durchaus verentbar.— Die„Times“ sagen: Die beiden populärsten Männer der Welt, Kaiser Wilhelm und Expräsident Roosevelt, reden eine in ihrer Stärke und Deutlichkeit so ähnliche Sprache über die einfach menschlichen Pflichten, denen sich Männer und Frauen zu entziehen suchen. Der deutsche Kaiser und Noosevelt predigen nicht in denselben Worten, die Moral ist aber dieselbe.— Daily Expreß" schreibt: Es ist wahrscheinlich, daß Kaiser Wilhelm der einzige Mensch auf Erden ist, der noch ernstlich und fest daran glaubt, daß er oder jeder andere Herrscher das vom Himmel auserwählte Werkzeug sei, über seine Untertanen zu regieren Seine Untertanen mögen jedoch immer an den Ruhm denken, der durch den Besitz eines solchen Herrschers einzig in seiner Art und einzig in seinem Glauben auf sie zurückfällt.“ Der radikale„Morning Leader“ sagt freilich:„Es bedarf unserseits einer großen Anstrengung, uns die Atmosphäre eines europäischen Hofes vorzustellen, in der solcher Aberglaube wie das Gottesgnadentum wuchern kann, besonders in Anbetracht der Persönlichkeit des Kaisers. der sonst in jeder Beziehung ein Mann der Tatsachen ist.“— Die französische Presse heftet sich begreiflicherweise an das Wort über die Notwendigkeit einer lückenlosen deutschen Rüstung und faßt die Kaiserrede als einen nicht mißzuverstehenden Mahnruf auf, daß nur die für den Ernstfall vorbereitete Nation ein Recht habe, in der allgemeinen Politik von heute entscheidend mitzusprechen.— In Brüssel wurde am Sonntag der Interparlamentarische FriedensKongreß eröffnet, der sich mit der Kaiserrede beschäftigen wird.— Auch in demokratischen und fortschrittlichen Volksversammlungen der nächsten Tage steht die Rede zur Erörterung.— Die Blätter des verbündeten Oesterreich üben im Allgemeinen eine wohlwollende Kritik an der Kaiserrede und halten sich an die Taten des Kaisers.
Die„Nordd. Allg. Itg.“ bespricht die Königsberger Rede an zweiter Stelle nach einem Ueberblick über die Posener Festlichkeiten. Sie enthält sich jedes eigenen Urteils in irgendwelcher Richtung über die Rede und konstatiert nur, welch bedeutenden Eindruck sie überall gemacht habe, indem sie schreibt:„Lebhaft beschäftigt sich die Presse aller Richtungen mit der von uns gestern mitgeteilten Rede Sr. Majestät in Königsberg.“ Daran anschließend gibt sie in ihrer Samstag=Nummer eine recht bedeutende Uebersicht über die Stimmen der Presse, die sie in ihrer Sonntag=Nummer noch weiterhin fortsetzt. Es wurde als auffällig bemerkt, daß die Kaiserrede Donnerstag gehalten, aber erst Freitag mittag vom halbamtlichen Wolffbüro übermittelt wurde. Es wurde daran die Befürchtung geknüpft, die Rede habe in Wahrheit noch schärfer gelautet, als wie sie der amtliche Text verbreitet. Demgegenüber kann festgestellt werden, daß die Königsberger Blätter, die die Rede schon Freitag morgen veröffentlicht haben, den gleichen Wortlaut, wie der amtliche ist, bringen. Dazu bemerkt der„Vorwärts: „Offenbar hat man an der zuständigen Stelle in Berlin geschwankt, ob man die Aeußerungen Wilhelms II. in dieser Form veröffentlichen könne, schließlich aber doch in den sauren Apfel gebissen.“ Ueber den Eindruck, den die Rede in hohen Kreisen Berlins macht, wird der„Braunschweigischen Landeszeitung“ eine Aeußerung von„einer sehr angesehenen Persönlichkeit“ des politischen Lebens übermittelt:
Es darf nicht geleugnet werden, daß selbst in jenen Kreisen der Reichshauptstadt, die der Regierung sehr nahe stehen, ein gemisses unbehagliches Gefühl Platz gegriffen hat. Die Kaiserrede mit ihrem zweifellos eigenartigen zur Stunde nicht recht passenden Inhalt sieht man als eine Gelegenheit an, die von allen jenen Elementen begierig aufgegriffen werden wird, denen die Diskreditierung der Krone und ihres Trägers Lebensaufgabe ist. Selbst im konfervativen Lager hat duiese Aeußerung Befremden hervorgerufen. Es hat fast den Anschein, als ob der Kaiser die Schatten der Vergangenheit habe beschwören wollen, und das war gerade jetzt wenig wünschenswert. Neben der eigentlichen Auslegung des Sinnes der Kaiserworte aber steht im Mittelpunkt des Interesses die Frage, wie weit der Kanzler Kenntnis vom Inhalt der Rede gehabt hat. Man glaubt hier in sehr gut unterrichteten Kreisen, daß Herr von Bethmann Hollweg den Inhalt der Ansprache in dieser Form gar nicht gekannt hat. Das würde fast wie eine Umkehr zu jener Zeit aussehen, wo der Kaiser selbständig, obne seine„Verantwortlichen“ in Kenntnis von seinen Entschlüssen zu setzen, handelte und dadurch zuweilen recht komplizierte Situationen schuf. Auf jeden Fall ziehen sich über dem Haupte des Kanzlers Wolken zusammen, die seine augenblicklich nicht beneidenswerte Stellung noch erschweren und die bei Gelegenheit der Parlamentstagung sich, von der äußersten Linken her beginnend, entladen werden.
Was die Person des Kaisers selbst aber anbetrifft, so kann, heißt es zum Schluß, die öffentliche Meinung darüber beruhigt sein, daß sich dieses Mal in der nächsten Umgebung bestimmt aufrechte Männer finden werden, die den Monarchen über die Wirkung seiner Rede aufklären.
Gegen eine weitere Einschränkung der SonntagsArbeit,
wie sie namentlich in Berlin geplant war, protestierte der erband deutscher Detailgeschäfte der Textil=Industrie. Die Lage der mittleren und kleinen Geschäfte sei ohnehin schon schwierig genug; es dürfe ihnen daher die gerade schon genug verkürzte Verdienst=Möglichkeit an den Sonntagen nicht noch mehr beschnitten werden. Damit begründete die Versammlung einhellig ihren Protest, und niemand widersprach.
Beamten=Konsumvereine.
Gegen die geplante Errichtung eines Beamten=Konsum=Vereins in Dortmund hatten dortige Geschäftsleute eine Eingabe an die Oberpost=Dierektion gerichtet. Diese erwiderte, sie könne auf das ihr unterstellte Postpersonal nicht daraufhin einwirken, die Bildung eines Konsum=Vereins zu unterlassen und ihren Bedarf aus den Geschäften der Stadt zu entnehmen. Einen ähnlichen Bescheid erteilte auch die Eisenbahn=Direktion Elsen.
Ausland.
Rußland.
— Der russische Ministerpräsident wird eine Reise nach dem fernen Osten antreten, um sich über die Lage der russischen Ansiedler zu informieren und die Klagen über die Mißstände bei der Amur=Bahn zu prüfen.
Frankreich.
— Die Aviatik im Heer. Die Verwendung von Aeroplanen bei den französischen Manövern soll nach Angaben des Kriegsministers Generals Brun lediglich zu Aufklärungszwecken erfolgen. Angriffsübungen von Flugmaschinen, durch Herabwerfen von Explosivstoffen, Granaten etc., sollen vorläufig unterbleiben. Auch eine gegenseitige Bekämpfung der Aeroplane untereinander will der Minister noch ausgeschlossen wissen, und zwar zur Vermeidung von Unfällen. Jedoch soll jede Flugmaschine neben dem Führer einen Beobachtungsoffizier und auch ein Maschinengewehr mitführen.
China.
— Aus Indien wird gemeldet, daß die schinesische Regierung den Dalai Lama gebeten habe, nach Lhassa zurückzukehren. Dieser habe sich hierzu bereit erklärt, falls seine Autorität in vollem Umfang wiederhergestellt und die Zahl der chinesischen Truppen vermindert würde.
Von Nah und Fern.
Ein bedauernswerter Mangel an Nationalgefühl
zeichnet manche deutsche Kaufleute im Auslande aus. So wird der vom Deutsch=nationalen Handlungsgehilfen=Verbande in Hamburg herausgegebenen Monatsschrift„Der deutsche Kaufmann im Auslande“ aus Tokio(Japan) folgender, geradezu unglaublich klingender Vorfall mitgeteilt:„Eine große deutsche Firma hat auch in Japan ein Zweiggeschäft, dessen Letter ein Deutscher ist. Dieses Geschäft erhielt nun vor einiger Zeit vom japanischen Kriegsministerium in deutscher Sprache eine Anfrage über einen Kostenanschlag. Wer nun
glaubt, daß diese deutsche Firma auf eine deutsche Anfrage geantwortet habe, der irrt sich sehr, denn das Ministerium erhielt den gewünschten Kostenanschlag in englischer Sprache, so daß das Ministerium sich genötigt sah, diesen Anschlag ins Deutsche übersetzen zu lassen und dafür etwa 20 Jen zu zahlen! Das Ministerium machte danach die Firma darauf aufmerksam, daß, wie ihr wohl bekannt sei, im Kriegsministerium„Deutsch“ die Vermittlungssprache sei und daß deshalb gebeten werde, deutsche Anfragen auch in deutscher Sprache zu erledigen.— Eine solche Belehrung muß einem Deutschen erteilt werden! Damit aber noch nicht genug, der Filialleiter antwortete, anstatt diesem Verlangen nachzukommen, dem Ministerium, daß in Japan die Handelssprache die englische sei und daß sein Bureaupersonal nur diese Sprache beherrsche!! Das schreibt ein Deutscher an ein japanisches Ministerium! Die einfachste Lösung— selbst zu schreiben, wenn kein deutsch sprechendes Personal vorhanden ist— scheint der Herr nicht gefunden zu haben!“
Die Raubmord=Manie in Berlin.
Die Unsicherheit in der Reichshauptstadt bleibt bestehen, was ein mit ungewöhnlicher Kühnheit vollführter Ueberfall beweist. Auf einem Stadtbahnhof stieg während der frühen; Morgenstunden ein unbekannter Täter durchs Fenster in den Fahrkarten=Verkaufsraum, würgte die Verkäuferin, bis er sie für tot hielt und raubte dann aus der Kasse 800 Mark. Der Ueberfall war möglich, da der Betrieb auf dem betreffenden Bahnhof von morgens 2 bis 5 Uhr ruht. Die Schalterbeamtin, die gerade Nachtdienst hat pflegt die drei Stunden auf einem im Dienstraum aufgestellten Sofa zu verschlafen. Der Verbrecher hatte sich diese Zeit ausgesucht und war bereits eingestiegen, als die Beamtin infolge der Geräusche erwachte. Der Mann schlug erst mit den Fäusten wuchtig auf sie ein, dann warf er sie zu Boden und würgte sie mit
beiden Händen am Halse so lange, bis das Blut aus Nase und Ohren orang und das Opfer kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Dann raffte er 800 M. in Rollen an sich und entfernte sich. Nach einer Stunde erwachte die Beamtin aus ihrer tiefen Bewußtlosigkeit und alarmierte die Polizeidie sofort die Recherchen aufnahm.— Den Berliner Künstlern statten die Berliner Verbrecher neuerdings mit Vorliebe Besuche ab. In die Villa des bekannten Komponisten Victor Holländer brachen sie ein und entwendeten eine größere Menge von Lebensmitteln, sowie mehrere Silbergegenstände, darunter einen silbernen Lorbeerkranz, Kürzlich wurde die Villa des bekannten Humoristen Rudolf Presber geplündert. Und aus der Fritz Reuter=Ausstellung wurden 10 M. gestohlen; die„3 Daler un 10 Silwergroschen“ hatte ein Verehrer Reuters in sehr niedlicher Verpackung als Beitrag zu einem Reuter=Museum geschickt und man hatte die Gabe ausgestellt. *
Lüttich: 29. August. Auf dem Wege von der Nationalbank zur Banque Generale wurde gestern dem langjährigen Kassenbeamten einer Kohlenzeche von einem unbekannten Mann seine lederne Geldtasche unter dem Arm weggerissen, die für 12000 Frcs. Schecks sowie verschiedeng Wechsel enthielt. Der Vorfall spielte sich bei hellem Tage auf dem Boulevard de la Sauveniere ab. Der Dieb, der den Boten angerannt hatte, verschwand so schnell in einer nahen Seitenstraße, daß die ihm nacheilenden Straßengänger ihn alsbald aus den Augen verloren.
Die Cholera in Berlin.
Berlin; 29. August. Die bakteriologische Untersuchung hat ergeben, daß das Sarnowsche Ehepaar in Spandau tatsächlich an Cholera gestorben bezw. erkrankt ist. Die Tochter, die die Mutter bis zum Tode gepflegt hatte, wurde in eine Isolierbaracke gebracht und unter Aufsicht gegesteltt. Alle Vorsichtsmoßregeln sind getroffen. Berlin, 29. August. Wie ein Mittagsblatt meldetist in Spandau ein Lazarettgehülfe unter choleraverdächtigen Symptomen erkrankt.
Vom Blitze erschlagen.
Erst Freitag nachmittag sind in Gerrsheim(nach einer Meldung in Gernsheim) drei junge Mädchen im Alter von 8 bis 17 Jahren vom Blitze getötet worden, und schon wieder liegt eine ähnliche Hiobsbotschaft vor:
Mecheln: 29. August. Bei den schweren Gewittern, die vorgestern hier niedergegangen sind, wurden in der nahen Gemeinde Thisselt der 45jährige Ackerer Terlinden, seine 15jährige Tochter und sein 13jähriger Sohn sowie eine 40jährige Magd, die in einem Heuschober Schutz gegen den wolkenbruchartigen Regen gesucht hatten; vom Blitz getroffen und erschlagen.
Die Borkumer Spionagegeschichte.
Die auf Borkum verhafteten engl. Spione tragen ein herausforndes Benehmen zur Schau. Dem ihnen gestellten deutschen Anwalt gegenüber verhalten sie sich durchaus ablehnend. Ihrem Verlangen nach einem englischen Anwalt hat man entsprechen müssen. Die Akten über die Affäre sind jetzt dem Reichsgericht eingereicht worden, welches alsbald über die Erhebung der Anklage entscheiden wird. Die beiden Spione
Seischengrud vie ver und bleiben dabei, Aufrahnen Hut hriften gemacht zu haben. Die Aufnahmen sind aber daß jede Zeitschrift, die etwas auf künstlerische Ausführung Uhrer Illustrationen hält, sie zurückgeschickt hätte, Auch versteht man nicht, was das nächtliche Herumstreichen und Beobachten an den Festungswerken mit dem harmlosen Beschreiben der deutschen Nordseeinseln“ zu tun haben soll.
***
Aachen, 27. August. Hier wurde eine Witwe und deren 17jähriger Sohn wegen Verbrechens gegen das keimende Leben verhaftet. Das Opfer, ein 17jähriges Mädchen, ist infolge des verbrecherischen Eingriffes, bei dem Salzsäure verwanot wurde, gestorben.
— Die Schneefälle im amerikanischen Brandgebiet haben dem Feuer keinen Einhalt tun können das entfesselte Element rast weiter. Von Stunde zu Stunde wächst der Schaden um Hunderttausende. Die Stadt Florg in Oregon wurde durch das Feuer zerstört. Nur mit Mahe vermochten die Einwohner sich und die notwendigste Habe in Sicherheit zu bringen.
"— Große städtische Unterschlagungen in Paris. Der Seinepräfekt hat 13 aktive Beamte, die die Stadt durch betrügerisches Vorgehen um ½ Millionen Franks geschädigt haben, abgesetzt. Es heißt, daß die Betrügereien der Beamten, die von mehreren Groß=Verfrachtern bestochen worden seien; seit 5 Jahren betrieben wurden. Gleichzeitig wurde gegen diese Beamten eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet.
— Der Wert von Kinderaussagen ist wieder einmal eigentümlich beleuchtet worden durch die Affäre einen Berliner Arztes Dr. Hartung. Dr. Hartung war verhaftet worden weil zwei Schülerinnen ihn bezichtigt hatten, unsittliche Handlungen an ihnen vorgenommen zu haben. Diese Beschuldigungen erwiesen sich schließlich als frei erfunden.
— Aufder deutschen Abteilung der Weltausstelllung sollten zwei Individuen Brandstiftung verursacht haben; indem sie Petroleum gossen und dieses zu entzünden versuchten. An der Meldung; die durch einen großen Teil der deutschen Blätter ging, ist kein wahres Wort.— Die „Kirmes“ der Ausstellung ist wieder eröffnet und wird von der Bevölkerung mit Massenbesuch bedacht. Ueberhaupt hat
Pariser Volksrestaurants.
Lebensmittelteuerung, wie bei uns.— Die französische Küche von der anderen Seite.
0W. Paris, Ende August.
Das Klagelied„Alles wird unerschwinglich teuer“ will vielen sehr eintönig erscheinen; wer es aber in der Stärke vernimmt, wie es zur Zeit in Paris angestimmt wird, dürfte den hochmütigen und verächtlichen Spott wohl unterlassen. Die Steigerung der Lebensmittelpreise hat in den breiten Massen zuerst Bestürzung und dann eine vorläufig noch verhaltene Erbitterung hervorgerufen, mit der alle Welt, die Regierung voran, sehr ernsthaft rechnen muh. Denn es sind, wie stets, die kleinen und kleinsten Leute, die zuerst und am härtesten betroffen werden. Und zwar wegen alter Bräuche, die sich zimmer mehr zu unerträglichen Mißbräuchen entwickelt haben. Beim Brotverkauf an allererster Stelle! Das Kilogramm dieses dem Pariser mehr als jedem anderen Weltstädter unentbehrlichen Nahrungsmittels ist um einen Sou 7künf Centimes) hinaufgesetzt worden; aber der, der nur ein Pfund kauft, muß gleichfalls einen Sou mehr bezahlen. Denn die kleinsten Münzen, Ein= und Zwei=Centimes=Stücke, sind
eit eir der Baihe undenden, Aun Kpnate but den Regeln der einfachsten Logik dafür eine Zulage zu Pfunde Brot gegeben werden, die dem gezahlten Mehr#nge entspräche. Da kennt man aber die überlieferungstreuen Bäckermeister schlecht! So etwas hat es nie gegeben, und sie wollen sich prinzipiell nicht auf revolutionäre Neuerungen einlassen, da kein Reglement sie dazu zwingt. Wenn man es nicht Eglich mitansehen und den dadurch hervorgerufenen heftigen Auftritten beiwohnen müßte, würde man so etwas Widersinnides und Antidemokratischos in der französischen Republik und der Sonnenstadt glattweg für unmöglich halten.
gegeben, während sie hinsichtlich des Fleisches sich damit begnügen, die„halben Portionen“ zu verweigern. Sie tun dabei noch so, als ob sie aus eigener Tasche etwas beisteuern, um es damit für den Augenblick sein Bewenden haben zu lassen. Welch brave Leute, welch Edelmut! Glauben sie denn wirklich, ihre Kunden und die Oeffentlichkeit darüber hinwegtäuschen zu können, daß Fleisch und auch Fische von der Preissteigerung nicht nur nicht betroffen sind, sondern daß sogar vielmehr eine kleine Verbilligung in ihnen eingetreten ist?. Einerseits haben nämlich Verkehrsverbesserungen die Zufuhr aus den Viehzucht= und Seegebieten neuerdings gefördert, und andererseits vermindern viele Züchter wegen Futtermangels ihre Bestände bedeutend, sodaß das Angebot den Bedarf fast übersteigt Das aeht aber die Kunden nichts an; sie haben zu zahlen, was der Wirt an Mehrkosten hat, aber von Verbilligungen nicht zu profitieren. Das Herrlichste bei alledem ist immer, daß bei der Rückkehr normaler Preise im Großhandel die wegen der vorhergegangenen Teuerung erfolgten Erhöhungen für den Konsumenten im Kleinhandel bestehen bleiben. Das ist bei der vor mehreren Jahren glücklich im allgemeinen Interesse durchgesetzten Beseitigung der Oktroigebühren für die hygienischen Getränke. Wein, Bier und Apfelwein, in geradezu zynischer Weise klar geworden. Bei den„marchands de vin“ und in den kleinen Restaurants sind nämlich die Getränke des halb nicht uum einen Centime billiger geworden, sodaß der ganze Nutzen dieser philantropischen Reform den Lokalbesitzern in die Tasche geflossen ist.
Für Paris bedeuten die Preissteigerungen der Volksrestaurants, deren Inhaber einen festgeschlossenen Verband bilden, wohl mehr als irgend anderweitig, weil reichlich vier Fünftel der erwachsenen Bevölkerung das Mittagessen, das „dejeuner“, im Restaurant einzunehmen gezwungen ist, ein Drittel auch das Nachtmahl, das„diner". Das Nachtragen von Essen, das im eigenen Hause zubereitet wird. durch die Arbeiterfrauen auf die Bauplätze oder in die Werkstätten, wo die Gatten beschäftigt sind, ist in Paris absolut unbekannt, auch gemeinsame Verpflegung von Zusammenarbeitenden in Kantinen oder in Kooperativlokalen hat hier nie recht Anklang zu finden vermocht. Dazu ist der Wariser zu indipidualistisch
zu sehr Feind der Einförmigkeit und Regelmäßigkeit. Er verlangt vor allem selbständige Auswahl der Speisen und Getränke, und eine gemeinsame„Abfütterung“ aus einer Schüssel ist ihm ein Greuel. Auch stellt selbst der mit Geringstem zum Auskommen Gezwungene bedeutende Ansprüche hinsichtlich der Reichhaltigkeit der Tafelgenüsse, mährend ihm die Größe der einzelnen Gerichte ziemlich gleichgültig ist, auch— o, ich höre schon die entrüsteten Proteste über diese deutsche lügnerische Frechheit!— die Zubereitung. Aber es ist doch so; die französische Küche ist mit Recht als gesund, wohlschmeckend und kein auch heute noch musterhaft, daran zweifelt niemand. Aber von dieser Küche ist in den Pariser Volksrestaurants garnicht die Rede. Für diese ist nämlich etwas ganz Besonderes in der kulinarischen Kunst ans Tageslicht getreten— o, Verzeihung, nicht ans Tageslicht, das muß diese Küche zu sehr scheuen,— also ausgeheckt worden, um Augen und wenn möglich auch den Gaumen zu täuschen. Das steht zu dem, was in der Welt als französische Küche bekannt ist und gerühmt wird. ungefähr in dem Verhältnis eines Affen zum Kulturmenschen, eines jener Affen, die man jetzt in Frack und
Diese Volksrestaurants datieren übrigens in ihrer jetzigen Form noch nicht sehr lange zurück. Man kann noch ein ganz hübsches Stück Weg vom Greisenalter entfernt sein, um die Erinnerung an andere, bessere Zeiten in dieser Hinsicht wachzurufen im Skande zu sein. Ehedem, es ist knapp ein Vierteljahrhundert her. aben Arbeiter, Angestellte, auch Kaufleute und Bessergestellte, beim„marchand de vin". Die Schankwirte lieferten eine gesunde, einfache Nahrung zu mäßigen Preisen, weil sie hauptsächlich auf den Gewinn aus den Getränken rechneten. Da sie aber gutes Fleisch und unverkälschte Zutaten benutzten, mußten natürlich die meisten Leute sich mit einem Gericht und vielleicht einem Nachtisch begnügen: denn unter 50 oder 60 Centimes konnte nie ein ausreichendes Fleischgericht hinlänglicher Güte hier geboten werden. Nun sind aber seit einem Dutzend Jahren hier an allen Ecken und Enden sogenannte ubouillong“ emvorgeschossen, die mit den anderen
Lokalen der gleichen Bezeichnung, in denen hauptsächlich Bouillon und Rindfleisch verabreicht wurden, nur den Namen gemeinsam haben. Diese haben das Kunststück fertig gebracht; im Massenbetriebe Fleischspeisen von 25 Centimes an zu liet fern, Gemüse von 10—20 Centimes usw. Ihre Hauptstärke beruht in der Fülle manigfaltigster Speisen, womit sie alss den Geschmacksrichtungen der Pariser Massen am weitesten entgegenkommen. Die Namen sind die gleichen wie in den vornehmen Restaurants, selbst die auf der ebenfalls äußerst reichhaltigen Weinkarte. Und dann ist in ihnen auch ein gewisser zweifelhafter banaler Komfort zu finden, an den die Pariser früher in den alten verräucherten„marchand de vin“ Stuben nicht gewöhnt waren. Zum Anlocken der Gäste werden an den Fenstern die prächtigsten Rinder= und Hammelvierte ausgestellt, um für die Güte des in dem Lokale verabreichten Fleisches Zeugnis abzulegen.
Wer aber glaubt, daß diese herrlichen Fleischstücke und die oft neben ihnen prangenden Riesengemüse und Früchte zur Zubereitung der mit so verführerisch billigen Preisen ausgezeichneten Speisen dienen, irrt sich gewaltig. Das sind nur geliehene Reklame=Prunkstücke. Was dort tatsächlich für die mit hochtönenden Namen versehenen Gerichte verwandt wird, entzieht sich vorsichtig jeder Betrachtung, weshalb auch Küchen und Speisekammern weit abseits vor jedem indiskreten Einblicke geschützt liegen. Wer aber mit einer etwas empfindlichen Nase ausgestattet ein solches modernes Volksrestaurgnt betritt, bleibt über die Art und Frische der verwendeten Lebensmittel nicht lange im Zweifel. Und wenn er sein„filet a lg reine“ oder seine„selle'agneau“ vor sich hat, werden ihn ein
sen. Srizedu der Bekandtel und Butozten u en setont intdeckungen darüber führen, was nicht alletz in Mischung als Rinderlendenstück, Hammelbrate — Butter zu figurieren vermag. Ist er vollende
Honerstien ihm dit vorgesetzten Weine Ain keichet naget.