Nachen 1881. Nr. 69

31. Nr. 69 33. Jahrgang. Erstes Blatt. Freitag, 11. März.

" Grhenwurn

Redakten: Hilmar Heinrich Büissel.

Verlag von P. Koatzer in Nachen.

Druk von C. H. Georgi in Nachen.

En sepen Rez

nzeigen finden durch dasScho der Gegenwark, dessen Verbreitung von keinem andern hiefigen Blatte erreicht wird, im ganten Regierungsbezirk Nachen die weiteste und erfolgreichste Verbreitung. Die Gebühren betragen 15 Psg. per Zeile. Ale Annonen=Expeditionen des Jn= und Auslandes nehmen Amzeigen für dasScho an.

Nachen, 10. März.

Man kann fast vom deutschen Reichskanzler nicht Vorechen, ohne gleichzeitig anFriktionen zu denken.

herr von Bismarck machte selbst einmal das Geständniß

i einer Zeit, als die Dinge im Reichstage für ihn eine sehr gute Wendung nahmen, es scheine wohl besser zu sein,

# er dem Reichstag fern bleibe, weil seine Gegenwart Friktionen erzeuge. Ob er dieses weise Wort vergessen, oder sich zu einer anderen Ansicht bekehrt hat, vermögen wir eben nicht zu sagen; genug ist, daß wir ihn mit einem #ale in die Debatten des Abgeordnetenhauses, des Herrenhauses und des Reichstages in einer Weise Aeingreifen sehen, daß dem Fernerstehenden vielfach interessante Scenen geboten werden. Für die Näherstehenden und unmittelbar Betheiligten, nament­lich wenn sie die Haupt= und Staatsaktion dabei spielen, gilt dies freilich nicht. Herr von Bismarck zeigt sich dabei als einen solchen Freund der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, daß wir es in der That nicht begreifen, wie er gegen die Preßfreiheit, die doch nur das ergänzende Correlat beider ist, eine gewisse Ranküne bewahrt, wie dieses theils aus seinen fast unzähligen Strafanträgen her­

vorgeht, theils aus seinen Bemühungen, dieselbe strenger im Zaum zu halten.

Es ist merkwürdig, daß der Mensch leichter eine Ge­wohnheit annimmt, als eine Gewohnheit ablegt. Als Herr von Bismarck dem ehemals von ihm öffentlich gelobten Lasker den Standpunkt klar machte und ihn beschuldigte, er erschwere ihm das Regieren, geschah dieses im öffent­lichen Abgeordnetenhause. Schon die Lesung des darauf bezüglichen Kammerberichtes machte auf uns einen gar seltsamen Eindruck. Dasselbe begegnete uns, als Herr von Bismarck sich mit dem Minister Delbrück auseinandersetzte; dann kam die Philippica wider das Centrum, wo er gegen eine ganze parlamentarische Fraktion vorging. Jedoch da singen wir an, des Dinges gewohnt zu werden, so daß es uns nun beinahe scheint, als fehle etwas in einer parla­mentarischen Sitzung, wenn Herr von Bismarck nicht das Vort ergreift. Ja es kömmt Leben in die oft trockenen Debatten, wenn Herr von Bismarck uns seinen Senf dazu liefert. Wie interessant war es, als er mit dem Mi­nister Camphausen im Herrenhause anband, obschon letz­terer ihm gehörig zu dienen verstand. Tragischer nahm sich die Geschichte aus, als Fürst Bismarck durch den Geheimen Rath Rommel mit dem Grafen Eulenburg aneinander ge­rieth. Jedenfalls würde der Minister des Innern der Handlung einen dramatischen Charakter verliehen haben, wenn Fürst Bismarck persönlich anwesend gewesen wäre.

Durch die Nichtanwesenheit desselben aber ist es gekommen, daß sich ein guter Theil des Interessantesten hinter den Conlissen abspielte und somit für uns verloren gegangen ist. Auch Herr Lasker mußte noch einmal herhalten wegen der Konkurrenz, die er und seine Freunde zu Meiningen seinem Sohne Wilhelm gemacht hatten.

Das Beste, was aber der Fürst in diesem Genre bis jetzt geleistet hat, war seine Freitagsrede. Jedoch muß man sie, wie dieVolkszeitung bemerkt, im stenographi­schen Bericht lesen; die kürzeren Zeitungsreferate geben, da Fürst Bismarck ungewöhnlich undeutlich sprach und die Berichte wegen der langen Dauer der Sitzung eilig abge­schlossen werden mußten, nur ein schwaches Bild nament­lich von der Fülle der nach allen Seiten geschleuderten Angriffe. Zuerst werden die Baubeamten, welche die Dienstwohnungen herstellen, als unfähig charakterisirt und das Bedauern des Kanzlers darüber, daß er nicht kompe­tent sei, sie zur Disposition zu stellen, ausgesprochen vielleicht ein Wink für den Minister Maybach. Dann kommen die Augriffe auf die städtische Verwaltung unter Anderm wegen ihres Verzichts auf die Schlachtsteuer, wo­bei der nachdenkliche Leser sich erinnert, daß Fürst Bismarck denselben Berliner Oberbürger­meister, der diese Maßregel durchgeführt, Herrn Hobrecht zum Finanzminister gemacht hat; am Freitag warf er ihm nicht mehr und nicht weniger alsUnbekannt­schaft mit den Traditionen des Steuerwesens überhaupt vor. Es folgt ein Vorwurf an die preußische Regierung wegenMangels an Aufsicht über die berliner Verwal­

tung, der freilich mit dem, die Unterschrift des Fürsten Bismarck tragenden Gesetze, welches die Städte zur Auf­hebung der Schlachtsteuer veranlaßte, schlechthin unvereine Leingebracht scheine, heise nichts. Wolle man de Konkurrenz

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bar ist. Weiterhin bekommen im Vorgehen die neuen

Justizgesetze ihr Theil, weilbei der Schnelligkeit der neuen Justizeinrichtungen nicht einmal das gepfändete Mobilar zum Werthe verkauft wird. So geht es fort. Als besonders charakteristisch sei noch aus dem stenogra­phischen Berichte hervorgehoben, daß der höchste Reichs­und Standesbeamte im Reichstage erzählt,ein Bürger. habe ihm gesagt:der uns einschätzende Mann ist z. B. ein Spezereihändler, und wir haben das Gefühl, daß er die Kunden, die von ihm nehmen, milder behandelt, als die, welche nicht von ihm nehmen!!

Das WienerVaterland spricht von einemHantiren im Reichstage wie in einem Schlachthause. Fast jeden Tag müßten Andere vor's Messer, und zwar seien dies lauter Leute, die dem Reichskanzler ehemals zugejubelt und das Anwachsen seiner Gewalt bis zur höchsten Potenz fördern geholfen hätten.Dem Berliner Forschrittsringe ist am Freitag ist einer Weise der Kopf gewaschen worden, wie noch nie. Das Blatt schreibt dann zur Sache: Zur Berathung stand ein Gesetzentwurf, nach dem von den Reichsbeamten nicht derjenige Betrag an Steuer für ihre Dienstwohnungen an die Stadt Berlin gezahlt wer­den soll, den die Einschätzungskommission festgesetzt, son­dern nur ein gewisser Prozentsatz des Gehaltes der betref­fenden Beamten. Bei der Debatte stellte es sich heraus, was kaum noch ein Geheimniß war, daß gerade seine Woh­nung viel zu hoch taxirt wäre und ebenso die seines Fac­totums, des Geheimrathes Tiedemann. Das war klein­lich vom Kanzler und läßt seine Werthschätzung des Gel­des nicht in einem Lichte erscheinen, wie man es bei einem so großen Manne erwarten sollte. Er ging aber noch weiter: er werde deshalb so hoch belastet, weil in Berlin der ihm feindliche Forschritt dominire; dieser Fortschritt habe den Bewohnern Berlins die ungerechte Miethssteuer aufgebürdet, habe die Residenz geschädigt durch Ab­schaffung der Mahl= und Schlachtsteuer und ruinire sie durch eine schlechte Verwaltung, in der neben dem Fort­schrittsring nichts aufkommen könne." Jedenfalls ist diese Darstellung leidenschaftlich einseitig. Es war aber nur das verletzte Rechtsgefühl, die Mißachtung derMajestät des Gesetzes von Seiten des Berliner Fortschrittsringes, welche dem Reichskanzler diese pikanten Bemerkungen ab­nöthigte. Gleichwohl soll damit nicht behauptet werden, daß der Reichskanzler das Geld als Chimäre ansehe. Der Berliner Korrespondent desVaterlands glaubt, das rich­tige Kesseltreiben werde sehr bald beginnen, wenn der in Sachen höherer Steuern anscheinend ungelehrige Reichstog nach Hause geschickt werden soll. Wir sehen den Dingen voller Erwartung und mit Ruhe zu; denn unter der obersten Leitung des Reichskanzlers sind wir im nil ad­mirari um ein gutes Stück weiter gekommen.

CPC. Deutscher

11. Plenar=Sitzung. Mittwoch, den 9. März 1881.

Präsident v. Goßler eröffget die Sitzung um 12½ Uhr.

Am Bundesrathstische: Preußischer Staatsminister v. Boetticher, Statssekretär Scholz, bair. Gesandter Graf Lerchenfeld.

Eingegangen ist der Gesetzentwurf, betr. die Unfallver­sicherung.

Das Haus tritt in die Tages=Ordnung ein. Forsetzung der ersten Berathung des Gesetzentwurfs, betr. die Adänderung der Art. 13, 24, 69. 72, der Reichsversassung, in Verbindung mit dem Antrage Richert, beir, die Feitigstellung des Erats­gesetzes für das Reich vor den Etatsgesetzen der Einzelstaaten.

Erster Redner ist heute der baierische freikonsersative Abg. v. Lerchenfeld. Derselbe ist im.gessatze zu seinem Frak­tionsgenossen Stumm gegen die Vorlage, weil die gerügten Uebelstände nicht so schlimm seien und weil die Schwankungen in den Reichseinnahmen infolge der neuen Zölle und Reichs­steuern eine jährliche Feststellung des Budgets nöthig mache. Gegen vierjährige Legislaturperioden hat Redner nichts, weil sie die aufregende Wahlagitation einschränkten. Der Rickert'sche Antrag: Feststellung des Reichsbudgets vor den Budgets der Einzelstaaten, müsse in der Kommission eingehend geprüft werden.

Staatssekritär Scholz glaubt, daß sich bei zweijährigen Budgetperioden die Ausgaben besser prüfen lassen, und daß so eine sprarsamere Wirthschaft Platz greifen könne. Die Ueber­bürdung mit Parlamentarismus sei notorisch. Beim Reiche müsse man mit der Einschränkung anfangen; dann würden die Einzelstaaten, namentlich Preußen, an die Reihe kommen.

Der fortschrittliche Abg. Hänel erklärt die Apathie des Volkes aus dem Kanzlerabsolutismus, und aus der Unsicherbeit und Systemlosigkeit in unseren öffentlichen Verhältnissen. Die Vorlage, die nur der Bequemlichkeit des Reichskanzlers zu Liebe

wpschen Reichetag mnd Eiagelandagen besetigen, so müsse man den Antrag Rickert annehmen. Das deutsche Kaiserthum finde seine monarchische Wirkung hauptsächlich im deutschen Reichs­tage. Schwäche man diesen, so schwäche man auch das Kaiser­thum, was keineswegs eine nationale Politik genannt werden könne.

Der württembergische Bundesbevollmächtigte Schmid be­tont, daß der Bundesrath, der die Verfassung hochhalte, mit der Vorlage keine Nebenzwecke verfolge, sondern nur Mißstände be­seitigen wolle. Es handele sich lediglich um die Herbeiführung eines modus vivendi im parlamentarischen Leben zwischen dem Reich und den Einzelstaaten. Der Redner führt die jetzigen Un­zuträglichkeiten des Weiteren aus.

Der baierische Bundesbevollmächtigte Graf v. Lerchen­feld konstatirt, daß sich in Baiern die zweijährigen Etats­perioden sehr gut bewährt hätten und daß nur durch die Vor­lage den vorhandenen Uebelständen abgeholfen werden könne.

Abg. Dr. Windthorst glaubt, daß der ungewöhnliche Apparat, den der Bundesrath entwickele, die Sache nicht eben sördere, da man aus der Anstrengung der Herren schließen könnte, das Gesetz sei nicht so harmlos, wie man es darzu­stellen versucht. Er sei den Verhandlungen mit einer gewissen Befriedigung gefolgt, weil seine verehrte Gönnern von den libe­ralen Parteien eine Energie in der Vertheidigung der Ver­fassungsrechte entwickelten, die er im preußischen Abgeordneten­hause nicht habe bei den wichtigsten Verfassungsänderungen ent­decken können. Es freue ihn, daß die Herren sich gebessert und er hoffe, sie blieben auf diesem Wege. Dem Abg. Lasker be­merke er, daß die Centrumspartei immer und überall die Prin­zipien festhalten werde, auf welchen sie stehe und stets das Recht vertheidigen werde. Doch könne man ihr eine verschiedene Hal­tung der Regierung gegenüber, je nachdem diese ihr Vertrauen genieße oder nicht, nicht verargen. Die jetzige Regierung ge­nieße dies Vertrauen, so lange sie den kirchenpolitischen Streit sortführt. Habe die liberale Partei bei ihren Kompro­missen besondere Energie entwickelt? Wie können sie es wagen, vom Centrum, den Männern, welche sie haben binden helfen durch die kirchenpolitischen Gesetze, Vertheidigung und Energie zu verlangen, welche zu entwickeln sie selbst keinen Muth hätten: Das Staatsverbrechen der liberalen Partei bestehe darin, daß sie durch den kirchenpolitischen Streit die gesunde Entwickelung parlamentarischer Verhältnisse unmöglich gemacht haben. Und noch heute habe sie keine Lust dieses Verbrechen zu fühnen. Wie könnte der Professor Hänel von Verfassungsbruch sprechen und parlamentarischer Freiheit, der nicht einmal das straflose Sa­krament habe bewilligen wollen. Redner wünscht eingehende Kommissionsberathung um folgende Punkte klarzustellen: Die Präsidialmacht habe jetzt die Befugniß, den Reichstag alljähr­lich zu berufen, zu eröffnen und zu schließen. Die Vorlage erweitere diese Befugniß. Es könne da in dem Belieben der Regierung liegen, einen außerordentlichen Reichstag einzube­rusen; das aber sei ein weiterer Schritt auf dem Boden unita­rischer Bestrebungen. Nach Art. 14 der Reichsversassung könne ferner ½ des Bundesrathes seine Berufung verlangen, vielleicht lasse sich vorsehen, daß dieses 1/3 die Berufung des Reichstages verlangen könne. 1876 habe er, um die Concurrenz zwischen Reichstag und Landtagen zu beseitigen, vorgeschlagen, daß in einem Jahre ker Reichstag, im undern die Landtage tagen sollten. Werde aber, was gestern von der Regierung als möglich hingestellt worden, die jährliche Berufung des Reichstags beibehalten, so bleibe der Uebelstand bestehen, und man gebe damit das Prirzip der Vorlage preis. Wenn man aber etwa alljährlich den Reichstag nur zum Schein berusen wolle, so müsse er sich dagegen entschieden erklären. Einen Schein=Reichstag, der nichts thun, und nur formell be­rufen werde, um sofort wieder entlassen zu werden, wolle er nicht. Die Frage: ob ein= oder zweijährige Budgetperioden, sei eine rein technische und für ihn zunächst eine offene. In Han­nover hätten die zweijährigen Budgetperioden keine Schwierig­keiten gemacht, und er wolle abwarten, was die Fachleute in der Kommission sagen würden. Die Ueberproduktion von Ge­setzen in der letzten Zeit sei ein Uebel gewesen und er sei gar nicht dagegen, wenn eine Reihe von Jahren keine Gesetze ge­macht, aber verschiedene verderbliche Gesetze abgeschaffet würden. (Heiterkeit) Der Abg. Haenel hat an die nationale Seite appellirt. Er, trotzdem er Jöderalist sei, denke genau so patrio­zisch wie Herr Haenel, aber er verstehe unter dem national etwas Anderes wie er. Haenel fasse es nur im Sinne des Einheitsstaates auf. Uebrigens habe er die Ueberzeugung, daß die Würde und Bedeutung unseres Volkes durch die Frage, od einjähriges oder zweijähriges Büdget absolut nicht tangirt werde. Soiche Schlagwörter solle man doch vermeiden. Es handle sich auch hier gar nicht darum, den Reichstag hinter dem Bundes­rath zurückzusetzen, beide würden gleich behandelt. Leider ver­misse er in der Erklärung des baierischen Gesandten, daß die Regierungen verlangt hätten, der Bundesrath müsse alljährlich zusammentreten. Das sei unbedingt nöhig, auch im Jnteresse des Bundssrathes für Controle der Centralverwaltung. Einen Grund für die unmözlich genaue Prüfung des Budgets bei zweizähriger Periode habe er nicht gehört. Dasselbe könne ebenso gut genau geprüft werden, wie das einjährige. Das ließe sich auch noch genauer in der Kommission prüfen. Der Gedanke der Verlängerung der Legislaturperiode müsse abgesondert von der Frage der Abänderung der Budgetperioden behandelt werden. Bestimmt will er sich heute darüber nicht äußern, doch glaube er, daß sie bedeutende Vortheile habe. In Deutschlond würde entschieden zu viel gewählt: Für den Reichstag, Gemeinden, Kreis, Provinziallandtag, Landtag und in den kirchlichen Ver­hältnissen. Ein Wahltag habe immer den Verlust eines Arbeitstages zur Folge. Was zu dem noch in den Versamm­

lungen an selcen Tagen bonsumitn werbe, Une man garnicht berechnen. Das viele Wählen beunruhige das Volk, schädige die konservative Gesinnung. In der ersten Session nach der Wahl könne auch der Reichstag nicht ordentlich arbeiten; bei Verlängerung der Legislaturperiode gewänne man wenigstens zwei ungestörte Arbeitsjahre. Uebrigens werde auch die An­nahme der Vorlage die Unzuträglichkeiten des Zusammentagens nicht ganz beseitigen. Viel gewinne man schon, wenn der Zu­sammentritt des Reichstags im Voraus festgesetzt werde. Er möchte vorschlagen, den Reichstag vor Weihnachten zu berufen, etwa am 15. Oktober. Wenn dann nicht die Fluth von neuen Gesetzen, sondern ein paar ordentliche erschienen, könne man vor Weihnachten fertig werden. Mit wie großer Haft würden jetzt Gesetze fabrizirt, er weise auf das Unfallgesetz hin. Eigent­lich solle jedes neue Gesetz mit einem starken Schutzzoll belegt werden. Dem Abg. Lasker müsse er noch bemerken, daß er, so lange der Kulturkampf dauere, es für durchaus nothwendig halte in Preußen, daß die unterdrückte Minorität möglichst häufig sich aussprechen könne. Wäre er beseitigt, würde er nichts dagegen haben, daß auch in Preußen die Veränderung wie im Reich eintrete. Man möge die Vorlage an die Kom­mission verweisen und dann, wenn diese berichtet habe, weiter sprechen.

Staatsminister Bötticher erhofft von der Kommissions­berathung eine Verständigung und betont nochmals, daß der Schwerpunkt in den zweijährigen Büdgetperioden liege.

Das Haus war inzwischen ziemlich unruhig geworden. Es wurde indeß ein Schlußantrag abgelehnt, so daß Herr von Kleist=Retzow noch Gelegenheit erhielt, die Vorlage zu empfehlen. Redner unterzieht die Reden der Abgg. Dr. Hänel und v. Bennigsen zu diesem Gesetze einer scharfen Kritik und schließt mit der Aeußerung, daß die Annahme des Gesetzes einen außerordentlichen Erfolg haben werde. Die Diskussion wird geschlossen. Nach einigen persönlichen Bemerkungen der Abgg. Dr. Lasker und Dr. Windthorst erhält das Schluß­wort der

Abg. Rickert. Derselbe führt aus, daß, wenn die jetzigen Wahlen auch nicht so ausfielen, doch die Zeit kommen werde, wo die liberale Partei den Sieg davontragen würde. Abg. Windthorst und Genossen wollten sich hier nicht aussprechen, deshalb seien sie für die Kommission. Er bedauere, daß bei einer so klaren Vorlage die Kommission gewählt würde. Einen schwereren Schlag habe die Bundesregierung gegen die Ver­fassung noch nicht geführt. Abg. Windthorst und Genessen wüß­ten wohl, worum es sich handle. Wenn man so große Sehn­sucht nach Vereinfachung der Geschäfte habe, so solle man aber doch die Rechte der deutischen Volksvertretung nicht verkürzen. Das deutsche Volk werde den Gedanken nie aufgeben, daß dos Parlament dazu da sei, um es gegen diktatorische Uebergriffe zu schützen, an den Grund­festen der Versassung dürfe nicht gerüttelt werden. In Württemberg, Baden, Baiern habe man zweljährige Budget­perioden, man ersehne aber die einjährige schon wieder. Mit Schlagwörtern und Redewendungen richte man nichts aus. Wunderbar komme es ihm vor, daß ein Staat wie Württemberg, dessen Finanzen sehr schlecht seien und der eine schlechte Eisen­bahnpolitik kreibe, von der vorzüglichen Einrichtung der zweijährigen Budgetperiode spreche. Auch er sei kein Finanzkünstler. Bei zweijährigen Budgetperioden erhielte man auch einen Nachtragsetat und aus einem solchen erwachsen immer schlechte Zustände. Die Controle über den Etat lasse sich nur auf verfassangsmäßigem Wege, wiestbisher, errei­chen. Wenn man die Controle ausschließe, müsse man durch Anträge, Interpellationen die Regierung belästigen. Die Vor­lage bringt nur Ursicherheit und Unklarbeit mit sich. In Bud­geisachen sei es überaus nöthig, die größte Klarheit zu haben, und hat Herr v. Forckenbick nicht zum wenigsten das Verdienst, darauf aufrierksar: gemacht zu baben. Keine Verwaltung habe mehr Ursache, einen jährlichen Eat vorzulegen, wie die Heeres­und Marineverwaltung; bei der Eisenbahnverwaltung sei es geradezu unmöglich zweijährige Budgetperioden einzuführen. Schon im Juhre 1853 versuchte man im preußischen Abgeord­netenhause eine derartige Aräuderung der Verfassung, und der konservative Minister der damaligen Zeit, Herr v. Bodelschwingh, sprach sich gegen diese Aerderung aus. Zum Schluß bintet Redner, wenn man die zweijährige Budgeiperiode wolle, man recht schnell damit vorgehen soll, das Land werde die Antwort nicht schuldig bleiben.

Nachdem noch der Bundesbevollmächtigte Schmidt in einer turzen Replik dem Abg. Rickert erwidert und dadurch die De­batte wieder eröffaet hat, wird ein erneuerter Schlußantrag au­genommen.

Da die Abstimmung über den Antrag Stumm: Verwei­sung der Vorlage an eine Kommission von 21 Mitgliedern zweifelhaft blieb, wurde Auszählung des Hauses nothwendig und diese ergab die Anwesenheit von nur 190 Mitgliedern(95 pro und 95 gegen). Das Haus war somit beschlußunfähig und wurde die Sitzung geschlossen.

Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. Tagesordnung: An­trag des Abg. v. Szanieskt betreffend Sisttrung des Strafoer­fahrens gegen den Abg. v. Szarlinski. Abstimmung über den Antrag Stumm. Berathung der Denkschrift betreffend die Ausführung der Münzgesetze. Schluß 4% Uhr.

Parlamentarisches.

CPC Berlin. 9. März. In die Kommission zur Vor­berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der Reichsbeamten der Civilver­waltung sind gewählt: v. Vernuth, Vorsitzender, Dr. Ela

Die Lochter des Präsidenten.

Novelle von C. Schirmer.

(Fortsetzung.)

IX.

Die Damen in I hatten endlich ihren Wunsch erreicht gesehen. Die Frau Kreisrichter hatte sich am Arm ihres Gai­ten überall gezeigt. Die pflichtschuldigen Visiten waren gemacht und erwidert worden und die Zungen hatten jetzt wieder genug zu thun, um die junge Frau für das allgemeine Urtheil reif zu sprechen.

Fritz war aus der Residenz zurückgekehrt und es wurde izm recht schwer, Helenen's vielen Fragen nach dem Vater und der Tante so zu begegnen, daß sie nicht beunruhigt wurde. So sanz getang ihm dies nicht und da er fürchtete, daß Helene dielleicht von anderer Seite etwas erfahren könne, theilte er ier mit, daß ihr Vater den Abschied genommen habe, da er sich körperlich mehr schonen müsse.

Helene beruhigte sich hiermit und sand es auch begreiflich, lit er bei dem verkleinerten Hausstand und der veränderten ge­klschaftlichen Stellung eine kleinere Wohnung bezogen hatte.

Das junge Ehepaar hatte jetzt genug zu thun, allen den Ehladungen zu folgen, die von den Familien der Stadt ergir­Neu. Da war heut eine Abendgesellschaft, morgen ein Diner, dann wurde Helene zu einem Damenkaffee geladen, kurz sie war ertwährend mit Toilettensorgen beschäftigt und wenn Fritz seine Pohnung betrat, konnte er sicher sein, eine Schneiderin oder Zuzmacherin anzutreffen und kaum ein freies Plätzchen für sich V hnten. 4

.Das wird sich schon legen, dachte er,Helene ist jung und lebensluftig und es muß mich ja freuen, daß sie ansängt, I der zu amühtren uuun un vie u. Sm ur.

... Ich hätte nimmer gedacht, daß mon in einem kleinen Ort

soviel Unterhaltung haben könnte, sagte Helene eines Tages, gund Du bist der beste, liebenswürdigste Ehemann, daß Du mir erlaubt hast, die Bälle zu besuchen. Denke doch, es werden auch eitnige Osfiziere aus B. kommen! Ich kann Dir nicht beschreiben, wie sehr ich mich freue. Doch eh' ich's vergesse, liebster Fritz, ich habe mir drei neue Toiletten bei Gerson bestellt, Du weißt, daß ich meine Sachen immer dort bezogen. Nun, ist Dir's nicht

Wes EES

Wenigstens hättest Du mir vorher sagen sollen, daß Du dese Sachen ubthig hast, sie dütten sich vielleicht hier billiger #erstellen lassen.

Seit wann ist es denn Sitte, sich der Mann um die Toiletten der Frau kümmert? Nimm mit's nicht übel, lieber Fritz, aber davon verstehst Du nichts. Du kannst auch nicht ver­langen, daß ich in den fast aufgebrauchten Kleidern erscheine und mich vor den Damen der Stadt lächerlich mache.

Wer bezahlt die theuern Toiletten? sagte Fritz ruhig und sah in das geröthete aufgeregte Gesicht seiner Frau.

Welche Frage? rief sie.Soll es dahin kommen, daß ich das röthige Geld von Dir erdettele? Noch heut schreibe ich an Papo, damit er mir die betreffende Summe schickt.

Das wirst Du nicht thun! Du wirst mir die Rechnung geben und ich werde sie bezahlen.

Fritz sagte es sehr ernst und wollte seinen Arm um Helene legen, um sie zu berubigen, doch sie entwand sich ihm und warf sich weinend wie ein Kind in den nächsten Sessel.

Armes Kind. sprach Fritz leise mit einem Seufzer,meine Liebe verzeiht Dir Alles, aber wie viel Kämpfe werden wir noch mit inander durchmachen, bis Deine Erziehung durch die Liebe

Fris ging ins gegenüberliegende Hotel, um dort zu Mittag zu essen. Es war der dritte Tag, daß er in seinem Hanse das Mittagsessen nicht bereit fand.

Die Köchin hatte ihm mit unverschämt lächelnder Miene gesagt, daß die Frau Kreisrichter erst vor einer Stunde das Essen bestimmt habe, sie also vor vier Uhr nicht fertig sein könne.

Das ging unmöglich so weiter. Er wollte heut Abend ein ernstes Wort mit Helene sprechen. Er wollte ihr sagen, wie sehr man in einem kleinen Ort dem Gerede der Leute ausgesetzt ist, wie bitter es ist, zu erleben, daß häusliche Angelegenheiten von der Nachbarschaft durchgehechelt werden. Ganz in Gedanken ver­loren ging Fritz von dem Hotel durch die Stadt der Promenade zu, da kam ihm ein Knabe entgegengesprungen.

Guten Tag, Herr Kreisrichter!

Sieh da, Paul, nun wie geht Dir's, willst Du zur

b Jawohi; doch setzt müen Sie erst mit mie kommen, zn Schwester Ida, die mich bis hierher begleitet hat und unn dort imn Garten tig u. Sunh#e Ssheen unt u u.

Paul ergriff die Hand des Kreisrichters und zog ihn mit sich fort zur Schwester.

Diese blickte schon über die Gartenmauer, sie hatte den freu­digen Ruf ihres Bruders gehört und streckte dem Freunde die

Fechkt sange nict gesehzen, dach wie? Sie setzen ja ganz

melancholisch aus, trotz all' der Pracht, die der Herbst noch so köstlich über uns ausschüttet! Wie geht es Helene?

Es wäre besser, Sie erkundigten sich danach einmal per­sönlich bei ihr, Fräulein Ida.

Sehr gern; doch Sie wissen, wie streng meine Tagesstunden eingetheilt sind und dann

Nun? Sagen Sie es offen, Sie fühlen sich zu uns nicht hingezogen, seit die Wohnung, in der ich ein häusliches Eldorado zu schaffen gedachte, das Atelier der Schneiderinnen und Putz­macherinnen geworden ist.

Wie bitter lieber Freuud! Das klingt ja gerade, als hätte sich bei Ihnen eine kleine Ehestandsscene abgespielt, wozu Sie und Helene mir, offen gesagt, viel zu Schade sind.

Scherzen Sie nicht, Fräulein Ida; ich fürchte ganz im Erast, daß ich zu schwach bin, bei meiner Frau, die Lücken, die bei ihrer Erziehung gelassen sind. auszufüllen und das Ideal, das ich mir geträumt, zu verwirklichen. Wollen Sie mich einmal ganz offen anhören?

Gern, lieber Freund, doch kommen Sie herein, Papa ist ausgegangen, wir können im Eßsalon ungestört plaudern.

So, jetzt trinken Sie bei mir eine Tasse Kassee und er­zählen mir, was Ihr Herz bedrückt, sagte Ida, indem sie zwei Stühle und ein Tischchen in die Epheulaube am Fenster rückte.

Sie wissen ja, daß mich nicht die Neugier treibt, mich in Ihre Ehestandssorgen zu mischen, aber als langjährige Freundin beirachte ich mich auch als Arzt und werde Ihnen Beiden den Puls fühlen und dann versuchen, zu helfen.

Daß ich meine Frau von ganzer Seele liebe, wissen Sie ja, sagte Fritz gedankenvoll,doch man sagt, die Liebe sei blind. Nein, ich war nicht blind! Ich habe Helene mit allen Aihren Schwächen und allen Mängeln der Erziehung geliebt. Ich sagte mir, der Kern, das Herz ist vortrefflich. Es wird leicht sein, durch die Liebe gut zu machen, was durch die Schwachheit des Vaters verdorben ist.

Und nnn wollen Sie erlahmen nach so kurzer Zeit? stel

ihm Ida ins Wort.

Nein! das nicht; aber ich bin in tiefster Seele betrübt, daß ich nicht den richtigen Weg finde, auf Helene einzuwirken, und wenn es so fortgeht, wie die letzten Wochen, dann sehe ich unser beiderseitiges Unglück voraus. Helene hat nur Sinn für ihre Toiletten, sie denkt nur darüber nach, in welchem Kleide, in

welchem Putz sie die Andern überstrahlen will. Sie siebt dabei nicht, daß unsere Häuslichkeit in Unordnung gerüth. Kommen Sie Vormittags um zehn Uhr zu ihr, so befindet sie sich noch

im Bett und auf dem Teppich liegt das Kleid, das sie den Abend vorber getragen, ihre Schmucksachen werden womöglich von dem Mädchen im Kehricht gefunden. Ob ich, wenn ich nach Hause komme, ein Mittagsessen vorfinde, ist ihr gleichgültig. Und des Abends, wenn wir zu Hause sind, ist sie müde theil­nahmslos, hat weder für Lektüre noch für Musik Interesse und denkt nur daran, wie viel Geld sie für ihre Toiletten brauchen wird. Sie sagen gar nichts, Fräulein Ida! Es ist sehr hart, daß Sie sich so von uns zurückgezogen haben, so daß ich gar nicht die Bitte an Sie wagen darf, sich der Patientin an­zunehwen.

Und doch werde ich es: ja ich gehe noch heute zu Helene. Vor Allert werde ich es versuchen, ihr Jnteresse für ihre Häus­lichkeit wach zu rusen. Nun, was gibis? fuhr Joa auf und sprang empor, von dem Klirren einer Tasse erschreckt. Die Scherben lagen am Boden, es mußte also Jemand im Zimmer gewesen sein.

Sind wir belauscht worden?

Ich habe vor einer kleinen Weile das Mädchen im Zim­mer gesehen, doch was thut das, Fräulein Ida.

Angenehm ist es mir nicht, besonders, da ich gestern dem Mädchen den Dienst gekündigt habe. Nun, jedenfalls komme ich heut zu Ihrer Frau.

Fritz reichte der Freundin die Hand und ging dann durch den Garien dem Gerichtsgebäude zu. Er sowohl als Ida hatten keine Ahnung, daß von ihrem Gesprüch soviel belauscht worden war, als zu ihrem Schaden konnte benutzt werden.

Zwei Augen blickten dem Kreisrichter boshaft nach und der Mund des höhnisch verzogenen Gesichts flüsterte:wartei nur, morgen weiß es die ganze Stadt.

Wie ist es möglich, den Anfangsfaden des Netzes aufzu­finden, das von Masche zu Masche sich weiter spinnt, des Netzes, das Verleumdung heißt! Als dunkles Gerlicht werden einige Worte geflüstert und das Ohr, das diese Worte auf­nimmt, ist eben so willig wie der Mund, dazu beizutragen, daß sich aus einigen hingeworfenen Worten eine Geschichte gestaltei, die wenig danach fragt, wieviel Unglück und Wehe sie über eine Familie bringt.

Haben Sie schon gehört, wie es bei Kreisrichters steht?

Ach die arme junge Frau!

Nun, sie scheint sich die Dinge sehr zu Herzen zu nehmen, ich traf sie heut bei der Putzmacherin, wo sie eine neue Schärpe bestellte und sehr vergnügt aussah.

Sehr bergnügt? Und ihr Mann ist schon mehrere