Nachen 1879.— Nr. 334.— 31. Jahrgang.
Sonntags=Ausgabe.
Erstes Blatt.— 7. Dezember.
Ucht Fer Or
Verantwortlicher Redakteur, in Vertretung: Dr. Max Enger.
Risecchce Keaste Scheschiichee che
Wochenschan.
Verlag von B. Katzer in Nachen.
Druck von C. H. Georgi in Aachen.
eigen finden durch das„Echo der Gegenwart dessen Verbrettung von keinem andern hiesigen Blatte erreicht wird,
und erfolgreichste Verbreitung. Die Gebühren betragen 15 Pfg. per Zeile.
Aachen, 6. Dezember.
Das dänische Königspaar hat Berlin unter den Anzeichen der äußersten Befriedigung verlassen. In einem Toaste gab der König von Dänemark diesen Gefühlen Ausdruck. Auch soll sich bei dem Familien=Souper ein besonders herzlicher Verkehr entwickelt und intime Besprechungen zwischen dem Kaiser, Kronprinzen und Könige stattgefunden haben. Die Vermuthungen eines großen Theiles der Presse, als ob dabei diplomatische Fragen zur
Besprechung gekommen wären, wie die Angelegenheit des Herzogs von Cumberland, oder des Herzogs von Schleswig=Holstein, werden von der„Norddeutschen Allgemeinen; Zeitung" dementirt. Ein anderer hoher Gast, eine der bedeutendsten politischen Persönlichkeiten des Jahrhunderts, der Fürst Gortschakoff, ist seitdem hier eingetroffen und vom deutschen Kaiser in Audienz empfangen worden. Allein der Fürst Bismarck ist darum nicht aus seiner Zurückgezogenheit hervorgetreten; auch hat Fürst Gortschakoff keine Einladung nach Varzin erhalten. Sein Besuch wurde abgekürzt durch die Nachricht eines furchtbaren Attentates, welches am ersten Dezember wider den Czaren verübt worden war. Der Zug, mit welchem letzterer von Livadia nach Petersburg eilte, sollte in Moskau durch eine Mine in die Luft gesprengt werden Das Attentat mißglückte, gleichsam als ob die Vorsehung über den Czaren gewacht hätte. Man ist der Ansicht, daß das Attentat nicht das Werk eines Einzelnen, sondern ein von mehreren Personen von langer Hand angelegtes Bubenstück war. Um das Leben des Kaisers zu treffen, sollten auch die zahlreichen Personen seiner Umgebung in die Luft. gesprengt werden. Es gibt dabei kaum ein anderes Beispiel als die Pulververschwörung in London und Fieschi's Höllenmaschinen in Paris. Die Presse hat nur Worte der Entrüstung über die Anstifter solcher Schandthaten.
Die Thätigkeit des Abgeordnetenhauses war bedeutend und der zweiten Lesung des Etats hauptsächlich gewidmet. Der Antrag von Schorlemer=Alst auf Erlaß eines Gesetzes über Vererbung des bäuerlichen Grundbesitzes in Westfalen wurde der Staatsregierung mit dem Ersuchen abgetreten, dem Hause in dessen nächster Session einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Das Schanksteuergesetz wird schwerlich zu Stande kommen. Bei der Berathung des Etats kam auch die Paritätsfrage zur Sprache in Betreff einiger Bürgermeister, deren Bestätigung wegen „Ultramontanismus“, wie man mit großer Wahrscheinlichkeit vermuthet, regierungsseitig zurückgewiesen worden
.reiztheit.
des Innern betonte die Gereiztheit,
womit der Abgeordnete Windthorst sprach, und flugs bildete sich daraus das Gerücht, als ob die Verhandlungen mit Rom abgebrochen wären. Jedoch wird dasselbe am gründlichsten widerlegt durch die Worte, welche der Papst an die Ermländische Deputation richtete. In Sachen der Schule brachte der„Westfälische Merkur“ die Nachricht von einem ministeriellen Erlasse, wonach den Geistlichen der Religionsunterricht in den Schulen wieder gestattet sei, jedoch unter gewissen Bedingungen, von denen die wichtigste dahin geht, daß der Stoff nach Anordnung der Regierung behandelt werden solle. Man spricht von einem ähnlichen Erlasse in Schlesien, ohne daß man jedoch darin, prinzipielle Zugeständnisse erkennen kann. Die westfälische Geistlichkeit hat sich aber geradezu geweigert, von der ihr ertheilten Befugniß Gebrauch zu machen. Der baierischen Kammer wurden vier Gesetzentwürfe vorgelegt, welche eine vollständige Steuerreform in Baiern bezwecken und weit über die Grenzen dieses Landes hinaus Interesse erregen. Die bestehenden Gesetze über die direkte Besteuerung des Gebäude= und Grundbesitzes, des Gewerbes und der Kapitalsrente sollen abgeändert und durch eine neue allgemeine und progressive Einkommensteuer ergänzt werden. Von der russischen Grenze werden wieder Fälle von Rinderpest gemeldet, die eine diesseitige militärische Grenzsperre in Aussicht stellen. Aus Zwickau in Sachsen wird ein furchtbares Grubenunglück berichtet, in Folge dessen neunzig Menschen zu Grunde gegangen und noch mehr ihrer Ernährer beraubt worden sind.
Der Wehrgesetzentwurf gibt der parlamentarischen Thätigkeit Oesterreich=Ungarns viele Arbeit. Es handelt sich nicht darum, denselben für zehn weitere Jahre durchzusetzen, sondern auch die Armee in einer Präsenzstärke“
von 800.000 Mann zu erhalten. Dieser Antrag wurde angenommen, nachdem der Minister durch Ziffern nachgewiesen hatte, daß die Anforderungen an die Bevölkerung Oesterreichs geringer seien, als diejenigen an die Bevölkerungen von Deutschland, Rußland, Frankreich und Italien. Bezüglich des Milizstandes verwies der Minister auf die Schweiz, deren Armee ebensoviel koste, wie die österreichische. Der durch die Fortschritte der Technik verursachte Aufwand sei nicht zu vermeiden. Die Regierung habe den ernstlichen Willen möglichst zu sparen, nur nicht bis zu dem Punkte, wo die Wehrfähigkeit des Staates auf das Spiel gesetzt erscheine. Von Seiten der Czechen wurde dabei erklärt, sie wären nicht in den Reichsrath eingetreten, um Oesterreich das Nothwendige zu versagen. Ueberhaupt wäre vom Panslavismus nichts zu befürchten, wenn man den Slaven Gerechtigkeit widerfahren ließe; die Czechen erblickten in der Zukunft Oesterreichs ihre Existenz. Zum Schluß trat der Minister Horst noch mehreren von gegnerischer Seite gemachten Ausführungen entgegen.
Die Pforte macht endlich Ernst, sich ihrer Unterthanen eifriger anzunehmen, sowie die geforderten und versprocheneu Reformen durchzuführen. Sie beabsichtigt sogar, sich im Namen der Humanität an die Mächte zu wenden, um deren Aufmerksamkeit auf die Lage der durch die bulgarischen Behörden an der bulgarischen Grenze zurückgewiesenen muhamedanischen Flüchtlinge zu lenken. Die inneren Zustände Rußlands lassen hoffen, daß es nicht von Neuem den Frieden stören wird und so die Pforte an der Ausführung ihrer guten Absichten behindert. Der französische Botschafter hat von der Pforte das Exequatur für zwanzig französische Konsuln verlangt, die für Egypten ernannt worden sind.
Die Zustände Italiens haben nicht aufgehört, der prekärsten Art zu sein. Man lobt das Ministerium Cairoli= Depretis, daß es sein Programm blos in zwei Punkte zusammengefaßt habe, nämlich der Abschaffung der Mahlsteuer und der Durchführung der Wahlreform. Die Abschaffung der Mahlsteuer ist eine Maßregel von praktischvolkswirthschaftlicher Bedeutung, der sich auch ein anderes Kabinet nicht hätte entziehen können, und die endlich einmal, wohl oder übel, durchgeführt werden muß. Die Wahlreform hingegen ist eine Angelegenheit von hoher politischer Bedeutung, die allein schon im Stande wäre, ein Ministerium vollauf zu beschäftigen und eventuell zum Rücktritte zu bestimmen.
Die Verlegung der Kammer von Versailles nach Paris gab zu verschiedenen Besorgnissen Anlaß, umsomehr, als die Stellung der Parteien zu der Regierung im Allgemeinen eine feindliche, wenn auch unklare war. Die Republikaner hielten mehrere Versammlungen, denen der Gedanke zu Grunde lag, daß ein Sturz des Ministeriums möglichst vermieden werden sollte, daß man demselben aber eine neue Stütze ansetzen müsse durch die Oktroyirung eines Programms. Eine Einigung wurde zwar diesfalls nicht erzielt, jedoch führten die Verhandlungen zu einer Interpellation des Kabinets in der Deputirtenkammer. Brisson motivirte dieselbe, indem er dem Kabinete Uneinigkeit und Ungewißheit vorwarf, und stellte eine Masse von Forderungen an das Ministerium. Der Minister Waddington, als Vorsitzender des Konseils, stellte die dem Kabinet gemachten Vorwürfe in Abrede, erklärte aber, daß das Kabinet die verlangten Reformen nicht alle zulassen könne. Sie wären erst dann möglich, wenn Frankreich vollständig republikanisch und die Parteien vom Schauplatze abgetreten sein würden.„Die Republik ist nur durch die Eintracht der Parteien gegründet worden und wird nur so lange leben, als die Eintracht besteht.“ Die Kammer nahm alsdann mit großer Majorität eine motivirte Tagesordnung an, dahin lautend, daß die Kammer überzeugt sei von den guten Absichten der Regierung für die Republik und daß letztere bemüht sein werde, alle feindlichen Elemente aus dem Beamtenstande zu eliminiren. Das Ministerium ist nun gerettet, allein für wie lange?
Das liberale Belgien hat sich nun allmälig überzeugt, daß der Papft keine doppelzüngige Politik treibt und gegen die belgische Verfassung keinen Krieg führt. Die Frage über die Beibehaltung der Gesandtschaft beim päpstlichen Stuhle hat indessen einen Keil in die liberale Partei selbst getrieben. Die Radikalen wollen natürlich davon nichts wissen, trotzdem wurde in einer Versammlung der liberalen
& Die Nachbarskinder.
Novelle von
Heinrich (Fortsetzung.)
Hensler.
Dupaty war bei allen diesen Fragen und Antworten durchaus unbefangen. Der Untersuchungsrichter legte ihm nun das bei der Leiche Louisens gefundene blutige Rasirmesser vor und
„Erkennen Sie dieses Messer als das zweite zu dem Besieck gehhrenke an“
Dupaty nahm das Messer in die Hand. legte es aber schnell auf den Tisch. Er sab mit unsicheren, erstaunten Blicken bald das ernste Gesicht des Inquirenten, bald das blutbefleckte Messer en. Todtenblässe überzog sein Gesicht, er zitterte am ganzen Körper; er mußte sich an den Tisch halten, um nicht umzusinken, und kounte kein Wort hervorbringen. gs Siehetalte I.
Nach einer Pause von mehreren Minuten wiederholte der Richter den Angeklagten fortwährend scharf fixirend, seine Frage.
„Um des Himmels willen!“ rief jetzt Dupaty,„ist ein Verbrechen vorgefallen,— ist eine Verwundung, oder gar ein Mord degangen worden, wegen dessen man mich verhaftet hat und verhört? Vielleicht gar hat man mich als Mitwisser oder Mitschulschuldigen im Verdacht? Ich beschwöre Sie, mir zu sagen—“ „Ich allein habe hier zu fragen,“ unterbrach der Richter den Angeschuldigten, der sich auf eine in der Nähe befindliche Bank setzen mußte, weil seine Füße ihm den Dienst zu versagen drohten.„Antworten Sie mir: Erkennen Sie dieses Messer als das zweite zu dem Besteck gehörende an?“
„Es scheint wirklich das Fehlende zu sein, mit Bestimmtheit kann ich es jedoch nicht anerkennen; ich habe keines der Messer jemals gebraucht, also auch nie so genau betrachtet, um Merkmale finden zu können, denn es gibt jedenfalls noch mehr ähnliche
„Sie erkennen wenigstens die vollkommene Aehnlichkeit an?“
„Geben Sie mir Ihre näheren Beziehungen zu der Familie Dorat an.“„„ sam tcherselt eb
„Die Familie Dorat war mit der unsrigen jederzeit sehr befreundet. Nach dem Tode der Eltern Louisens wurde mein Vater Vormund dieses einzigen Kindes, welches Jene lassen haben, das nun in unser Haus und in unsere Familie anbgeummen wurke:
„Ich wünschte namentlich Ihre nähern Beziehungen zu dieser Louise Dorat von Ihnen zu erfahren.“
„Ich weiß da nicht viel zu sagen. Die beiderseitigen Eltern hatten zwar in unserer frühesten Jugend beschlossen, daß ich dereinstens Louise beirathen solle,— dieses Projekt zerschlug sich jedoch später.“
„Geben Sie mir die nähern Umstände an, wie sich dieses Projekt zerschlagen hat.“
„Es war wohl ein unpassender Ausdruck von mir wenn ich sagte, das Projekt habe sich zerschlagen. Hätte sich die Freundschaft der Kinder in späteren Jahren zu einer höheren Neigung ausgebildet, so wäre der Wunsch der Wunsch der Eltern jedenfalls erfüllt worden. Aber statt dessen trat eine Entfremdung ein, jedenfalls veranlaßt durch meine längere Abwesenheit von dem elterlichen Hause, und so war später nicht mehr die Rede davon.“
„War die Entfremdung, von welcher Sie sprechen, gegenseitig eingetreten?“
Bei dieser Frage überzog eine leichte Röthe Dupaty's Gesicht. Der Untersuchungsrichter, dem dieses nicht entging, fuhr fort:
„Ich habe Veranlassung, Sie zu möglichst eingehender Beantwortung dieser Fragen aufzufordern.“
Nach einer längern Pause antwortete Dupaty:
„Es ist dieses eine sehr delikate Frage, die ich nur, insofern sie mich betrifft und meine Geschäfte, spezieller beantworten kann. Meine längere Abwesenheit vom elierlichen Hause hatte mich keineswegs so blind gemacht, um nicht die vortheilhafte Entwickelung der äußern und innern Eigenschaften des Mädchens zu bemerken, weshalb ich das Wohlwollen und die Neigung der Kinderjahre in das Jünglingsalter hinübertrug. Aber gerade dieses brüderliche und schwesterliche Verhältniß war wohl mit Veranlassung Nachforschungen anzustellen, ob bei Louise ebenfalls eine solche Veränderung eingetreten sei, oder welcher Art überhaupt ihre Gefühle gegen mich waren: da ich den Wunsch haben muß, daß sie nicht anders empfindet, wie ich.“
„Diese Antwort befriedigt mich nicht. Sie wissen jedenfalls mehr, als Ihre Antwort verrathen läßt. Ich muß deshalb meine Frage wiederholen, wenigstens in Bezug auf Ihre frühere Verlobte. Wissen Sie nicht, daß dieses Mädchen andere, als nur geschwisterliche Gefühle für Sie hegt?“
„Ich weiß das nicht; sie hat mir so etwas natürlich nicht gesagt, schon darum nicht, weil ich sie nicht darum fragte.“
„Haben Sie es auch nicht vermuthet?“
im ganzen Regierungsbezirk Aachen die weiteste Alle Annoncen=Expeditionen des In= und Ausla
Auslandes nehmen Anzeigen für das„Echo“ an.
Partei erkärt, daß man die Abbernfung des römischen
Gesandten nicht beantrage. Einigen Trost scheinen die Radikalen aus den Vorgängen in Tournay zu schöpfen, insofern sie die päpstlicherseits erfolgte Absetzung des Bischofs von Tournay als eine Nachgiebigkeit gegen den Staat darstellen. Auch einige deutsche Blätter, wie die „Nationalzeitung“, hatten dies gethan. Man beachtet übrigens dabei nicht, daß Herr Dumont, der Bischof von Tournay, schon seit längerer Zeit unzweideutige Beweise eines in seiner Familie herrschenden Erbübels gibt, das ihn für das bischöfliche Amt untauglich macht.
In Holland beschäftigt sich die Kammer mit dem Budget und der Minister sprach die Hoffnung aus, daß ein Auslieferungsvertrag mit Amerika zu Stande kommen werde und vertheidigte die Handelspolitik. In Spanien herrscht Jubel und zahlreiche Feste finden statt wegen der Heirath des Königs. Die junge Königin hat es verstanden, schon in wenigen Tagen große Sympathien zu gewinnen. In England operirt Gladstone nach wie vor gegen die Regierung. Er wirft derselben Verschwendung, Unaufrichtigkeit und Leichtsinn vor. Aus Cabul ist die Nachricht eingelangt, daß Jakub Kahn als Staatsgefangener nach Peschawer abgeführt worden ist. Im Kriege zwischen Peru und Chile ist das Glück den verbündeten Peruanern und Bolivianern günstig gewesen. Nach einer Depesche aus Buenos=Ayres vom Mittwoch ist die Verbündete Armee von den Truppen der Chilenen vollständig geschlagen worden, und letztere haben die Stadt Tarapaca besetzt. Das chilenische Geschwader hält Arika blokirt.
Deutsches Reich.
* Berlin, 5. Dez. Die ganze liberale Presse ist vor ein Räthsel gestellt. Warum hat der Abgeordnete Windthorst die hundertzwanzigtausend Mark für geheime Fonds bewilligt, während die übrigen Mitglieder des Centrums dieses nicht thaten? Warum hat ferner Windthorst diese Summe bewilligt, während er in früheren Jahren sich gegen diesen Posten aussprach? Die liberalen Blätter wissen uns zu erzählen, wie Herr Windthorst noch vor zwei Jahren, nämlich am 9. November 1877, in einer Rede über die geheimen Polizeifonds sagte:„Was wir von der geheimen Polizei erfahren— meinte er— ist nicht so einladend, um für dieselbe irgend welches Geld zu bewilligen.“ Nachdem er dann unter Anderm ausgeführt hatte, daß die geheimen Polizeifonds auf dem Gebiete, wo man sie möglicherweiser rechtfertigen könne, zum Beispiel zur Entdeckung von Mordthaten, nichts ausrichten, schloß er:„Wenn wir endlich dem offiziösen Unwesen in der Presse steuern wollen,
dann sollte man endlich sich ermannen und diese Position streichen.“ Damals, so heißt es ferner, begründete er sein Votum namentlich durch den Hinweis auf den Welfenfonds, dessen Fortexistenz ihm die Bewilligung weiterer Mittel zu geheimen Ausgaben absolut unmöglich mache. Wenn er heute, ohne eine besondere Erklärung über seinen Gesinnungswechsel zu geben, trotzdem für den Dispositionsfonds stimmte, so ist vielleicht die Annahme nicht unbegründet, daß in der That ein Arrangement in Aussicht steht, wonach dem Herzog von Cumberland gegen einen formellen Verzicht auf alle Successionsansprüche das beschlagnahmte Vermögen des Königs Georg zurückgegeben werden soll. Wäre es nicht ebenso möglich, daß das Attentat wider den Czaren ihm die Ueberzeugung verschafft hätte, daß man jetzt weniger als früher der Fonds für geheime Polizei entrathen könne?
Man sieht übrigens an diesem Votum, daß Alles dasjenige, was von prinzipieller Opposition und Gereiztheit gegen die Regierung Seitens des Abgeordneten Windthorst erzählt worden ist, wegen angeblichen Scheiterns der Unterhandlungen mit Rom, durchaus unbegründet ist. Wir besitzen sogar ein positives Zeugniß aus dem Munde des heiligen Vaters selbst, daß die Verhandlungen nicht unterbrochen sind. Die neueste„Ermländische Zeitung" berichtet nämlich über eine Audienz, welche vor einigen Tagen(24. November) die Zöglinge der„Anima“, zu denen auch ein junger ermländischer Geistlicher gehört, beim hl. Vater erhalten hatten, Nachstehendes:„Als der Papst an mich kam,“ schreibt der betreffende Priester der„Erml. Ztg.“,„hielt er lange Zeit seine Hand in der meinigen und fing an, von dem Ende des Kulturkampfes zu sprechen. Und zwar sprach er mit großer Bestimmtheit. Er sagte,
er hoffe jetzt, daß wir recht bald in unsere Heimathwürden zurückkehren können. Tag und Nacht arbeiten wir, damit der Friede recht bald zu Stande komme. Endlich, nachdem er sich schon zu dem neben mir Knieenden gewendet, drehte er sich nochmals um, reichte mir abermals die Hand und fügte noch einmal bei: Wir hoffen.“
Die„Vossische Zeitung" erhält aus Kassel Nachrichten über die Vergleichsverhandlungen, die gegenwärtig hier mit den hessischen Agnaten geführt werden. Die Agnaten haben, wie bekannt, den preußischen Fiskus auf Herausgabe des großen Familien=Fideikommisses verklagt. In erster Instanz haben sie im April 1877 in allen wesentlichen Punkten obgesiegt. Das Kasseler Oberlandesgericht wird bald in zweiter Instanz zu entscheiden haben. Jetzt wird nun versucht, vor der Entscheidung ein gütliches Abkommen herbeizuführen. Preußen hatte für Abtretung der Rechte auf Krone und Vermögen dem Thronfolger, Landgrafen Friedrich von Hessen, eine jährliche Rente von 606,000 Mark bewilligt, womit er denn zufrieden war und sein konnte. Den vier Agnaten wurde der Beitritt gegen eine Jahresrente von zusammen nur 54,000 Mark offen gelassen. Die Bevollmächtigten der Agnaten, die Kasseler Rechtsanwälte Laymann und Renner und Herr Armand=Strubberg, suchen nun eine größere Rente herauszuschlagen. Prinz Wilhelm von Hessen=Philippsthal besteht sogar auf einer Kapitalsabfindung. Bei diesen Verhandlungen ist die Regierung durch die Geheimen Finanz= räthe Rudorf und von Richthofen vertreten.
Herr Aegidi ist bekanntlich um sein Mandat gekommen. Bis zum letzten Augenblicke harrte er muthig auf seinem Platze aus; erst als der Präsident den Beschluß verkündet hatte, an dessen Ausfall nie ein Zweifel gewesen war, verließ Herr Aegidi den Saal, in welchem während einer Plenarsitzung außer den Abgeordneten nur noch Minister, Hausbeamte, Stenographen und Diener sich aufzuhalten das Recht haben. Er schied, offenbar nur der Noth gehorchend, nicht dem eignen Trieb; denn— gestern war er wieder da. Was hat den Herrn Professor auf die für die Mitglieder des Herrenhauses reservirte Tribüne geführt? Was fesselt den ehemaligen Leiter unseres Preßbureaus an das Haus, das so leichten Herzens auf seine Mitgliedschaft verzichtet hat? Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das„Berliner Tageblatt“ will in dem Ausharren des Herrn Geheimen Legationsrathes eine Bestätigung der im Uebrigen etwas gewagten Behauptung sehen: Die Treue, sie ist kein leerer Wahn!„Herr Aegidi harrte nämlich auf seinem hohen Verbannungssitze unter erschwerenden Umständen aus. Er mußte mit anhören, wie das Haus zwölf angesochtene Mandate ebenso einmüthig für gültig erklärte, wie es gestern sein Mandat für ungültig befunden. Abergläubische Gemüther können hieraus lernen, daß den Dreizehnten immer das Geschick ereilt, selbst wenn er der Erste unter Dreizehn ist.“
Herr Dr. Stroußberg spielt sich in seinem Kleinen Journal“ als Orakel für Rußlands innere Politik auf. Mit der seiner Abstammung eigenen Suffisance behauptet er, daß die in St. Petersburg an maßgebender Stelle zum Durchbruch gelangte Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Aufrechterhaltung freundnachbarlicher Beziehungen zum deutschen Reiche durch einen Wechsel in der Gesammtleitung der auswärtigen Politik des Czarenreiches, wie durch die Abberufung des Herrn von Oubril, dessen persönliche Beziehungen zum Fürsten Bismarck Manches zu wünschen ließen, öffentlich bekundet werden soll. Es wird uns alsdann mitgetheilt, daß Fürst Gortschakoff zwar nicht verabschiedet, jedoch in eine Situation gebracht werden soll, die ihn unschädlich machen würde. An seine Stelle soll Herr Walujeff treten. Herr Saburoff, Gesandter zu Athen, würde als Botschafter nach Berlin gehen. Dieser habe bei seinem letzten Auf
enthalte in Berlin dem Fürsten Bismarck ausnehmend gefallen.„Dieser hat in dem jungen Diplomaten Takt, Kenntnisse, vernünftige Anschauungen, gewandte Dialektik vereinigt gefunden und seine vorurtheilsfreien, in der Schule Schuwaloff's gereiften Gesinnungen anzuerkennen die Gelegenheit gehabt. Da nun bei der Besetzung des Botschafterpostens in Berlin von russischer Seite besonderer Werth auf den Umstand gelegt worden ist, daß der künstige Botschafter mit dem deutschen Reichs.
„Ich glaube nicht, daß ich über meine Gedanken und Vermuthungen Rechenschaft geben muß.“
„Doch wohl in dem besondern vorliegenden Falle. Ihr Herr Vater hat angegeben, daß er in dieser Beziehung einige Unterredungen mit Ihnen gehabt habe.“
„Nun denn, so lassen Sie sich an dem genügen, was mein Vater Ihnen sagte,— es ist jedenfalls Wahrheit.“
„Es ist von Interesse noch von Ihnen das Nähere zu bören. Sie haben also ebenfalls bemerkt, daß Louise Dorat in Sie verliebt ist, daß sie nicht mit derselben Bereitwilligkeit auf Realisirung des Planes verzichtete, den die Eltern entworsen hatten, wie das von Ihrer Seite geschah?“
„Meinetwegen— ja! Ich glaube allerdings bemerkt zu haben, daß Louise gern den Willen meiner Eltern erfüllen würde, ob aus Pietät für dieselben, oder aus Liebe zu mir, das wage ich nicht zu entscheiden.“
„War Ihnen diese Bemerkung erfreulich, oder— war sie Ihnen vielleicht unangenehm?“
„Es wäre doch sträflicher Egoismus, wenn ich mich darüber freute, daß das Mädchen immer noch an Realisirung einer Verbindung denkt, während ich längst mit mir einig war, darauf zu verzichten.“
„Haben Sie etwas dagegen gethan, um diese Ihnen unangenehme und lästige Leidenschaften in geeignete Schranken zurückzuweisen, oder in irgend einer Weise zu beseitigen?“
„Unangenehm war mir wohl diese Wahrnehmung, aber nicht lästig, da das, was ich davon weiß immer nur Vermuthung, aber nicht Gewißheit war, und Louise dieses Gefühl jedenfalls sorgfältig zu verbergen suchte, nachdem es ihr klar war, daß es von mir nicht erwidert werde.“
„Fräulein Dorat weiß also, daß Sie nicht geneigt sind sie zu heirathen?“
„Sie hat es von meinem Vater gehört.“
„So sagte mir allerdings Ihr Herr Vater. Nachdem Fräulein Dorat dieses erfahren hatte, reiste sie nach Poitiers. Nicht wahr?“
„Ganz richtig.“
„Dabei ist jedoch sehr auffallend, daß sie, ohne durch ein Ereigniß dazu gedrängt zu werden, so bald wieder hierher zurückkehrte. Sie haben doch nach deren Zurückkunft nicht bezweifelt, daß ihre Gesinnungen noch dieselben waren, wie vor ihrer Abreise? Mit einem Worte, daß sie nur in der Hoffaung hierher zurückkehrte, vielleicht doch noch den Wunsch ihres Herzens erfüllt zu sehen?“
„Ich habe darüber durchaus keine Gewißhelt,— meine Vermuthungen gehören nicht hierher.“
„Wohl gehören sie hierher,— ich muß deßhalb meine Frage wiederholen.“
„Ich bleibe bei meiner Antwort.“
„Louise Dorat verließ in Unfrieden Ihres Vaters Haus, und reiste später wieder weg, ohne dasselbe— das Haus und die Familie ihres Vormundes— noch einmal betreten zu haben. Erklären Sie mir dieses.“
„Ich weiß das nicht zu erklären. Mein Vater, so wie ich, wir waren Beide sehr erstaunt über dieses Ereigniß, dessen Grund wir nicht einsehen konnten. Wir mußten uns jedoch davei beruhigen, da wir uns überzeugt halten durften, uns in keiner Weise etwas vergeben zu haben.“
„Was für eine Vermuthung hatten Sie wohl mit Ihrem Vater über diesen Vorfall?“
„Schon wieder Vermuthung! Meine Vermuthung kann Sie doch in keiner Weise interessiren.“
„Doch ist dieses der Fall. Es wäre für mich von großem Interesse dieses zu erfahren.“
„Ich kann mir keinen Grund dafür denken, und werde deßhalb über meine Vermuthungen nichts sagen.“
„Wann waren Sie zum letztenmale in Saintes?“
„Ich war noch nie da, in meinem Leben.“
„Noch nie? Besinnen Sie sich wohl, ehe Sie zum zweiten Male antworten. Waren Sie noch nie in Saiates?“
„Ich versichere Sie auf das Bestimmteste;— noch nie!“
„Wenn ich Ihnen nun zwei unverwerfliche Zeugen gegenüber stelle, welche Sie vor Kurzem während zweier Tage bort sahen
„Das ist nicht möglich, denn ich war noch nie dort.“
„Ich sehe mich veranlaßt, Sie noch länger in engerem Gewahrsam zu halten. Louise Dorat wurde in der Nacht vom 15. auf den 16. dieses Monats in Saintes ermordet, indem man dieses mit Blut befleckte Rasirmesser, mit welchem ihr Hals durchschnitten war, neben der Leiche fand. Dieses Messer ist Ihr Eigenthum.— Zwei Zeugen sagen übereinstimmend aus: Ein Fremder, der sich Ccil Dupaty nannte und so in das Fremdenbuch in Saintes eingeschrieben, der mit dem linken Fuße gehinkt, seinen linken Arm in einer schwarz seidenen Binde getragen, und die linke Seite des Gesichtes verbunden gehabt, kurz der in allen Stücken Ihnen gleich gesehen habe, sei unzweifelhaft der Mörder. Sie hatten Ursache, das Mädchen zu beseitigen, das Sie mit Ansprüchen auf Ihre Hand