Nachen 1877.— Nr. 82.
Erstes Blatt:
Samstag, 24. März.
—„*
Verantwortlicher Redakteur: Hilmar Heinrich Beissel.
Verlag von P. Kaazer in Nachen.
Druck von C. H. Georgi in Nachen.
Destent.„In
am 1. April beginnende zweite Quartal des
Echs der Ergenwart
wolle man, um Unregelmäßigkeiten in der Zusendung zu vermeiden, auswärts bei den nächsten Postanstalten sofort anmelden.
Getren seiner nunmehr seit 28 Jahren bewiesenen Haltung füort das„Echo“ fort, die Interessen der katholischen Kirche mit aller Entschiedenheit innerhalb der gesetzlichen Schranken zu vertreten. Durch ausführliche Besprechung der politischen Ereignisse, zahlreiche Original=Korrespondenzen, nach deren Vermehrung unablässig gestrebt wird, durch telegraphische Mittheilung der wichtigeren Vorfälle, ausführliche Kammerberichte und sorgfälzig gewählte Feuilletons, reichhaltige lokale und vermischte Nachrichten, literarische Besprechungen, Handels= und Börsennachrichten, strebt das„Echo“, alle berechtigten Anforderungen zu erfüllen und rechnet auch ferner auf die Sympathien des katholischen Volkes.
Das„Echo“ erscheint wie bisher täglich zwei Mal und wird nach auswärts mit den Abendzügen versandt.
Das„Echo“ ist anerkannt die gelesenste, unter allen Consessionen, Ständen und Geschäftsbranchen verbreitete Zeitung des Regierungsbezirks Aachen und bietet daher für die Wirksamkeit der Anzeigen die größtmögliche Garantie.
Redaktion und Expedition des„Echo der Gegenwart“.
Aachen, 23. März.
Die Verhandlungen zwischen Ignarieff und dem englischen Cabinette über das Protokoll sind auf Schwierigkeiten gestoßen, von denen es zweifelhaft ist, daß sie beseitigt werden; mithin ist das Zustandekommen des Protokolls durchaus in Frage gestellt. Vor allen Dingen ist das englische Cabinet bestrebt, den Ausdruck desselben dergestalt abzufeilen und abzuglätten, daß Rußland in demselben ein Engagement zu Lasten Englands zu finden außer Stande sein wird. Rußland besteht noch immer auf der ursprünglichen Fassung des Textes:„Die beiden Mächte bestehen von Neuem auf dem Wunsche, die Reformen sofort ins Werk gesetzt zu sehen", während Lord Derby und Schouwaloff dem Satze folgende Fassung geben wollen:„Die Mächte detonen von Neuem ihren Wunsch, die Reformen sofort in's Werk gesetzt zu sehen.“ Der„Temps“ erwähnt ferner eine weitere Differenz. Im ersten Entwurfe des Protokolls stand:„Nach Abschluß des Friedens zwischen der Türkei, Serbien und Montenegro erwarten die Mächte, daß die Türkei so bald wie möglich zur Entwaffnung schreiten wird.“ Auf Wunsch Englands hat dann Rußland diesen Satz gestrichen. Der„Temps“ glaubt, daß Rußland sich bereit zeigen werde, zu entwaffnen, sobald es gesehen haben werde, daß die Türkei sich nicht entschlossen habe, ihr Heer auf dem gegenwärtigen Fuße zu erhalten.
Nach der„Morning Post“ werden die Räthe der Krone zunächst das Wort„insister“ genau prüfen, um zu ermitteln, ob dasselbe England Verpflichtungen zuschiebe oder nicht. Dann bemerkt der„Standard“, sobald England das Protokoll unterzeichnet haben werde, bestehe seine erste Pflicht darin, von der Pforte die Entwaffnung zu fordern, welche diese jedoch ablehnen werde, so lange Rußland seine Truppen noch an der türkischen Grenze halte. England befinde sich alsdann in einer peinlichen und lächerlichen Lage. Der „Daily Telegraph“ sagt darum:„Sollte die Demobilisirung der russischen Rüstungen nicht deutlich und rückhaltslos versprochen werden, so können die Unterhandlungen für das Protokoll nicht weiter schreiten. Sie sind in diesem Augenblicke thatsächlich suspendirt und die Regierung des Czaren hat zu entscheiden, ob sie eine isolirte Position einnehmen oder die Unterhandlungen Betreffs ihrer jüngsten Vorschläge in praktischer Weise wieder eröffnen will.“ Die„Times“ hebi ebensalls hervor, daß, wenn England das Protokoll unterzeichnen soll, erst Rußland seine Truppen von einer Position zurückziehen müsse, die sie zu einer Drohung für die Türkei mache. Es sei aber sehr leicht möglich, daß Rußland abgeneigt wäre, eine solche Zusage bedingungslos zu machen. „Die Schwierigkeit mag in wenigen Tagen oder selbst
Stunden verschwinden, da Rußland allem Anscheine nach begierig ist, irgend ein ehrenvolles Mittel des Rücktritts von einer gefährlichen Position zu finden, und die europäischen Cabinette geneigt sind, ihm darin beizustehen, so weit sie dies können, ohne sich gefährlich zu compromittiren. Unserm Wiener Correspondenten zufolge würde Rußland darin willigen, daß die Abrüstung gleichzeitig auf beiden Seiten bewerkstelligt werde, und es ist zu hoffen, daß die Schwierigkeit in dieser Weise gehoben werden mag.“
Sonderbare Zumuthung, daß gleichzeitig abgerüstet werden soll! Kann die Türkei im gegenwärtigen Augenblicke abrüsten, wo neue Insurrektionen in den Gang gesetzt werden? Würden dieselben nun aber, was mit Rußlands Beihülfe ja leicht zu bewerkstelligen wäre, bis zu dem früheren Umfange hinaufpotenzirt, so wäre ja für Rußland die schönste und erwünschteste Gelegenheit gekommen, sich wiederum zum thatsächlichen Protektor der griechischen Christen aufzuspielen. Was hat ferner die Türkei genöthigt zu so großartigen Rüstungen? Doch wohl Nichts anderes, als das Interesse der Selbsterhaltung, welche durch systematische Aufwiegelung seiner Basallen und Unterthanen auf das Bedenklichste bedroht war. Rußland aber kann für seine Mobilmachung einen solchen Grund nicht geltend machen; im Gegentheil liegen derselben theils Uebermuth, theils Eroberungslust, theils Bestrebungen, sich in die innern Angelegenheiten eines benachbarten Staates in ungebührlicher Weise einzumischen, zu Grunde. An Rußland ist darum die Reihe abzurüsten, weil seine Armee die Türkei bedroht; die Türkei aber bedroht weder Rußland, noch sonst einen Staat; sie bedarf ihrer Armee zur Selbsterhaltung, zur Sicherung der Ordnung im Innern und zur Abwehr feindlicher Attentate wider ihre Selbstständigkeit und Existenz. Istes nun nicht höchst lächer lich, wenn England im Hinblicke auf die thatsächliche Lage der Türkei, von ihr die Entlassung ihrer KriegsArmee fordern wollte? Vernünftig ist es dagegen, wenn es als Aquivalent für die Unterzeichnung des Protokolls ein solches Ansinnen an Rußland stellt. Hat Rußland einmal demobilisirt, so wird die Türkei in entsprechender Weise nachkommen, insoweit ihre Lage dies gestattet. Man glaube ja nicht, daß die finanziellen Verhältnisse der Türkei ihr die Aufrechthaltung der gegenwärtigen Mobilmachung besonders leicht und angenehm machten.
Fällt das Protokoll aber ins Wasser, so wäre das auch kein Schaden. Was würde ein beliebiger anderer europäischer Staat dazu sagen, wenn zwei Großmächte zusammenträten und über denselben Beschlüsse faßten? Welche Wirkungen erwartet man demnach von dem Protokolle, wenn es zum Abschlusse gediehe? Die„Daily News“ wollen diesfalls von Constantinopel die positive Nachricht erhalten haben, daß die Pforte das Protokoll, in welcher Form es ihr auch übermittelt werden würde, zurückweisen würde. Es ist diese Nachricht um so weniger zu bezweifeln, als der Sultan in seiner Thronrede die Aufrechthaltung der Selbstständigkeit seiner Regierung auf das Bündigste ausgesprochen hat. Die auf die Wirksamkeit der Conferenz bezügliche Stelle lautet:„Der Mißklang beruht mehr in der Form und den Mitteln des Vorgehens als in dem Wesen der Frage selbst. Alle meine Bemühungen werden dahin gerichtet sein, die in der Lage des Reichs und in den verschiedenen Verwaltungszweigen angestrebten Fortschritte zu vollenden; allein ich betrachte es als eine meiner höchsten Pflichten, Alles fern zu halten, was meiner Würde und der Unabhängigkeit meines Reichs Abbruch thun könnte. Ich überlasse es der Zeit, die Loyalität meiner versöhnlichen Absichten zu beweisen.“ Die türkische Regierung hat durch die Verleihung der Verfassung sowohl, wie durch die in der Thronrede angedeuteten Gesetzvorlagen einen entschiedenen Schritt gethan, um in die Reihe der europäischen Staaten einzutreten. Mit einem Zauberschlage läßt sich nicht reforwiren; man muß diesfalls Geduld haben und ihr Zeit lassen.
In dem Maße aber, wie die türkischen Reformen zur Ausführung gebracht werden, wird die Entfaltung des Christenthums in der Türkei begünstigt und es ist dadurch die Möglichkeit nahe gelegt, daß im Laufe der Zeit Christianisirung dieses Landes erfolgt in spontaner Weise, nicht aber, wie Rußland sie geben kann, im Wege der Knute und anderer Conversionsmittel. Wir wollen nicht entscheiden, wo die Barbarei größer ist, in Rußland oder in der
Türkei; das aber wissen wir, der Türke ist toleranter als der Russe und schon aus diesem Grunde gestattet er dem Christenthum bessere Aussichten und Hoffnungen. Rußland fängt an nachgerade sich lächerlich zu machen dadurch, daß es seine Ländergier und Herrschsucht in die Rolle eines Beschützers der Christen und eines Beförderers der Humanität einzukleiden bemüht ist. Die wohl geordnete Nächstenliebe fängt, wie ein französisches Sprüchwort bemerkt, am eigenen Heerde an. Thäte Rußland nicht besser dafür zu sorgen, daß man von seinen zerfahrenen inneren Zuständen, seiner Corruption und seiner Verfolgung gegen nicht griechische Christen zu sprechen aufhörte, als daß es durch verzwickte Protokolle sich ein Recht zu erschleichen sucht zur Anzettelung neuer Wirren und Verwickelungen, da die alten noch ungelöst sind? Man hat dem Franzosen vorgeworsen, er störe die europäische Ruhe; ist es nicht ebenfalls Pflicht der Mächte, Störungen des Friedens, die vom Osten herkommen, mit geschlossener Einmüthigkeit gegenzutreten?
ent
um 11½ Abeken, von
Deutscher Reichstag.
14. Sitzung vom 21. März.
Präsident v. Forckenbeck eröffnet die Sitzung Uhr. Am Tische des Bundesraths: Dr. Leonhardt,
Nostiz=Wallwitz, v. Riedel, Dr. Friedberg.
Tagesordnung: 1. Zweite Berathung des Gesetzentwurses über den Sitz des Reichsgerichts.
Die Regierungs Vorlage lautet:„Das Reichsgericht erhält seinen Sitz in Leipzig.“
Hierzu beantragen: 1. Abg. Dr. Löwe: an Stelle von Leipzig zu setzen:„Berlin.“ 2. Abg. Dr. Lasker:„Auf den Bundesstaat, in dessen Bebiet das Richsgericht seinen Sitz hat, findet§ 8 des Einführungsgesetzes zum Gerichteverfassungsgesetz keine Anwendung.“(Der allegirte§ 8 bestimmt: Durch die Gesetzgebung eines Bundesstaates, in welchem mehrere Oberlandesgerichte errichtet werden, kann die Verhandlung und Entscheidung der zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörenden Revisionen und Beschwerden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten einem obersten Landesgerichte zugewiesen werden. Diese Vorschrift findet jedoch auf bürgerliche Rechtestreitigkeiten, welche zur Zuständigkeit des Reichs=Oderhandelsgerichts gehören oder durch besondere Rechtsgesetze dem Reichsgerichte zugewiesen werden, keine Anwendung.)
Abg. Dr. Lasker wendet sich zauächst gegen diejenigen Argumente, welche von einzelnen Rednern in der ersten Lesung zu Gunsten Berlins geltend gemacht worden sind. Man habe gesagt, man dürfe das Reichsgericht nicht auf den Isolirschemel setzen, es müsse mitten im Laufe des politischen Ledens stehen. Er seinerseits glaube nicht, daß der höchste Gerichtshof mitten im Strudel der politischen Bewegung stehen müsse. Der Abg. Gneist habe auch die politische Seite des deutschen Gerichtshofes überschätzt. Derselbe habe über Verfassungsfragen gar nicht zu entscheiden, er stehe nicht über, sondern unter den Gesetzen. Dennoch gebe er zu, daß der höchste Gerichtshof nicht isolirt werden dürfe. Aber ist denn Leipzig nicht ebenso gut wie Berlin der Mittelpunkt geistiger Bewegung mit Ausnahme der politischen? Ich würde es allenfalls für bedenklich finden, wenn Leipzig eine Stadt wäre, die von einer partikularistischen Strö mung beherrscht würde, aber eine Stadt, die in Bezug auf nationale Bestrebungen von keiner andern Stadt Deutschlands übertroffen wird, scheint mir ebenso geeignet wie Berlin für den Sitz des Reichsgerichts zu sein. Einigen Eindruck haben auf mich nur die Argumente des preußischen Justizministers gemacht. Er hat in erster Linie die Bedürfnisse der preußischen Verwaltung geltend gemacht, die ich indeß mehr auf Rechnung der Bequemlichkeit setzen möchte. Schwerwiegender ist für mich der zweite Umstand, daß es schwer sein werde, bedeutende juristische Capacitäten und Rechtsanwälte für Leipzig zu gewinnen. Aber trotzdem glaube ich, daß das Reichsgericht auf unsere Juristen eine solche Zugkraft ausüben werde, daß in dieser Beziehung ein Mangel niemals eintreten werde. Die ganze Frage hat aber auch eine politische Bedeutung und über diese müssen wir ins Reine kommen. Ich glaube sagen zu dürfen, nach meiner Kenntniß, die ich vom Reichstage habe, daß wenn der Bundesrath uns einen Gesetzentwurf vorgelegt hätte, in welchem Berlin als der Sitz des höchsten Gerichtshofes vorgeschlagen wäre, Leipzig vielleicht mit größerer Sicherheit auf eine Stimmenmehrheit zu rechnen hätte.(Sehr richtig.) Auf uns Alle hat das Verhalten der Regierungen und zwar der einzelnen Regierungen und der Reichsregierung keinen erfreulichen Eind uck gemacht(Sehr wahr!); es macht keinen guten Eindruck, wenn unter denjenigen Staaten, welche die Majorität gegen Preußen gebildet, als leitender Staat Bayern sich befindet, das seinen höchsten Gerichtshof in Sicherheit gebracht hatte. Es ist das ein betrübender Zustand, aber bekennen wir offen, es hat sich dabei nicht um eine mächtige partikularistische Strömung gehaudelt, sondern Preußen hat sich nicht mit Energie der Sache augenommen und der Reichekanzler hat sich bei dieser Frage völlig neutrolisirt. Wo ist heute Fürst Bismarck? Er ist als Neutraler zu Hause geblieben und wie denn auch die Entscheidung aus. fallen möge, es scheint mir nicht, daß wir bei der jetzigen Ent
scheidung des Bundesrathes das System partikularistischer Teudenzen, sondern das Symptom einer Krankheit, die Regierungslosigkeit im Reiche, zu beklagen haben.— Redner wendet sich demnächst gegen die Behauptung, als od Preußen mit seinem Bestreben, den Sitz des Reichsgerichtes nach Berlin zu verlegen, seinerseits partikularistische Tendenzen verfolge, Preußen hat keine Spur von Partikularismus.(Rufe: Oho!) Ich sitze im preußischen Landtage und ich behaupte, daß nirgend wo mehr, partikularistische Anwandlungen ihre Grenze finden, als in Preußen. So wenig Jemand aus seiner Haut fahren kann, so wenig kann Preußen partikularistisch werden, denn Preußen ist Deutschland(Oho! bei den Süddeutschen); ich sage, Preußen ist untrennbar mit Deutschland verbunden, ist eins mit Deutschland. Preußen kann und wird nie partikularistisch werden. Ich weise deshalb auch die Behauptung zurück, daß Preußen irgendwie empfindlich werden könnte, wenn der Gerichtshof nicht in Preußen seinen Sitz erhalten sollte. Es handelt sich hier um einen deutschen Gerichtshof und Leipzia ist ebenso gut eine deutsche Stadt wie Berlin. Redner empsiehlt zum Schluß den von ihm gestellten Antrag, zu dessen Einbringung er durch die neu liche Rede des sächsischen Ministers veraulaßt worden sei und schließt mit den Worten Reichenspergers: Wie immer auch die Entscheidung ausfallen möge, ob das Reichsgericht in Leipzig oder Berlin seinen Sitz erhält, es wird seine volle Schuldigkeit thun im juristischen Sinne und im Sinne der Rechtsprechung und im nationalen Sinne zur Wahrung der Ehre des deutschen Reichs.(Bravo!)
Abg. Graf Bethusy kann sich den Ausführungen Lasker's nicht durweg anschließen. Allerdings seien die Gründe, welche für Leipzig und ebenso für Berlin in die Wagschaale geworfen werden, gleich schwerwiegend. Er seinerseits erkläre sich ganz entschieden für Berlin, das oberste Gericht müsse dort sein, wo die übrigen Reichsbehörden sich befinden. Man möge wohl erwägen, bevor man sich hier entscheide, denn der Beschluß könne für Deutschland von schweren Folgen sein, könne dem großen Einheitsbau, den man erstrebe, für die Dauer nachtheilig sein. Die Centralisation wolle er nicht vertheidigen, aber in dieser Frage sei es nicht möglich, davon abzusehen. Dadurch werde noch nicht in dem Sinne des Prinzips von Centralisation und Decentrali= sation entschieden.
Bayerischer Ministerialrath v. Riedel: Es ist vollständig unrichtig, wenn behauptet wird, es bestehe irgend eine prinzipielle Abneigung gegen die Wahl der Stadt Berlin. Erlauben Sie mir zunächst einige Worte der Abwehr. Es wird Ihnen bekannt sein, daß seit Wochen ein Gerücht verbreitet wird, er habe eine Coalition der Mittelstaaten stattgefunden zum Zwecke einer politischen Demonstration gegen Preußen. Ich bin ermächtigt, zu erklären, die bayerische Regierung hat mit keiner anderen deutschen Regierung in irgend einer Weise einseitig über die Frage wegen des Sitzes des Reichsgerichts verhandelt, oder auf deren Entschließung irgend welchen Einfluß ausgeübt. Ich betone gerade diese Thatsache aus dem Grunde, weil auf diesem Gerüchte weitere falsche Schlüsse aufgebaut worden sind, und weil ich fürchte, daß, wenn ich schweige, man es schließlich als einen Akt der Feindseligkeit gegen das Reich bezeichnen Eine jede Regierung mußte sich sagen, daß der Reichstag eine derartige Demonstration zurückweisen würde. Meines Wissens ist dieser Frage in keinem Stadium der Berathung der Gedanke zu Grunde gelegt, daß das Reichsgericht aus politischen Motiven nach Berlin verlegt werden müsse. Die Regierungen haben ihrerseits der Frage einen politischen Charakter nicht beigelegt. Sie haben sich einfach die Frage gestellt, wo kann das Reichsgericht seine Aufgabe, ein Hort des Rechts des deutschen Reichs zu sein, am besten erfüllen? Es gingen hierin die Meinungen allerdings auseinander, aber ausschlaggebend waren allein die Erfahrungen mit dem Reichs=Oberhandelsgericht. Weil dasselbe sich durchaus bewährt hat, so haben die verbündeten Regierungen in ihrer Majorität geglaubt, dieser Stadt den Vorzug geben zu müssen. Wie daher auch der Beschluß dieses Hauses ausfallen möge, derselbe wird von allen Seiten die vollste Beachtung finden.
Justizminister Dr. Leonhardt widerlegt einen Theil der Ausführungen des Abg. Lasker. Er, der Minister, habe gar nicht behauptet, daß der oberste Gerichtshof dem Zuge der politischen Bewegung ausgesetzt werden solle, aber er müßte im Mittelpunkte des öffentlichen Ledens stehen, wie das die Natur des ihm zustehenden Rechtsmittels— der Kassation— erfordere. Der Minister kommt auf die Bedürfnisse Preußens zurück und weist schließlich den Gedanken als nicht partikularistisch zurück, wenn Preußen eventuell einen eigenen obersten Landesgerichtshof beibehalten sollte.
Abg. v. Helldorf ist der Meinung, daß die Angelegenheit besser des großen Pathos entkleidet werde, mit der sie zum Theil behandelt worden. Man könne ein guter Preuße sein und gegen Berlin und ebenso ein guter Deutscher und für Leipzig stimmen. Redner hebt die gegen Berlin sprechenden Bedenken hervor, legt aber vor Allem darauf Gewicht, daß es verkehrt sei, diese Frage zu einer hochpolitischen aufzubauschen. Politisch sei nur die bereits entschiedene Frage, ob ein höchstes Reichsgericht überhaupt, nicht die, wo der Sitz desselben sein solle.
Abg. Dr. Bamberger: Ich will kein Hehl daraus machen, daß alle Gründe, welche für und wider Berlin angeführt sind, wesentlich politischer Natur sind. Ich stelle mich deehalb auch auf den politischen Boden und behaupte, keiner meiner Gegner wird in Abrede stellen, daß er nicht auf politischem Boden steht und bei den Herren, die für Leipzig stimmen, spielen die politischen Gründe eine sehr große, ja eine Hauptrolle. Es wäre auch ein schlechtes Recht, welches sich nicht mit der höchsten
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Einer Nacht Geheimniß.
Dem amerikanischen Originale der Mrs. Agnes Fleming nacherzählt von Lina Freifrau von Berlepsch. (Fortsetzung.)
40. Kapitel.
Ein Besuch.
Wenige Tage später sollte die goldene Hochzeitsfeier eines allgemein verehrten Mannes statt finden. Mr. Bosveldt saß in der Reihe der Senatoren und glich einem starken Thurm im
Ozean politischer Bewegung, einem gewaltigen Häupiling unter
„Gehst Du alo besimmt hiu, Ladvig9“ ftagt Freue, kaun
„Wer dürste es wagen, eine Einladung Nr. Vospeldts abzulehnen?“ lachte Nolan,„Pygmäen müssen sich vor Riesen
beugen.“
Das war am Vorabend jeues Theaterbesuches gesprochen worden, seitdem hatte man die Sache nicht wieder berührt. Ludwig war in den letzten Tagen ernster, schweigsamer und mehr beschäftigt gewesen denn je. Dabei sah er so schlecht aus, das Irene allen Ernstes besorgt wurde. Seine Züge ließen leicht errathen, daß Anderes als Geschäftesachen auf seinem Geiste lastete.„„
Gist Du noch gesonnen, zu Bosveldt zu gehen? fragt vie junge Frau schüchtern beim Frühstück.. 9 9824.
Er wendet den Blick von der Zeitung, eine Wen von Hulllichkeit liegt in demselben, und noch etwas, was sie nicht zu deuten weiß.
Gewit, Irene, Du magst heute auf mich zühleg.“,#. Die Antwort ist einsach, aber es war, als klänge durchh: „Es ist zum letzten Mal.“# gsei den#eliebte
Aengstlich forschend sieht ste ihn an. Wie Stench bur griscel. Antlitz ist! Was stiehlt sich zwischen sie und ihn, welch finstere Wolke sonder Namen und Gestalt? 64n Bah
Sie begleitet ihn bis zur Thüre, weilt in seine: Rahe, während er schweigsam und trübe den Ueberzieher zur Hand zimmt: ahnt sie, es sei das letztemal, daß sie liebend in seiner Nähe weilt, hat er ein geheimes Vorgesühl, das sein Lebewohl se gärtlich macht? p.4
Unruhig wandert sie durch das Haus. Doar fehl: Ludwig
Welches Geheimniß sucht er vor ihr zu verbergen? Hat er aufgehört sie zu lieben? Nein seine Liebe läßt st#
be
hihrek, sier, zu inbzu. Krin, ftins ener#1 sch, nicht zweifeln. Ist er mit Mr. Graham zerfallen? Traf ihn irgend ein Verlust? wie thöricht aber, bei all ihrem Reichthum, sich
darob zu guslen!,.
Sie geht in's Kinoszimmer, um mit Teooy zu spieten, dieser aber fährt mit seiner Ziegenequipage aus, und lehnt ab. Soll sie Clotilde besuchen? Nein, sie ist zu aufgeregt, um aus
Eine unendliche Sehnsucht Ludwig zu sehen ersaßt sie, sie will die Arme um ihn schlingen, ihn bitten das Geheimniß zu lichten, das zwischen ihre Herzen sich drängt. Warum hatte sie
noch nicht daran gedacht? Wie kindisch sich zu grämen, wenn ein Wort vielleicht den Bann gebrochen hätte. Auf der Kanzlei aber mußte sie Mr. Graham und die Schreiber treffen und ihr Mann möchte ihr seltsames Beginnen nicht gut heißen. Sie
Eiwa eine Stunde später drachte ihr ein Lausbursche ein
„Geliebte! Warte heute Abend nicht auf mich; ich werde wahrscheinlich aufgehalten sein und erst gegen elf Uhr bei Bosveldis erscheinen. Geh zur bestimmten Stunde hin, wir tressen uns dort.
Geben Sie mir Ihre Karte und kom
Ludwig.“
Irene bricht in Thräuen aus; sie hat so sicher erwartet, eine beruhigende Antwort von dem Gatten zu erhalten, dem Fen der geldenen Hochreit ant, i vebsaig zur generng Beze
wohnen am Arm die Gauten bot, wo ians erg gegen Mitternacht
und unn sollte sie allein gehen, und ihn...g. Amtnuch
Kind, nicht halb so vernünftig wie Du. Iß, mein Junge, um
Nach Eisch versucht sie, sich in Schlaf zu lesen und lingt. Ale sie wieder erwacht, fallen die Serggefreisen schräg Artsich auf, bea 9.;, Gorgen haben ste in die Welt der setzt sle sich auf, des Ledens Gorgen haben( in die Welt der
Sie verläßt das Schlafgemach und hört den Portier in
lebhafter Unterredung mit Jemand, der Eintritt verlangt.
nicht, wann er kommt. men Sie morgen.“
„Ich will Mr. Nolan sehen,“ ruft eine laute Frauenstimm „und werde warten, bis er kommt.“ e
„Was wünschen Sie?“ fragt die weiche Stimme der Hausfrau und der Portier tritt bescheiden zurück.
Irene blickt auf die Fremde und zuckt unwillkürlich. Die Fremde mit der lauten Stimme und dem bunten Gewand ist Dolly de Courcy.
Eine Pause tritt ein; selbst Dolly scheint betroffen.
„Ich wünsche Mr. Nolan zu sprechen,“ sagt sie endlich sich fassend,„er wohnt doch hier.“
Mr. Nolan ist nicht zu Hause und wird erst spät Abende erwartet.“
„Kann ich mit Ihnen sprechen?“
„Gewiß, wenn ich Ihnen eben so gut Bescheid geben kann.“ „Ich denke wohl," lacht Dolly,„vielleicht besser noch als Louis, verzeihen Sie, Mr. Nolau wollte ich sagen.“
Irenens Wangen erglühen, sie wird augenblicklich steif und formell.
„Ich muß Sie bitten, Ihr Auliegen kurz zu fassen, ich din diesen Abend sehr beschäftigt.“
„Ich werde Sie nicht lange aushalten,“ entgeguet Dolly und folgt Irene in das Besuchezimmer.
„Wie hübsch hier Alles ist,“ sagt sie halblaut,„nun thute ihm wohl nicht mehr leid, daß ich ihn damals nicht wollte.“
Die Gluth auf Irenens Wangen wird drennend. Ist'e möglich, daß Ludwig, ihr Ludwig jemals diese Person geliebt, sie zu beirathen wünschte? Der Gedanke allein ist namenlose Schmach und Pein.
Ohne Schminke, im klaren Tageslicht steht die Schauspielerin abgelebt und verblichen aus, gebrandmarkt durch Blick und Gebahren.
„Was wünschen Sie?“ fragt Freue. Sie stehen Beide. Mre. Nolan bringt es nicht über sich, den Besuch zum Sitzen einzuladen.
„Sie kennen mich?“
„Ich sah Sie auf der Bühne.“
„Lonis sah mich auch, Pardon, Mr. Nolau wollt ich
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Ein insolentes Lachen folgte.
Mr. Nolan sah und erkannte Gie. Er sagte mir, daß er
„Sagte er Ihnen auch, daß er mich heirathen wollte und daß seine Eisersucht ohne Schranken gewesen?“
„Bitte, kommen Sie zur Sache, ich habe keine Zeit zu verlieren.“
„Erinnern Sie sich gefälligst, daß Sie selbst mir eine Unterredung gewährten, ich erwartete es nicht einmal. Sonderbar aber ist es jedenfalls, daß gerade Sie ihn heirathen mußten.“
Erbleichend und stumm fragend blickt Irene auf die Schauspielerin.
„Ich erkannte Sie sofort und fiel vor Verwunderung beinahe aus der Rolle. Daß Louis eine reiche Dame aus New-York geheirathet, hatte ich wohl gehört, vermuthete aber nicht entfernt, Sie seien jjene Miß Owenson. Es ist schmählich, Sie so zu betrügen, denn wenn Sie es gewußt hätten, würden Sie ihn sicherlich nicht geheirathet haben.“
„Was wollen Sie sagen?“
Bleich und regungslos, die Hand auf die Lehne des Stuhles gelegt, steht Irene.
„Das hätte ich nicht von ihm erwartet,“ fährt Dolly fort, „denn abgesehen von seiner Eifersucht und seinem heftigen Temperament, war er jederzeit ehrenhaft gewesen. Er vermuthet wohl kaum, ich wisse, was ich weiß und er hatte nur deshalb die Kühnheit, Sie zu heirathen.“
Mrs. Nolan bleibt stumm; jede Kraft des Geistes und Körpers absorbirt sich in Schauen und Hören.
„Ich kam thatsächlich um Geld," beginnt Dolly wieder, „ich verlasse New=York und kann ein paar Tausend Dollare brauchen; Louis wird mir sie geben, denke ich, sonst——“
Irene ist wie versteinert.
„Ich will auf ihn warten, bis er kommt, er wird eine alte Freundin nicht verleugnen.“ Dolly lacht wiederholt.„Eigentlich ist die Geschichte gerade wie in unseren Stücken. Erst thut ers, dann heiratbet er die Erbin, und dann tauche ich auf, die Alles weiß. Er hätte Sie nicht heirathen dürfen, das war Unrecht und das werde ich ihm sagen.“
Irene erwacht wie aus einer Ohnmacht. Welch' dunkle entsetzliche Bedeutung dieses Weides Wortes immerhin haben mögen, so viel wird ihr bewußt, Ludwig sollte wegen eines Vergeheus der Vergangenheit verfolgt werden. Sie zieht ihr Taschenduch hervor.
„Wenn Sie bedürftig sind, will ich Ihnen helfen und wenn Sie irgendwie Anspruch haben auf meines Mannes Mildthätigkeit, soll derselbe beachtet werden. Er wird wissen, was er zu
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