Aachen.

Das

Echo der Gegenwart

erscheint täglich und kostet für drei Monate inkl. Stempel 1 Thlr. 5 Sgr.,

durch die Post 1 Thlr. 10 Sgr.

15. Juni.

1864.

Inserale finden durch das

Echo der Gegenwart

die allgemeinste Verbreitung; die Zeile oder deren Raum wird mit 1 Sgr. berechuet.

Wealtwoch.

Nr. 163.

Ein selbstständiges Schleswig­Holstem.

Aus Süddeutschland. Das ganze Schleswig soll es sein! Auch die nordschleswig­schen Städte und großen Grundbesitzer sprachen sich für die Trennung von Dänemark aus, die Bevölkerung will nicht getheilt sein: Handel und Verkehr weisen sie auf den deutschen Süden hin, nicht auf das dänische Jütland.

Tritt alsdann der Staat Schleswig=Holstein ohne Einbuße unter seinem berechtigten Herzog in den deutschen Bund ein, wie es jetzt endlich zu hoffen steht, so gewinnt Deutschland damit einen neuen Mittelstaat, der sich der Größe nach mit mehr als einer Million Einwohnern auf 341 Quadratmeilen unter den Bundesgliedern unmittelbar nach Baden einreiht. Sein Einfluß auf die künftige Gestaltung und Politik Gesammt= deutschlands dürfte aber leicht bedeutender wer­den, als der der meisten binnenländischen deut­schen Staaten, welche sich größeren Umfangs rühmen als er. Schon regte sich, wie in der so eben überwundenen Politik des Hrn. v. Bismarck der Wunsch früherer oder späterer Annexion, in der Haltung des Grafen Platen zu Hannover, da hier an Erwerb nicht zu denken war, die Eifersucht Hannovers auf den nun selbstständig werdenden seetüchtigen Nachbar. Möge im wei­teren Verlauf der Dinge an die Stelle des Miß­trauens, welches trotz aller Dankbarkeit in Schles­wig=Holstein gegen Preußen emporkam, an die Stelle der Erwerbelust Preußens, der Eifersucht Hannovers, allseitiger Wetteifer für die gemeisame Sache Deutschlands gesetzt werden, und der Eintritt Schleswig=Holsteins in den deutschen Bund wird für diesen epochemachend sein.

Den Streit darüber, ob Rendsburg Bundes­festung mit österreichischer, hannoverischer, preu­ßischer oder gemischter Besatzung werden soll, ob der Eiderkanal zu bauen sei, ob Schleswig­Holstein preußische Matrosenwerbung zulassen müsse, halten wir insgesammt für verfrüht, und zum Theil für müßig. Da Rendsburg nicht Grenzfestung bleibt, sondern mitten in ein Bun­desland hineinzu liegen kommt, so scheint zu­nächst mehr darauf anzukommen, daß Fridericia zeschleift bleibe, die unmittelbare Grenze gegen Dänemark, und namentlich die Häfen Schles­wigs, befestigt werden, als auf das Kronwerk an der Eider. Außerdem sollte man meinen, daß Schleswig=Holstein, sobald man ihm Zeit läßt sich militärisch zu organisiren, schon allein Manns genug sei, sich der Dänen zu erwehren, welche so eben die Hälfte ihrer Steuerquellen, die Hälfte ihres Rekrutirungsgebiets und ihrer Matrosen­aushebung einbüßen, und an den Wunden, die ihnen geschlagen und den Schulden, die ihnen hoffentlich nicht erspart werden, jahrelang zu tragen haben werden.

Von ungleich größerem Belang ist allerdings die Marinefrage. Wie wichtig ein großen Schiffen zugänglicher Eiderkanal zur Verbindung der Nord= und Ostsee sowohl für die Kriegs= als auch für die Handelsmarine sein würde, liegt auf der Hand. Ueber die Ausführbarkeit desselben von Brunsbüttel zur Eider und dann nach Eckernförde, scheint keine Schwierigkeit zu herrschen. Von den Dänen wurde aus andern Gründen als solchen des Terrains nicht gebaut. Aber dieser Kanal wird ein Kieler Kriegshafen und die Matrosenaushebung in dem matrosen­reichen Lande werden Dinge sein, die, soweit sie lokaler Natur sind, doch erst von einer geord­neten Landesregierung festgestellt sein wollen, und wenn es sich um Herstellung einer deutschen Kriegsflotte für Nord= und Ostsee handelt, von

allen Uferstaaten, die nun durch Schleswig=Hol­stein verstärkt werden, sowie vom deutschen Bund in die Hand genommen werden müssen. Von der Spannung, welche über diese Dinge, über Militärkonvention, Kriegskostenübernahme und weiß was sonst noch, zwischen dem Herzog Friedrich und Herrn v. Bismark bestehen soll, erlauben wir uns, vorläufig einen guten Theil auf das Guthaben der vielgeschäftigen und über den Minister natürlich weit hinausgehenden preußischen Offiziösen zu setzen.

Die Handelsflotte der Herzogthümer stand der von Dänemark bisher kaum nach, indem im Jahr 1860 ihre 2883 Seeschiffe eine Tragkraft von 53,673 Kommerzlast aufwiesen, während Dänemark 2770 Seeschiffe von 69,497 Kom­merzlast besaß. Dänemark berechnete seine Ein­fuhr im Jahr 1860 auf einen Werth von 36,512,000 Thlr., die Ausfuhr auf 17,950,000 Thlr.; Schleswigs und Holsteins Einfuhr be­trug gleichzeitig 25,454,000 Thlr., die Ausfuhr 21,058,000 Thlr. Bei Holstein standen die Ausfuhr und Einfuhr sogar im Gleichgewicht; die Ausfuhr überstieg die Einfuhr um 116,000 Thlr. Den Zollertrag Dänemarks finden wir 1861/62 auf 5,792,000 Thlr. angegeben, den der Herzogthümer auf 3,819,000 Thlr. künftige Stellung der Herzogthümer zum deutschen Zollverein und den schwebenden Zoll= und Han­delsfrägen bedarf wohl einer sehr eingehenden Untersuchung.

In der deutschen Politik wird Schleswig­Holstein die Stellung der Mittel= und Klein­staaten unstreitig ergreifen, dem Förderalismus zugethan, dem Unitarismus abgeneigt sich er­weisen. Wie dasselbe, falls es Preußen einver­leibt worden wäre, auf dem preußischen Landtag ohne Zweifel die deutsche Partei gegen die des specifischen Preußenthums verstärkt haben würde, so rechnen wir jetzt darauf, daß es als selbst­ständiger Bundesstaat den wesentlichen Inte­ressen des Liberalismus dienen, seine deutsche Gesinnung, vom Drucke befreit, um so kräftiger bethätigen, für das deutsche Parlament, das doch endlich kommen muß, gediegene Kräfte, an denen es dem Land in keinem Zweige des Wissens und Könnens fehlt, stellen wird. Aber anzu­nehmen, daß es mit den Interessen Preußens, von der preußischen Spitze abgesehen, in schroffen Widerspruch gerathen würde, liegt kein Grund vor, da die Natur und Lage des Landes und alle Bestrebungen der Bewohner mit jenen immer norddeutsche sind, und sich stets in einigem Gegen­satz zu den süddeutschen befinden werden.

(Allg. Ztg.)

Dänische Zustände.

Ueber die dänischen Verhältnisse schreibt die Leipziger Zeitung:Das Unglück Dänemarks ist seine Hauptstadt, denn sie ist viel zu groß für solches und übt einen unnatürlichen Druck auf das ganze Land. Während die größten däni­schen Provinzialstädte kaum 11,000 Einwohner besitzen, hat Kopenhagen deren an 170 bis 180,000 und strebt danach, schon eine Weltstadt zu sein. Der Däne hat dazu bei den vielen tüch­tigen Eigenschaften, die man ihm nicht abstreiten kann, die Sucht, sich gerne zu überheben und äußerlich mehr vorzustellen, wie er in Wahrheit ist, und wenn solche übergroße Eitelkeit, die so garleicht in Lächerlichkeit übergehen kann, über­haupt schon zu den Charakterzügen des Dänen gehört, so klebt sie dem eigentlichen Kopenhage­ner noch im erhöhten Grade an. Nach der Mei­nung eines echten Sohnes der dänischen Kapitale

nimmt seine Vaterstadt unmittelbar hinter Paris und London den ersten Platz in Europa ein. Wenn ek besonders gnädig ist, gesteht er viel­leicht Petersburg, Wien und Rom noch einige Vorzüge zu, allein Stockholm, Hamburg, Berlin und alle anderen deutschen, holländischen, schwe­disch=norwegischen Städte müssen unbedingt weit hinter Kopenhagen zurückstehen. Diese Groß­mannssucht des Hauptstädters, der wieder auf verschiedenen direkten und indirekten Wegen das ganze übrige Land zu beherrschen sucht, führt nun zu einer Menge Erscheinungen, die für den unbefangenen Beobachter oft sehr lächerlich sein würden, wenn nicht bisher die deutschen Unter­thanen Dänemarks unter ihrem Druck so viel zu leiden gehabt hätten.

Die erste Folge dieser unnatürlich großen Hauptstadt ist, daß das Land mehr junge Leute, welche sich den Studien widmen, alljährlich her­vorbringt, als es bedarf. Nicht allein der Kopen­hagener Bürgersohn will wo möglich studiren, sondern jeder junge Mann aus den Provinzen, der nur etwas gelernt hat, trachtet danach, die Kopenhagener Universität zu besuchen und wo möglich Beamter zu werden. So ist denn Kopen­hagen überfüllt mit Studenten, Staatsdiener= Aspiranten aller Art, Aerzten, Künstlern und vor Allem mit Literaten, und könnte ein doppelt so bedeutendes Land damit versorgen, als Däne­mark groß ist. Besonders diese übermäßige Zahl von Literaten, die größtentheils aus ehrgeizigen, eitlen, von sich und ihren Fähigkeiten und ihrer Bedeutung höchst eingenommenen Männern be­stehen, ist ein sehr bemerklich hervortretendes Unglück für das Land. Der Däne hat oft eine gewisse Leichtigkeit im Lernen, obgleich er es sel­ten zu etwas Gründlichem bringt, schreibt in der Regel rasch und gewandt, läßt seiner Einbil­dungskraft weiteren Spielraum, als daß er es mit der Wahrheit stets sehr genau nehmen sollte: lauter Eigenschaften, die sehr für einen Tages­schriftsteller passen und junge Leute, die keine Neigung fühlen, das social angenehme Leben der Hauptstadt mit einer kleinen Provinzialstadt zu vertauschen, leicht dazu verführen, das unsichere und gesährliche Gewerbe der Schriftstellerei zu ergreifen. So erscheinen allein in Kopenhagen 10 verschiedene politische Zeitschriften, was nicht allein für diese Stadt, sondern auch für das Land viel zu viel ist, da kaum 1,800,000 Menschen dänisch lesen können(in Jütland gibt es viele Ortschaften, in denen kaum ein Mensch lesen kann), und in den größeren Provinzial­städten ohnehin noch eine Lokalpresse vorhanden ist. Diese übergroße Menge von Literatur ver­anlaßt nun die damit beschäftigten Schriftsteller und Verleger, sich auf jegliche Weise Konkurrenz zu machen und ihre Blätter in möglichst auf­regender, klatschsüchtiger, pikanter und der Eitel­keit des Volks schmeichelnder Weise herauszu­geben, um auf solche Weise Leser und Käufer anzulocken. Schon der Konkurrenz wegen hul­digen alle diese verschiedenen Zeitungen den mannigfachsten, größtentheils extremen politi­schen Ansichten, füllen einen Theil ihrer Spalten mit gegenseitigen hämischen Angriffen aufein ander, begeifern und verspotten Alles, blos oft aus dem Grunde, um möglichsten Skandal zu machen, und üben in jeder Hinsicht den demora­lisirendsten Einfluß auf die Bevölkerung des Landes und gar der Hauptstadt, die ihrer Berüh­rung am meisten ausgesetzt ist, aus. Wer so recht sich davon überzeugen will, welchen Scha­den eine zügellose Presse anstisten kann, der ver­mag in dieser Hinsicht in Kopenhagen die um fassendsten Studien zu machen. Neben diesen sehr vielen Likeraten, unter denen sich augen­

blicklich kaum ein Name befindet, der außerhalb Dänemark bekannt ist, leben in Kopenhagen auch unverhältnißmäßig viele Advokaten. Der gleiche Grund, der manche junge gewandte Leute be­wegt, die Literatur zum Lebensberuf zu machen, läßt sie auch zur Advokatur greifen. Schon die materielle Noth zwingt diese vielen unbeschäf­tigten Advokaten, bei jeder Gelegenheit mög­lichen Lärm von sich zu machen, damit sie Auf­sehen erregen, ihr Name viel genannt werde und sie dadurch eine gewisse Bedeutung und somit auch leichter Erwerb finden.

Von den übermäßig vielen jungen studirten Leuten, die sich dem Staatsdienst widmen, suchen die tüchtigsten oder solche, welche die meiste Protektion besitzen, wo möglich ihr ganzes Leben in der Hauptstadt selbst zu verbringen, oder geht dies nicht an und müssen sie eine Zeit lang in die Provinz, doch so bald als möglich wieder in erstere zurückzukommen. Jedes Mittel, welches nur irgend wie zu diesem Zwecke führen kann, wird gewiß in Bewegung gesetzt, wie denn über­haupt große Gewissenhaftigkeit und festes Halten der einmal gegebenen Versprechungen selten zu den Eigenschaften der ehrgeizigen geistig leben­digen Dänen der höheren Stände zu gehören pflegt. Kann der dänische Beamte nicht in dem geliebten Kopenhagen bleiben, so sucht er wo möglich doch wenigstens eine Anstellung auf den Inseln, wo er in der größten Nähe der Residenz ist, zu erhalten, während Jütland und gar die Herzogthümer Schleswig=Holstein als eine Art von Verbannung betrachtet werden.

Je weiter von der Hauptstadt entfernt, desto schlechter werden in der Regel die Beamten, und gar nach Schleswig sandte man in den letzten 15 Jahren allen Ausschuß an dänischen Pre­digern, Aerzten, Schullehrern, Richtern und Verwaltungsbeamten, die man auf den stets bevorzugten Inseln aus verschiedenen Gründen nicht gebrauchen konnte. Schien den Dänen, trotz ihres Uebermuthes, ihre Stellung in Schleswig=Holstein doch immer unsicherer zu werden, so war das soziale Leben der von der Bevölkerung verachteten dänischen Beamten dort so unangenehm, daß alle wirklich tüchtigen und anständigen Männer nur ausnahmsweise und dann wo möglich auch nur vorübergehend, eine Anstellung in den deutschen Herzogthümern an­nehmen wollten. Alle solche fern von der Haupt­stadt befindlichen Dänen, welche eine Anstellung haben, die im Dänischen recht bezeichnend,liebes Brod heißt, suchen ihr Amt in pekuniärer Hin­sicht möglichst auszubeuten und verschmähen kein Mittel, um ja recht viel Geld zu erwerben und sich mit dem gesammelten Vermögen und einer Pension dann wieder nach Kopenhagen zurück­zuziehen. Es soll ganz außerordentlich sein, wie viel Geld auf diese Weise in den Herzogthümern und in Jütland von den Beamten erworben und später in Kopenhagen verzehrt, also den Pro­vinzen entzogen wird.

Diese Unmasse stockdänischer Beamten, welche man stets von Kopenhagen aus auf das Festland sandte, verbunden mit der Eitelkeit, die einen so sehr bezeichnenden Charakterzug der Inseldänen bildet, erzeugt auch eine lächerliche Rivalität und Titelsucht, von der man in Deutschland kaum einen Begriff hat, unter ihnen. So ist z. B. ein sehr gebräuchlicher Titel für die dänischen Post­meister:Kriegsrath, während Zollverwalter: Justizräthe" oderEtatsräthe" heißen, und ohne den TitelKammerjunker" oderKammer­herr sich fast kein Beamter, der nur etwas An­sehen hat. zufrieden gibt. Mit allen solchen Titeln ist der persönliche Adel, auf den in Däne­mark viel Gewicht gelegt wird, verbunden.

Alle diese übermäßig vielen studirt habenden Dänen bilden nun wesentlich die sogenannte eiderdänische Partei,welche die völlige Inkor­porirung des gesammten Herzogthums Schleswig bis zur Eider" in Dänemark wünscht und kein Mittel unbenutzt läßt, um dies Ziel zu erreichen. Es ist nur ein schroffer Egoismus, welcher diese Partei zusammengefügt hat, und reine Selbstsucht beseelt ihre Mitglieder. Daß Holstein, wo nur die deutsche Sprache gilt und was stets sich eine gewisse Selbstständigkeit gewahrt hat, weder von den dänischen Advokaten, Literaten und habsüch­tigen Beamten in der Weise, wie sie es wünschen, ausgebeutet werden kann, sieht man recht gut ein. So will nun diese eiderdänische Partei Holstein=Lauenburg seinem Schicksal überlassen und womöglich nur durch eine lockere Personal­Union mit Dänemark vereinigen, das Herzogthum Schleswig hingegen ganz an sich ziehen, um es dann zum Nutzen der Hauptstadt möglichst aus­zupressen. Wenn 400,000 wohlhabende Schles­wiger in Zukunft ganz dänisirt und von Kopen­hagen majorisirt würden, nur in der Residenz gedruckte Zeitungen und Bücher läsen, ihre Söhne dort auf die Schule und Universität sendeten, von dort alle ihre Beamten empfingen, die sich alsdann wieder mit ihrem Raube dahin zurück­zögen, ihre Prozesse bei den dortigen höheren Gerichten führten, kurz in all und jedem gänzlich von Deutschland losgerissen würden, so wäre dies aus den vorhin angeführten Gründen für die Mitglieder dieser eiderdänischen Partei ein ungemein großer pekuniärer Vortheil. Ueber eine halbe Million fleißiger und wohlhabender Menschen arbeitete dann mit für sie, um die Hauptstadt durch ihre Anstrengung zu ernähren und in einem eingebildeten Glanze zu erhalten. Sowie das Herzogthum Schleswig seine völlige Verbindung mit Holstein und somit mit Deutsch­land erhält, verlieren so und so viel Hundert Literaten, Advokaten, Beamte, Universitäts­Professoren, Ladenbesitzer 2c. in Kopenhagen den besten und bequemsten Theil ihres bisherigen reichlichen Erwerbes; es ist daher natürlich, daß alle diese Personen und die niedere von ihnen abhängige Volksmasse die verzweifeltste An­strengung macht und selbst den Kampf auf Leben und Tod nicht scheut, um den bisherigen Raub nicht wieder fahren zu lassen, sondern ihn mög­lichst zu behalten und auszubeuten.

Wohin aber diese bisherige unnatürliche Ver­größerung und Begünstigung der Hauptstadt die übrigen entfernteren Provinzen führen muß, kann man am deutlichsten in Jütland sehen. Diese Provinz besteht zu zwei Dritteln aus gutem fruchtbaren Boden und hat eine sehr günstige Handelslage, ist aber in jeder Hinsicht sehr weit zurückgeblieben und kann mit zu den verwahrlosesten Ländern in ganz Europa ge­rechnet werden. Besonders Ackerbau, Handel und Industrie sind entsetzlich weit in Jütland hinter allen diesen Zweigen der menschlichen Thätigkeit in Holstein zurück und die jütländischen Städte Aarhuus, Aalborg, Randers und Fride­ricia gehören zu den verwahrlosesten Orten, die man nur finden kann. Man sieht hier so recht, wie die Hauptstadt nicht allein die materiellen Mittel des Landes möglichst auszubeuten suchte, sondern ihm auch durch ihre Anziehungskraft die besten intellektuellen Kräfte entzog. Wenn Kopen­hagen weniger Studenten und aus ihnen hervor­gehende Aerzte, Advokaten, Literaten und ehr­geizige Stellenjäger und Jütland dafür mehr intelligente Landwirthe, Fabrikanten oder auch nur wahrhaft für seinen Nutzen sorgende Beamte hätte, so würde dies für ihr beiderseitiges Wohl ungleich besser sein. Freilich die sozialen An­

Zweites Sängerfest des Rheini­schen Sangerbundes. Köln, 13. Juni. Der erste Tag des vom Rheinischen Sängerbunde veranstalteten Sän­gerfestes ist vorüber und hat die gehegten Er­wartungen nicht hinter sich zurückgelassen. Von den auswärtigen Vereinen traf der Euskirchener Männer=Gesangverein" zuerst ein und zog mit seinem eigenen(Dilettanten=) Musikkorps durch unsere Straßen. Dieser Aufzug schien anregend und belebend zu wirken, denn wo in den mittle­reu Stadtgebieten der Festschmuck der Häuser noch fehlte, wurde das Versäumte nunmehr schleunigst nachgeholt. Gegen 9 Uhr langten in kurzen Zwischenräumen sämmtliche 31 Vereine hier an. Kurz nach 10 Uhr begann die Haupt­probe, mit deren Resultat die Herren Abt, Fischer und Hiller ihre Zufriedenheit zu erkennen gaben. Am Nachmittage versammelten sich die Vereine mit ihren Fahnen zum Festzuge im Gertruden­hofe. Hier begrüßte Herr Oberbürgermeister Bachem, welchem das Gelingen des schönen Fe­stes zum größeren Theile zuzuschreiben ist, die Sänger im Namen der Stadt. Derselbe drückte ein Bedauern aus, daß er durch Unwohlsein verhindert sei, die Sänger auf ihrem Zuge zum Gürzenich vom Balkone des Stadthauses zu be­Eüßen; er wollte daher wenigstens hier im ge­mossenen Raume den geehrten Sängern das Willkommen der Stadt Köln aussprechen. So kufe er denn, fuhr er ungefähr fort, den versam­melten Sängern herzlichen Gruß und herzliches Willkommen zu, Namens der Stadt und ihrer

Bürger, sowie Namens ihrer zahlreichen Säu­gerkreise. Im vorigen Jahre seien die Sänger nach Aachen gezogen, Siege zu erringen im ge­genseitigen Kampfe. Sie seien heimgekehrt, ihre Fahnen geschmückt mit den Kränzen des Sieges. Heute vereinigten sie in Köln diese Kränze zur Befestigung ihres Bundes in gemeinsamem Stre­ben. Was sie im Laufe des Jahres im kleinen Kreise erstrebt und gewonnen, davon legten sie heute bei ihrer Vereinigung Zeugniß ab, und durch die Vereinigung ihrer Kräfte würden sie jene Macht des Gesanges bilden, welche die Ge­müther erfaßt und begeistert. Ein schönes Stre­ben sei es, über dem Ernst des Lebens und seine Verhältnissen den Schwung und die Begeisterung für das Höhere und Edlere nicht zu vergessen. Der Sänger kleine Kreise gäben das Zeugniß, daß sie diesem Streben huldigten, und ihre Ver­einigungen von Zeit zu Zeit würden gleiches Streben in immer größere Kreise tragen und so den Sinn wecken und beleben für alles Schöne und Edle, was des Menschen Brust hebe und erweitere. In solchem Sinne zu wirken, werde jedem Einzelnen eine Freude und werde die Freude ihrer Vereinigung sein. Wenn er die Sänger nun einlade, den Zug zum ehrwürdigen Gür­zenich zu beginnen, so geschehe es mit dem Wun­sche, daß dort die Gefühle ihrer Zuhörer sich he­ben möchten an der Gluth ihres Gesanges, und daß die Macht ihres Gesanges sich nähre an die­sem Gefühle ihrer Zuhörer. Dann werde der heutige Tag Allen eine freudige Erinnerung ge­

Möhren, ie andmüriigen Sönger mnhen den.

Kölner Sängertag als einen neuen Grundstein zu ihrem Bunde im Andenken erhalten und die Bürger Kölns würden der frohen Hoffnung le­ben, daß die Sänger gern hierhin kommen, um den warmen Willkommgruß der Stadt stets zu empfangen.

Dann ordnete sich der Fest=Zug, und zwar in folgender Weise: Voran ein Musikkorps, das Fest=Komite, der Fest=Ausschuß, das Bundesprä­sidium, der Kölner Liederkranz und Apollo, Mu­sikverein von Dülken, Concordia von Aachen, Männer=Gesangverein von Mülheim a. Rh., Teutonia von Warden, Cäcilia von Godesberg. der Quartettverein von Düsseldorf, Concordia von Crefeld, Orphea von Aachen, Musikkorps Harmonie von Euskirchen, Männer=Gesang­vereine von Euskirchen, Erkelenz und von Bonn, Liederkranz von Poppelsdorf, Liedertafel von Neuwied, David=Verein von Burtscheid, Lieder­kranz von Eschweiler, Bürgergesangverein von Brühl, Liederkranz von.=Gladbach, Männer= gesangverein von Bensberg, Musikkorps Har­monie von Crefeld, Männergesangverein von Wickerath, Liedertafel von Viersen, Orpheus von Barmen, Männergesangverein von Hüls, Con­cordia von Düren, Frohsinn von Rodenkirchen, Germania und Polyhymnia von Köln. Der im­posante Festzug bewegte sich um den Neumarkt, durch die Schildergasse, die Hochstraße, über den Hof, unter Taschenmacher zum Altenmarkte, wo sich die Vereine unter dem Rathhaus=Balkon aufstellten. Herr Stadtrath Hospelt betrat den­

Im Namen und aus Auftrag des Fest­komités bringe ich Ihnen, den zum zweiten gro­ßen Sängerfeste erschienenen Mitgliedern des rheinischen Sängerfestes, ein herzliches Will­kommen. Die alte Colonia, schon oft bekränzt, wenn es galt, den verschiedensten Zweigen der Kunst zu huldigen, hat heute abermals ihr Fest­kleid angelegt. Heute gilt es, Männer zu empfangen, die, vereint durch die Macht des Gesanges, sich noch enger verbündet haben, um dem deutschen Liede, diesem Vorkämpfer deut­scher Einheit und Freiheit, die höchste Weihe zu geben. Einen frischen freundlichen Gruß, ein fröhliches Willkommen beut Ihnen daher die Stadt, die sich rühmen mag: eine Pflanz­stätte des deutschen Gesanges, dem deutschen Liede die weitgehendste Verbreitung und Aner­kennung verschafft zu haben! Sie ziehen jetzt hin nach dem alten Gürzenich, der die in ihm gefeierten Feste nach Jahrhunderten zählt und in dessen weiten Hallen auch die Kunst ihre schönsten Triumpfe gefeiert hat. Ihr großes, in Ihrer mächtigen Vereinigung und durch die Lei­tung bewährtester Meister so bedeutungsvolles Sängerfest wird ein leuchtendes Blatt mehr in dem Kranze seiner vielen Erinnerungen sein. Möge dieses Fest auch bei Ihnen ein freundli­ches Andenken an die alte Rheinstadt zurück­lassen. Der heutige Tag trage dazu bei, Ihr junges Bündniß zu kräftigen und zu mehren. Der rheinische Sängerbund möge wachsen und gedeihen; er möge das deutsche Lied und deut­

mithelfen, die Bande noch fester zu knüpfen, welche umschlingen alle Bewohner unseres schö­nen Rheinlandes und das ganze deutsche Ba­terland!

Sodann nahm Herr Alex Günther das Wort, um die anwesenden Vorstände, welche sich in­zwischen in den großen Rathhaus=Saal begeben hatten, im Namen der vier Kölner Vereine, die zum rheinischen Sängerbunde zählen, und im Auftrage des Fest=Ausschusses einen herzlichen Sängergruß zu entbieten. Mit voller Befriedi­gung, sagte er, dürfe der junge Sängerbund zu­rückschauen auf die kaum zweijährige Zeit seines Bestehens, indem er schon 42 Vereine am Nie­derrhein umfasse und gefeierte Tondichter, wie Abt und Hiller, sich bereit zeigten, ihm Kompo­sitionen zu widmen. Noch mehr: die Herren Abt, Hiller und Fischer Fischer, Hiller und Abt seien an die Spitze der Leitung des Kon­zertes getreten. Diesen spreche er den innigsten Dank aus. Dank jedoch gebühre auch der alt­ehrwürdigen Colonia; denn von allen Seiten habe man Bereitwilligkeit gezeigt, dem Feste jeden Vorschub angedeihen zu lassen. Die Spitzen der Bürgerschaft seien ins Fest=Komité getreten; namentlich hätten der Herr Oberbürgermeister Bachem und die Stadtverordneten sofort Be­schlüsse gefaßt, die einen vortheilhaften Einfluß auf andere Behörden und Korporationen aus­übten. Der Redner forderte dann zu einem drei­

fachen Hoch auf den Hrn. Oberbürgermeister, die Stadtverordneten und mit diesen auf Hrn. Hos­