O Honnef. 30. Dezember. In der gestrigen Stadtverordneten= Sitzung waren unter dem Vorsitze des Herrn Bürgermeisters Brenig anwesend die Stadtverordneten Herren Braun, Brinck, Broel, von Holleben, Jansenlus, Kickel, Krahe, Krahé, Merkene, v. Oven, Pro­fittlich, Rüdesheim, Schneider, Walkembach, San.= Rat Dr. Weeg., Protokollführer: Stadtsekretär Schneider.

Vor Eintritt in die Tagesordnung regt Stadtv. Broel die Einrichtung eines Postscheckkontos an der Stadtkasse an zur Bequemlichkeit für viele Steuerzahler; auch werde dem großen Gedränge an der Kasse dadurch in etwa abgeholfen. Die Anregung, der auch Stadlv. Jansenius bei­tritt, wird sofort zum Beschluß erhoben.

Weiter gab der Vorsitzende bekannt, daß die Schaffung einer Rodelbahn ine Auge gefaßt sei. Eine.sichtigung, bei der er sich der Teilnahme der Stadtv. Broel und Schneider er­freuen konnte, im Einsiedlertal am Löwenburger­hof, habe ergeben, daß sich dort eine prächtige Bahn anlegen lasse unter Benutzung von fiekalt­schem und städtischem Terrain. Die Rodelbahn beginne an der am Löwenburgerhof oberhalb der Fahrstraße durchs Einsiedlertal gelegenen Wiese, die mit ca. 400 Meter Länge benutzt werde und die mit ihrem Gefälle den Schlitten die nötige Geschwindigkeit gebe und solge der Fahrstraße ca. 1600 Meter, erhalte also eine Gesamtlänge von 2000 Metern. Ein Fußweg zum Hinauf­ziehen der Schlitten ist seitwärts vorhanden. An Kosten erfordere die Herrichtung der Bahn nicht viel, es sei nur eine scharfe Kurve zu beseitigen, wozu ungefähr 250300 Kubikmeter Erde be­wegt werden müßten. Die Gesamtkosten könnten höchstene 500 Mk. betragen. Vor längerem habe Geheimrat Schulz-Köln für die Herstellung einer Rodelbahn ihm bereits 100 Mark zur Verfügung gestellt, sodaß er beantrage, der Verwaltung noch einen Credit bis zu 400 Mark zu bewilligen. Anschließend an die Worte des Vorsitzenden führte Stadtv. Broel aus, daß sich an der geplanten Stelle am Löwenburgerhof eine Rodelbahn schaffen lasse, wie sie besser nicht gedacht werden könne, und die sicherlich viele Rodler dorthin führen werde. Auch Zuschauer kämen auf ihre Kosten, da man von der Fahrstraße zum Margarethenhof aus die Bahn ziemlich weit überblicken könne. Der Vorsitzen de bemerkt noch, daß die Stadt, falls sie die Ausgabe bewillige, sich ein Recht auf den ungehinderten Rodelbetrieb über dem zum Löwenburgerhof gehörigen Pachtgebiet sichern müsse, der aber nach Worten des Stadtv. Broel außer Frage steht, da sich der derzeitige Pächter des Löwenburgerhofes, Herr Thomas, damit ein­verstanden erklärt habe. Die weiter noch erfor­derlichen Schritte bei der Domänenverwaltung sind eingeleitet. Auf die Frage des Stadtv.

Jansenius, ob die Straße vom Einsiedler­tal zur Löwenburg durch die Anlage der Rodel­bahn gesperrt werde, was im Hinblick auf den Schlittenverkehr und im Interesse der Kutscher zu bedauern sein würde, erwiderte der Vor­sitzende, daß für die Dauer des Rodelns die Straße für jeglichen Verkehr gesperrt werden müsse, wolle man die Stadt vor Entschädigungs­ansprüchen sichern. Der Verkehr zur Löwenburg über genannte Straße sei im übrigen ganz minimal, zudem sei die Straße über Hohenhonnef zur Löwen­burg noch vorhanden. Nach einer kurzen Debatte, in der die Stadtv. Schneider und Broel noch einmal für die Anlage der Rodelbahn ein­traten, wurde dieselbe beschlossen.

Wie aus den Worten des Vorsitzenden her­vorging, wird, um einen geordneten Betrieb zu ermöglichen, die Erhebung eines kleinen Entrees

eiwa 20 Pfg. nötig sein.

1. Elektrische Bahnen Bonn Honnef und LinzHonnef. Stadtv. Merkens bemerkte vor Eintritt in die Ver­handlung, daß, soviel ihm bekannt sei, ein Be­schluß bestehe, wonach alle Verhandlungen über die elektrischen Bahnen in geheimer Sitzung geführt werden sollten. Der Vorsitzende erwiderte, daß ein solcher Beschluß bestehe, er habe aber geglaubt, auf frühere Beme. kungen hin, daß zuviel geheim verhandelt werde, die Angelegenheit au die Tagesordnung der öffentlichen Sitzung zu stellen. Man könne aber beschließen, in geheimer Sitzung zu beraten. Stadtv. v. Holleben erklärte, er sei im Prinzip für öffentliche Ver­handlung. In der Bürgerschaft herrsche eine voll­kommene Verwirrung, niemand wisse etwas Be­stimmtes und von allen Seiten würden die Stadt­verordneten angezapft. Er sei für öffentliche Verhandlung, damit endlich einmal Klarheit komme. Wenn aber die Mehrheit den Beschluß fasse, geheim zu verhandeln, müsse er sich dem beugen; er bitte dann aber, das Resultat der Verhandlung öffentlich bekannt zu geben.

Die Versammlung beschloß mit großer Mehr­heit, die Angelegenheit in geheimer Sitzung zu beraten.

Der Beschluß.

Die Versammlung beschloß bezüglich des Weiterbaues der Bahn von Königs­winter nach Honnef, die Verhandlungen mit dem Verwaltungsausschuß in Bonn wieder aufzunehmen. Die Verhandlungen sollen durch ein. Kommission geführt werden. In diese wurden gewählt: Beigeordneter Janseniue, die Stadtverordneten von Holleben, Merkens und San.=Rat Dr. Weeg sowie Bürgermeister Brenig.

+ Honnef, 30. Dez. Der von der Pfarr­geistlichkeit herausgegebene Kirchenkalender der Pfarrgemeinde Honnef und der Rektoratskirche in Rhöndorf wird morgen im Druck fertiggestellt und ist von Neu­ahr ab käuflich zu haben. Wir empfehlen den elben allen unseren Pfarrangehörigen.

+ Honnef, 30. Dez. Etwas verspätet, aber gern berichten wir heute über die wieder einmal tadellos gelungene Weihnachtsfeier des Evangeli­schen Männervereins am zweiten Festtage. Der Kursaal war so besetzt wie noch nie, kein Platz war mehr zu finden. Man kann sagen: Alle Stände waren vertreten, alle fühlten sich mit einander als Glieder einer Familie unter dem Weihnachtsbaum, allen wurde etwas ihnen Zu­agendes geboten. Die Festkommission hatte wacker gearbeitet. Ein Prolog wurde ausge­zeichnet von einem Schulkind gesprochen, Pfarrer Werther hielt eine kurze Weihnachtsansprache, der Kirchenchor bot hübsche Weihnachtsweisen, die alten Weihnachtslieder wurden gemeinsam ge­sungen, Fräulein Ohlert hatte zum ersten Mal ihre Stimme in den Dienst des Ganzen gestellt und trug UhlandsHirtenlied" undWillkommen mein Wald" sehr stimmungsvoll unter verständnisvoller Klavierbegleitung vor. Im 1. und 2. Teil gab es je ein Theaterstück, zunächst ein reizendes Kinderstück, um das sich die Damen Toni Kremer, Ilje Bohland und Leich vor allem be­müht hatten, und wer weiß, wos es heißt, 23 Kinder zu einem Stück einzuexerzieren, wird ver­stehen, wieviel Mühe die Damen aufwandten, wird sich aber auch freuen, daß sie vollen Erfolg erzielten. Es war ganz entzückend. Erwachsene und Kinder spielten aber auch gleich ausgezeichnet. Am meisten freute man sich wohl an demHeinerle. Das zweite Stück war ein fideles Stück, wirkend weniger durch seinen Gesamtinhalt, als durch Einzelpersonen, wirkend besonders darch das treffliche Spiel aller Beteiligten. Sie hatten sich alle sehr große Mühe gegeben, die bewährten Schauspieler und die neuen Kräfte, und so klappte die Geschichte sehr gut und löste viel Heiterkeit bei den

Zuhörern aus. Jedenfalle waren all Teilnehmer von Herzen allen in dunkbar, die###n dies schöne Fest bereitet hatten. Und wenn die Unentwegten nachher noch lange zusammensaßen, so war das wohl auch ein Zeichen dafür, daß man an dem Fest Gefallen gefunden hatte. Der Kurhauswirt hatte für Speise und Trank trefflich gesorgt.

X Honnef, 30. Dezbr. Am Neujahrstage feiert die kath. Bürgergesellschaft im Winzerveren ihr Stiftungsfest, verbunden mit Weihnachtefeier und Verlosung. Es sind große Vorkehrungen getroffen, um diese Feier wieder würdig zu be­gehen.

= Rhöndorf, 30. Dez. Mit der auftrags­weisen Verwaltung der ersten Lehrerstelle an der hiesigen Schule ist der Schulamtsbewerber Anton Ritterath aus Löhndorf betraut worden.

O Rhöndorf, 21 Dez. Der Turnverein Rhöndorf feiert am Neujahrstage im Vereinslokal Hotel Drachenfels sein Weihnachtsfest, ver­bunden mit turnerischen Aufführungen, Verlosung und anschließendem Ball bei freiem Eintritt. Der Reinertrag wird zur Auschaffung von Turn­geräten verwandt. Freunde und Gönner des Vereins sind herzlich willkommen. Näheres im Inseratenteil.

** Kölner Wetterprognose for den 30. Dezember: Kalt bie zu Frost. Schnee. Wind nördlich-nordöstlich.

* Wie aus dem Inseratenteil hervorgeht, bleibt die Kasse der Honnefer Volksbank des Jahresabschlusses und der Aufnahme der Be­stände wegen am Mittwoch, den 31. do. Mte, nachmittags geschlossen.

Aus Nah und Fern.

Köln, 27. Dez. Eine angenehme Ueber­raschung wurde einem Arbeiter und Familien= vater des Karlswerkes in Mülheim-Rhein am 1. Weihnachtstage zuteil, indem er als Erbe von 70000 Mk. vom einem kürzlich verstorbenen, bieher ihm unbekannten Verwandten eingesetzt worden war.

Neuwied, 16. Dez. Eine häßliche Absicht verfolgte der Metzger und Tagelöhner Phil. K. zu Oberbieber gegen seinen Schwiegervater. Er lebte mit dem 68jährigen Manne, dessen Frau kürzlich gestorben war, in gespanntem Verhält­nis und schrieb deshalb am 15. August folgenden Brief an die Expedition der Neuwieder Zeitung: Bitte folgende Annonce in die Sonnabend­und Montagnummer einrücken:Suche zum 1. Oktober eine tüchtige Haushälterin im Alter von 30 bis 40 Jahren zwecks späterer Heirat Anstreichermeister, Segendorf." Die Sache kam heraus und wurde Anklage wegen Urkunden­sälschung erhoben, die vor der Strafkammer verhandelt wurde. Der Angeklagte wurde zu acht Tagen Gefängnis verurteilt.

Wiesbaden, 28. Dez. Einen beispiellosen Erfolg hat Wiesbaden als Kurstadt sich geholt am Sametag konnte bereits der 190116. Fremde gemeldet werden. Trotz der ungünstigen Witterungsverhältnisse dieses Jahres, unter denen der Besuch aller Badeorte auch der im Auslande stark gelitten hat, trotz der widrigen politischen Verhältnisse auf dem Balkan, die in die Haupt­reisezeit fielen, und trotz der damit verbundenen allgemeinen unsicheren politischen Weltlage, die auch die Reiselust wesentlich beeinträchtigte, hat sich die Fremdenziffer der Weltkurstadt stark vermehrt. Während bis 31. Dezember 1912 gezählt wurden 189370 Fremde, ist bereits am Samstag, den 20. Dez., die Jahl 160116 er­reicht. Besonders erfreulich ist an dieser Ziffer, daß die darin enthaltene Zahl der Kurgäste mit 64445 um 1545 höher ist als die gleiche Ziffer des Jahres 1912, um etwa 5000 höher als die

Kurgästezahl 1911 und um 6431 höher als die des Jahres 1910.

Kreuznach, 28. Dez. Das neue Kurhaus ist an einen Aachener Hotelier verpachtet worden. Die Pachisumme wurde für das erste Jahr auf 75000 Mark und für das zweite Jahr auf 80000 Mark festgesetzt. Bis zur nächsten Saison wird auch der gesamte Hotelbetrieb ausgenommen.

Vermischtes.

Das Eisenbahnunglück bei Cochem.

Koblenz, 29. Dez. Ueber den Eisenbahn­unfall im Kaiser-Wilhelm=Tunnel bei Cochem ist noch folgende Darstellung des Rottenführers Krämers nachzutragen: Seit dem ersten Weih­nachtstage waren im Tunnel zwei Schienen des Berggeleises gebrochen. Am Samstagabend nach der Durafahrt des-Zuges, 8 Uhr 43 Min. von Koblenz nach TrierMetz, fragte der ge­nannte Rottenführer durch Fernsprecher in Eller an, ob noch ein Zug nachkomme. In Eller konnte man ihm aber keinen Bescheid geben. Darauf fragte er in Kochem an, von wo aus ihm gesagt wurde, es werde kein Zug mehr durchfahren. Krämer benachrichtigte nun Cochem, daß man das Geleis sperren und die Schienen auswechseln werde. Als damit begonnen worden war, kam der Güterzug 6489 mit zwei Loko­motiven durch den Tunnel gefahren. Die aus­gelegten Kuallsignale haben sich entzündet, sind aber wayrscheinlich nicht von dem Lokomotiv= führer gehört worden. An der Auswechselstelle kam dann der Zug zum Entgleisen. Bald kam von der andern Seite auch ein Güterzug, der auf den entgleisten auffuhr. Der Sachschaden ist sehr groß. Die Aufräumungsarbeiten sind mit allen Kräften ausgenommen worden, doch wird es noch bis Dienstagvormittag dauern, bis der Betrieb wenigstens eingleisig wieder ausgenom­men werden kann.

*

Der neue Tunnelunfall.

Gelegentlich des Eisenbahntunneleinsturzes im Harrasselsen wurde darauf hingewiesen, welch außerordentlich sorgfältige Ueberwachung die Tunnelanlagen hinsichtlich ihrer Baufestigkeit er­fordern. War aber das damalige Unglück auf einen Zusammensturz der Felsmassen zurückzu­führen, so zeigt der eben erfolgte Eisenbahnun­fall im Kaiser Wilhelm Tunnel bei Cochem, daß es auch um den Streckendienst innerhalb der Tunnels nicht immer so bestellt ist, wie es zu wünschen wäre. Der Unfall, dessen leßzte Ur­sache in einem einfachen Schienenschaden zu suchen ist, hätte noch viel schwerere Folgen nach sich ziehen können, wäre auf dem entgleisten Güter­zug nicht ein zweiter Güter-, sondern ein Per­sonenzug aufgefahren. Eo läßt sich kaum ab­sehen, mit welchen Verlusten dieser durchaus nicht unmögliche Ausgang des Unfalles zu be­klagen gewesen wäre. Ein sorgfältiger Unfall­dienst in Tunnels ist eben ein unbedingtes Er­fordernis. Darum sollten die maßgebenden Be­hörden im Interesse des reisenden Publikums

in ihrem eignen Interesse für eine noch strengere Durchführung der bestehenden Vorschriften, soweit es sich als erforderlich erwiesen hat, in solchen Anlagen Sorge tragen.

Vom Wetter.

Metz, 29. Dez. Die Mosel ist infolge des starken gestrigen Schneefalls und Tauwetters eit gestern hier um 1,5 Meter gestiegen, in Trier in den letzten 24 Stunden um mehr als 2 Meter. Sie steigt noch andauernd. In dem Hochwald und in der Eifei liegt der Schnee einen halben Meter hoch. Der Verkehr ist unterbunden. Die Züge erleiden Verspätungen. Die Drahtleitungen sind vielfach gestört.

Jugendliebe.

Roman von B. v. d. Lancken. 1

(Nachdruck nicht gestattet.)

1. Kapitel.

Ein Rittergut im nördlichen Deutschland, Hell­ringen hieß es, war seit Hunderten von Jahren er Familie von Velten gehörig. Das Wohn­saus, hohes Parterre und ein Stock, präsentierte ich als ein schwerfälliger, aber doch schöner, mas­iv aufgeführter Bau mit Rampe und Balkon. Der Zlatz vor demselben war mit Kies bestreut, auf em großen Rasenrondell waren Beete mit hoch­tämmigen Rosen angelegt, den Hof zu beiden Sei­en begreuzten Wirtschaftsgebäude und Stallun­en, nach rückwärts dehnte sich ein in Terrassen ab­allender Garten von nicht unbedeutendem Um­ange aus, der wahre Prachtexemplare alter Bäume nfzuweisen hatte, nicht aber in einem bestimmten Stil angelegt und auch keinem modern ausgebil­eten Gärtner anvertraut war.

Deralte Degener versah diesen Posten schon ange zur Zufriedenheit des jetzigen Besitzers; an edem Mittwoch= und Samstag=Nachmittag wur­en ihm ein paar flinke Jungen und Mädchen aus sen Dorfe zur Hilfe beigegeben, das genügte, um sie nötige Ordnung zu schaffen. Der Rasen wurde nich gemäht, aber ein bißchen rotblühender Klee, sier und da ein paar Gäuse= und Butterblümchen, jahmen ihm in den Augen der Helldringer nichts von seiner Schönheit. Die verfeinerten und über­einerten Kulturbestrebungen der Außenwelt wa­en noch nicht bis hierher gedrungen, Land und Zeute hatten sich eine gewisse frische Ursprünglich­eit bewahrt.

Der jetzige Besitzer, Karl Friedrich von Velten, var ein hoher Vierziger, von schöner Gestalt, breit­chultrig, mit bräunlich=blondem Haupt= und Bart­saar, ein Mann, dessen Gesichtsausdruck Willens­raft, dessen Auge aber daneben unendliche Her­

zensgüte und Freundlichkeit ausdrückten, von den Standesgenossen wurde er wertgeschätzt, von sei­nen Untergebenen als wohlwollender Herr geliebt, von seinem Sohn und seiner Nichte vergöttert, mit einem Wort, alle Herzen schlugen ihm entgegen, alle wußte er für sich zu gewinnen.

Wenn das Familienleben im Helldringer Hause trotzdem kein ganz ungetrübtes war, so traf die Schuld nicht ihn, sondern seine Gattin Helene, eine geborene Baroneß Klinkoff. Weil sie körperlich schwach, nervös und reizbar war und von ihrem Gatten im Gefühl seiner vollen Kraft und geisti­gen Ueberlegenheit in Nachsicht und Liebe durchs Leben getragen wurde, hatte sich bei ihr, wie man es häufig bei Personen mit eng begrenztem Ge­sichtskreise findet, ein gewisser Eigensinn ausgebil­det, der für ihre Umgebung geradezu peinigend wurde, den sie selbst aber nur zu gerne für eine anerkennenswerte Charakterstärke ausgab. Dünkel­hafter Ehrgeiz und krasse Selbstsucht gingen mit dieser Eigenschaft Hand in Hand, und daß gerade Karl Friedrich diese Frau hatte lieben und heira­ten können, war für alle seine Freunde und Be­kannten ein Rätsel geblieben. Indessen, Helene von Klinkoff war als Mädchen von blendender Schön­heit und klug geuug gewesen, ihren wahren Cha­rakter geschickt genug zu verbergen; vielleicht hatte sich derselbe auch erst im Laufe der Jahre und bei ihrer zunehmenden Kränklichkeit so entwickelt. Die Ehe war mit zwei Kindern gesegnet, einem Mädchen, das frühzeitig starb, und einem Knaben, Rolf, der Zug für Zug dem Vater glich. An Stelle des verstorbenen Töchterchens hatte Herr von Vel­ten das einzige verwaiste Kind seiner Schwester in das Haus genommen. Therese von Velten hatte eine reine Neigungsheirat mit einem reichen Bre­mer Patriziersohn Jakob Dyrfurt geschlossen. Durch unglückliche Spekulation verlor derselbe aber den größten Teil seines Vermögens, mit dem Rest ent­floh er nach Amerika, und man hörte nie mehr von ihm. Als sein Weib ein Jahr später starb, hatte sie

dem Bruder die kleine, damals sieben Jahre alte Magelone ans Herz gelegt, und dem verlassenen Kinde war in Helldringen eine zweite, liebe Hei­mat, in Karl Friedrich ein treuer Vater geworden.

Magelone war geistig ihren Jahren weit vor­aus, sie lebte ein nach innen gerichtetes Seelenle­ben, beobachtete scharf und hatte ein tiefes leiden­schaftliches Empfinden, ihre Zuneigung, wie ihre Abneigung wußte sie nicht zu verbergen und zeigte die eine wie die andere deutlich. Mit dem um einige Jahre älteren Rolf stand sie im besten Ein­vernehmen, ja, die Kinder hingen mit wirklich rüh­render Liebe aneinander, und daher mochte es kom­men, daß seit Rolf das Gymnasium der Provin­zial=Hauptstadt besuchte und Magelone von einer französischen Gonvernaute unterrichtet wurde, sich oft ein Gefühl der Vereinsamung bei ihr regte. Die Ferienzeit, die Rolf auf Wochen in Helldringen zu­brachte, war stets eine festliche und besonders freu­dige für das Kind.

So war es auch jetzt in den großen Sommer­ferien, eine Reihe glücklicher Tage sollte ihr Ende erreichen. Der letzte Feriensonntag lag hinter ihnen, es war Mittwoch am Freitag mußte Rolf wieder fort. Der große Helldringer Garten lag, vom warmen Nachmittagssonnenschein übergossen, still und menschenleer da. Magelone kam aus dem Hause, ihr niedlicher, schwarzer Teckel wackelte ge­mächlich hinterher. Das Kindergesicht war nach­denklich, langsam was sonst gar nicht ihre Art war schritt sie die Wege entlang, bis sie am Ende des Gartens und an dem stillen Weiher, der denselben gegen das Feld abschloß, angekommen war. Der ovale, mittelgroße Teich, rings von hohen, mit Haselnußgestrauch, Birken und Pap­peln bewachsenen Ufern umgeben, war Magelo­nens liebstes Ziel. Stundenlang konnte sie im Grase zwischen den Bäumen liegen oder auf dem Stamme einer gestürzten Pappel sitzen, deren Wurzeln noch im Boden hafteten, deren grüne Blätterkrone aber über den Wasserspiegel hinausragte. Ein alter

Schwan, der langjährige Bewohner des Weihers, und seine weniger vornehmen Verwandten, die Enten vom Hofe, die durchs Korn ab und zu hin­untergewatschelt kamen, waren dann ihre einzige Gesellschaft.

Als Magelone die Gartenpforte hinter sich ins Schloß geworfen, sprang sie leichtfüßig das Ufer hinab, balanzierte dann auf dem Pappelstamm ent­lang bis zu ihrem gewöhnlichen Sitzplatz zwischen zwei großen Aesten und ließ sich gemächlich zwi­schen denselben nieder, der runde Strohhut hing ihr am Arm, Muff, der Teckel, machte es sich am Ufer im Sonnenschein bequem, Schwan und Enten ruderten in einiger Entfernung langsam auf und ab.

Magelone legte ein Knie über das andere, stützte den Kopf in die Hand und blickte prüsend in das leicht bewegte Wasser unter ihr, in der sich der blaue Himmel, die zitternden Pappelblätter und ihr eige­nes kleinesIch widerspiegelten. Es waren Gedanken ganz eigener Art, die sich in dem Kin­derköpfchen kreuzten. Wie hatte die fremde Dame, die oben bei der Taute zum Kaffee war, doch ge­sagt?Sie ist ja so schön, dadurch wird sie ihr Le­bensglück finden!" Mit diesemsie" war Mage­lone gemeint, sie hatte es wohl verstanden, ein weniger gewecktes und begabtes Kind würde viel­leicht kaum darauf geachtet haben, ihr war keines der gefährlichen Worte entgangen, und sie hatte ihr Nachdenken über die eigene Person angeregt. Sie beugte sich weiter vor und lächelte dem Bilde zu, das ihr aus dem Wasserspiegel entgegenschaute. Es war ein liebreizendes Gesichtchen, von reichem wirrem Goldgelock umrahmt; unter langen, et­was dunkleren Wimpern strahlten tiefblaue, fast schwärzlich schimmernde Augen, von feinen Brauen überwölbt; süß war der rosige Kindermund, in den weichen, runden Wangen bildeten sich beim Lachen zwei allerliebste Grübchen. Die kleine Eitelkeit schien befriedigt, sie nickte amüsiert dem hübschen Bilde da unten zu und strich mit den weißen Händchen die widerspenstigen Locken aus der Stirn. 205,16