Dusch unstre Crüger so Pse.,

unter Aronzband so Ofennig. Vierteilährt.

Durch die Dost 20 Ofeunig.

Erscheint

wüttwoche und Samstage.

Druck und Verlag von Josef Kroth, Benn Breitestraße 13.

Fernruf 516.

Nr. 24.

BUIKDAT

Raum 10 Ofennig; für aus­wärüge Auftraggeber 20 Oie.

Reklamen 50 Dig, die Zeilae.

Unser Wahlspruch:

Gleiches Recht für Rile!

Verantwertücher Ochrittieter: S. Schmidt, Vonn, Oroetnehrung: Dötschstraße 7.

Zorunt 916.

Mittwoch, den 22. März

11. Jahrgang

Das Einkommen des deutschen Volkes.

Eine auch nur arfähernd genaue Erfassung des Einkommens sämlicher Piivatwirtschaften eines Staates ist bei der heutigen Entwickelung der Wirtschaftsstatistik nicht möglich. Die Zissern, die man auf Grund der Ergebnisse der Steuer­veranlagungen erhält, sind noch immer recht un­genügende Ausgangs- und Anhaltspunkte für die Schätzung des tatsächlichen Einkommens. Gie bleiben auch bei entwickelter Steuertechnit weit hinter der Wirklichkeit zurück. Man hat für den Grad dieses Zurückbleibens ebenfalls keinen zu­verlässigen Maßstab. Für Preußen liegt nun­mehr das Gesamtergebris der Einkommensteuer­Veranlagungen vor, wie es sich nach der Auf­nahme im Januar 1915 stellt. Es werden also in der Haupisache die Einkommen für das Jahr 1914 registriert. Das steuerpflichtige Einkommen beträgt danach für Preußen 17,70 Milliarden Wark. In dieser Summe ist sowohl das Ein­kommen der physischen wie der nichtphysischen Zenfiten enthalten. Dadurch wird natürlich ein Teil des Gesamt=Einkommens doppelt gezählt, da das Einkommen der nichtphysischen Zensiten in der Hauptsache sich wieder in Einkommen von physischen Zinfiten auslöst. Rechnet man dieses Einkommen, daß für 1914 noch nicht ausgeschieden ist, ab, so verbleibt höchstens als Gesamt=Ein­kommen aller Privatwirtschaften eine Summe von 16,70 Milliarden Mark. Das ist aber nur das steuerpflichtige Einkommen der Zeusiten. Dozu kommt nun noch das Einkommen aller Privat­wirtschaften, die keine direkte Steuer zu zahlen haben oder bei denen nach dem Steuergesetz Steuerermäßigungen eintreten. Nach den Schätz­ungen des preuß. statist. Landesamtes wird das Einkommen dieser Privatwirtschaften für 1914 mit 6,57 Milliarden Mark angenommen, so daß auf Grund der Steuerveranlagung sich die Summe der Privateinkommen in Preußen auf 23,27 Milli­arden Mark im Jahre 1914 belaufen würde. Nähme man nun an, daß im übrigen Deutsch­land die Einkommensverhältnisse ebenso wie in Preußen lägen, was freilich nur ganz entfernt zu­treffen dürfte, so würden wir für sämtliche Privat­wirtschaften im Deutschen Reiche auf eine Ein kommensumme von rund 37,50 Milliarden Mark für das Jahr 1914 kommen. Wie schon erwähnt, ist aber diese Gesamtsumme zweisellos zu niedrig, da das volle Einkommen durch die Steuerveran­lagung und die weiteren Schätzungen nicht ersaßt wird. Daß die Fehleiquelle mindestens 10 Pro­zent betragen dürfte, das wird wohl von Sach­kennern kaum bestritten werden. Wahrscheinlich dürste die Fehlerquelle noch größer sein. Rechnen wir aber nur mit 10 Prozent, so würde sich er­geben, daß das Gesamteinkommen aller Privat­wirtschaften im Deutschen Reiche im Jahre 1914 41,25 Milliarden Mark betragen hat. Das ist eine gewaltige Summe, die indes kaum zu hoch sein dürfte. Dabei darf nicht übersehen werden, daß es sich hier um eine Addition der Einkommen sämtlicher Privatwirtschaften handelt, daß diese Summe daher keineswegs gleichbedeutend ist mit dem, was durch den nicht gerade guten Begriff Nationaleinkommen ausgedrückt wird. Auf

Grund der Ergebnisse der preußischen Steuerver­anlagung ergibt sich nun, daß das Einkommen im Jahre 1914 eive Abnahme von 5,2 Prozent aufgewiesen hat. Legen wir diesen Satz für das ganze Reich zugrunde, so würde das Gesamtein­kommen für das Jahr 1913 etwa 43,51 Milli­arden Mark betragen haben. Die Abnahme im Jahre 1914 stellt sich rechnungsmäßig dann auf 2.26 Milliarden Mark. Dieser Rückgang der Einkommen ist als eine Wirtung der ersten Keiegsmonate anzusehen, unter der ja auch noch im Januar 1915 die Steuerveranlagung für das Jahr 1914 erfolgte. Das Jahr 1915 dürste voraussichtlich wieder eine Zunahme der Gesamt­summe der Einkommen bringen, weil die Kriegs­konjunktur mit den steigenden Preisen das No­minaleinkommen bei einem sehr großen Teil der Privatwirtschaften äußerst günstig beeinflußt hat. An der Kaufkraft des Geldes gemessen, hat da­gegen das im Jahre 1915 gestiegene Gesamtein­kommen einen niedtigeren Wert nicht nur als 1913, sondern auch als 1914.

Die Bewegung der Nahrungsmittelpreise.

Trotzdem das System der Höchstpreise ziem­lich weitgehend ausgebaut ist, dleibt das Preis­nivean der Nahrungsmittel keineswegs stabil, sondern zeigt fortgesetzt Veränderungen. Einmal sind noch keineswegs alle Nahrungsmittel mit Höchstpreisen belegt, sodann wechseln auch die Höchspreise selbst wieder von Zeit zu Zeit. Ber­folgt man die Bewegung der Nahrungsmittelpreise auf Grund einer sestgelegten Nahrungsmittelration, so ergibt sich seit einiger Zeit wieder eine Steige­rung des Kostenbetrages für die Ernährung. Es berechneten sich im Durchschnitt von zirka 200 deutschen Plätzen die wöchentlichen Kosten für die dreifache Ration des Marinesoldaten im Oktober 1915 aus 41,90 Mark. Das war seit Ausbruch des Krieges der höchste Stand der Reichsindex­zisser. Der November hatte eine kräftige Er­mäßigung auf 38,86 M. gebracht. Dann trat aber schon im Dezember wieder eine Erhöhung auf 39,33 M. ein und der Januar 1916 hat die Steigerung fortgesetzt. Die Reichsinderziffer stellt sich auf 41,26 Mark. Sie nähert sich damit sehr stark dem Stande vom Oktober 1915. Die Nahrungsmittel, die im Januar besonders auf­fallend gestiegen find, waren Rindfleisch und Hammelfleisch. Eine sehr hohe Indexziffer haben vor allem die Großstädte, deren Versorgung mit Nahrungsmitteln sehr erschwert ist, da sie in der Zeit vor dem Kriege einen großen Teil ihres Bi­darfs vom Auslande erhalten haben, das als Lieferant gegenwärtig so gut wie ausfällt. Nun soll das Inland auch die Großstädte vollständig versorgen. Wäre das schon dann sehr schwierig, wenn der Handel Bewegungsfreiheit hätte, so müssen die Verlegenbeiten noch größer werden, nachdem man den Handel immer mehr aus­geschaltet hat. Die bureaukratische Verteilung der Waren mag ja in der Idee sich sehr schön aus­nehmen, in der Proxis führt sie zu ganz uner­gnicklichen Situationen, wie das ja allmählich in immer weiteren Kreisen eingesehen wird. Man denke nur an die Vorgänge auf dem Kartoffel­markt, die geradezu schlagend die Unzulänglichkeit

des herrschenden Eystems beleuchtev. Wir sind notorisch an Kartoffeln reich; die Beschoffung der Speisekartoffeln wäre auch in der Kriegszeit spie­lend durchzuführen, wenn man die vor dem Kriege vorhandenen Gleise der Bersorgung nicht zerstört hätte. Was haben die neuen Bessorgungsgesell­schaften denn erreicht? Mußten die Höchstpreise nicht immer wieder erhöht werden? Und trotz­dem bestehen nach wie vor die Versorgungsschwie­rigkeiten in den großen Städten fort. So haben wir in diesen Städten nicht nur ein hohes Preis­uiveau, sondern überdies noch eine Knappheit an Ware trotz der hohen Preise. Mit am döchsten steht das Preisniveau in Groß=Berlin. Die In­dexziffer berechne sich im Januar aus 45,84 M. gegen 41,97 M. im Dezember. Hier steht die Indexziffer sogar schon wieder höher als im Ok­tober 1915, wo sie 43,98 M. betragen hatte. In den Städten Elsaß=Lothringens stehen die Inder­ziffern durchschnittlich auch sehr hoch, ebenso sint die Ernährungskoften in den westlichen Provinzer sast wieder auf dem Oktoberniveau. Würde mar die großen Plätze ausscheiden, so würde die Reichs inderziffer nicht unerheblich finken. Verhältnis­mäßig niedrig ist die durchschnittliche Indexzifser für die in Württemberg beobachteten Plätze, wo sie 36,52 M. beträgt. Auch Bayern schneidet mit 37,09 M. noch besser ab als die meisten anderen Landesteile. Eine allgemeine Beobachtung sei hier noch hervorgehoben, die sich immer stärker be­merkbar macht. Höchstpreise haben nicht nur die Wirkung, daß unter dem Höchstpreis überhaupt nicht mehr verkauft wird, sondern auch die Wir­kung, daß auf die Beschaffenheit der Ware immer weniger Rücksicht genommen wird. Man erzielt den Höchstpreis für die gute, für die weniger gute und für die sast minderwertige Ware. Das In­teresse für die Erreichung oder Erhaltung eine möglichst guten Ware nimmt in höchst aufsälligen Grade ab. Es ist das bei näherer Ueberlegung zwar eine gar nicht verwunderliche Wirkung des Höchstpreises, aber trotzdem eine unersteuliche Er­scheinung. Denn dadurch teitt trotz des Höchst­preises eine indirekte Preissteigerung ein, die aus der Minderung der Beschaffenheit der Ware re­sultiert.

der Grundlagen des Oeganisationsgedankens überhaupt. Den wirtschaftlichen Gegner macht man edensowenig mit Nur=Bitten und Schrift­sätzen an neutrale Instanzen gesügig, wie man den militärischen mit Platzpatronen oder Kon­seivenbüchsen bekämpfen kann. Nur scharfe Mu­aition ist gefürchtet und erreicht ihr Ziel, wie Herr Dr. Köhler sich hier draußen überzeugen könnte. Uad noch eins mag er sich gesagt sein lassen: Nicht jene drücken das Niveau des Angestellten­standes herab, die, der rauhen Wirklichkeit der Dinge Rechnung tragend, durch gewerkschaftliche Oegavisation dem Angestelltenstand erst den noch zu schaffenden soliden, materiellen Unterbau geben wollen, der die erste Voraussetzung ist für die Entwickelung freier Persönlichkeiten, sondern die, welche, den Schein dem Sein voranstellend, die materielle Lage der Angestellten als ein Fak­tor zweiter Größe werten und diejenigen Mittel und Wege zur Besserung heute noch aupreisen wollen, welche den Niedergang des Angestellten­standes, das Sinken seiner Achtung aus das heu­tige Niveau nicht zu hindern vermochten, Mittel also, die durch die bestehenden Verhältnisse bereits gerichtet sind. Der auf Guade und Barmherzig­keit fußenden vatriarchalischen Konzessionspolitik, wie sie Dr. Köhler letzten Endes will, stelle ich den Satz entgegen:Erstritten ist besser!, als erbettelt! Ersteres kann und wird festgehalten und mit aller Kraft verteidigt werden, letzteres aber wird, wie es gekommen, wieder ge­nommen werden, wie die Gnade desHerrn es will. Wir brauchen ein Angestelltendasein, das schweren Belastungsproben des Unternehmertums gewachsen ist, daß auf eigenen Füßen sestzu­stehen vermag.

Die enorme Verteuerung der Lebenshaltung ergibt sich nur zu deutlich aus dem Haushalts­buche einer mittleren Beamtensamilie zu Frank­surt a. M. Der Kriegsausschuß für Konsu­menteninteressen teilt uns folgende Zahlen mit:

Zur Angestelltenbewegung der Geschäftsführer des 58er Bereins der Hand­lurgskommis tritt in einer besonderen Schrift Die Privatbeamtenpolitik nach dem Kriege für engeren Zusammenschluß der Privatbeamtenver­bände ein. Der Verfasser ist der Ansicht, der Krieg habe klassenpolitisch versöhnend gewirkt; nach dem Kriege müsse die Richtung der Ange­stelltenpolitik mehr von gesellschaftlichen Forde­rungen und nicht duich die wirtschaftliche Lage der Angestellten bestimmt werden. Dieser Aus­sassung teitt Benno Marx in einem Feldpost­brief, an die HalbmonatsschriftDer deutsche Bankbeamte(Organ des Allgemeinen Verbandes der deutschen Bankbeamten) lebhaft entgegen. Wirtschaftliche Besserstellung, sagt er, ist nur durch wirtschaftliche Macht restlos zu erreichen. Den Weg der direkten Einwirkung au die Gestaltung der Lohn= und Arbeitsverhältnisse ausschalten zu wollen, bedeutet die Berneinung

Zwischen Himmel und Erde.

Erzählung von Otto Ludwig.

Das Gärtchen liegt zwischen dem Wohnhause und dem Schieferschuppen; wer von dem einen zum andern geht, muß daran vorbei. Vom Wohnhaus zum Schuppen gehend, hat man es zur linken Seite; zur rechten sieht man dann ein Stück Hofraum mit Holzremise und Stallung, vom Nachbarhause durch einen Lattenzaun ge­trennt. Das Wohnhaus öffnet jeden Morgen zweimal sechs, grün angestrichene Fevsterläden nach einer der lebhaftesten Straßen der Stadt, der Schuppen ein großes, graues Tor nach einer Nebengasse; die Rosen an den baumartig hoch 9 zogenen Büschen des Gärichens können in das Gäßchen hinausschauen, das den Vermittler macht zwischen den beiden größeren Schwestern. Jenseits des Gößchens steht ein hohes Haus, das in vor­nehmer Abgeschlossenheit das enge keines Blickes würdigt. Es hat nur für das Treiben der Haupt­straße offene Augen; und sieht man die geschlosse­nen nach dem Gäßchen zu genauer an, so findet man bald die U sache ihres ewigen Schlases: sie sind nur Scheinwerk, nur auf die äußere Wand gemalt.

Das Wohnhaus, das zu dem Gärtchen ge­kört, sieht nicht nach allen Seiten so geschmückt aus als nach der Hauptstraße hin. Hier sticht eine blaß rosenfarbene Türche nicht zu grell von den grünen Fensterläden und dem blauen Schiefer­dache ab; nach dem Gößhen zu die Witterseite des Hauses erscheint von Kopf zu Fuß mit Schiese: geharntscht; mit der and ra Giebelwand schlietzt es sich unmittelbar an die Häuserreihe, deren Beginn oder Ende es bildet; nach hinten aber gibt es einen Beleg zu dem Sprichwort, daß alles seine schwache Seite habe. Hier ist

dem Hause eine Emporlaube angebaut, einer halben Dornenkrone nicht unähnlich. Von roh behauenen Holzstämmen gestätzt, zieht sie sich längs des oberen Stockes hin und erweitert sich nach links in ein kleines Zimmer. Dahin führt kein unmittelbarer Durchgang aus dem oberen Stock des Hauses. Wer von da nach derGang­Kammer will, muß aus der hinteren Haustür heraus und an der Wand hin wohl sechs Schritte an der Hundehütte vorbei bis zu der hölzernen, hühnersteigartigen Treppe, und wenn er diese hinaufgestiegen, die ganze Länge der Emporlaube nach links wandeln. Der letzte Teil der Reise wied freilich aufgeheitert durch den Blick in das Gärtchen hinab. Wenigstens im Sommer, und vorausgesetzt, die der Länge des Ganges nach doppelt aufgezogene Leine ist nicht durchaus mit Wäsche behängt. Denn im Winter schließen sich die Laden, die man im Frühjahr wieder abnimmt, mit der Barriere zu einer undurchdringlichen Bretterwand zusammen, deren Lichtöffnungen über dem Bereiche angebracht erscheinen, den eine gewöhnliche Menschenlänge beherrscht.

Ist die Zier der Baulichkeiten nicht überall die gleiche, und stechen Emporlaube, Stall und Schuppen bedeutend gegen das Wohnhaus ab, so vermißt man doch nirgends, was noch mehr ziert als Schönheit der Gestalt und glänzender Putz. Die äußerste Sauberkeit lächelt dem Be­schauer aus dem verstecktesten Winkel entgegen. Im Gärtchen ist sie fast zu ängstlich, um lächeln zu können. Das Gärtchen scheint nicht mit Hacke und Besen gereinigt, sondern gebürstet. Dazu haben die kleinen Beetchen, die so scharf von dem gelben Kies der Wege abstechen, das Ansehen, als wären sie nicht mit der Schnue, als wären sie mit Lineal und Zirkel auf den Boden hinge­zeichnet, die Buchsbaumeinsassung, als würde sie von Tag zu Tag von dem akkuratesten Barbier

der Stadt mit Kamm und Schermesser bedient. Und doch ist der blaue Rock, den man täglich zweimal in das Gärtchen treten sehen kann, wenn man auf der Emporlaube steht, und zwar einen Tag wie den andern zu derselben Minute, noch sauberer gehalten als das Gärtchen. Der weiße Schurz darüber glänzt, verläßt der alte Herr nach mannigfacher Arbeit das Gärtchen wieder und das geschieht täglich so pünktlich um dieselbe seit wie sein Kommen, in so untadelhafter Beiße, daß eigentlich nicht einzusehen ist, wozu der alte Herr ihn umgenommen hat. Geht er zwischen den hochstämmigen Rosen hin, die sich die Haltung des alten Herrn zum Muster ge­nommen zu haben scheinen, so ist ein Schritt wie der andere, keiner greift weiter aus oder fällt aus der Gleichmößigkeit des Taktes. Betrachtet man ihn genauer, wie er so inmitten seiner Schöpfung steht, so fieht man, daß er äußerlich nur das nachgetau, wozu die Natur in ihm selber das Muster geschaffen. Die Regelmäßigkeit der einzelnen Teile seiner hohen Gestalt scheint so ängstlich abgezirkelt worden zu sein wie die Beete des Gärtchens. Als die Natur ihn bildete, mußte ihe Antlitz denselben Ausdruck von Gewissen­hastigkeit getragen haben, den das Gesicht des alten Herin zeigt und der in seiner Stärke als Eigenfinn erscheinen mußte, war ihm nicht ein Zug von liebender Milde beigemicht, ja fast von Schwärmerei. Und noch jetzt scheint sie mit der­selben Sorgsalt über ihm zu wachen, mit der sein Auge sein kleines Gärtchen übersicht. Sein hin­ten kurz geschnittenes und über der Stirn zu einer sogenannten Schraube zierlich gedredtes Haar ist von derselben untadelhaften Weiße, die Halstuch, Weste, Kragen und der Schurz vor dem zuge­knöpften Rocke zeigen. Hier in seinem Gältche vollendet er das geschlossene Bld desselben; außerhalb seines Hauses muß sein Ansehen und

Wesen etwas Fremdartiges haben. Pflastertreter hören unwillkürlich auf zu plaudern, die Kinder auf der Straße zu spielen, kommt der alte Herr Rettenmair dahergestiegen, das filberknöpfige Rohr in der rechten Hand. Sein Hut hat noch die spitze Höde, sein blauer Ueberrock zeigt noch den schmalen Kragen und die bauschigen Schul­tern einer lang vorübergegangenen Mode. Das sind Hoken geuug, schlechte Witze daran zu hän­gen; dennoch geschieht dies nicht. Es ist, als ginge ein unsichtbares Etwas mit der stattlichen Gestalt, das leichtfertige Gedanken nicht aus­kommen ließe.

Wenn die älteren Einwohner der Stadt, be­gegnet ihnen Herr Nettenmair, eine Pause in ihrem Gespräche machen, um ihn respektvoll zu grüßen, so ist es jenes magische Etwas nicht allein, was diese Wirkung tut. Sie wissen, was sie in dem alten Herrn achten; ist er vorüber, folgen ihm die Augen der noch immer Schweigen­den, bis er um eine Straßenecke verschwindet; dann hebt sich wohl eine Hand, und ein auf­gereckter Zeigesinger erzählt beredter, als es der Mund vermöchte, von einem langen Leben mit allen Bürgertugenden geschmückt und nicht durch einen einzigen Fehl geschändet. Eine Anerken­nung, die noch an Gewicht gewinnt, weiß man, wie viel schärfer einem nach außen abgeschlossenen Dasein nachgerechnet wird. Und ein solches führt Herr Nettenmair. Man sieht ihn nie an einem öffentlichen Orte, es müßte denn sein, daß etwas Gemeinnütziges zu beraten oder in Gang zu bringen wäre. Die Erholung, die er sich gönnt, sucht er in seinem Gärtchen. Sonst sitzt er hinter seinen Geschäftsbüchern oder beaussichtigt im Schuppen das Auf= und Abladen des Schiefers, den er aus eigener Grube gewinnt und weit ins Land und über dessen Grenzen hinaus vertreibt. Eine verwitwete Schwägerin besorgt sein Haus­