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Druck und Verlag von Josef Kroth, Vonn Breitestraße 13
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Nr. 51
*
Bürgerzeitung
für Bonn, Godesberg und Königswinter.
Samstag, den 17. Oktober 1903
Anzeigenpreis: Die ein
spattige Petitzeile oder deren Raum 10 Pfennig; für auswärtige Auftraggeber 20 Pfg.
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Verantwortlicher Schriftleiter Josef Kroth Privatwohnung: Dötschstr. 7
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3. Jahrgang
Gerichtsassessor und GemeindeVerwaltung.
Wir haben ein System; und in dieses System muß sich der Jurist einspannen lassen, mag es ihm darin auch so unangenehm sein, wie in einem Prokustesbett. Und nach diesem System muß er sterben, moralisch sterben muß er gar zu oft in seinen Bestrebungen und seine Ideale begraben. Mag der Jurist noch so sehr sich für die Kommunal= verwaltung interessieren, er muß vier Jahre als Gerichtsreferendar aushalten und dann noch etwa ein halbes Jahr auf das Examen verwenden. Mag er sich dann noch so unbefriedigt fühlen, er muß ausharren; denn ein Jurist ohne Gerichtsassessorexamen hat keine Anwartschaft auf die höhere Laufbahn in der Kommunalverwaltung; er gilt nicht als ganzer Mensch. Ist dies für ihn schon sehr unangenehm, so ist es aber auch für die betreffenden Kommunalverwaltungen gewiß nicht von Vorteil. Sie nehmen ihre Bürgermeister und Beigeordneten aus der Zahl der Gerichtsassessoren, die allerdings manchmal sich einige Zeit nach ihrem Staatsexamen in der Verwaltung umgesehen haben, und die dann nach ihrer Wahl immer noch geraume Zeit nötig haben, um sich in ihr Ressort einzuarbeiten.
Wäre es da nicht zweckmäßiger, die Kommunal=Verwaltungen gingen so vor, wie die Staatsverwaltung? Warum soll es nicht möglich sein, die jungen Leute ebenso gut wie als Regierungsrefrendare, so auch als Kommunal referendare ihre Ausbildungszeit absolvieren zu lassen! Es könnte etwa der junge Jurist, der zur Kommune übergehen will, nachdem er Amtsund Landgericht absolviert hat, minmehr, statt daß er sich beim Staats= und Rechtsanwalt und wiederum an verschiedenen Gerichten beschäftigt, damit beginnen, sich in der Kommunalverwaltung umzusehen. Zunächst könnte er dem Bürgermeister einer kleinen Stadt und dann einer größeren Stadtverwaltung zur Einführung in die ein zelnen Dezernate überwiesen werden. Auch eine Beschäftigung bei der kommunaten Provinzialbehörde dürfte in Betracht kommen. Gerade die Beschäftigung in allen Ressorts dürfte für den künftigen Verwaltungsbeamten von großem Nutzen sein. Eine solche allgemeine Ginführung in die Praxis wird unter Beibehaltung des heutigen Systems, nämlich nach Ablegung des Examens als Gerichtsassessor, nicht durchführbar sein. Um nun dem Bildungsgang des Kommunalreferendars einen gewissen Abschluß zu geben, wie er vom modernen Menschen in Deutschland, dem Lande der Examina, gefordert wird, mag man ja auch hier ein Examen einführen. Zu dem Behufe hätten die Kommunen in ihrer Gesamtheit eine Prüfungskommission zu ernennen, welche etwa aus Professoren einer städtischen Handels=Hochschule und aktiven oder früheren Bürgermeistern bestehen könnte. Die Prüfung müßte sich erstrecken auf Verwaltungsrecht und Verwaltungswesen, insbesondere auch auf die sozialen Einrichtungen, Armenwesen, Hygiene, auf die Aufgaben der Stadt als Unternehmerin usw. Hierdurch würde jedenfalls eine bessere Vorbildung
der Stadtassessoren und Bürgermeister bereigeführt, als durch das bisherige System.
Zudem würde die Justizverwaltung es gewiß sehr begrüßen, wenn sie so der Aufgabe enthoben würde, junge Juristen auszubilden, wo von sie doch keine Dienste zu erwarten hat.
Stadtverordneten=Tage.
Seitdem durch den Nürnberger sozialdemokratischen Parteitag das Augenmerk der bürgerlichen Parteien auf die praktische Mitarbeit der Sozialdemokraten mit den Bürgerlichen(Revisionismus) gelenkt worden ist, erscheint es richtig, daran zu erinnern, daß diese Partei, wenn man ihr überhaupt positive Erfolge zuschreiben kann, solche nur auf dem Gebiete der kommunalen Politik erzielt hat. Hier mehr als an anderen Stellen war ihr Gelegenheit geboten, sich einen bestimmten Machteinfluß zu sichern. Diesen Einfluß hat sie nicht nur erreicht durch Aufdeckung mannigfacher„wunder Punkte“, die es überall gibt, und nicht durch freundliche Hilfeleistung den Zurückgesetzten gegenüber, sondern vor allem durch Ausrüstung der sozialdemokratischen Vertreter mit dem besten sachlichen Wissen. Ihre Stadtverordneten halten gemeinsame Konferenzen für größere Landesgebiete ab; der Verlag des „Vorwärts“ schafft ihnen eine aus kleinen Monographien bestehende, vorzügliche, auch für jeden Bürgerlichen hochinteressante,„Sozialdemokratische Gemeinde=Bibliothek"; zwischen den einzelnen Kollegien besteht ein fleißiger Schriftenaustausch; Dr. Lindemann schrieb ein paar große kommunale Lehrbücher— Dinge, denen die bürgerlichen Stadtverordneten nichts entgegenzusetzen haben. Viele halten das Abonnement auf kommunale Fachzeitungen für überflüssig. Was wird das Ende dieses ungleichen Strebens sein? Das entschiedene geistige Uebergewicht auf der geschulten Seite. Vielleicht ist die Einrichtung von Stadtverordnetentagen geeignet, auch den bürgerlichen Gemeindevertretern die Ueberzeugung beizubringen, daß das Städtewesen seit 1870. eine förmliche Wissenschaft geworden ist, und daß der nicht auf den städtischen Sessel paßt, der sich um die tagtäglichen Fortschritte auf kommunalem Gebiete nicht auch laufend bekümmert. Die von dem Beigeordneten Dr. Lohmeier in Oberhausen herausgegebene Zeitschrift„der Stadtverordnete“ hat diese Frage wiederholt erörtert. Hierzu bemerkte die„Rheinisch=Westfälische Bürgerzeitung":
„Wir glauben ganz gern, daß es der Ehrgeiz jedes Stadtoberhauptes ist, aus dem seiner Leitung anvertrauten Gemeinwesen eine Stadt zu machen, deren Aussehen und Einrichtungen so glänzend als möglich dastehen. Was nach dieser Richtung geschehen kann, geschieht ja auch, denn die Stadt ist die Wohnung der Bürgerschaft, und wie sich der Einzelne nicht in einer armseligen und schlecht eingerichteten Wohnung wohlfühlen kann, so auch die Gesamtheit der Bürger. Aber: die Grenzen dieses Strebens sind beim Einzelnen, wie bei der Allgemeinheit gezogen durch den Geldbeutel; und wie es beim Einzelnen ein Zeichen von Unwirtschaftlichkeit ist, wenn er in den Ansprüchen an sein Heim über seine Kräfte
geht, so auch bei den Gemeinden. Und deshalb müßten Einrichtungen und Aussehen einer Stadt sich nicht nach dem Ergeize der Herren Bürgerund Oberbürgermeister richten, sondern nach ser Steuerkraft der Gemeinde. Aus diesen Gründen muß alles, was eine Gemeinde leistet, an das Bewilligungsrecht der Gemeindevertretungen geknüpft bleiben.
Gerade diese Erwägung war es, welche uns den Gedanken der Stadtverordneten=Tage so sympathisch erscheinen ließ: sie sollten das natürliche Gegengewicht zu den Städtetagen bilden und ganz besonders gegenüber den neuerdings immer mehr hervortretenden Bestrebungen der Leiter städtischer Verwaltungen auf Erhöhung ihrer Machl und Vermehrung ihrer Unabhängigkeit zu einer Stärkung der Position der Gemeinde=Vertretungen gegenüber den Gemeinde=Verwaltungen hinführen.“
belasteten Verkehrsstraßen sowohl, wie bei viel befahrenen Landstraßen in der Stadtumgebung.
Durch die Scheuermannsche Tabelle, die neben den Neuanlagekosten für jede Deckenart auch die Berechnungen für 10= 20= und 30jährige Benutzungsdauer gibt, wird es den Bauämtern leicht gemacht, für den jeweiligen Zweck die geeignetste, h. rationellste Pflasterart zu wählen und die Gemeinde so vor Mißgriffen zu bewahren, die gerade im Pflasterwesen oft Tausende unnütz erfordern.
Straßenpflaster.
Die gut situierten Großstädte sind die Experimentierstätten auch für die kommunale Technik der übrigen Gemeinwesen. Bei ihrer Ausdehnung, ihren komplizierten Interessen und ihren Finanz= mitteln sind sie imstande, die fortwährenden Errungenschaften der unermüdlich sinnenden Techniker sofort auf ihren praktischen Wert zu prüfen. In dieser angenehmen Lage befindet sich u. a. Wiesbaden, das zudem durch seinen Charakter als internationale Bäderstadt und Pensionopolis mehr wie andere Orte gezwungen ist, auf kommumaltechnischem Gebiete mit der Zeit fortzuschreiten. so ist Wiesbaden ein hervorragender Experimentierplatz für das Straßenbauwesen. Dessen Leiter, Stadtbauinspektor Scheuermann, hat besonders nach der Richtung Feststellungen gemacht, welchen tatsächlichen Wert die verschiedenen Sorten des Straßenbelags(Fahrbahn) nach ihrer Benutzungsdauer haben, und das Ergebnis in einer Tabelle seiner Broschüre„Die Bewirtschaftung von Stadtstraßen“ wiedergegeben.
Hiernach erweist sich als das teuerste Material das Weichholz, wenn man die Neuanlage, Unterhaltung und Erneuerung nach einem Zeitraum von 40 Jahren in Rechnung stellt, und als das billigste das Kleinpflaster. Das gm Pflasterfläche stellt sich nämlich nach 40 Jahren bei den geräuschlosen Pflastersorten:
Weichholz auf Hartholz Chaussierung Stampfasphalt Hartgußaspalt und bei den geräuschvollen
Melaphyr auf
Deutscher Granit„
Schwed. Granit„
Basalt„
Kleinpflaster„
Da das Steinpflaster auch in der Neuanlage bedeutend geringere Finanzaufwendungen nötig macht(nur ca. 9,90 M. pro gm gegen 19,20 M. bei Granit und 15,30 M. bei Hartasphalt), ist es erklärlich, daß es sich überall als eine der beliebtesten Deckenbefestigungen durchsetzt, bei stark
189,80
147,50 125,40
121,80 118,10
Decken: 135,10 126,70 122,20 104,60 75,10
M.
M.
Die Rolljalonsie als Guillotine.
Es dürfte nicht gerade häufig sein, das ein Strafverfahren, das mit einer Verhaftung wegen Mordversuchs begonnen hat. als Anklage wegen Uebertretung mit Freisprechung endet. Am 18. Juli, einem Samstag, fand bei dem Restaurateur D. in Rixdorf ein geschlossenes Vereinsvergnügen statt, das bis in die Morgenstun den dauerte und wobei es schließlich etwas laut hergegangen sein soll. Der Restauratenr hörte jemand von außen an die geschlossenen Ladentür klinken und sah durch die Glasscheibe einen Polizeibeamten stehen. Um Störungen des Festes und einen Zusammenstoß zwischen den Gästen und der Polizei zu verhindern, ließ D. die Rolljalonsie herunter, und die Sache war zu Ende. Dies glaubte D. wenigstens. Am Sonntagmittag aber erschienen plötzlich sieben Polizeibeamte und führten D. in Untersuchungshaft ab wegen Mordversuchs gegen den Polizeilentnant Schulze, der nachts vor der Tür gewesen war. D. sollte, wie erklärt wurde, beabsichtigt haben, den Schulze mittels der Rolljalousie zu ermorden, also wohl zu guillotinieren. Brrr! Das Gericht bestätigte diese merkwürdige Verhaftung, weil ein Versuch der Körperverletzung vorläge, und erst nach sechs Tagen auf energische Intervention seines Verteidigers erlangte D. seine Freiheit wieder.
Als die Anklage erhoben wurde, schrumpfte sie bereits auf„Widerstand gegen die Staatsgewalt" zusammen. D. sollte dem Polizeileutnant in der rechtmäßigen Ausübung seines Amtes Widerstand geleistet haben. In der Hauptverhandlung sagte Polizeilentnant Schulze aus, er hätte des Lärmens wegen in das Lokal hineinge wollt, und D. hätte die Jalousie ziemlich schnell heruntergelassen. Ob seine Absicht, einzutreten, von D. verstanden worden sei, konnte der Zeuge natürlich nicht sagen. Der Amtsanwalt ließ die Anklage wegen Widerstandes fallen, beantragte aber nunmehr Bestrafung wegen Straßenpolizeikontravention, weil D. einer im Interesse der öffentlichen Ordnung ergangenen Aufforderung des auf der Straße befindlichen Polizeileutnants nicht nachgekommen wäre, Der Verteidiger Rechtsanwalt Wolfgang Heine beantragte Freisprechung und Auferlegung der Verteidigungskosten auf die Staatskasse. Er bestritt, daß der Polizeileutnant überhaupt in rechtmäßiger Dienstausübung gewesen wäre, als er in die geschlossenen Räume zur Nachtzeit eindringen wollte. Die Voraussetzungen, unter denen das Gesetz dies gestattete, lägen nicht vor. Das Herunterlassen der Jalousie, die Bereitung eines sachlichen Hinder
Irrwege.
Roman von Hedwig Lange.
7) Nachdruck verboten.
„Lening,“ sagte er weich, sie umfassend,„Lening, was hat dir Otto Hellwig getan?“
„Nichts, was du wieder gut machen könntest, Fritz!
„Doch!“ sagte er heftig.„Ich werde mit ihm sprechen, ihn fragen, ob die inbekannte Warnerin recht hat!“
Er sprach noch lange auf sie ein, voll Ruhe und Liebe. Ihre Aufregung legte sich ein wenig, ihr Denken und Empfinden wurde klarer.— Ja, der Bruder hatte recht— sie mußte erst prüfen, bevor sie verdammte und so kam ihr ein Gedanke
„Du hast recht, Fritz,“ sagte sie.„Man darf anonymen Briefen nicht ohne weiteres Glauben schenken. Aber mein Vertrauen gegen Otto ist doch erschüttert— er hat mich ja fast sichtbar vernachlässigt. Und doch: vielleicht liebt er mich trotz alledem noch, oder vielleicht knüpft ihn nur ein flüchtiger Sinnesrausch an Toska, aus dem ich ihn erwecken kann. Warum soll ich stolz, grausam stolz sein?— Ich— ich liebe ihn ja aber ich muß ihn prüfen. Ja— laß mich jetzt, Fritz. Ich werde reisen— und Otto nicht ungehört verdammen. Ich versprech' es dir. Laß mich nur machen.“
Das sagte sie auch ihrer Mutter. Und beide ließen sie gewähren und hofften das beste.
Magdalene wollte nicht persönlich mit Otto verhandeln. Da könnte ihn Scham, Ehrgefühl und Mitleid bestimmen, wieder in ihre Arme zurückzukehren— wenn er wirklich treulos war. Sie wollte ihm schreiben. Einem Brief steht man selbständiger gegenüber, denn einem Menschen. Und sie wollte ihm schreiben, daß er— frei wäre. Hatte er sie noch von Herzen lieb, dann würde er diese Auflösung ihrer Verbindung billigen, da jene Scheingefühle wegfielen.
Magdalene löste ja ihre Beziehungen zu einander. Er konnte ja den Verletzten, den Stolzen spielen.— Ja, diese Prüfung würde eine sichere
Entscheidung bringen. Ihr Fortgehen war eine weitere Vorsichtsmaßregel. Otto sollte bei seiner Entschließung den weitesten Spielraum haben; er sollte durch nichts beeinflußt werden.
Wenige Stunden darauf saß Magdalene schon im Eisenbahnwagen, nachdem sie auf dem Wege nach dem Bahnhofe ihre Abschiedszeilen an Otto Hellwig in den Briefkasten geworfen hatte. Sie empfand es als Wohltat, daß sie allein in dem Wagenabteil blieb und den Zwang, den sie sich während der letzten Stunden auferlegt hatte, abschütteln durfte. Sie fühlte sich tief unglücklich. Die Tränen welche ihre Mutter bei ihrem Abschiede geweint hatte, brannten ihr noch auf der Seele und machten ihr erst ganz die Tragweite ihres Entschlusses klar. Wenn sich Otto nun von ihr wandte?
Ein Grauen überfiel sie plötzlich, als sie der Zukunft gedachte. Bei Steffens konnte sie nicht immer bleiben, sie mußte über kurz oder lang wieder nach Hause, und dann— was sollte dann werden? Wie sollte sie es ertragen, ihn wiederzusehen, an der Seite einer anderen vielleicht? Ihm fremd und gleichgültig begegnen, dem Manne, den sie einst geliebt hatte, sich fremd und gleichgültig von ihm behandeln zu lassen.
Sie hätte aufschreien mögen in bitterer Qual, als sie die Möglichkeit solcher Begegnung sich vor Augen hielt. Doch nein, noch war es nicht so weit, es ließ sich vielleicht ein anderer Ausweg finden. Sie konnte ja eine Stellung annehmen, irgendwo in einem anderen Orte— oder vielleicht ging sie fort, und sie sah ihn dann niemals wieder. Aus, alles, alles aus!
Der Zug hielt auf der nächsten kleinen Station, und Magdalene machte sich auf den Weg nach Steffenhagen. Die Sonne schien trotz der vorgerückten Nachmittagsstunde heiß auf die Chaussee herab und blendete Magdalenens rotgeweinte, erhitzte Augen. Ganz langsam, mit tiefgesenktem Kopf, schlich sie am Wegrande dahin, den spärlichen Schatten der Chausseebäume aufsuchend; es galt ihr ja ganz gleich, wann sie ihr Ziel erreichte. Am besten niemals! Sie hätte so
fortwandern mögen in alle Welt, Kummer und Elend hinter sich lassend.
Jetzt bog sie mechanisch in den ihr wohlbekannten Feldweg ein, welcher den Weg nach dem Gutshofe abkürzte; zwischen reifenden Kornfeldern und üppigen, blumenübersäten Wiesen schritt sie dahin, ohne etwas von all der Sommerpracht zu sehen oder zu empfinden. Dort tauchte das Haus auf, in welchem sie so manche frohe Sommerwoche verlebt hatte. Wie lange schien es ihr heute her zu sein, daß sie es zum letzten Male gesehen, und doch war es erst im vergangenen Sommer gewesen.
Wie eine Stättte friedlicher Ruhe lag es da in seiner Abgeschiedenheit, das freundliche Haus mit seinen weißen, sonnenbeschienenen Mauern und grünen Jalousien. Zögernd stand Magdalene vor der Pforte des kleinen, zierlichen Vorgärtchens still und blickte nach dem Hause, ohne jemanden zu gewahren. Endlich klinkte sie die Tür auf und trat ein. Auch in dem hohen, kühlen Flur kam ihr kein Mensch entgegen, und zögernd klopfte sie endlich an die wohlbekannte Tür zu ebener Erde, welche in das Wohnzimmer führte.
Eine Kinderstimme rief:„Herein!"
Magdalene trat über die Schwelle des Gemaches, in welchem infolge der halbgeschlossenen Jalousien eine kühle Dämmerung herrschte.
Zwei kleine, blondköpfige Mädchen saßen auf dem Teppich inmitten des Zimmers zwischen Puppen und Spielsachen.
Bei Magdalenens Anblick rappelte sich das größere der beiden mit dem jubelnden Ausruf: „Tante Lene!“ empor und stürzte auf das junge Mädchen zu, während das kleinere mit neugierig weit aufgerissenen Augen sitzen blieb. Jetzt fuhr auch die Dame, welche in einem Lehnstuhl am Fenster gesessen, wie aus leichtem Halbschlummer empor.
„Magdalenchen!“ rief sie mit froher Ueberraschung in der Stimme und eilte mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.
Magdalene fiel der alten Dame um den Hals
und brach, erregt von diesem Wiedersehen in einen Tränenstrom aus.
„Um Gott, Lenchen, was ist Ihnen geschehen?" fragte Frau von Steffen erschrocken.
„Fragen Sie mich nicht,“ schluchzte Magdalene,„ich kann es Ihnen nicht sagen— noch nicht.“
Die alte Dame nickte dann wie in plötzlich erwachendem Verständnis.
„Nein, nein, Lenchen,“ sagte sie dann, beschwichtigend über den blonden Scheitel streichend, „ich will Sie nichts fragen, und Sie sollen mir auch nichts sagen, solange Sie nicht mögen. Ich kann mir auch so ungefähr denken, was passiert ist. Na, weinen Sie sich aus, und dann wieder Kopf oben, es wird schon alles wieder zum guten wenden.
Magdalene trocknete sich die Tränen und suchte sich zu fassen, während Frau von Steffen von allen möglichen anderen Dingen zu plandern begann, um das junge Mädchen von seinem Kummer abzulenken.
Magdalene hatte äußerlich bald ihre gewohnte Fassung wiedergewonnen, sie rief die Kinder heran, welche vorhin bei ihrem leidenschaftlichen Ausbruch sehr verschüchtert beiseite standen, plauderte mit ihnen und ließ sich ihr Spielzeug zeigen.
Frau von Steffen ließ nach einiger Zeit Erfrischungen bringen und zog die Rolläden in die Höhe, und als das Tageslicht in das Zimmer schien, war Magdalenens vor kurzem noch so rot geweintes Gesicht wieder blaß und ruhig. Sie saß neben der freundlichen alten Dame auf dem Sofa und hielt deren Hand in der ihren, als Herr von Steffen, vom Felde heimkehrend, ins Zimmer trat. Eine jähe Röte überflog sein Gesicht bei ihrem Anblick.
„Papa, Papa!“ rief Lottchen, die älteste seiner Töchter, auf ihn zueilend und ihn um schlingend,„sieh mal, wir haben Besuch bekommen, Tante Lene ist da!“
„Das sehe ich zu meiner freudigen Ueberraschung," erwiderte er und schritt, nachdem er sich von Lottchen freigemacht hatte, auf die junge Dame zu; er reichte ihr die Hand zum Gruß mit
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