Mis Caprice.
(Fortsetzung.)
Ich weiß nicht, ob es lange gedauert hatte, bis Miß Helen diese Bemerkung machte, aber so viel ist gewiß, daß ihr die Gesellschaft des jungen Manncs bald keine unangenehme war. Anfangs kam ihr wohl
der schlichte Jüngling mit seinem ängulichen Benehmen,
mit seinen deutsch=kleinstädtischen Manieren etwas ko misch vor, anfangs mußte sie wohl über sein Englisch,
nach Fick und William, lächeln; und sie versprach sich wahrscheinlich manchen Spaß durch ihn in den Stim
den der Langeweile; doch dieses wurde bald anders. Sie fand, daß diese Manieren nur die schlechte Fassung
vom Werthvollen wären, sie fand, daß er neben dem mittelmäßigen Englisch noch vieles andere, und dieses recht gut verstände; sie wollte ihm das Englische richtig lehren, von ihm erwartete sie dagegen Unterricht und Belehrung in der Geschichte der Welt, sie hatte bisher nur die ihres Landes kennen gelernt.
So geschah es denn, das Bernbard täglich Helene
sah, und hatte ihn anfangs ihre blendende Schönheit zur Bewunderung hingerissen, so wuchs diese bald zur
schwärmerischen Liebe. Helene war wahrlich schön, aber sie besaß noch überdies jenen ganz eigenthümlichen Reiz,
welchen eine schöne Seele, klarer Verstand mit etwas Enthusiasmus und ein klein wenig Schwärmerei verbunden, jederzeit dem Körper verleiht. Wir dürfen dabei die weibliche Würde nicht vergessen, welche irriger Weise von einigen„Stolz“ genannt wird, diese ist es eben, welche als der kraftigste Magnet auf das Herz des Mannes einzuwirken pflegt.
Wie sehnsuchtsvoll erwartete der Jüngling jeden
Tag die Stunde, welche ihm für sein Kommen bestimmt worden war, er verspätete sich nie, gewöhnlich kam er früher. Da lagen auf dem kleinen Tischchen Byrons Works,“ der„Vicarof Wakefield,“ Miltons„Lost Paradise,“ und anderes bereitet, man las bald dieses, bald jenes; man setzte sich dicht aneinander, man hatte nur ein Exemplar von dem, was gelesen wurde. Bernhard las vor. Da geschah es, das der sanfte Hauch ihres Athems seine Wange traf, da sah er wohl auf,
und sein Blick versenkte sich in das tiefe Blau ihres Auges, dann geschah es aber auch, daß seine Stimme stockte, daß er schlecht und unrichtig las. Dies ist schlecht, Sie müssen den Satz noch ein Mal lesen, sagte sie ernst
haft. Bernhard nahm sich zusammen, er las noch ein Mal, ihre Rüge hatte ihn zur Besinnung gebracht, er
las jetzt richtig und gut.
Ein andermal trug er ihr die Geschichte seines Vaterlandes vor. Es wäre ihm jedoch nicht so leicht angekommen, in fremder Sprache den Vortrag zu halten, wenn er sich hierfür nicht schon immer zu Hause vor
bereitet hätte; so ging es aber recht gut, und Miß Helen war ganz Ohr. Es war aber auch sicherlich ein Vergnügen, dem jungen Manne zuzuhören, wenn
er ganz Feuer und Flamme vom Cherusker Fürsten Arminius erzählte, der es auf sich genommen hatte, sein Volk von dem Joche der fremden Gewaltherren zu befreien, und Deutschlands Freiheit zu erkämpfen; wenn er von der. mörderischen Schlacht im Teutoburger Walde erzählte, in welcher die Elemente selbst sich mit den Deutschen zum Untergange der Römer verschworen hatten. Da glaubte man wirklich zu hören, wie die Ungewitter losbrechen, die gewaltigen Regengüsse nieder
strömen, die Gebirgswässer anschwellen; da vernahm
man das Brausen des Waldes und der Gewässer, den fürchterlichen Kriegsgesang der Germanen; da sah man die Deutschen von den waldigen Höhen herabstürzen
und die Römer mit Grauen und Entsetzen flieben; da war es aber auch nicht mehr Schulmeisters Bernbard, sondern man vermeinte einen für sein Volk und Vater
land, für die Heldentbaten seiner Voreltern bezeisterten
Barden zu vernehmen. Und da mochte es wohl gescheben. daß sich seine Zubörerin dasselbe dachte, aber merken,
nein, merken ließ sie es ihm nicht. Wenn sie aber al lein war, da sprach sie zu sich selbst: Welcher Geist
überwaltet den jungen Mann, wenn er von den Tha ten Anderer erzählt, und wie ängstlich scheu zeigt er
sich selbst? Sollie eine feige Seele so kraftig das Han deln des Kräftigen auffassen? Nein, feige ist Bern hard nicht, aber er ist nicht selbstständig. Schade um den Jüngling, wenn es mit ihm nicht anders würde, er muß hinaus in die Welt, die Scele ist stark genug, es wäre mir wirklich leid, wenn er immer nur Schul
meister in*“ hausen bliebe.
Wir sehen, daß sich Miß Helen bereits für ihren
Freund im kleinen deutschen Stadichen interessirt. Es
sollte nicht lange dauern, ibr den Beweis zu geben, daß die Liebe ermuthigt und erkräftigt. Aber dies wollte sic
ja eben.
Sie haben wirklich in den wenigen Wochen außer ordentliche Fortschritte gemacht, sagte sie eines Tages zu Freund Bernhard, sie sprechen und lesen wie ein vollkommener Engländer; jetzt möchte ich doch sehen, wie es mit dem Schreiben aussieht, bringen sie mir doch einen kleinen Aufsatz, über was immer.
Bernhard saß in die spate Nacht hinein, und stu
dirte sich müde, in welcher Art er den Aufsatz abfassen solle, den er morgen vorzuweisen hatte. Er begann
wohl zehn, doch keiner schien ihm anpassend, und immer wieder griff er nach einem frischen Quartblatte. Da war es plötzlich, als kame Inspiration über ihn. Mit flüchtiger Eile glitt seine Feder über das Papier, er hätte in seiner Muttersprache nicht schneller schrei ben können, es war als diktirte ein unsichtbares Wesen ihm in die Feder, und als das Blatt vollgeschrieben, da war eine klare Darstellung seiner Gefühle zu Papier gebracht, jedes Wort hauchte Liebe, glühende Liebe. Mit zitternder Hand überreichte er am andern
Tage Miß Helen das Blatt. Sie überflog mit schnel
lem Auge die Zeilen. Bernhard blätterte in Goldsbmiths „Vicar,“ er wagte es nicht, aufzublicken. Das ist nicht nur ganz korrekt, sondern auch schön geschrieben, sagte
sie endlich, wahrend ihr schönes Blauauge ganz beson
ders blinkte, und eine Art von schelmischem Lächeln ihre feinen Lippen umspielte. Schade, daß Auf= und Unter
schrift fehlen, es ist eine Art Brief, und man weiß nicht
von wem, und an wen er gerichtet ist.
Es ist unerklärlich, woher der schüchterne Jüngling so plötzlich den Muth erhielt; er ergriff eine daliegende
Feder, und flüchtig schrieb er die Aufschrift: Dear lielen, und die Unterschrift: Vour very alfectionated Bernhard; und solcherweise ergänzet, legte er das Blatt ihr vor.
Sie warf den Blick auf das eben Geschriebene, einen Moment schien sie nachdenkend, dann sprang sie rasch auf, das schelmische Lacheln verkehrte sich zu einem tiefen Ernst, mein Herr sie wagen es? sagte sie, da lag Bernhard zu ihren Füßen.