N28s.
Mittwoch den 15. October.
Siebenunddreitigster Johrgang.
1848.
Fünfzehn Jahre.
(Zortsetzung.)
Während der Reise suchte er vergebens, sich mit Annas Bruder in ein näheres Verhältniß zu setzen. Der wackere Offizier, welcher sein schwieriges Commando so trefflich zu erfüllen wußte, daß bei aller Reizbarkeit
der Männer, denen er das Ehrengeleit gab, nicht die geringste Reibung vorfiel, sondern Alle seiner schonenden
Rücksicht und Freundlichkeit volle Gerechtigkeit angzedei hen ließen, blieb nur für Laukoronski unzugänglich, weil er in ihm denjenigen erkannte, der mit dem Herzensfrieden seiner Schwester, die er zärtlich liebte, ein böses Spiel getrieben hatte. Aus den Mittheilungen der Mutter, die ihrem Sohne nicht vorenthielt was ihr Gemüth bewegte, hatte er sich ein ziemlich richtiges Bild von dem Charakter des Mannes geschaffen, dem es gelungen war, sich durch eine glanzende Außenseite und bestechend liebenswürdige Manieren in das arglose Herz des sechszehnjährigen Mädchens zu schleichen. Und noch jetzt fand er täglich Gelegenheit, zu beobachten, auf welchem schwankenden Grunde Anna ihr Glück gebaut hätte, wenn das Paar vereinigt worden wäre; denn wenn er Lankoronski auch vermied, so beobachtete er ihn doch
desto schärfer.
„Herr von Gerstung“ sagte Felir eines Morgens, „wir übernachten heute zwei Meilen von den Ihrigen, ich habe mich darnach erkundigt. Wollen Sie mir auf mein Ehrenwort Urlaub geben, daß ich vorauseile und Sie im morgenden Nachtgnartier treffe, ehe wir die Schnellpost besteigen?“
„Ich habe Ihnen schon erklärt, daß ich nicht ermächtigt bin, Ihren Wunsch zu befriedigen,“ erwiderte Gertung.
Ungeduldig wirbelte der Pole die Spitzen seines schönes Schnurbarts in die Höhe, er machte noch eine dringende Vorstellung, wie gern er wenigstens eine nahe Verwandte, die Schwester seines Vaters, besuchen möchte, ehe er vielleicht auf ewig Frankreichs Grenze überschritte.—
„Sie meinen die Gäfin Rednitz? Deren Mann hat ein Regiment bekommen und ist versetzt,“ war die Antwort, und Felir trat, mit seinem Zorne kämpfend, zurück.
Er blieb während der ganzen Tagereise in sich versunken. Als sie in das nächste Quartier kamen, sprach er einen seiner vornehmsten Standesgenossen um zehn Dukaten Darlehn an.
Dieser zog, ohne etwas zu erwidern, die Börse und reichte ihm zwölf.
„Können Sie,“ fragte Felir stockend,„vielleicht bis morgen Abend— Ihren Hut entbehren?“
„Was haben Sie vor?“ entgegnete der andere aufmerksam.„Wir haben uns auf Ehrenwort verpflichtet, die vorgeschriebene Tour zu nehmen.“
„Ich will nur einen kleinen Abstecher machen,“ sagte Lankoronski.„Morgen Abend bin ich wieder bei der Colonne.— In meiner Mütze aber, Sie versteben—“
„Da ist der Hut!“ erwiderte der andere etwas ge
ringschätzig und schob ihn hin.
andern Morgen fehlte der Rittmeister Graf Lankoronski. Gerstung erschrak heftig; er wußte, wo er zu finden sein würde, aber er selbst durfte das Commando nicht verlassen und einem andern hätte er um
keinen Preis den Auftrag ertheilt, den Unbesonnenen aus dem Schooße der Familic, in welche er sich ein
gedrängt, zu reißen. So meldete er denn dem Eiap penkommandanten nach langer Ueberlegung den Grafen als desertirt, eine andere Bezeichnung konnic er, so hart sie klang, nach seiner Ansicht von der Heiligkeit eines gegebenen Ehrenworts, nicht wäblen.
Die Familie, deren ältester Sohn in so unangenehme Verlegenheit gesetzt wurde, saß an demselden Mor
gen, wie sie es gewohnt war, im trauten Kreise beim Frühstück und jetzt nicht allein; denn Graf Rednitz, wel cher allerdings ein Regiment bekommen hatte, aber vorlausig allein dahin abgegangen war, hatte seine Gemahlin, die sich nach der Uebersiedelung des Gerstung'schen Hauses schnell mit diesen wahrhaft anziehenden Menschen bekannt gemacht und befreundet batte, auf vieles Bitten dort zurückgelassen, so daß Louise jetzt wie ein Glied
der Familie angesehen wurde. Wohler hatte sie sich nie gefühlt, als dort. Sie war in den höchsten Krei sen durch ihres Vaters Stellung vertraut, sie war viel auf Reisen, mit und ohne ihren Gemahl in den Hauptstädten des Südens gewesen, hatte Zutritt in vielen Familien gehabt, aber nirgends denselben wohlthuenden Geist der Zufriedenheit empfunden, der hier wie ein Segen Gottes waltete. Das geht aber alle Mal von den Eliern aus. In dem Haupte der Familie, dem
General, erkannte Louise einen würdigen Vertreter des Standes, dem er bis vor Kurzem angehört hatte, ernst und human zugleich, militärisch und auch allgemein wis senschaftlich, ja selbst künstlerisch gebildet; seine Ge mahlin war eine Frau von Geist und Gemuth, die ihrem Hauswesen getreulich vorstand, wie eine Bürgerfrau, und doch die höhern Interessen, ohne welche sie ihrem Gatten nicht genügt hätte, darüber nicht verlor; die Söhne, beide gediegene Militärs, die sich Achtung verschafften, wo sie auftraten und Anna, welche sich Loui sens Herz so schnell gewann, daß diese über sich selbst staunte, wie alles, was zwischen ihnen beiden stand, gleich einer Eismauer vor dem warmen innigen Son nenscheine aus den Augen dieses jungen Mädchens in Nichts zerschmolz. Je mehr sie Anna lieben lernte, desto vollkommener wurde der Sieg in der eigenen Brust,
aber es beunruhigte sie, wie die Verhältnisse ihres Neffen sich in der sturmbewegten Zeit gestalten mußten, und sie fragte sich oft, ob es nicht besser für Anna sei, wenn sie den Fremdling, dem ihr junges Herz sich erschlossen, vergäße und einen andern Bewerber, einen jungen rei chen Gutsherrn vom edelsten Rufe, nicht immer so hoffnungslos ließe. Daß Anna, bei aller Anhang lichkeit für sie, noch kein Vertrauen zu ihr gefaßt, ihr, der Tante des Geliebten, noch nie von Felir in beziehender Weise gesprochen hatte, mußte sie in Verwunderung setzen. Hatte Felir vielleicht gegen Anna sein Verhältniß zu ihr berührt? Dem war nicht so, er hatte ihr aber, als in einem Momente des Allein seins, kurz vor seinem letzten Abschiede, sein Gefühl in Worte ausgebrochen war, das Versprechen abgefordert, gegen Niemanden, auch gegen ihre Mutter nicht, das Geheimniß ihrer Neigung zu verrathen. Nur die Mutter hatte sie ausgenommen, weil sie gegen diese kein Geheimniß hegte, sonst war sie unbedingt seinem Wun sche treu geblieben und selbst Louise, die ihr so nahe stand, mußte nur aus Zeichen, welche sie allerdings als untrüglich kannte, ihre Gefühle errathen. Diese hatten mehr und mehr einen schmerzlichen Charakter angenom