Ouner Abihenbrurt.
Montag den 10. Juni.
Sechsunddreißigster Jahrgang.
Der sterbende Maler.
(Von Fr. Paolo.)
S
Im glänzenden Palast auf seidnem Kissen Ruht Raphael, den Tod im matten Blick:
Des Lebens starke Bänder sind zerrissen Vom ewig sich erfüllenden Geschick.
Der große Geist, der Tausende erhoben,
Der seiner Kunst die neue Sonne gab,
Er schwindet hin— die Todesmächte woben Der Lebenskette letzten Ring zum Grab.
Die Hand des Malers ruht in einer zweiten,
In einer schönen, lebenswarmen Hand;
Zwei dunkle Augen, thränenschwer, begleiten Das leise Zucken, das der Lippi entschwand,
Der Lippe, die so oft mit voller Liebe Der Fornarina rief zum Künstlerbund. Noch zuckt sie auf im letzten Lebenstriebe,
Und:„Fornarina!“ klingt des Künstlers Mund.
Und Fornarina beuget sich hernieder,
Und heiße Tropfen brennen mit dem Kuß Des Malers Stirn, in dessen starre Glieder Noch einmal dringt des Lebens frischer Guß,
Vor dessen Blick der Kunst und Liebe Tage Noch einmal schön und reizend sind erwacht,
Da in des Lebens Himmel keine Klage Ihn je gemahnt an seines Todes Nacht.
Das Auge glänzt in seelenklarem Scheine,
Die Lippe regt sich:„Fornarina,“ spricht Er lächelnd.„Holde, meinen Tod beweine,
Wenn ich gestorben bin, doch früher nicht. Noch kann ich Dir in's schöne Antlitz blicken,
Dein blüh'nder Kuß brennt auf dem kalten Mund, Ich fühle Deine Hand die meine drücken:
Das Leben geht, die Liebe nicht zu Grund!
Du siehst mich sterben, doch in Deiner Seele Lebt Deines Malers Angedenken fort.
Was mir der Neid von meinem Ruhme stehle,
Du trägst ihn weiter, Du, mein heil'ger Hort!
Du, deren Schönheit meine Kunst begeistert,
Hast ewig meinem Ruhme sie geweiht:
Nie wird mein Bild in Zukunft übermeistert,
Dem Deine Schönheit Himmelsglorie leiht!
Nie kann die Zukunft schön're Züge wecken,
Als Dich geschmückt, Geliebte Raphael's!
Der Nachwelt Urtheil kann mich nicht erschrecken,
Fest steht mein Ruhm, ein starker, mächt'ger Fels! Und wie Du mich, so trag' ich meiner Liebe Lebendig Ideal, Dich, zur Unsterblichkeit,
Dich, die im reinsten, kunstbeseelten Triebe Die keuschen Formen meiner Kunst geweiht!
O nicht erröthe! Laß die Welt es hören! Nur dürre Herzen werden Dich verschrei'n,
Und wer es thut, das kann ich Dir beschwören,
Wird nie ein Maler, nie ein Künstler seyn!
Die Schönheit gab Natur. Sie zu beseelen,
Ward uns die Kunst. Der Wahrheit hohes Gut,
Es würde meinen Kunstgebilden fehlen,
Lieh'st der Idee Du nicht des Lebens Gluth!“
Er schwieg. Der letzte Athem war verschwendet In der Begeist'rung heißem Liebesdrang;
Und Fornarina sprach:„Du hast vollendet,
Mein hoher Meister, Deinen Schwanensang.
War's auch kein Lied, das Deinem Mund entschwebte, Dein Wort erhebt mich mehr als Liederklang,
Denn was in Deiner hohen Seele lebte,
War mein, und nimmer gleicht es aus mein Dank!
Das niedre Mädchen gab, was es vermochte:
Sich selber, doch auch ganz sich selbst Dir hin.
Des Lebens Puls, der mir im Herzen pochte,
Und was ich fühle, was ich denke, bin,
Ist nur ein Theil von Dir! Du hast gezogen Den armen Theil in Deinen reichen Ruhm,
Und mit Dir sinkt, was ich an Werth gewogen,
In Deines Grabes dunkles Heiligthum!“
Sie schwieg. Sein Auge bricht in leisem Lächeln,
Und:„Fornarina!“ ist sein letztes Wort.
Des Abends kühle Balsamluste fächeln Ihm über's Antlitz, tragen weiter fort Des Kunstlers letzten Hauch, der im Gemüthe Des Dichters, ihn begeisternd, niedersteigt,
Und Fornarinen ihm, die kunstdurchglühste,
Im Heil'genscheine der Geschichte zeigt!
Die beiden letzten Weißen von San Domingo.
(Fortsetzung.)
„O glaube mir, Vater! Höre das warnende Flehen Deines Kindes; gehe nicht nach Saint Marc!“
„Saint Marc oder hier! Was ist da für ein Unterschied?... Dessalines kann uns überall erreichen!“
„Wir müssen noch heute Nacht von der Insel entfliehen!...“ rief Antonie nach einigem Zögern aus.
„Fliehen?... Und auf welche Weise?... Alle Küsten sind bewacht, alle Fahrzeuge von der neuen Regierung mit Embargo belegt!...“
„Eines ist noch frei und befehligt von einem Mann, der tausend Mal mit Freuden sein Leben wagen wird, um das unsrige zu retten!...“
„Antonie!“ fiel Herr von Saint=Janvier ein, mit strengem und erstauntem Blick seine Tochter betrachtend;„Antonie! Antonie! Ich fürchte Dein schnelles Erröthen nur zu gut zu verstehen!“
erröthete, mein Vater, es ist wahr! Aber nur vor Deinem Blick und dem sich darin spiegelnden Verdachte, nicht aber vor mir selber. Höre mich, und ich bin überzeugt, daß Du bedauern wirst, Dein Kind erröthen gemacht zu haben!... Du weißt, daß während die französische Armee die Insel besetzt hielt, alle Wege frei und sicher waren. Die Mutter, Hortense, Marie und ich gingen oft nach Saint Marc, um dort die Messe zu hören. Auf dem Wege dorthin trafen wir wiederholt einen jungen französischen Offizier, welcher ein unablässiges Augenmerk auf mich zu haben schien, mir anfangs von ferne folgte; später mir beim Eintritte in die Kirche, wie beim Fortgehen das Weihwasser reichte, und sich, um es in wenig Worten zu sagen, auf jede Weise, welche Sitte und Anstand erlaubten, mir bemerkbar zu machen suchte.
„Und gelang es ihm?“
„Ja, mein Vater! Doch erst heute habe ich ganz seinen Werth, seine hochherzige Seele, sein edles, aufopferndes Benehmen kennen gelernt, und Du wirst gewiß das Interesse, welches er mir einflößte, in seinem ganzen Umfange theilen, wenn Du dessen Ursache erfahren haben wirst. Doch ich fahre in meiner Erzählung fort...
Die Franzosen räumten San Domingo, ohne daß ich weiter von dem jungen Offizier hörte, und ohne
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