Nr. 124.

Mittwoch, den 30. Mai.

1883.

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Speiter Neuistustute Nr. 16.

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Rheinische Landeszeitung.

Dehr die Nchauten verautmertich Je B. Cari he n s. Duns und Brdlag ben 3. G. Gartiben s.

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Pepeitien Heritchnstrnste Nnr 10.

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Deutscher Reichstag.

Novelle zur Gewerbeordnung.

Berlin, 28. Mai. Dem Reichstag ging heute ein Dankschreiben des Präsidenten des Reichsgerichts Simson für die Gratulation zu seinem 50 jährigen Jubiläum zu. Das Haus begann sofort die dritte Berathung der Novelle zur Gewerbeordnung. Art. 1, 1a, 2(Hufbeschlagprüfung) wurden ohne Debatte an­genommen, im Art. 3 wurde§ 33a nach längerer Debatte mit einigen von Baumbach beantragten Aen­derungen genehmigt. Zum§ 33b lag der Antrag Ackermann vor, die Regierungsvorlage wiederherzu­stellen, wonach Unternehmer von Musik=Aufführungen 2c. der Erlaubniß bedürfen, nicht nur, wenn diesel­ben auf Straßen und Plätzen 2c. stattfinden, sondern auch an anderen öffentlichen Orten(in Wirthshäusern.) Richter bekämpfte den Antrag, weil er die Handhabe zu politischer Beeinflussung biete, Gagern und Bö­dicker empfahlen denselben. Der Antrag Ackermann wurde in namentlicher Abstimmung mit 153 gegen 129 Stimmen abgelehnt. Gegen denselben stimmen außer den liberalen Parteien, der Volkspartei und den Sozialisten, die Polen und auch ein Theil des Centrums. Um 5 Uhr wurde die weitere Berathung bis Dienstag 12 Uhr vertagt.

Politische Chronik. Deutschland.

Berlin, 28. Mai.(Der Reichstag) hatte an­läßlich des mexikanischen Handelsvertrages beschlossen, an den Reichskanzler oas Ersuchen zu richten, bei künftigen Handels= und Schifffahrtsverträgen besonders mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika darauf Bedacht zu nehmen, daß den Deutschen das unbedingte Recht zum Erwerb und zur Veräußerung von Grund­eigenthum unter Lebenden und von Todeswegen einge­räumt werde. Der Bundesrath hat diese Resolution dem Reichskanzler überwiesen und es wird dieselbe, wie man derNat.=Ztg. schreibt, Berücksichtigung finden.

Berlin, 28. Mai.(Der Bundesrath) ge­hmigte den italienisch=deutschen Handelsvertrag und

Literarkonvention mit Frankreich. Die heute

immengetretene Stadtsynode wählte den Kammer­

chtsrath Schroeder zum Vorsitzenden, den Pre­biger Hoßbach zum Stellvertreter mit 104 gegen 76 Stimmen. Gegenkandidaten waren Geheimer Re­gierungsrath Professor Aegidi und Konsistorialrath Mathis.

(An der Spitze des Blattes schreibt die Germania:)Es ist jetzt eine Woche vergangen, seitdem dieNordo. Allg. Ztg. den Auszug aus der Note vom 5. Mai veröffeatlicht hat. Unmittelbar darauf haben wir die Frage aufgeworfen, was unter dem entscheidenden Begriff dernicht beneficirten Hilfsgeistlichkeit" zu verstehen sei, und dieselbe auf Grund des vorhandenen Interpretationsmaterials in einem für die Friedensaussichten sehr ungünstigen Sinne beantworten zu müssen geglaubt. Wenn nun die Regierung einen anderen, besseren Sinn in die unklaren Worte legen wollte, wenn sie wirklich ent­schlossen wäre, die Anzeigepflicht auf die Pfarräm­ter und einige andere selbstständige Beneficien zu be­schränken, dagegen die gewöhnlichen Caplanei= und Vikariatsstellen freizugeben, so hätte man erwarten dürfen, daß die Offiziösen das gegenüber unserer Darlegung offen erklärten. Eine solche Erklärung über die Absichten der Regierung ist aber bisher nicht er­folgt, und wir müssen also an unserer Auslegung, welche die Zugeständnisse der Note in höchst beschei­dener Kleinheit und in sehr argem Mißverhältniß zu der großen Forderung und der kräftigen Sprache erscheinen läßt, leider noch festhalten.

Berlin, 28. Mai.(Die feierliche Enthüllung der Denkmäler Wilhelms und Alexanders v. Humboldt) im Universitätsgarten hat Mittags um 12 Uhr stattgefunden. Während vom goldenen Bal­kon des Universitäts=Gebäudes die Fest=Cantate er­scholl, trat der Kaiser mit dem krouprinzlichen Paar, dem Prinzen Wilhelm, dem Prinzen und der Prin­zessin Friedrich Karl, dem Prinzen Alexander August von Wurttemberg, dem Prinzen und oer Prinzessin Friedrich von Hohenzollern, dem Erbgroßherzog von Baden auf den großen Balkon seines Palais und sah von dort ter der Feier zu. Nachdem die Musik be­endet war, fielen die Hüllen. Der Kultusminister hielt eine Rede auf Wilhelm von Humboldt und über­gab dus aus Staatsmitteln errichtete Denkmal der Universität. Virchow sprach sodann und übergab das aus freiwilligen Beiträgen errichtete Denkmal Alexan­ders von Humboldts gleichfalls der Universität, wo­rauf der Rektor Dubois=Reymond in längerer Rede dankte. Ein dreimaliges Hoch auf den Kaiser und der Gesang der Nationalyymne schloß die Feier. Außer den Ministern und der Generalität waren auch die Botschafter Courcel, Said Pascha und Szecheneyi anwesend. Nach der Feier ging der Kaiser, gefolgt

von sämmtlichen Prinzen, zu Fuß vom Palais nach dem Kaiserzelt zur Besichtigung der Denkmäler.

(Zur zweiten Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend den Bau eines Schifffahrtskanals von Dortmund nach der unteren Ems,) ist dem Abgeordnetenhause von 48 Mitgliedern unterzeichnet ein Antrag zugegangen:Die königliche Staatsregie­

rung aufzufordern, baldthunlichst dem Landtag einen Gesetzentwurf, betreffend die Herstellung einer lei­stungsfähigen directen Wasserstraße zwischen den Mon­tandistrikten Oberschlesiens und Berlin, vorzulegen.

Essen, 28. Mai.(Die in der Canalfrage vom Ausschuß des Rheinisch=Westfälischen Ver­eins für Colonisation und Export in Düsseldorf an das Abgeordnetenhaus beschlossene Resolution) lautet nach derRhein.= Westf. Ztg. wie folgt: Der Verein würde in der durch Annahme des dem Abgeordnetenhause vorlie­genden Antrages Gärtner bedingten Verzögerung des Zustandekommens der Kanalverbindung des rheinisch westfälischen Industriebezirks mit der unteren Ems eine schwere Schädigung großer allgemeiner Inter­essen sehen müssen. Er erkennt in der möglichst schnellen Herstellung der projectirten Wasserstraße nicht nur die Emancipirung des deutschen Verkehrs von ausländischer Beeinflussung, sondern vor allen Dingen die nothwendige Erleichterung des deutschen Exports, die Belebung des Zusammenhanges zwischen den ausgewanderten Deutschen und dem Mutterlande und damit die Förderung der wichtigsten allgemein deutschen Interessen.

Baden=Baden, 28. Mai.(Die deutsche Kaiserin) ist soeben nach Berlin abgereist.

Dresden, 28. Mai.(In Gegenwart des Königs.) der Königin, des Prinzen und der Prin­zessin Georg sowie der Prinzessin Mathilde fand heute Mittag hier die feierliche Eröffnung der Kunstgewerbe­halle des hiesigen Kunstgewerbevereins statt.

Oesterreich=Ungarn.

Wien, 28. Mai. Im hiesigen auswärtigen Amt wird dem Handschreiben des Czars an Giels eine eminent friedliche Bedeutung beigelegt; dasselbe beweise unwiderleglich, daß die Friedenspolitik nicht in Giers an sich verkörpert, sondern daß derselbe Träger der eigensten Politik des Kaisers ist.

Pest, 28. Mai. Die zweite Session des ungari­schen Reichstages ist mit königlichem Reskripte ge­schlossen, die dritte für den 27. September einberufen worden.

Schweiz. 4

Bern, 28. Mai. Waadt wählte gestern, ent­gegen der gehegten Befürchtung, 6 demokratische De­putirte zum Nationalrath.

Zürich, 28. Mai. In der züricherischen Volks­abstimmung wurde gestern das neue Wuchergesetz mit 45,104 gegen 5739 Stimmen angenommen, die Wiedereinführung der Todesstrafe mit 28,394 gegen 25,259 beschlossen, die obligatorische Impfung mit 33,197 gegen 20,921 abgeschafft, die Ausgabe von Hypothekarscheinen und die Ausdehnung des Hypo­thekarkredits auf Waaren und Produtte sowie Wahl eines Kantonalbankrathes durch das Volk abgeleynt.

Frankreich.

Paris, 28. Mai. Der österreichische Botschafter Hoyos überreichte heute Grevy sein Beglaubigungs­schreiben.Temps schätzt die Zahl der unver­züglich von Cochinchina nach Tonkin gesandten Ver­stärkungstruppen auf 1200 Mann, mit deren Hälfe General Bonnet sich in Hanoi und Namdineh bis zur Ankunft der französischen Streitkräfte am 10. Juli wird halten können. Nachtichten aus Hongkong vom 27. Mai versichern, die chinesische Regierung sei von versöhnlichen Gesinnungen beseelt, wolle aber die Souzeränetätsrechte Chinas auf Tonkin aufrecht­erhalten; sie erklärt den von Bourree entworfenen Vertrag für unannehmbar, weil derselbe zu große Konzessionen an Frankreich enthalte. Ebenso wird dementirt, daß chinesische Truppen gegen die Franzo­sen bei Hanoi mitgesochten hätten, aber man glaubt, daß zahlreiche Chinesen unter den Fahnen der Schwarzen stehen, aus denen die regulären anami­tischen Truppen bestehen. China werde zwar bei dem jetzigen Konflikt zwischen Frankreich und Anam nicht intervenicen, aber auch eine Eroberung Tonkins durch Frankreich nicht zulassen. Der neue französische Gesandte, Trieou, wird in nächster Zeit in Peking erwartet. Die chinesische Gesandtschaft in Paris tele­graphirte auf Wunsch Challemels an die chinesische Regierung, sie möge Tricou noch vor der Ueberrei­chung seines Beglaubigungsschreibens empfangen.

Paris, 28. Mai.Gaulois veröffentlicht eine Unterhaliung des chinesischen Gesandten mit einem ehemaligen Diplomaten. Ersterer hält den Bruch zwischen China und Frankreich nicht für bevor­stehend; China müsse aber Tonkin mit allen Mitteln unterstützen.

Marseille, 28. Mai. Heute sind 300 Marine= soldaten von Toulon für Tontin angekommen, morgen werden weitere 700 erwartet.

Italien.

Rom, 28. Mai. Bei der gestrigen Parlaments­wahl in Rom erzielte der radikale Ricciotti Garibaldi 2105 Stimmen, der liberale Fürst Colonna nur 1471. Eine Stichwahl ist unvermeidlich.

England.

London, 28. Mai. Im Unterhaus antwortet Dodson auf mehrere Interpellationen: Die franzö­sische Regierung erklärte, in Folge des Vieheinfuhr­verbots aus Frankreich die strengsten Vorsichtsmaß­regeln einführen zu wollen. Die englische Regie­rung werde das Verbot aufrecht erhalten, bis die

Wirksamkeit jener Vorsichtsmaßregel erkenntlich sei. Die Rindvieheinfuhr aus Deutschland sei gleichfalls verboten; wegen der Schafeinfuhr dauerten die Ver­handlungen mit Deutschland fort.

London, 28. Mai. Fitzmaurice erwiderte Cowen, er habe Grund zu glauben, die Nachricht von der Convention zwischen Chili und dem General Iglesias sei korrekt; aber die Regierung habe keine amtliche Nachricht. Uebrigens wäre es verfrüht, anzunehmen, daß dies den Frieden herbeiführe.

London, 27. Mai.# Der Prozeß der Dyna­mitverschwörer(Dr. Gallagher, Whitehead und Consorten) wird am 28. d. vor dem Central=Straf­gerichtshofe in London beginnen. Sollte die Ver­theidigung eine Verlegung zur nächsten Session bean­tragen, so wird der Kronanwalt keine Einwendung erheben. Als Richter wird der durch seine Strenge bekannte und in Verbrecherkreisen gefürchtete Richter Hawkins fungiren.

Von den Phönixpark=Mördern werden außer Fagan noch hingerichtet: Thomas Caf­frey am 2. und Tim Kelly am 9. Juni. Fagan wurde gestern von seiner Mutter besucht, die ihn er­mahnte, sein Schicksal ebenso muthig und stark zu ertragen, wie sie seinen Verlust ertragen werde. Fagan ist sehr gefaßt.

Rumänien.

Bukarest, 28. Mai. Die Kammer wählte Rosetti einstimmig zum Präsidenten. Derselbe lehnte aber die Annahme ab, weil er thätigen Antheil an der von ihm selbst angeregten Wahlreform zu nehmen beabsichtigte.

Orient.

Konstantinopel, 28. Mai. In Folge der Einwendungen Deutschlands gegen den ad valorem Zolltarif stellte die Pforte für die deutsche Einfuhr bis auf Weiteres den Status quo wieder her. Die übrigen Mächte verlangen die Behandlung der meist­begünstigten Nation.

Die Katastrophe in Tonkin.

Die Niederlage der französischen Truppen in Ton­kin, insbesondere der Verlust des Truppenkomman­danken Rivière, der anläßlich des Ausfalles aus Hanoi durch die Anamiten getödtet wurde, drängt in Frankreich alle übrigen Tagesereignisse, einschließlich der Moskauer Kaiserkrönung, weit in den Hintergrund. Aus den offiziellen Mittheilungen, welche der franz. Marineminister am Samftag in der Deputirtenkam­mer über die Katastrophe in Tonkin gemacht hat, geht vor Allem hervor, daß der Truppenkommandant Rivière den Ausfall aus Hanoi nothgedrungen machte, weil er sich der anamitischen Belagerer nicht anders erwehcen konnte, und daß er selbst nur über ein Kon­tingent von etwa 400 Mann verfügte. Admiral Meyer, an den Rivière sich um Unterstützung wandte, und der ihm ein Detachement der Landungs=Kom­pagnien zur Verfügung stellte, ist speziell mit der Mission betraut, die Chinesen an einer Landung in Tonkin zu verhindern. In der zunächst erforderlich werdenden Zersplitterung der französischen Streitkräfte liegt die hauptsächlichste Gefahr für die französische Expedition, da noch geraume Zeit vergehen muß, ehe die für jene bestimmten Truppen selbst an Ort und Stelle eintreffen. Inzwischen droht auch die Eventua­lität, daß die Chinesen jetzt noch die günstige Kon­junktur benutzen, ehe das französische Panzergeschwader selbst mit den Transportdampfern eintrifft. Daß der französische Fregattenkapitän de Kergaradec bereits mit einem eigenhändigen Schreiben Jules Grevys unterwegs ist, um dem Kaiser von Anam, Tu=Duc, die bevorstehende Besetzung von Tonkin anzukündigen, ist in China wohl bekannt, und die Bestrebungen der dortigen Regierung konzentriren sich darauf, diese Eventualität zu verhindern.

Wie schwierig die Lage der französischen Regie­rung ist, ergibt sich auch daraus, daß die Nachricht von der anscheinend am 20. Mai etwa erfolgten Katastrophe in Hanoi vier bis fünf Tage brauchte, ehe sie nach Saigun, dem Stationsorte des Admirals Meyer, gelangte, woraus sich dann, zum Theil we­nigstens, die Verzögerung des Eintreffens in Paris erklärt. Freilich fehlt es in Paris nicht an Stim­men, welche die Regierung beschuldigen, die Trauer­botschaft absichtlich zurückgehalten zu haben.

Die russische Kaiserkrönung.

Moskau, 28. Mai. Der Kaiser richtete an den Minister des Auswärtigen von Giers folgenden Erlaß:Die Macht und der Ruhm, die Rußland Dank der Vorsehung erworben, die Ausdehnung des Reiches und seine zahlreiche Bevölkerung lassen kei­verlei Gedanken an Eroberungen Platz greifen. Meine Sorge ist ausschließlich der friedlichen Entwickelung des Landes, seiner Wohlfahrt und seinen freundschaft­lichen Beziehungen zu den Mächten auf der Grund­lage der Verträge und der Wahrung seiner Würde gewidmet. Da ich in Ihnen einen zuverlässigen, ei­frigen, von diesen Ansichten bei der Leitung der internationalen Beziehungen beseelten Mitarbeiter ge­funden habe, verleihe ich Ihnen den Alexander=Newski­Orden in Diamanten als Beweis meiner Dank­barkeit.

Moskau, 28. Mai. Dem gestrigen kaiserlichen Festmahle wohnte auch der katholische Erzbischof, und zwar an der nämlichen Tafel mit der hohen russischen

Geistlichkeit, bei. Für die nicht dem kaiserlichen Ge­folge oder der Diplomatie angehörigen Personen waren während des Krönungsfestmahls in den Höfen des Kreml zwei Zelte errichtet, in denen etwa 600 Personen speisten. Abends machte der Kaiser ohne jedes Geleit eine Rundfahrt durch die Stadt, um die Beleuchtung in Augenschein zu nehmen. Der päpst­liche Krönungsbotschafter Vannutelli ist gestern Abend angekommen; der Kaiser wird ihn heute empfangen. Seit 10 Uhr heute Vormittag empfangen der Kaiser und die Kaiserin, auf dem Thron im St. Andreas­saale sitzend, die Glückwünsche. Um 11 Uhr empfing der Kaiser den türkischen Krönungsbotschafter Server Pascha sowie die japanesische und persische Gesandt­schaft in Audienz, nahm sodann die Beglückwünschungen der Adelsmarschälle, des hohen Adels, der Abordnun­gen von Finnland, der Kosaken und der asiatischen Völker, welch letztere Salz und Brod darbrachten, entgegen. Die Kosaken überreichten Heiligenbilder. Der Empfang fand in Gegenwart aller Großfürsten und Großfürstinnen, sowie der Herzogin von Edin­burg statt. Der Kaiser unterhielt sich dabei aufs huldreichste mit den einzelnen Personen. Um 1 Uhr erschienen das diplomatische Corps, die außerordent­lichen Vertreter fremder Höfe, die hohe Geistlichkeit und Mitglieder des Reichsraths zur Beglückwünschung der beiden Majestäten. Einheimische Abordnungen überreichten zahlreiche Geschenke, die besonders aus russischen Gold= und Silberarbeiten bestehen. Die Beleuchtung beginnt heute Abend von Neuem; morgen ist Abendgesellschaft und Ball im Kreml.

Moskau, 28. Mai. Alle souveräne Staats­Oberhäupter sandten anläßlich der Krönung Glück­wunschtelegramme. Besonders herzlich gratulirte Kaiser Wilhelm, welchem alsbald Kaiser Alexander, die guten alten Gesinnungen betonend, telegraphisch dankte.

Petersburg, 28. Mai. DerRussische Inva­lide" veröffentlicht auf 22 Druckseiten heute die zur Krönungsfeier erfolgten Ernennungen, Beförderungen und Ordensverleihungen, welche das Militärwesen be­treffen. Außer den bereits gemeldeten Personen sind mit dem Wladimir=Orden 1. Klasse der Großfürst Wladimir, 3. Klasse der russische Militärbevollmäch­tigte in Berlin Oderst v. Dahler, 4. Klasse der Groß­fürst Sergius, Konstantin Konstantinowitsch, Deme­trius ausgezeichnet worden. 27 General=Lieutenants, darunter der Kriegsminister Wannowsky, sind zu vollen Generälen, der Großfürst Alexis zum General=Admiral befördert worden.

Neueste Nachrichten.

Zürich, 28. Mai. Auf seiner Durchreise besuchte gestern Feldmarschall Graf Moltke die Schweizer Landesausstellung in Zürich. Er sprach sich über die treffliche Anordnung derselben in sehr anerkennender Weise aus und verweilte mehrere Stunden auf dem Ausstellungsplatz. Heute früh brachte ihm die von der Ausstellung engagirte Musik des sächsischen Regi­ments Nr. 105 ein Ständchen.

Marseille, 28. Mai. Die Transportschiffe Mythoe" undAnamite vollenden spätestens am Donnerstag ihre Ausrüstung und gehen mit 2555 Mann nach Tonkin ab. Vier weitere Dampfer und ein Kanonen=Boot sind in Ausrüstung begriffen.

London, 28. Mai. Dem Reuterschen Bureau wird aus Schanghai vom heutigen Tage gemeldet, daß Lehung Tschang, welcher kürzlich zum Ober­befehlshaber der Truppen in den vier südlichen Pro­vinzen Chinas ernannt wurde, in Schanghai angekommen sei und daselbst einen Monat lang ver­bleiben werde, um die nöthigen Vorbereitungen zu treffen, bevor er sich auf seinen Posten begibt.

Athen, 28. Mai. Das französische, in Piräus angekommene Geschwader wird heute von dem König besucht und geht dann nach Korfu, begleitet vom Admiral Comte auf der FregatteTriomphante.

Kairo, 28. Mai. Das Bureau Reuter mel­det: Dem Vernehmen nach beabsichtigt die Regie­rung den Bestimmungen der Kapitulationen entge­gen, das unbewegliche Eigenthum der Ausländer mit Steuer zu belegen.

Saigun, 27. Mai. Kergaradec erwartet hier neue Instruktionen, bevor er nach Hue geht.

§ Bonn.(Schwurgerichtssitzung.) Gestern, am 28.., wurde die diesmalige Schwurgerichts­session eröffnet. Vor den Schranken stand die Wittwe H. L. aus Obermenden, angeschuldigt des Kindes­mordes. Die Angeklagte hatte vorigen November geboren und aus Angst vor den Drohungen ihres Vaters das neugeborene Kind zuerst in den Abort zu werfen gesucht, dann, da dies nicht anging, ihm einen Pfropfen in den Mund gesteckt und es so er­stickt, worauf sie die Leiche im Strohsack verbarg. Ihre Mutter schöpfte über ihren Zustand Verdacht und ließ eine Hebamme rufen. Nach längerem Zureden gestand die Kindesmöcderin derselben das Verbrechen, worauf die Anzeige erfolgte. Bei der gestrigen Verhandlung stellte sich die Schuld der Angeklagten heraus und wurde sie zu zwei Jahren Zuchthaus verurtheilt. In der heutigen Sitzung wurde ein Fall wegen ver­suchter Nothzucht verhandelt. Jakob L. zu Hardt hatte in der Nähe von Haspel auf offenem Felde ein 18jähriges Mädchen zu vergewaltigen gesucht. Als auf deren Hilferuf eine Fran hinzukam, enteilte er. Die Verhandlung ergab seine Schuld und empfing er

6 Monate Gesängniß.