Nr. 76.
Expedition, Druck und Verlag Frz. van Oberger
Erscheint
Smal wöchentlich:
Dienstags, Dennerstags und Samstags.
Dienstag den 6. Juli.
1875.
Orrantnortlücher
Redakteur
Lub. Immelen R. Gladbach. Abonnementspreis pr. Quartal
1½ Mark 05 Sp.)
Iunlertiamnihurs die Petitzeile 15 Markpfennige
Deutsches Reich.
* Berlin, 2. Juli. Eine beliebte Phrase der Katholiken= und Romfeinde ist die von der schlechten„Jesuitenmoral“, derzufolge der Zweck die Mittel heiligen soll. Mit dieser„Jesuitenmoral“ ist es nun, wie sattsam bewiesen worden, Nichts, dagegen wird oft genug, zuletzt wieder in der Affaire Wiesinger, dem Gros der verehrten Herren„Liberalen“ vor Augen gestellt, daß sie den„Ultramontanen“ vorwersen, was sie selbst praktiziren oder doch nicht verwerfen. Und so sei denn auch zur Belehrung und Erbauung den„liebenswürdigen" Lästerern der Jesuiten und der „Jesuitenpartei“ das Folgende empfohlen.
In einer der Noten, welche der belgische Minister des Aeußern, Graf'Aspremont=Lynden, bei dem diplomatischen Schriftenwechsel über die Duchesne=Affaire an die deutsche Regierung gerichtet hat, war andeutungsweise von einem Vorschlag die Rede, welcher der belgischen Regierung von einem Mitgliede der deutschen Gesandtschaft gemacht worden war, an Duchesne eine simulirte Antwort des Erzbischofs von Paris gelangen zu lassen— ein Vorschlag, welchen die belgische Regierung zurückwies, und den dann auch der damalige Chef der deutschen Gesandtschaft, Herr v. Balan, nach seiner Rückkehr nach Brüssel mißbilligte. Etwas mehr Licht über diese dunkle Angelegenheit verbreitet jetzt die„Nordd. Allg. Ztg.“ anläßlich einer Polemik mit der berliner„Volksztg.“. Die „Nordd. A. Ztg.“ gibt die Thatsache zu, daß der betreffende Gedanke von einem Beamten der deutschen Gesandtschaft im Gespräch mit dem Polizeidirektor von Brüssel hingeworfen worden ist, und sucht diesen„Kniff“ folgendermaßen zu rechtfertigen:„Wenn Duchesne es, wie die„Volksztg.“ glaubt, nur auf Chantage oder eine andere Gaunerei abgesehen hatte, so war die Simulirung einer Antwort ein sehr nahe liegendes, von jeder Polizei=Behörde in ähnlichen Fällen angewandtes Mittel, der Sache auf den Grund zu kommen; was nicht ausschließt, daß der Gesandte mit einem solchen Manöver nichts zu thun haben wollte. Eines schickt sich eben nicht für Alle.“ Der„Nürnb. Corr.“ bemerkt hierzu:„Aber ein solcher„frommer Betrug“ unter Mißbrauch des Namens und auf Unkosten eines Mannes, welcher, wie der Erzbischof von Paris, in aller Loyalität den Antrag Duchesne's sofort seiner Behörde angezeigt hatte, dürfte sich doch ebenso wenig mit der diplomatischen oder sei es selbst polizeilichen, als mit der gemeinen Moral vertragen.“ Sapienti sat.
— Der Reichskanzler Fürst Bismarck hat das Gesetz wegen Aufhebung der Artikel 15, 16 und 18 der Verfassungsurkunde gegengezeichnet, was nicht bei allen Gesetzen der Fall ist, die während seiner Abwesenheit von Berlin in der Gesetzsammlung erscheinen. Wahrscheinlich wollte der Fürst damit noch besonders seine Billigung zu der Aufhebung jener Artikel ausdrücken. Das war freilich überflüssig.
— Der Reichsanzeiger meldet:„Der Kronprinz begibt sich mit Gefolge nach Wien, um auf Allerhöchsten Befehl der dort in diesen Tagen stattfindenden Beisetzung des verewigten Kaisers Ferdinand beizuwohnen.“ Die Abreise erfolgt morgen.
— Durch einen neuerlichen Erlaß des Kultusministers zu den Maigesetzen dürfte vielfachen Vexationen endlich ein Ende bereitet werden. Der Erlaß besagt:
„Die Vornahme einzelner Amtshandlungen in einer vakanten Pfarrei Seitens gesetzmäßig angestellter Geistlichen aus den benachbarten Parochieen auf Ansuchen der Pfarrgenossen ist nicht strafbar. Es ist daher auch nicht von Erheblichkeit, ob der auswärtige Pfarrer, der einzelne Amtshandlungen vornimmt, in geringerer oder weiterer Entfernung seinen Wohnsitz hat. Auch bei einer besetzten Pfarrstelle sind einzelne Amtshandlungen, die ein fremder, jedoch gesetzlich bestellter Geistlicher vornimmt, nicht
„Liberale" und„liberale“.
Unter dieser Ueberschrift bringt die„Germ.“ einen Artikel aus Westfalen, der so allerliebste Streiflichter auf das„liberale“ Preßwesen wirft, auf Organisation und Wesen desselben, auf seine Inspiratoren und Kreaturen, daß es wirklich eine Schädigung der öffentlichen Meinung in sich schlösse, wollte man demselben nicht zu einer möglichst weiten Verbreitung verhelfen. Der Artikel enthält zudem Vieles, das dem„liberalen“ Preßwesen änderswo wie auf den Leib zugeschnitten erscheint. So beachte man besonders die in demselben mitgetheilte Phraseologie, mit der in Münster gegen die katholische Geistlichkeit und Bürgerschaft wie gegen alle Beamten gewüthet wurde, die dem„liberalen" resp. regierungsbeflissenen Organe nicht„stramm“ genug waren, die ihm zu wenig mit Feuer und Schwert vorzugehen schienen.
Der Artikel hat folgenden Wortlaut:
Die letzten Vorfälle in Rheine, welche die freimaurerische„Westf.
Prov.=Ztg.“ mit blut= und gluthrothen Farben zu einer wahren „Cannibalen“=Schlacht auszumalen verstand, haben Dinge im Gefolge gehabt, die von viel weittragenderer Bedeutung als jene selbst sind und dem künftigen Culturhistoriker zu dem Capitel: „Liberale und liberale Presse“ recht schätzbares Material darbieten werden. Vorab muß ich Ihren Lesern bemerken, daß jenes Blatt eminenti modo ein officiöses ist, das von der Regierung durch eine bedeutende Geldsumme in die Welt gesetzt, von ihr überall empfohlen und bis dato pflichtschuldigst von ihr unterstützt wurde. So erklärte sich denn auch der befremdende Umstand, daß jenes Blatt beispielsweise die Berichte der Münster'schen Regierung an Se. Majestät den Kaiser— mit Ausnahme natürlich der Rubrik„Oeffentliche Stimmung“, die, wenngleich durch die gefärbte Regierungsbrille gesehen, dennoch für die Oeffentlichkeit zu wenig rosenfarben war,— verbotenus veröffentlichen oder über nicht secrete von der Regierung vorgenommene Handlungen und getroffene Maßregeln, wie Beschlagnahme des Gehalts des Hrn. Bischofs von Münster zuerst berichten konnte. Freimaurer und der Regierung blind ergebene Männer, welche direct oder indirect Beamte des Staates sind und zum Theil vor nicht langer Zeit
E ihre„Gesinnungstüchtigkeit“ mit Orden, Gehaltserhöhungen und„höheren Chargen“ freundlichst bedacht wurden, bilden das weschits jener Zeitung. Sie sind eben auch das Medium, durch dem verantwortlichen Redacteur die Inspirationen von zukommen. Unter solchen Umständen wird freilich für kein zu großes Maß eigener Selbstständigkeit abfallen, weshalb denn auch schon der frühere Redacteur, Herr Bentlage, wie ich positiv versichern kann, in wenig beneidenswerther Stellung sch zu fühlen glaubte, und bald schon aus der Redaction weg„in die Ferien“ sich begab.
Den folgenden Redacteur, Herrn Gutbier, hatte man aus
ohne weiteres strafbar. Die bloße Substituirung eines andern Geistlichen für eine einzelne Amtshandlung ist nicht als Uebertragung der Stellvertretung oder Hülfeleistung in einem Amte aufzufassen. Nach demselben Grundsatze ist wegen der sogenannten Gastpredigten zu entscheiden und wird demgemäß kein Grund zum Einschreiten vorliegen, wenn ein Geistlicher einen andern gleichfalls gesetzmäßig angestellten Geistlichen statt seiner eine Amtshandlung vornehmen läßt.“
— Die Minister des Innern und der Finanzen haben die Regierungen neuerdings bestimmt angewiesen, Fürsorge zu treffen, daß vom Januar 1876 ab kein unmittelbarer Staatsbeamter mehr eine mittelbare oder unmittelbare mit einer Remuneration oder einem Vermögensvortheil verbundene Stellung als Mitglied des Vorstandes, Aussichts= oder Verwaltungsraths einer Aktien=, Kommandit= oder Bergwerksgesellschaft oder in einem Komite zur Gründung einer solchen Gesellschaft annimmt. Die Gründungskorruption würde sonach für Beamte ein Ende nehmen.
— Die Kreuzzeitung hat mit ihren Angriffen auf die neue Aera in ein förmliches Wespennest gestochen. Auf ihre ersten Bemerkungen über die Münzreform antwortete die„Nordd. Allg. Ztg.“ und zwei zu Börsenkreisen in nahen Beziehungen stehende Blätter, die„Nat.=Ztg.“ und der„Berliner Börsen=Courrier“, mit Behauptungen, die das Publikum schwerlich für glaubwürdig erachten wird. Wenn die„National=Zeitung" beispielsweise sagt: es könne nicht davon die Rede sein, daß uns das Gold unter den Händen entschwunden sei, so ist dem gegenüber doch die Thatsache festzustellen, daß das Gold bei uns so ziemlich aus dem Verkehr geschwunden ist, und daß die Bank die ihr präsentirten Noten nicht gegen Gold, sondern nur gegen Silber auswechselt. Im Großen und Ganzen finden denn auch die Ausführungen der Kreuzzeitung die Zustimmung des Publikums, so weit dieses nicht als identisch mit den Börsenkreisen zu betrachten ist. In wie weit die heute von jenem Blatte ausgesprochenen Gedanken zutreffend sind, wird die Zukunft lehren. Auf die Frage: was nun geschehen werde, da die unabwendbaren Folgen der geschilderten Finanz= und Wirthschafts=Politik über Deutschland bereits hereinbrechen, antwortet die Kreuzzeitung, daß unsere Mitbürger mosaischen Glaubens sich bereits rüsten, in der Person des Herrn Camphausen einen Sündenbock zur Sühne für alles über Deutschland kommende Unheil hinzustellen. Die Abschlachtung eines so großen Opfers sei nöthig, damit der Gedanke nicht Platz greifen könne, daß unsere jüdischen Mitbürger Bleichröder=Lasker=Bamberger im Grunde für alle die schönen Dinge verantwortlich seien. Deßhalb schrieen auch jetzt dieselben jüdischen Börsenblätter, welche einst mit wohlüberlegter Berechnung das Hosianna über den auf Patronage ihres Herrn v. Bleichröder berufenen Minister riefen, vorsorglich ab und zu das„Kreuzige". Hatte doch der„BörsenCourrier“ die Stirne, gegenüber dem preußischen Vice=Ministerpräsidenten von einem„freventlichen Spiel mit den materiellen Interessen des Volkes, die man zu Gunsten impotenter Finanzkunststückchen aufs Spiel setzt", zu sprechen. Ihm sekundirte kurz vor Schluß der preußischen Landtagssession Hr. v. Kardorff, mehrfacher Verwaltungsrath und bei verschiedenen Aktiengesellschaften betheiligt, der bei solchen Gelegenheiten mehrere Fliegen mit Einer Klappe zu schlagen pflegt. Nach der Ansicht der Kreuzzeitung beabsichtigte Hr. v. Kardorff mit seiner Attaque auf Hrn. Camphausen nicht bloß dessen Stellung zu erschüttern, sondern auch der Seehandlung zu Leibe zu gehen, weil diese unsern Mitbürgern von der hohen Finanz, welche die Alleinherrschaft in Geldsachen erstrebten, unbequem sei. Hr. Camphausen gedenke jedoch einen großartigen Rückzug zu nehmen, und zwar wolle er vor der im Anzuge begriffenen Prohibitivzoll=Agitation, durch welche unsere Groß=Industriellen einen Ersatz für die in der Schwindel=Periode
Srlitenen Verluste zu gewinnen hofften, die Segel streichen und als
großer Freihändler zurücktreten.
— Regierungsfreundliche Blätter suchen, wie das zu erwarten ware, die Regierung von einer Mitschuld an der gegenwärtigen Geschaftsralamität freizusprechen. Sie kommen aber über das Ableugnen,
einige, Trostgründe und den wohlfeilen Versuch, Alles mit der
„glücklich überwundenen Kriegsaera“ erklären zu wollen, nicht hinaus, aus nachstehendem„Waschzettel“ ersehen möge:
t sich nicht verkennen, daß bei der gegenwärtigen drohenen Industrie= und Handelskrisis die wirthschaftlichen Interessen auf die Tagesordnung gestellt werden. Daraus erklärt sich, daß die Blätter verschiedenartiger Richtung sich neuerdings mit diesem Gegenstande und mit den von der Regierung angeblich begangenen Mißgriffen beschäftigen. Die den Leitern unserer wirthschaftlichen Politik gemachten Vorwürfe beruhen umsomehr auf einer Verkennung der richtigen Sachlage, als man auch die in den letzten Monaten scharf hervorgetretene Decadenz in allen wirthschaftlichen Verhältnissen auf dieselben Mitzgriffe zurückzuführen sucht. In den hiesigen Finanzkreisen ist man übereinstimmend(?) der Ansicht, daß dieses acute Stadium der Krankheit lediglich(?) durch die glücklich überwundene Kriegsaera hervorgerufen worden sei. Deßhalb ist man auch hier der Ueberzeugung, es könne nur dann besser werden, wenn das Vertrauen auf eine wirkliche Consolidirung des Friedens den weiteren Kreisen des besitzenden Publicums wieder gegeben sei. Ohne Zweifel haben die Zusammenkünfte der Monarchen Deutschlands, Rußlands und Oesterreichs wesentlich dazu beigetragen, der Hoffnung Raum zu geben, daß keine ehrgeizigen Wünsche, kommen sie von welcher Seite sie wollen, den europäischen Frieden zu stören im Stande sind. Es muß indessen zugestanden werden, daß mit der bloßen Vertrauensseligkeit in den guten Willen jeder einzelnen Macht die mannigfachen Industrie= und Handelscalamitäten nicht zu beseitigen sind. Unsere volkswirthschaftlichen Capacitäten, die im Parlament eine hervorragende Stellung einnehmen, sprechen es aus, daß außer den Friedensaussichten noch geeignete Maßregeln auf öconomischem Gebiete nothwendig sind, um der hart darniederliegenden Industrie zu Hülfe zu kommen. Auf Maßregeln dieser Art, welche selbverständlich den liberalen und freihändlerischen Principien entsprechen müssen, ist ohne Zweifel die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet. Wie wir hören, sollen in der nächsten Reichstagssession aus der Initiative der liberalen Partei Vorschläge hervorgehen, welche geeignet wären, eine Besserung unserer wirthschaftlichen Lage anzubahnen.“ Abwarten!
— In eigener Angelegenheit macht die„Germ.“ Mittheilung
davon, daß ihr verantwortlicher Redakteur Herr Gustav Taube wegen zehn„von dem Herrn Staatsanwalte in der„Germania“ entdeckten Verbrechen und Vergehen“ ins Verhör genommen wurde. Vor Kurzem war Herr Ernst Thieme, der Vorgänger des Genannten, wegen acht gegen ihn erhobenen Anklagen zu neun Monaten verurtheilt worden. Die„Germ.“ gibt in längerer Ausführung die Versicherung, daß sie zwar mit Vorsicht, aber sincere et constanter, wie Herr Falk sagt,(aufrichtig und fest) weiter kämpfen werde; man könne sie vernichten, aber nicht korrumpiren; und selbst mit dem„vernichten“ habe es vorläufio noch gutr Aege..
— Wir befinden uns in einer Periode schwerer und unglücksvoller Gewitter. Nicht allein in Frankreich und Oesterreich, auch in Deutschland fahren dieselben mit wiederholter Heftigkeit nieder. Bedeutenden Schaden richteten sie namentlich im Thüringer Walde, in Schleswig=Holstein und im Fuldaischen an. Ueberschwemmungen und Verwüstungen sind an der Tagesordnung.
Juni. Eine Anzahl polnischer Gutsbesitzer hatte
anläßlich der Ernennung des Hrn. Erzbischofs Grafen Ledochowski zum Kardinal eine Dankadresse an den Papst geschickt.
Schleswig*) sich verschrieben, einen Mann, der, über Land und Leute Westfalens in absoluter Unkenntniß befangen, bald als das enfant terrible der Münsterschen Freimaurerclique in einer wahren Dreschflegelmanier— meinetwegen bona fide— auf die bösen Ulramontanen hier zu Lande losschlug. Den Höhepunct rabiater Kampfweise erreichte ein Artikel aus seiner Feder, „Der Exceß in Rheine" überschrieben, welcher am Tage nach Veröffentlichung des verleumderischen Berichts über jene Vorgänge an der Spitze des Blattes erschien und statt der so nothwendigen Berichtigung vielmehr in den gröbsten Schmähungen über Alles, was uns Westfalen heilig ist, sich erging. Es ist da die Rede von „einer vaterlandslosen, Gesetz und Recht mißachtenden Priesterschaft", der„den ultramontanen Pöbel(die Bürgerschaft von Rheine) aufgehetzt" habe, den Bürgermeister„in einer wahrhaft cannibalischen Weise zu mißhandeln“, von dem„Treiben jener finsteren Mächte, welche die Kanzel und den Beichtstuhl, das Krankenbett und das Heiligthum der Familie mißbrauchen, um die Massen zu fanatisiren, und die sich in unserer Stadt und im Münsterlande geberden, als wären sie die Herren und die staatstreuen Bewohner nur die Geduldeten. Das Maß ihrer Handlungsweise ist längst voll, und das Unheil, welches sie angerichtet haben, schreit laut zum Himmel um Vergeltung". Unsere katholischen Geistlichen nennt das Blatt die„Söldlinge Roms“, Pius IX.„Deutschlands größten Feind“, an dessen Geburtstage„die Straßen und Häuser buchstäblich in Flaggen eingehüllt waren“, während am Geburtstage des Kaisers„kein äußeres Zeichen auf die Wichtigkeit des Tages hindeutete". Der gemeine Schmähartikel hat seinen Eindruck nicht verfehlt. Die plumpe Arroganz und beispiellose Schamlosigkeit, mit der ein neu importirter„liberaler“ Seribler über Land und Volk Westfalens herzufallen sich erdreistete,**) hat weit und breit Entrüstung und Erbitterung hervorgerufen, hat unserem Volke gezeigt, weß Schlages jene Leute sind, die ihm die richtige politische Bildung, die echte Staatsraison beibringen sollen, hat ihm gezeigt, was Alles noch für seine beiden Heiligthümer, Religion und heimathliche Ehre, von dieser Seite in Zukunft ihm bevorsteht.
Und das hat ein Blatt gethan, das in notorisch engster Beziehung zur Regierung steht, zu jenen Behörden steht, die eben jene arg verleumdete Provinz verwalten müssen. Wohin nun anders als gegen diese selber richtet sich der allgemeine Unwille, das große Maß von Antipathie und bitterer Entrüstung, die vom Geburtstage des leidigen„Culturkampfs“ an von Tag zu Tag
*) Schleswig=Holstein scheint recht fruchtbar an exportirbaren Halbschlächtern für die„liberale" Presse zu sein. Freilich war das Land stets durch seine— landwirthschaftlichen„Artikel“ berühmt! A. d. G. V.
**) Anderswo ists ähnlich so.
intensiv und extensiv sich mehrt und größer wird? Und, um es unverblümt und wahr und klar herauszusagen: Zur Zeit der Annexion, vor sechszig Jahren, konnte die Abneigung gegen die „Preußen“ kaum größer sein. Ein kleiner Gang auf's Land, eine kurze Unterredung mit Leuten aus dem Volke wird in dieser Beziehung bei Weitem den besten„Stimmungsbericht" aufwiegen. Ja selbst die„Prov.=Ztg.“ muß das bestätigend anerkennen. Eben diese Stimmung des katholischen Westfalenvolkes nimmt sie zum Motiv und Ausgangspunct, um in jenem Artikel unbegreiflicher Weise auch auf die Behörden selber Gift und Galle auszuspeien.„Es ist eine traurige Wahrheit", heißt es da, daß trotz einer sechszigjährigen Zugehörigkeit eines deutschen Districts zu Preußen die Behörden, die an keinem Orte zahlreicher vertreten sind, wie hier in Münster, es nicht verstanden haben, die Gemüther zu versöhnen. In den Annalen der preußischen Geschichte steht dieser Fall wohl vereinzelt da.... Die Behörden haben es nicht einmal verstanden, dem weit über die Grenzen unseres deutschen Vaterlandes hochgeehrten Heldenkaiser im Münsterlande Achtung zu verschassen..... Die jetzigen Vertreter der Regierung haben wiederholt bewiesen, daß sie entweder für die Bedürfnisse der Zeit und die Zustände im Münsterlande kein Verständniß haben, oder nur auf äußeren Impuls hin, zum Beispiel durch unablässiges Drängen der Presse, sich entschließen, mit halben Maßregeln vorzugehen, oder daß sie den Gegnern nur zu gern durch die Finger sehen.... Mit solchen Elementen wird sich die Regierung schwerlich die Anerkennung der staatsfreundlichen Bewohner des Münsterlandes erwerben, und es ist daher eine absolute Nothwendigkeit, einen vollständige; Personen= und Systemwechsel hier im Münsterlande eintreten zu lassen.“
Das war denn doch nachgerade allzu stark, der Redacteur hatte zu viel der eigenen Individualität miteinfließen lassen, und es entwickelten sich nun in rascher Folge die interessantesten Vorfälle. Gleich am Abende nach der Veröffentlichung des Brandartikels wurden zwei hervorragende Leiter des Blattes, die Professoren Karsch und Hosius, zur Wohnung des Oberpräsidenten im
königlichen Schlosse citirt, wo man sie wegen des„Ungeheuerlichen" in der letzten Nummer der„Provinzial=Zeitung“ scharf interpellirte und ihnen darauf bezügliche, nicht mißzuverstehende Winke gad. Das gab den Grund und zugleich die Materie für die gleich darauf zusammenberufene außerordentliche Versammlung des Comites. Und was hier beschlossen und berathen wurde, war den folgenden Tag in der„Westf. Prov.=Ztg.“ an ganz obseurer Stelle zu lesen, an der es nämlich hieß, daß mit jenem Tage Herr Gutbier die verantwortliche Redaction der Zeitung niederlege. Als Ergänzung und Commentar des Ganzen lasse ich hier die wesentlichen Stellen einer„Erklärung“ folgen, welche die Frau jenes Redacteurs, Eugenie Gutbier, in der Abwesenheit ihres Mannes in der gestrigen Nummer des„Westf. Mercur“ veröffent