Amtliche und weitaus meistverbreitete Zeitung im Verbreitungsgebiete

Sprecher am Niederrhein

Dülkener Zeitung Dülkener Volkszeitung

Geschäftsstelle: Dülken, Lange Straße 51./ Fernsprecher Nr. 5286

viersener Volkszeitung

Geschäftsstelle: Hauptstraße 20Fernsprecher Nr. 2641 u. 2642

Grenzgebiet m Schwalmtal

Geschäftsstellen: Waldniel, Breyell, Lobberich

Amtliches Kreisblatt: Landkreis Gladbach

Süchtelner Zeitung

Süchtelner Volkszeitung

Geschäft.stelle: Süchteln, Hochstraße 131.=Fernsprecher Nr. 3927

Nr. 113

Mittwoch, den 15. Mai

1929

Preußischer Landtag.

Die Debatte über den kommunistischen Mißztrauensantrag beendet. Abstimmung Donnerstag. Dritte Lesung des Haushaltplanes.

Die Wahlen in Sachsen.

Biersen, den 15. Mai 1929.

Dr.Sch. Am vergangenen Sonntag mußte in Sach­sen zum Landtag neu gewählt werden, da die Wah­len vom 31. Oktober 1926 vom Staatsgerichtshof aus den vielfach erwähnten Gründen für ungültig er­klärt wurden. Man sah diesen Neuwahlen mit größ­tem Interesse entgegen, da man in Anbetracht der besonders gelagerten politischen Verhältnisse in Sach­sen eine Ueberraschung erwartete. Die einen glaub­ten an einen Sieg des Bürgertums, die anderen an eine starke Zunahme der Roten. Nichts von beidem trat jedoch ein. Es wurde weder die sogenannte Staatsbürgerfront, noch das Rote Sachsen geschaffen, sondern es blieb in gewissem Sinne alles beim Al­ten. Die bürgerlichen Parteien Deutschnationale und Landvolk, Deutsche Volkspartei, Wirtschaftspar­tei, Aufwertler, Nationalsozialisten haben von den 96 Sitzen des Landtags 45 erhalten, Sozialdemo­kraten und Kommunisten ebenfalls 45. Damit blei­ben beide Fronten hinter der absoluten Mehrheit zu­rück, sodaß weder eine Bürgerblockregierung, noch eine Linksregierung die Macht im Parlament aus­üben kann. Also dasselbe Verhältnis wie im alten Landtag. Geändert hat sich lediglich die Mandats­ziffer bei den einzelnen Parteien, was allerdings im Endeffekt nichts ausmacht.

So haben die Sozialdemokraten zwei Stimmen gewonnen, dahingegen die Kommunisten zwei Stim­men verloren, und dies trotz ihrer blutrünstigen Berliner Maipropaganda. Gewonnen haben ferner die Deutsche Volkspartei ein Mandat, die Wirt­schaftspartei ein Mandat und die Nationalsozialisten drei Mandate. Trotz der bis jetzt immer noch zah­lenmäßig bedeutungs- und einflußlosen National­sozialisten, ist der Gewinn von 3 Mandaten ein be­denkliches Zeichen dafür, daß der Rechtsradikalis­mus in gewaltigem Anschwellen begriffen ist. Die Hauptleidtragenden der Wahlen waren die Deutsch­nationalen, die eine Einbuße von nicht weniger als 6 Sitzen zu verzeichnen haben. Diese Sitze sind in der Hauptsache der erstmals aufgetretenen Partei Sächsisches Landvolk zugutegekommen, die mit 5 Mandaten ihren Einzug in den neuen Landtag hal­ten kann. Das Sächsische Landvolk wird in einem ähnlichen Verhältnis zu den Deutschnationalen ste­hen wie der Landbund, der sich in der Praxis ledig­lich als ein Vorspann der Deutschnationalen Partei erwiesen hat. Deshalb ist der nominelle Verlust der Deutschnationalen nicht sehr schwerwiegend und wird sich in politischer Hinsicht bei den Landtagsarbeiten kaum auswirken. Die Altsozialisten, die sich bei dem großen Kladderadatsch im Jahre 1926 in der Stärke von 17 Stimmen von den Sozialdemokraten absplit­terten, sind auf einen traurigen Rest von zwei Man­daten zusammengeschmolzen. Sie werden also nur noch eine dekorative Rolle spielen, um bei den näch­sten Wahlen sich in Wohlgefallen aufzulösen.

Dem Zentrum ist es diesmal leider wieder nicht gelungen, ein Mandat zu erringen, obwohl es einen Stimmengewinn von 1337 zu verzeichnen hat. Wir dürfen aber die begründete Hoffnung hegen, daß die nächsten Wahlen die hierzu noch fehlenden drei tau­send Stimmen einbringen werden.

Es bleibt nun die Frage nach der kommenden Koalition in Sachsen. Wie bereits erwähnt ist weder eine reine Linksregierung, noch eine Regie­rung der bürgerlichen Parteien möglich, da keine die absolute Mehrheit auf sich vereinigen könnte und jede mehr oder weniger von der Gnade der Nati­onalsozialisten, bezw. Altsozialisten leben müßte. Der gegebene Weg dürfte die Große Koalition sein, die ohne Wirtschaftspartei, Aufwertler und Altsozia­listen eine Mehrheit von 50 Stimmen hätte. Eine Große Koalition ist aber nur dann zustandezubrin­gen, wenn die Sozialdemokratie von ihrer bisher treu und bieder vertretenen schroffen Haltung gegen­über den bürgerlichen Parteien abweicht und dem Parteiegoismus die staatspolitische Notwendigkeit voranstellt. Besteht auch nach den Erfahrungen der Vergangenheit wenig Aussicht hierzu, so darf man doch annehmen, daß die Sozialdemokratie in der Zwischenzeit aus der Vergangenheit gelernt und zum mindesten die Lehre gezogen hat, daß sie auch bei einer rein oppositionellen Haltung nicht allzuviel profitieren kann. Was noch vor drei Jahren mög­lich war, die Massen der Arbeiter mit Phrasen und Schlagworten zu ködern, ist heute eine sehr zweifel­hafte Methode, da auch die Arbeiter inzwischen poli­tisch soweit geschult sind, daß sie ohne Mühe hinter die Kulissen der Parteitaktik blicken können. Außer­dem wäre es eine politische Torheit ohnegleichen, wenn die Sozialdemokraten auch weiterhin ihren politischen Einfluß, der ihnen ihrer Stärke nach zu­kommt, nicht ausnutzen wollten.

Wir haben wirklich keine Veranlassung, der So­sialdemokratie bezüglich ihrer Koalitionspolitik gute Ratschläge zu erteilen, wir würden es aber im In­teresse einer ruhigen und geordneten Staatsführung in Sachsen begrüßen, wenn die Große Koalition zu­standekäme. Ist dies nicht der Fall, dann hätten wir mit der Tatsache zu rechnen, daß alles beim alten bleibt und Demokraten, Altsozialisten, Aufwertler, Wirtschaftspartei, Volkspartei und Deutschnationale wieder eine Kralition bilden. Eine Koalition, die auf sehr schwachen Füßen stände und einzig und al­lein von der Gnade der Nationalsozialisten leben würde, da man 8 ihrer Stimmen zur Mehrheitsbil­dung benötigt. Ob unter diesen Umständen eine der­artige Koalition angenehm und wünschenswert ist, bleibt dahingestellt.

Berlin, 14. Mai. Der Preußische Landtag nahm am Dienstag Anträge des Hauptausschusses an, die u. a. im Interesse der Vermeidung des wirtschaft­lichen Zusammenbruchs die Wiederübernahme des Kurbades Homburg v. d. H. in staatliche Verwal­tung und für den nächsten Haushalt ausreichende Mittel zum Ausbau des Stralsunder Hafens ver­langen. Darauf wurde die Aussprache über den

kommunistischen Mißtrauensantrag

gegen ben Ministerpräsidenten Dr. Braun und den Innenminister Grzesinski wegen der Mainnruhen fortgesetzt.

Abg. Christian(DF.) sprach namens seiner Freunde in einer kurzen Erklärung der Polizei die Anerkennung für ihre Haltung aus.

Abg. Drügemüller(Soz., bezeichnete die von einigen bürgerlichen Rednern gezogene Parallele zu den früheren sozialdemokratischen Massendemonstra­tionen und den blutigen Vorgängen am 1. Mai als eine Infamierung. Die Maidemonstrationen der Sozialdemokraten seien gegen die Unterdrückung des alten Regims gerichtet gewesen und ihnen sei man­cher Erfolg für die Arbeiterklasse zu verdanken. Da die Kommunisten den Staat mit Gewalt bekämpften, dürften sie sich auch nicht über gewaltsame Abwehr beklagen. Uebrigens priesen die Kommunisten ja den Gummiknüppel; denn Max Hölz habe ausdrück­lich erklärt, die Schläge mit dem Gummiknüppel hät­ten sein Gehirnflüssiger gemacht und ihm das Denken erleichtert.(Heiterkeit.)

In seinem Schlußwort erklärte Abg. Kasper (Kom.), die Kommunisten würden der Gewalt trotzen und sich nicht hindern lassen, am 1. August die revo­lutionären Proletarier auf die Straße zu führen. Damit war die Besprechung des kommunistischen Mißtrauensantrages, die am Montag zu so stürmi­schen Szenen geführt hatte, ohne daß es zu wei­teren wesentlichen Zwischenfällen gekommen war, be­endet.

Die Abstimmung findet am Donnerstag statt. Das Haus begann sodann die

dritte Lesung des Haushaltsplans

Berlin, 14. Mai. Reichsfinanzminister Dr. Hil­ferding führte in seiner Rede vor dem Haushalts­ausschuß des Reichstags noch folgendes aus:

Durch eine Anleihe wird, wie der Minister im ein­zelnen darlegte, keine Inanspruchnnahme neuer Gel­der erfolgen. Eine neue Belastung des Geldmarktes kann dadurch nicht entstehen. Es liegt vielmehr eine Uebertragung vom Geldmarkt auf den Kapital­markt vor. Den Druck, den die Anleihe vielleicht vorübergehend auf den Markt der festverzinslichen Papiere ausüben kann, darf man nicht überschätzen. Da Milliarden Pfandbriefe und Kommunalobli­gationen umlaufen, spielen diese 500 Millionen kaum eine entscheidende Rolle.

Der Minister setzte dann eingehend auseinander, wie der Kassenfehlbetrag entstanden ist. Er kam zu dem Schluß, daß ein besserer Weg nicht gezeigt wor­den sei; er müsse deshalb auf dieser Vorlage behar­ren.

Dr. Cremer(Deutsche Vp.) fragt, ob es nicht möglich wäre, daß die Banken noch einmal kurzfristig aushelfen, zumal der vorgeschlagene Weg nicht billi­ger, dafür aber auf fünf Jahre unkündbar sei. Sei das Reich wirklich genötigt, zu solchen Mitteln zu greifen? Die Lage könne sich in einigen Monaten ändern. Seine Fraktion werde nicht mitgehen, wenn man an neue Steuern zur Erleichterung der Kassen­lage denke.

Dr. Schneider, Dresden(Deutsche Vp.), bestrei­tet, daß die Volkswirtschaft auf dem Kapitalmarkt 500 Millionen herausholen könne. Trotz aller Be­denken müsse man an eine Auslandanleihe denken.

Dr. Bang(Dnatl.) erwartet von der Anleihe eine Neubelastung der Wirtschaft.

Bernhardt(Dem.) rechnet aus, daß der Ein­gang an Einkommensteuer nicht so groß sein werde. Könne man nicht weiter kurzfristige Anleihen neh­men? Die Möglichkeit bestünde, wenn nicht die po­litische Agitaton im Lande mit einer Gewissenlosig­keit sich der Frage bemächtigt hätte, deren Wirkung sich auf die Dauer ein Finanzminister nicht aussetzen dürfe(Große Unruhe). Man habe einen bloßen Kas­senfehlbetrag als Staatsfehlbetrag und Schlimmeres dargestellt.

Dr. Quaatz(Dnatl.) führt aus, die Anleihe werde den Geldmarkt vollends ruinieren. Es handle sich

hier um einen Vorgriff auf das Steueraufkommen olgender Jahre, das man noch dazu mit der Steuer­befreiung hoch diskontiere. Es sei also ein Schritt der Berzweiflung.

Dr. Brüning(Ztr.) erklärt, die Zentrumsfrak­tion werde der Vorlage zustimmen. Im übrigen

mit der allgemeinen Aussprache über das Haushalts­gesetz und den Haushalt des Staatsministeriums.

Der beutschnationale Abg. Steuer wiederholte einmal wieder die längst abgedroschenen Anwürfe gegen die Weimarer Verfassung, das heutige System in Preußen und Reich sowie gegen das parlamenta­rische System und forderte Vereinigung der Gewalt des Reichspräsidenten mit der des preußischen Mi­nisterpräsidenten.

Dagegen wandte sich Abg. Heilmann(Soz.) mit einem Zitat aus der Rede des deutsch-nationalen Reichstagsabg. von Freytagh=Loringhoven, in der zum Ausbruck kommt, daß gerabe unter Hindenburg im Gegensatz zu Ebert die politische Stellung des Reichspräsidenten schwächer geworden sei. Er wünschte namentlich innerparlamentarische Refor­men zur Beseitigung der Obstruktion und behaup­tete gegenüber dem kommunistischen Verhalten am 1. Mai, daß die SPD. in ihren früheren Kämpfen immer auf dem Boben der Gesetzlichkeit gestanden habe. Dieser letzteren Auffassung widersprach Abg. Dr. Meyer(K.).

Abg. Grebe(Ztr.) begrüßte es als einen Fort­schritt, daß alle Parteien ernsthaft an dem Pro­gramm der Ausgleichung des Haushalts mitgearbei­tet hätten. Die Schwierigkeit, Abstriche zu machen, hätte bewiesen, daß die Finanzpolitik Preußens kei­neswegs so großzügig sei, wie auf der Rechten im­mer behauptet werde. Das Zentrum verlange, daß das Reich endlich im Benehmen mit den zuständigen Ländern die programmatisch angekündigte Grenz­landhilfe durchführe. Dabei müsse das Ziel Hilfsmaßnahmen die Erstarkung der gesamten Wirt­schaft in den Grenzlandgebieten sein. Abg. Grebe (Ztr.) wünsche schließlich Resormen bei endgültigen Finanzangleich, die Ländern und Gemeinden bei Aufrechterhaltung der Steuerhohert des Reiches ausreichende Selbstverantwortlichkeit für die Steuer­gebarung gäben. Abg. von Detten(W. P.) trat für die Belange des Mittelstandes, Abg. Keller (Chr.=Nat. Bauernpartei) für die der bäuerlichen Landbevölkerung ein. Die Weiterberatung erfolgt am Mittwoch.

handle es sich höchstens um einen neuen Betrag von 200 Millionen Kapital, der hier dem Reich zufließe, die andern 300 Millionen gingen an die Banken und an die Wirtschaft zurück. Wenn die Aussprache in dieser Weise weitergehe, bürge er für den Erfolg der Anleihe.

Reichsfinanzminister Dr. Hilferding: Gegen die bisherige kurzfristige Finanzzierung sind bisher stets schwerwiegende Bedenken erhoben worden. Jetzt werden auch gegen eine langfristige Finanzierung Bedenken geltend gemacht. Dann bliebe nur die Auslandanleihe. Dieser Weg ist aber nicht gangbar, ganz abgesehen davon, daß der Auslandkredit sehr teuer wäre. Auch der Reichsbankpräsident hat den jetzt vorgeschlagenen Weg empfohlen. Die Banken können und wollen auf die Dauer solche kurzfristigen Kredite nicht geben. Wir brauchen daher die langfri­stige Anleihe trotz aller Bedenken, die man vom Standpunkt der Steuergerechtigkeit gegen diese An­leihe hegen kann, und die ich ja teile. Aber wir ste­hen unter einem Zwang. Es ist Aufgabe einer ver­antwortungsbewußten Opposition, hier dem Reich zu helfen und nicht parteipolitische Agitation zu trei­ben.

Reichsfinanzminister Dr. Hilserbing teilt mit, daß an Krediten für die Arbeitslosenversicherung im April 62 Millionen gezahlt worden seien, im Mat voraussichtlich 25 Millionen, und im Juni 12 Millio­nen gezahlt werden würden. In den übrigen Som­mermonaten würden hieraus aller Voraussicht nach keine Belastungen entstehen.

Dr. Hertz(Soz.) legt dar, seine Freunde könnten die Vorlage nur annehmen, wenn ihre Vergünsti­gungen eine einmalige Ausnahme bleiben.

In der Abenösitzung soll die Beratung fort­gesetzt werden.

Nur eine einmalige Notmaßnahme.

Mittwoch zweite Lesung.

Berlin, 14. Mai. In der Abendsitzung des Haus­haltausschusses des Reichstags klärten sich, wie das Büro des Vereins deutscher Zeitungsverleger er­fährt, die Beratungen über die 500-Millionen=An­leihe dahin, daß der Ausschuß die Vorlage annahm, so daß am Mittwoch die zweite Lesung im Plenum vorgenommen werden kann. Von der Volkspartet wurde die Stellung der Fraktion dahin festgelegt, daß diese Vorlage eine einmalige Vorlage bleiben müsse und nur ein Glied in der Reihe der Maßnahmen sein dürse, die die Besestigun, des Kassenfehlbetrags und den Wiederaufbau des Haushalts einleiten.

Wege einer Wirtschaftsreform.

Die Mitverantwortung der Iugend.

I.

Viel und zäh ist in dem letzten Jahrzehnt um eine neue Ordnung von Wirtschaft und Ge­sellschaft gerungen worden. Dabei stand und steht die Jugend in vorderster Linie. Unbeschwert vom liebgewordenen Alten, durchglüht von einem starken Idealismus, getragen von dem Mut zur Entscheidung und dem Willen, auch die letzte Kraft an die Erreichung des Zieles zu setzen, hat sie stets erneut die Frage nach dem Zweck der Wirt­schaft gestellt und immer wieder nach Möglichkei­ten gesucht, die Wirtschaft sinngemäßer als bisher dem Leben des Einzelnen und der Gesellschaft ein­und unterzuordnen. Mag sie dabei auch oftmals in jugendlichem Eifer vorschnell Entscheidungen gefällt oder gar moralische Werturteile überdie Alten abgegeben haben, mögen auch manche Ziele zu weit­gesteckt vielleicht überhaupt undurchführbar sein, manche Vorschläge eingehende Sachkenntnis oder auch den Blick vermissen lassen für die verwickelten, gar zu oft auch ohne menschliche Schuld verwirrten Zusammenhänge von Menschen und Dingen im Wirtschafts= und Gesellschaftsleben, so hat sich die Jugend boch zweifellos, wenn auch unbewußt, von einer richtigen Erkenntnis leiten lassen.

Der unvoreingenommene Blick in unser Wirt­schafts- und Gesellschaftsleben zeigt mit erschreckender Eindeutigkeit, daß wir in beängstigendem Ausmaße demGeldverdienen um jeden Preis versallen sind. Die ganze Volkswirtschaft ist weithin vom privaten Geldinteresse beherrscht, wei­teste Kreise unseres Volkes und fast alle Lebens­beziehungen sind von rein wirtschaftlicher Wertung bestimmt. Das Wort vomDienst am Volke ist gar zu oft nur eine sozial-ethische Verbrämung privater Gelöbentelinteressen. Der nachhaltige Wille, eine Aenderung unserer Eigentumsverhältnisse her­beizuführen mit dem Ziel, einen Mißbrauch nament­lich großen Eigentums hintanzuhalten und wieder zahlreicheren Familien auch unter der Industrie arbeiterschaft zu einem Eigentum zu verhelfen, fehlt weithin. Die Bemühungen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu einer beruflichen Zusammenar­beit zum eigenen Nutzen und zum Wohle des Gan­zen lebendig zu verbinden, finden vielfach gerade bei den verantwortlichen und ausschlaggebenden Stellen eine unzulängliche Unterstützung. Sicherlich gibt es noch viele Menschen in allen Schichten und Berufen, die sich von rücksichtsloser Gewinnsucht freigehalten haben und an einer Besserung unserer wirtschaft lichen und sozialen Verhältnisse mit Nachdruck und Zähigkeit und auch dem Aufwand letzter persönlicher Kraft arbeiten. Aber der unvoreingenommene Beob­achter kann sich doch des Eindrucks nicht erwehren, daß dies Ausnahmen sind, und daß das Gesicht der heutigen Wirtschaft und Gesellschaft von Menschen jenes ersten Typs geformt wird.

Die gegenwärtige,auf Kapitalverwendung und Kapitalvermehrung eingestellte Wirtschaftsordnung ist keineswegs schon an sich schlecht. Go­lange sie dem höchsten und letzten Ziel aller wire­schaftlichen Betätigung dient, dem Volke jene Befrie­digung seiner Lebensbedürfnisse zu verschaffen, die eine allseitige Entfaltung der einzelnen Persönlich­keit und des ganzen Volkes ermöglicht, kann sie von christlichen Standpunkt aus nicht verworfen werden. Weder die rationelle Wirtschaftsführung noch die Be­tätigung des Erwerbsbetriebs ist unerlaubt. Die Einführung rationeller Methoden in die Wirtschaft ist die Uebertragung eines allgemeinen Vernunfts­prinzips, mit möglichst geringen Mitteln einen be­stimmten Erfolg zu erzielen, in die wirtschaftliche Praxis und der Erwerbstrieb ist an sich ebenso be­rechtigt, wie zu B. das Geltungsbebürfnis oder der Geschlechtstrieb. Doch bedürfen beibe der vernünfti­gen Regelung. Es dürfen nicht alle Lebensbeziehun­gen von Mensch und Wirtschaft, geschweige denn der Menschen untereinanderrationalisiert, also ledig­lich nach rein rechnerischen, geldwirtschaftlichen Ge­sichtspunkten gestaltet werden. Auch darf der Er­werbsbetrieb nicht aus gottgewollten Zusammenhän­gen losgelöst und verselbständigt werden. Das Er­werbsmotiv soll Antriebsmittel sein für eine finn­volle wirtschaftliche Betätigung des Menschen, durch die er einen Beitrag liefert für den Unterhalt sei­nes Volkes und zugleich Anspruch für seinen eigenen Lebensunterhalt erwirbt. Darum nicht: Verdienen um jeden Preis, sondern: Verdienen durch Dienst am Volke, Verdienen durch Dienen.

I.

Das kapitalistische Wirtschaftsfystem birgt zweifel­los ganz erheblich Bersuchungen und Gefährdungen in sich.Rationalisierung nnd Geldrechenhaftigkett werden gar zu leicht bestimmend für die Gestaltung von Lebensbeziehungen, die unter gang anberen Ge­sichtspunkten betrachtet werden müssen. Man denke nur an den Zersall der Familie. Trotz aller wirtschaftlichen Röte hätte er ohne jene Geisteshal­tung nicht den erschreckenden Umfang annehmen kön­nen. Die Konzentration bes Privateigentums an den Produktionsmitteln oder boch der tatsächlichen Ver­fügungsmacht über dieselben in wenigen Händen gibt eine ungeheuere tatsächliche Macht über die breite Masse ver besitzlosen Volksgenossen, die für die Beschaffung ihres Lebensunterloltes auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sind. Verbindet sich mit dieser tatsächlichen Macht ein ungezugeltes Streben nach Verdienen und Herrschen und so ist dem Miß­brauch Tür und Tor geöffnet.

Den hier skizzierten Gefahren, die dem gegenwär­

tigen Wirtschaftssystem vielleicht in viel stärkeren aße innewohnen als der Wirtschaftsordnung des

Der Kampf

um die 500=Millionen=Anleihe.

Die Verhandlungen im Haushaltsausschuß.