Neußer Zeitung
Angeigen
15 Pfg. die 8 gespaltene Petitzeile, auswärtige 20 Pf. Bei Zmaliger Wiederholung das 4.Mal
Geschäftsstelle: Neuß, Neustraße 1. Fernsprecher 51.
Jeder Abonnent und seine Frau ist im Falle eines tötlichen Unfalles mit 200 Mark versichert.
Amtliches
Kreisblatt
Rotations-Druck und Verlag von Rudolf van Haag, Neuß.
Alleiniges
Anschlagerecht für die hiesigen Plakatsäulen.
gratis.
Reklamen
60 Pfg. die 3gespaltene Petitzeile.
Bei zwangsweiser Eintreibung durch Klage oder in Konkursfällen wird der bewilligte Rabatt hinfällig.
mit käglicher Gratisbeilage„Bunke Blätter“ und wöchentlicher landwirtschaftlicher Beilage„Am Pfiug“.
Geschäftsstunden: Morgens von 7½—12½ Nachm. von 1½—7½
Nr. 186. Erstes
ennm
Zur Lage auf dem Balkan.
Berlin, 7. Juli. Nach den in den letzten Tagen aus Durazzo eingetroffenen Meldungen steht es außer Frage, daß die Lage in Albanien sich in einer Weise zugespitzt hat, daß eine glückliche Lösung kaum noch zu erwarten steht; dem Fürsten Wilhelm dürfte nichts anderes übrig bleiben, als auf den undankbaren Posten, auf dem er unter den trostlosesten Verhältnissen wahrlich lange genug ausgeharrt hat, zu verzichten und das Land zu verlassen. Niemand wird darum einen Stein auf ihn werfen wollen, denn an den eingerissenen Zuständen ist er am wenigsten Schuld.: In erster Linie hat sich gezeigt, daß neue Staatengebilde sich nicht aus dem Handgelenk herausschütteln lassen, sie müssen aus sich selbst heraus entstehen und können nicht vom grünen Tische aus diktiert werden, wie es in diesem Falle durch die Londoner Konferenz geschehen ist. Die Bevölkerung des Landes ist eben noch nicht reif zur Selbstverwaltung und dazu kommt, daß die Nationalitäten einander schroff befehden, und gerade in Albanien ein innerer Unfriede mit blutigen Kämpfen fast ständig zu verzeichnen war. Als der Prinz zu Wied die ihm angetragene Fürstenkrone annahm, geschah das wohl in der Hoffnung, daß seine Mission ihm ebenso gelingen werde, wie seinerzeit seinem Oheim, dem Könige Carol von Rumänien, der gleichfalls unter recht schwierigen Verhältnissen die Leitung eines jungen Balkanstaates übernahm und dieses Land zu hoher Blüte und Macht gebracht hat. Insofern lagen dort allerdings die Verhältnisse anders, als das Volk sich eben einig war, während unter den albanischen Stämmen ständig die größte Zwietracht herrscht. Hieran ist Fürst Wilhelm gescheitert. Der Gedanke, einen protestantischen Prinzen zu berufen, um keine der bestehenden Religionsgemeinschaften zu verletzen, hat sich als ein verfehlter erwiesen. Mag Fürst Wilhelm auch manche Ungeschicklichkeit begangen haben, der große Fehler war der, daß er schlechte Berater hatte und daß er in Unkenntnis des Landes, die sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten unterschätzt hat. Sein Los ist ein bedauerliches, aber niemand wird ihm die Anerkennung versagen, daß er opferwillig in die Bresche gesprungen ist und daß die Dinge vielleicht anders lägen, wenn er eine ausreichende Unterstützung seitens aller Großmächte gefunden hätte. Aber Rußland und Frankreich haben seiner Nominierung von Anfang an passiv gegenübergestanden, und insbesondere in Rußland sieht man es gar nicht so ungern, wenn es auf dem Balkan drunter und drüber zugeht, weil man dabei ein bischen im trüben fischen kann. Man weiß, daß Rußland seine Netze auch nach Rumänien ausgeworfen hat, in der Hoffnung, dieses Land auf die Seite des Dreiverbandes hinüber zu ziehen, während es bis jetzt auf Seiten des Dreibundes stand. Da ist es denn nicht ohne besonderes Interesse, daß anläßlich der Ermordung des österreichischen Thronfolgers das umänische Amtsblatt eine Trauerkundgebung des Königs veröffentlicht, die in ungemein warmen Worten abgefaßt ist, während sonst derartige amtliche Veröffentlichungen sich auf die Mitteilung von der Hoftrauer beschränkten. Soll das vielleicht darauf hinweisen, daß Rumänien keineswegs daran denkt, sich mit Haut und Haaren dem Zarenreiche zu verschreiben? Es sind Anzeichen genug vorhanden, daß der Balkan wieder in den Vordergrund des politischen Interesses rücken wird, und hierbei dürfte Rumänien eine wichtige Rolle spielen.
Politische Hachrichten.
Deutschland.
= Die Sommerurlaube der preußischen Minister und der Sekretäre der Reichsämter verzögern sich in diesem Jahre durch die lange Ausdehnung der Parlamentssessionen und die dadurch bedingte erhöhte Geschäftslast.
Der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident Dr. von Bethmann Hollweg wird einige Wochen auf seinem Gute Hohenfinow verbringen und von dort die Amtsgeschäfte weiterführen. Der Staatssekretär des Innern und Staatsminister Dr. Delbrück wird während seines viermonatigen Urlaubs zur großen Teile im Harz Aufenthalt nehmen., Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Dr. von Jagow hat anläßlich seiner Vermählung einen dreiwöchigen Urlaub angetreten und kehrt bereits in nächster Zeit zurück. Der Staatssekretär des Reichsschatzamtes Kühn ist von seinem kurzen Aufenthalt in Marienbad zurückgekehrt, über einen weiteren Erholungsurlaub ist noch nichts bestimmt. Der Staatssekretär des Reichspostamts Kraetke will im August eine kurze Erholungsreise antreten. An den Verhandlungen des Weltpostkongresses in Madrid wird er nicht teilnehmen. Der Staatssekretär des Reichsjustizamtes Dr. Lisco hat mit Rücksicht auf die Geschäftslage noch keine Bestimmungen über seinen Sommerurlaub getroffen. Der Großadmiral, Statssekretär des Reichsmarineamts, Staatsminister von Tirpitz hat seinen achtwöchigen Urlaub bereits angetreten und sich nach der Schweiz begeben; später geht er auf seine Besitzung in St. Blasien im Schwarzwald. Der Staatssekretär des Reichskolonialamts Dr. Solf ist soeben von seinem Sommerurlaub zurückgekehrt; über einen etwaigen kurzen Urlaub im Herbst sind noch keine Bestimmungen getroffen. Kultusminister von Trott zu Solz gedenkt sich während des Sommerurlaubs nach seiner Besitzung in Hessen zu begeben, ein bestimmter Zeitpunkt für den Beginn seiner Reise steht aber noch nicht fest. Der Minister der öffentlichen Arbeiten von Breitenbach hat seinen Sommerurlaub bereits angetreten und weilt in der Schweiz. Der Handelsminister Sydow tritt seinen Urlaub im August an. Der Minister des Innern, von Loebell, der Justizminister Dr. Beseler, der Landwirtschaftsminister Frhr. von Schorlemer=Lieser und der Finanzminister Dr. Lentze werden noch durch die Kommissionsberatungen im Abgeordnetenhaus zurückgehalten. Der Beginn der Sommerurlaube dieser Minister steht deshalb noch nicht fest, das letztere gilt auch hinsichtlich des Kriegsministers von Falkenhayn.
Ausland.
X Die Verstimmung gegen den österreichischen Obersthofmarschall. Kaiser Franz Josef hat an seinen Obersthofmarschall das folgende Handschreiben gerichtet:
Lieber Fürst von Montenuovo! Im Vollbesitze meines Vertrauens seit einer Reihe von Jahren an der Spitze meines Hofstaates stehend, haben Sie stets in Uebereinstimmung mit meinen Intentionen unermüdlich und mit ganzem Erfolge Ihres verantwortungsreichen Amtes gewaltet. In den jüngsten Tagen hat das Hinscheiden meines geliebten Neffen, des Erzherzogs Franz Ferdinand, mit dem Sie andauernd vertrauensvolle Beziehungen verbanden, ganz außerordentliche Anforderungen an Sie, lieber Fürst, herantreten lassen und Ihnen neuerlich Gelegenheit ge
Mittwoch, den 8. Juli 1911.(Kilian.)
boten, Ihre aufopfernde Hingebung an meine Person und an mein Haus in hohem Maße zu bewähren. Gern ergreife ich den Anlaß, Sie meines wärmsten Dankes und meiner vollen Erkenntlichkeit für Ihre ausgezeichneten treuen Dienste zu versichern. Wien, 2. Juli 1914. Franz Josef.
Dieses Schreiben soll offenbar dem Obersthosmarschall eine Genugtuung geben für die schweren Angriffe, die von allen Seiten wegen der Gestaltung des Beisetzungszeremoniells gegen ihn erhoben wurden, und die noch andauern, wie aus nachstehendem Artikel der Wiener„Zeit“ hervorgeht:
Ein stilles Familienbegräbnis hätte in Artstetten stattfinden sollen. Alle Vorkehrungen waren auf Anwesenheit von etwa dreißig Trauergästen eingerichtet. Städtische Leichenbestattungsdiener mit dem auf Miete überlassenen Trauergerät standen bereit, und wenn alles nach Programm gegangen wäre, hätte der Thronfolger, die zweitmächtigste Person der Monarchie, ein Begräbnis wie ein kleiner adliger Gutsbesitzer gefunden. Ein einzigartiges Begebnis hat aber dieses Programm über den Haufen geworfen. Der Hochadel, der schon am Tage vorher bei der Ueberführung der Leichen von der Burg zur Westbahn ohne Einladung im Trauerzug erschienen war, fand sich auch in Artstetten bei der Beisetzung ein. Statt der dreißig Automobile der geladenen Gäste erschienen nahezu dreihundert. Sie tauchten urplötzlich auf den Zufahrtstraßen an beiden Seiten der Donau auf und strebten alle dem einzigen Weg zu, der vom Afer über einen Hang hinüber zum Schloß Artstetten führt. Als schließlich die imposante Wagenburg vor dem Parkgitter stand und alle Trauergäste, die geladenen und ungeladenen, sich in der Kirche und im Schloß versammelt hatten, fehlte kaum ein einziger hochadeliger Name. Alle Erschienenen ließen sich bei Erzherzog Karl Franz Josef, der sich nach seiner Ankunft in das Schloß zurückgezogen hatte, melden. Ebenso beim Grafen Jaroslaw Thun, der die drei Kinder der Verstorbenen um sich versammelt hatte. Erzherzog Karl Franz Josef zeigte tiefe Trauer. Die Mitteilung, daß der österreichische Adel durch sein demonstratives Erscheinen seine Anhänglichkeit an den Toten, der als Märtyrer der österreichischen Sache bezeichnet wurde, zeigen wollte, machte auf ihn starken Eindruck. Von Seiten der Aristokraten war der Vorschlag gemacht worden, die Toten von der Donauslottille auf dem Strom nach Pöchlarn bringen zu lassen. Ein großes Militäraufgebot hätte in den Donaustationen zwischen Wien und Pöchlarn bereitstehen sollen. Man dachte sich diese Fahrt als letzte Ehrung des Generalinspektors der bewaffneten Macht durch Armee und Marine. Das Obersthofmarschallamt erklärte jedoch, als das Projekt bekannt wurde, den Plan wegen der Kürze der Zeit für undurchführbar. Darauf wurden mit dem Obersthofmeisteramt Verhandlungen wegen Veranstaltung eines würdigen Empfanges der Leichen in Pöchlarn gepflogen. Auf verschiedene Anregungen, die gemacht wurden, wurde nicht reagiert. Vom Obersthofmeisteramt kam auch keine Anwort, als aus Pöchlarn die Anfrage kam, ob man dort die Leichen nach der Ankunft auf dem Bahnhof nochmals einsegnen solle. Die Frage wurde telephonisch zweimal wiederholt. Die Antwort, die darauf eintraf, war weder eine Bejahung noch eine Ablehnung. Daraufhin entschlossen sich Baron Friedrich Tinti, der Gutsnachbar des Erzherzogs in Artstetten, und der Pfarrer von Pöchlarn, Abg. Bauchinger, auf eigene Verantwortung eine Anordnung zu treffen, um den Särgen mit den beiden Toten in Pöchlarn einen würdigen Empfang zu bereiten. Das furchtbare Gewitter, das hereinbrach, als gerade die Zeremonie begonnen werden sollte, zerstörte alle Vorbereitungen, und so kam es, daß die Einsegnung in der engeren Bahnhofshalle vorgenommen werden mußte, während im anstoßenden Schank des Bahnhofsrestaurants Bier getrunken und Würstel gegessen wurden. Auf alle Anwesenden machte diese Szene einen außerordentlich peinlichen Eindruck.
Gerichtssaal.
* Vertrauliche Verbandsmitteilungen und Preßgesetz. Die
Anwendung des Preßgesetzes auf vertrauliche Druckschriften von Verbänden führte zu einer grundsätzlichen Entscheidung durch das Landgericht in Leipzig. Das Urteil ist für alle Vereine und Verbände außerordentlich wichtig, die infolge ihrer Größe oder Verbreitung gezwungen sind, ihren Mitarbeitern Instruktionen und vertrauliche Nachrichten durch Druckschriften zugehen zu lassen.
Der Verband Deutscher Handlungsgehilfen zu Leipzig war von demDeutschnationalen Handlungsgehilfen=Verband Hamburg bei dem Staatsanwalt zur Anzeige gebracht worden, weil der Redakteur des angezeigten Leipziger Verbandes sich geweigert hatte, preßgesetzlich richtige Berichtigungen in eine von ihm versandte vertrauliche Druckschrift aufzunehmen. Es handelt sich um eine in gewissen Abständen erscheinende Schrift, die nur den Vertrauensmännern des beklagten Verbandes zugestellt wird und als Ersatz von Briefen Mitteilungen enthält, die nicht für die Oeffentlichkeit bestimmt sind.
Der angeklagte Redakteur machte geltend, daß auch bei 1000 oder 2000 Empfängern der Bezieherkreis mit Rücksicht auf die große sonstige Mitgliederzahl ein begrenzter ist, daß die Schrift ausdrücklich als„vertraulich“ bezeichnet sei und nur durch Vertrauensbruch in fremde Hände gelangen könne. Trotzdem kam das Amtsgericht als erste Instanz zu einer Verurteilung und entschied, daß diese vertraulichen Mitteilungen den Bestimmungen des Preßgesetzes zu unterwerfen seien. Das Leipziger Landgericht verwarf als Berufungsgericht das erste Urteil und sprach den Angeklagten frei. Aus dem den modernen Verhältnissen in Bezug auf Auslegung des Preßgesetzes Rechnung tragenden Urteil geht hervor, daß Mitteilungen einer Verbands= oder Vereinsleitung an bestimmte Personen nicht den§§ 2 und 11 des Preßgesetzes unterworfen sind, wenn sie lediglich mit Rücksicht auf die umfängliche Organisation den unterstellten Organen zugängig gemacht werden.
Berlin, 7. Juli. Weil er drei deutsche Touristen in einer Wirtschaft belästigt und ihnen in französischer Sprache antideutsche Schimpfworte zugerufen hatte, weil sie er
klärten, nicht französisch zu sprechen, wurde gestern der Ge
89. Jahrg.
freite Heinrich Kanesse von der 8. Kompagnie des InfanterieRegiments Nr. 53 von dem Gouvernementsgericht in Metz zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Die Urteilsbegründung betonte, die Armee habe es glücklicherweise in der Hand, zu verhindern, daß sich derartige Elemente mit verkappter französischer Gesinnung großtun, und werde mit aller Strenge die Elemente bekämpfen und ausrotten.
sokale Hlachrichten.
Neuß, 8. Juli.
* Vom Sommer=Rennen. Gestern war Nennungsschluß für drei Handicaps. Für das Drusus=Handicap wurden 20(1913: 18), für das Rosengarten=Handicap 19(19), für das Neußer Handicap 41(34) Pferde genannt.
* Prämien=Sparkasse. Wir machen nochmals darauf aufmerksam, daß die Quittungsbücher der Prämiensparkasse ungesäumt bei der Städtischen Sparkasse eingereicht werden müssen, da mit dem Beischreiben der Prämien bereits egonnen worden ist.
—! Städt. Mutterberatungsstunde ist heute im alten Hospital
(Eingang Brückstraße) für alle Mütter mit den Anfangsbuchstaben L. bis Z., die östlich der Staatsbahnstrecke wohnen.
* Aus der Sitzung des Rheinbeirats, über die wir in der gestrigen Ausgabe schon berichteten, sei noch erwähnt: Oberbürgermeister Dr. Oehler bespricht die Ausbaggerung des fiskalischen Teiles des Erftkanals und weist nach, daß bisher die Strombauverwaltung die Rinne offengehalten habe, und daß, da es sich hier nach dem Wassergesetz um einen Wasserlauf 1. Ordnung handle, kein Grund einzusehen sei, weshalb jetzt die Städte Düsseldorf und Neuß für die Offenhaltung der Rinne aufkommen sollen. Oberbürgermeister Gielen(Neuß) tritt dem bei, während Regierungsrat Dr. v. Gal darlegt, daß es sich hier lediglich um den Zugang zu den städtischen Hasenanlagen von Neuß und Düsseldorf handelt. Da der Rheinbeirat nicht für Rechtsfragen dieser Art zuständig ist, rät der Vorsitzende zu dem Versuch einer glücklichen Einigung mit dem Minister. Der Antrag Bassermann erbittet eine Umwandlung der Gier=Fähre bei Uerdingen, da durch sie wesentliche Unzuträglichkeiten für die Schiffahrt entstehen. Der Rheinschiffahrtsinspektor Reg.= und Baurat Deneken erwidert, daß die Umwandlung aller Quersteilfähren in Dampffähren angestrebt werde, daß aber in Uerdingen ein Pachtvertrag noch auf längere Zei# vorliege. Geheimrat Deussen(Krefeld) bespricht die Beseitigung der Hafenmole in Orsoy. Die Frage soll bei der bevorstehenden Befahrung noch an Ort und Stelle besprochen werden, ebenso wie die Frage des Platzes für eine neue stehende Brücke in Düsseldorf und die Erweiterung der Duisburg= Ruhrorter Häfen.
(* Hitzekleidung. Trotz unserer hohen Kulturstufe haben wir nördlichen Mitteleuropäer eines noch nicht gelernt, und das ist, uns in den verschiedenen Jahreszeiten sinngemäß zu kleiden. Zummindesten trifft das auf die Herren der Schöpfung zu, wenigstens im Sommer. Oder ist es vielleicht vernünftig, wenn man in der hochsommerlichen Schwüle in Stehkragen, gestärktem Leinenhemd und dem üblichen Durchschnittsanzug, der eben deshalb gewählt wurde, weil er gut stand oder das Material besonders haltbar war, herumläuft! Und deshalb machen wir diesen Fehler in unserer Kleidung? Weil sie in unseren Zonen hauptsächlich als Kälte=, nicht aber auch als Wärmeschutz gedacht ist.
Zugegeben sei, daß man sich gegen Kälte viel leichter schützen kann als gegen Wärme, und besonders schwierig wird die Frage durch die abendlichen Abkühlungen an Tagen großer Hitze, wobei die Temperaturunterschiede an manchen Gegenden ganz gewaltige sein können. Berüchtigt ist ja in dieser Hinsicht München, wenn es sich darin auch noch bei weitem nicht beispielsweise mit Madrid messen kann, wo Temperaturschwankungen bis zu 40 Grad eintreten. Die Ursache ist in der großen Höhenlage zu sehen. Nun ist es für die meisten ausgeschlossen, diesen Temperaturschwankungen innerhalb weniger Stunden immer in ihrer Kleidung Rechnung zu tragen, und deshalb muß diese so gewählt werden, daß sie womöglich in beiden Fällen am Platze ist. Einen guten Lehrmeister haben wir hier im Araber, dem Jahrhunderte lange Erfahrung gezeigt hat, daß leichte Wollstoffe zu diesem Zweck die geeignetsten Materialien sind. Sie sind im Großen und ganzen so schlechte Wärmeleiter, daß sich in ihnen selbst große Hitzen, wie die Wüste aufzuweisen hat, ertragen lassen, und andererseits, wenn am Abend eine plötzlich starke Abkühlung eintritt, wärmen sie genügend gegen Kälte. Der Araber, der nach glühendheißen Tagen zeitweilig eiskalte Nächte zu ertragen hat, trägt bekanntlich nur die weiten Wollburnusse.
Wo auf große Temperaturschwankungen nicht so sehr Rücksicht zu nehmen ist, kann man in seiner Kleidung der Wärme schon mehr Rechnung tragen. Am besten leiten Baumwollfasern die Wärme ab, Leinen fast ebenso gut, Seide jedoch schon beträchtlich schlechter. Bei Baumwollstoffen fällt, wenn sie porös gewählt sind, noch zu ihren Gunsten ins Gewicht, daß sie den besten Gasaustausch zulassen. Das ist beispielsweise bei der so dichten Seide keineswegs der Fall, und daher kommt auch die manchem bisher vielleicht überraschend gewesene Tatsache, daß Seidenstoff trotz seines leichten Gewichtes unverhältnismäßig warm hält. Zwillichstoffe sollte man nur am Tage in der großen Hitze selbst tragen, sie jedoch sofort durch andere Kleidung ersetzen, wenn die Abendkühle eintritt.
Um die Schweißverdunstung, die unumgänglich nötig ist, zu ermöglichen, muß die Kleidung den richtigen Grad von Durchlässigkeit besitzen. Ist die Unterkleidung, die ursprünglich durchlässig war, durchnäßt, so ist sie der Wasser= und Wärmeabgabe des Körpers hinderlich und wirkt vielmehr wärmestauend. Dabei steigt der Feuchtigkeitsgehalt der Luft, die die Haut zwischen der Kleidung und dem Körper umgibt, sehr beträchtlich, die Folge ist daß die Poren mit Flüssigkeit getränkt sind, und unter diesen Umstände kann der gefürchtete Hitzschlag sehr leicht eintreten. Der ungestörte Feuchtigkeitsaustausch darf also durch die Kleidung unter keinen Umständen gehindert werden. Sehr gut ist es daher auch, wenn man den Hals möglichst frei macht, d. h. den Kragen weit öffnet, um die Feuchtigkeit durchpassieren zu lassen und einen großen Gasaustausch zu ermöglichen. Besonders die Zirkulation in den zum Gehirn führenden Blutgefäßen, die durch