Ns 128. 52. Jahrgang.

Sonnabend den 2. Juni 1900.

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Deutschlands Sozial=Politik auf der Weltausstellung

Eine besondere Sehenswürdigkeit der deutschen Abteilung auf der Pariser Weltausstellung wird die Gruppe bilden, in der den Besuchern aus aller Herren Ländern die Einrichtungen vor Augen geführt werden, die das junge deutsche Reich zum Wohl seiner Ar­beiter=Bevölkerung getroffen hat. Obwohl die deutsche Arbeiterschaft die Wohlthaten der sozialen Gesetzgebung seit Jahren in immer höherm Maße am eigenen Leibe erfährt, ist es doch angesichts der leider nicht immer erfolglosen Bemühungen der Sozialdemokratie durch­aus am Platze, stets von neuem auf die großen Vor­teile hinzuweisen, die der deutschen Arbeiterschaft aus der sozialen Gesetzgebung zu gute kommen. Als Er­gänzung und Erläuterung zu der genannten Abteilung der deutschen Gruppe der Pariser Weltausstellung sind amtliche Schriften erschienen, die gleichsam einen Rechenschafts=Bericht über die deutsche Arbeiter=Ver­sicherung seit ihrem Bestehen bis auf den heutigen Tag geben. In diesen Schriften ist die große Bedeu­tung unserer Arbeiter=Versicherung ziffermäßig darge­legt. Einige Zahlen seien hier aus dem überreichen, höchst interessanten Material hervorgehoben:

Von den 56 Millionen Einwohnern des deutschen Reiches sind 16 Millionen Arbeiter im eigentlichen Sinne. Von den Einwohnern in ihrer Gesamtheit sind 9 Millionen gegen Krankheit, 17 Millionen gegen Unfall, 13 Millionen gegen Invalidität und Not des Alters versichert. Vom Jahre 1885 an haben bisher in 40 Millionen Fällen Personen Entschädigungen auf Grund der Versicherungs=Gesetze erhalten; und zwar Entschädigungen im Gesamtbetrage von nahezu Milliarden(2413 Millionen) Mark. Nahezu 1 Million Mark gelangt heute täglich als Entschädi­gung an jährlich mehr als 4 Millionen Arbeiter. Diese Gesamtsumme verteilt sich auf jährlich 150 Millionen, die Millionen Erkrankter zu gute kommen; auf 85 Millionen, die an etwa 500000 Unfalls=Rentner ausgezahlt werden und auf 80 Mil­lionen, die als Invaliditäts= und Alters=Renten ge­zahlt werden. Von den insgesamt bisher aufgebrachten

Milliarden Mark haben die Arbeitgeber 1099 Millionen, die Arbeiter selbst 1164 Millionen beige­tragen, während der Reichszuschuß sich auf 150 Mil­lionen beläuft. Aus diesen Zahlen geht hervor, daß bisher die Arbeiter mehr als 1 Milliarde mehr em­pfangen haben, als sie ihrerseits zu den Versicherungs­summen beisteuerten. Ferner ergibt sich aber aus diesen Zahlen die Thatsache, daß die deutsche Arbeiter­Versicherungs=Gesetzgebung ein soziales Riesenwerk be­deutet, in dem Deutschland allen übrigen Kulturstaaten weit voraus ist.

In derfreien republikanischen Schweiz ist jüngst durch Volksabstimmung die Inangriffnahme sozialer Versicherungs=Gesetze abgelehnt. Wenn in Deutschland heute das Volk darüber abzustimmen hätte, ob die sozialen Gesetze aufrecht erhalten bleiben sollten, so würde zweiffellos die Arbeiterschaft einer Aufhebung der für sie so segensreichen Errungenschaften lebhaft widerstreben, obwohl ihr die Sozialdemokratie täglich vorpredigt, wie wenig die soziale Gesetzgebung eigent­lich bedeute. Uebrigens scheint selbst die Sozialdemo­kratie diese Taktik des Herabsetzens jetzt nicht mehr für angebracht zu halten. Während ihre Vertreter im Reichstage seiner Zeit sowohl gegen die Kranken= und Unfalls=Versicherung wie gegen die Javaliditäts= und Alters=Versicherung gestimmt hatten, haben sie nunmehr für die Reform=Gesetze zur Unfalls­Versicherung gestimmt, so daß die hochwichtigen Vor­lagen vom Reichstage einstimmig angenommen wurden. Der Grund für diese veränderte Haltung ist wohl weniger in einerMauserung der Sozialdemokratie zu suchen, als darin, daß die Erkenntnis von den Seg­nungen der sozialen Gesetzgebung innerhalb der Arbeiter­schaft allmählich doch so weit durchgedrungen ist, daß die sozialdemokratischen Führer fürchten müssen, mit ihrem passiven Widerstand gegen den Ausbau dieser Gesetze bei den Arbeitern ernstlichen Anstoß zu erregen.

Berlin. Die zweite Predigerstelle in Brandenburg, für welche Pastor Weingart gewählt worden ist, war bis­her eine Hilfspredigerstelle. Die Umwandelung dieser Stelle in eine feste ist nun beanstandet worden, wie man annimmt, weil Pastor Weingart für die Besetzung derselben gewählt wurde: Der Magistrat in Bran­denburg soll jedoch entschlossen sein, seinen Willen durchzusetzen und erwartet alsbaldige Bestätigung.

Die Rede des Prinzen Ludwig von Bayern in Straubing, worin er gegen eine angebliche Auf­fassung der Bayern alsmindere Brüder. Verwah­rung einlegen zu müssen geglaubt hat, hat in der französischen Presse Ausbrüche wilder Schadenfreude hervorgerufen. Das französische Regierungsblatt, der Temps, äußerte seine unverhohlene Genugthuung darüber, daß der bayrische Prinz dieWunden am Körper Deutschlands vor aller Welt entblößt habe. DerFigaro pries den Prinzen als einen deutschen Cicero, der endlich gewagt habe, dem deutschen Cati­lina ein quousque tandem zuzurufen. Wen hier derFigaro mit Catilina meint, brauchen wir wohl nicht zu sagen. DieRépublique francaise", das Blatt des nach der Ministerpräsidentschaft in Frankreich strebenden verbissenen Deutschenfeindes Méline, froh­lockte über die aus dem Munde eines deutschen Prinzen geflossenen Aeußerungen, die den innerlichen Zusam­menschluß der einzelnen Mitglieder des deutschen Reiches als noch recht mangelhaft erscheinen ließen. Durch­gehends nehmen die französischen Blätter Partei für das angeblich unterdrückte Bayern gegen das angeblich tyrannische Preußen. Für das Ansehen des Reiches im Auslande hat die Straubinger Rede so ungünstig wie möglich gewirkt.

Die Ansiedelungskommission in Posen hat zur Zeit 69 Güter mit etwa 1800 Stellen zur Besiede­lung ausgelegt und da eine Anzahl von Gütern schon in nächster Zeit zur Aufteilung gelangt, wird sich die Zahl der verkäuflichen Parzellen noch erheblich ver­größern. Die Kauflust Ansiedelungslustiger dauert fort, so daß die Besiedelung der aufgeteilten Güter raschen Fortgang nimmt.

Das türkische PanzerschiffAssar==Tewfik. und das TransportschiffIsmidt sind am 29. Mai in Kiel eingetroffen.Assar==Tewfik", ein reichlich drei Jahrzehnte altes Kriegsschiff, soll in Kiel auf der Kruppschen Germaniawerft modernisirt werden, und das ist dem alten Veteran wirklich dringend zu wünschen, denn er hat noch längst veraltete Vorder­ladekanonen an Bord. Die Germaniawerft ist bereits früher für die Türkei thätig gewesen, 3 Torpedoboots­jäger und 9 Hochseetorpedoboote der türkischen Flotte sind von ihr erbaut worden.

In Kiautschou wurde, wie derOstasiatische Lloyd berichret, ein Bauschwindler verurteilt. Der Bauunternehmer Fuchs, der zahlreiche chinesische Ge­werbetreibende betrogen hat, ist wegen Unterschlagung, Bestechung, gefährlicher Körperverletzung und betrüge­

Wieder nach des Winters Leid und Plage Strahlt vom Himmel hell die goldne Sonne, Und wie eine Braut am Hochzeitstage Schmückt die Erde nun sich voller Wonne. Grün die Wälder, bunt bestickt die Wiesen; Blaue Veilchen duften in dem Moose,

In den Gärten stolz die Tulpen sprießen, Un der Falter küßt die junge Rose.

Horch, die Lerchen, wie sie mit Frohlocken Aus dem Saatfeld in den Aether steigen! Sieh, wie lautlos weiße Blumenflocken Sacht herniederschneien aus den Zweigen! Wie es singt und summt im weiten Kreise! Wie es grünt und blühet dustumflossen!

Hat doch auf die Frühlingserde leise Wiederum der Pfingstgeist sich ergossen.

Laßt die Herzen weit ihm offen stehen, Daß er heute flammend sie durchdringe Und mit seinem wundersamen Wehen Auch in uns den lichten Frühling bringe! Psingsten, Fest des Lenzes, Fest der Freude, Sei gegrüßt, du holdestes der Wunder! Schmückt mit Blumen die Altäre heute Und das Haus mit Maien und Hollunder!

Greiner.

Von Marie Prigge=Broock.

(Schluß.)

Es war ein Pfingstmorgen, wie ihn die Dichter besingen, so taufrisch und maienschön. Krystallklar glitzerte das Wasser im Bodekessel und zeigte tief im Grund ganz deutlich die goldene Krone, die niemand heben kann. Wohlgemut begannen die Reisenden den Aufstieg.

Wie schön war doch die weite Gotteswelt! Hertha hatte nicht gewußt, daß sie so schön sein könne. Sie wurde froh und heiter, und Hans, der an ihrer Seite schritt, indes sein Freund die Tante führte, konnte sich an dem lieblichen Mädchen nicht satt sehen. Wie anmutig war sie, wie hold und rein.

Endlich war die Roßtrappe erreicht. Tief auf­atmend standen die beiden still. Hertha sah das schöne Thal zu ihren Füßen und Hans das holde Mädchen an. Beide seufzten auf. Dann eilte Hertha, wie über sich selbst erschrocken, davon und schmiegte sich wie schutzsuchend an ihre Tante an.

Das Frühstück zerstreute die Befangenheit und ließ den Frohsinnn neu aufleben. Die jungen Leute wurden beredt in der berauschenden Frühlingsluft und es entwickelte sich ein frohes Zusammensein.

Von der Roßtrappe zum Hexentanzplatz und von da wieder nach Thale war ein tüchtiger Marsch. Er ließ sich auch nur dadurch ermöglichen, daß man flei­ßig Rast machte. Die Stimmung wurde immer hei­

terer, die jungen Leute lustiger, Tante Clementine lachte und jubelte mit der Jugend um die Wette. Ueberall begegnete man frohen Menschen, die mit hellen Augen und fröhlichem Lachen ihren Weg ver­folgten; manch lustiger Gruß flog hin und her.

Nur Hans und Hertha, die hinter den beiden andern schritten, wurden allmählich still und stiller. Ihm bangte schon vor dem nahen Augenblick des Ab­schiedes, und ihr war seltsam zu Mut, wie nie zuvor.

Hans von Wartegg war einsam aufgewachsen, ohne Eltern und Geschwister. Sein Leben lang hatte er sich nach Liebe gesehnt, da ihm die Elternliebe versagt geblieben. So wie ein anderer dem Glück nachjagt und eifrig nach der blauen Blume späht, die ihm das höchste Glück verheißt, so suchte er auf seinen Wegen die Purpurrose der Liebe, der göttlich schönen Liebe, die er wohl ahnte, doch nie gefühlt hatte. Fern blieb sie ihm und fremd bis heute.

Neben ihm schritt sie, das Mädchen, dem alles eigen, was er sehnsüchtig je gesucht. Ans Herz hätte er sie pressen mögen, die Reine, Holde, Süße, und sie mit fortnehmen auf sein stolzes Schloß. Aber ach. Unbesiegbare Hindernisse türmten sich vor ihm auf. Hans war Majoratsherr, Familiensatzung hatte ihm sein Weib lange vorher bestimmt, ein junges Kind, welches er nie gesehen, die kennen zu lernen er keinerlei Verlangen trug. Nein, nein, ein Fränlein Schulz konnte niemals die Seine werden. Und doch! Grübelnd ging er dahin und dachte und sann. Viel­leicht war dieses Mädchen, das so still an seiner Seite