Ns 125. 52. Jahrgang.
Mittwoch den 30. Mai 1900.
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Druck und Verlag von Julius Joost in Langenberg.
(Aden Rleis Kellmann.
Redaktion unter Verantwortlichkeit von H. Krieger.
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Deutschland.
Berlin. Am 29. Mai früh 8 Uhr nahm der Kaiser die Parade über die 2. Garde=Infanterie=Brigade auf dem Tempelhofer Feld ab. Eine große Suite, darunter die fremdländischen Offiziere, hielt zur Seite. Der Kaiser zog den Degen und übernahm das Kommando über die Brigade, welche er exerzierte. Von 10 Uhr ab ließ der Kaiser eine Gefechtsübung unter Verwendung von Artillerie und Kavallerie folgen: Hierbei kamen auch Flaggensignale zur Anwendung, welche Mannschaften vom Dache eines Hauses gaben. Nach der Kritik und dem Parademarsch setzte sich der Kaiser an die Spitze des Gardefüsilierregiments und führte dasselbe zur Kaserne, wo er im Kreise der Offiziere das Frühstück einnahm.— Diese Uebung der 2. Garde=Infanteriebrigade findet alle Jahre am 29. Mai statt zur Erinnerung an die Parade vor dem todkranken Kaiser Friedrich III. in Charlottenburg im Jahre 1888.
— In der letzten Sitzung des Ausschusses der preußischen Aerztekammer erklärte der Regierungsvertreter Geh. Ober=Regierungsrat Dr. Schmidt vom Cultusministerium, daß durch die neue Prüfungsordordnung für Medicinstudierende das Studium der Heilkunde auf zehn Halbjahre verlängert und außerdem das praktische Jahr eingeführt werden wird. Die Regierung ist der Anschauung, daß durch die Verlängerung der Studienzeit um drei Halbjahre— dabei ist das praktische Jahr eingeschlossen— der Zudrang zum medicinischen Studium vermindert werden wird. Im Hinblick darauf sei die Zulassung der Realgymnasiasten zum Studium der Heilkunde auf die Lage des ärztlichen Standes weniger von Einfluß.
— In diesem Sommersemester sind bis jetzt 285 Hörerinnen an der Berliner Universität eingeschrieben, was ungefähr der Anzahl gleichkommt, welche sich in den früheren Sommersemestern hat einzeichnen lassen. Auffallend ist es, daß die Zahl der Medizinerinnen gegen früher besonders groß ist. Es studieren 26 Frauen Medizin. Außerdem haben drei Frauen die Rechte, zwei die Theologie als ihr Hauptfach angegeben. Alle übrigen gehören.r philosophischen Fakultät an.
— Der amerikanische Botschafter White in Berlin empfing eine Abordnung des deutsch= amerikanischen Kriegerbundes, dessen Präsident, Richard Müller, dem Botschafter in warmen Worten für seine unermüdlichen Bemühungen, ein herzliches Einvernehmen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten zu erhalten,
Verschlungene Wege. veröoten,
Von Waldemar Berndt.
(Fortsetzung.)
„Ganz gewiß"“ pflichtete der Graf bei,„vor allem aber müssen wir darauf bedacht sein, die Leidenschaft meines Neffen zu schüren, dafür zu sorgen, daß sie nicht erkaltet, daß das Vergebliche seiner Bemühungen ihm nicht die Lust zu fernerer Thätigkeit benimmt. Das ist es, was wir zunächst zu fürchten haben; ist er erst ernüchtert, so wird es schwer, wenn nicht unmöglich sein, ihn zum zweitenmal zu einer ähnlichen Thorheit zu verleiten.“
Doktor Praß hatte sich erhoben.
„Ich werde noch heute abend einen Rundgang durch die Straßen machen, und auf die Gefahr hin, zurechtgewiesen zu werden, die Gesichter der mir begegnenden jungen Damen einer genauen Musterung unterwerfen,“ sagte er, nach dem Hute langend.„Sehe ich Sie heute noch einmal im Cafee, Herr Graf?“
„Ohne Zweifel, wenn ich nicht bei der Baronin Bodowicz zurückgehalten werde," erwiderte der Gefragte.
„Ah— Sie wollen heute noch einen Besuch bei der Baronin machen?“ forschte der Advokat, und ein tückischer, dämonischer Blick schoß aus den dunkeln Augen hervor,„ist es dazu nicht zu spät?“
Der Graf zog die Uhr und warf einen raschen Blick darauf.
„Es ist noch nicht acht Uhr und die Baronin ist
dankte. In seiner Erwiderung wies der Botschafter auf die mannigfachen und wichtigen Bande hin, welche die Vereinigten Staaten und Deutschland verbinden, erinnerte ferner die Abordnung an den ungeheuren Aufschwung, den ihr deutsches Geburtsland während der letzten Jahrzehnte genommen, und fügte hinzu, daß dieser Aufschwung ihn wie jeden anderen vernünftigen Amerikaner erfreue, weil er seiner Ansicht nach auch den Vereinigten Staaten zum Vorteil gereiche. Er hoffe, daß der Kriegerbund hier und in Amerika dazu beitragen werde, vorhandene Mißverständnisse und irrige Ansichten, die in den beiden Ländern über das andere gehegt werden, aufzuklären. Er sprach sich lebhaft zu gunsten der Beibehaltung und Pflege der deutschen Muttersprache seitens der Deutsch=Amerikaner aus, weil er darin nicht nur einen unschätzbaren Vorteil für die Betreffenden, sondern auch ein starkes Bindeglied erblickte, welches geeignet sei, die beiden Länder, trotz wohl auch in Zukunft unvermeidlicher Interessengegensätze materieller Natur, in dauernder Freundschaft zu erhalten. Er betonte schließlich, daß er sowohl wie Graf Bülow, unterstützt von den beiderseitigen Regierungen, sich die Pflege solcher herzlichen Beziehungen sehr angelegen sein ließen.
— Auf die Eingabe der Handelskammer in Solingen hat der Finanzminister erwidert, daß nach erneuter Prüfung der zollfreie Veredelungsverkehr mit rohen baumwollenen Garnen zum Zwecke des Mercerisirens unter Zustimmung des Ministers für Handel und Gewerbe nunmehr wieder zugelassen worden ist. Der Provinzialsteuerdirektor in Köln ist mit entsprechender Anweisung versehen worden.
— Die Strafkammer des Landgerichts in Aurich verurteilte den Kapitän Richard Oskar Lecluys aus Ostende, welcher angeklagt war, am 13./14. Mai d. I. unweit Norderney als Ausländer, nämlich als Führer des belgischen Fischdampfers„Franko Belge“, unbefugt gefischt zu haben, zu 2 Monaten Gefängnis und verfügte die Einziehung der benutzten Fanggeräte und beschlagnahmten Fische. Die„Franco Belge“ war vom Torpedoboote„S 77“, Kommandant Ober= leutnant v. Stosch, aufgebracht worden.
— Auf der kaiserlichen Werft in Wilhelmshaven sind nunmehr die Arbeiten zur Verbreiterung des zweiten Docks in Angriff genommen worden. Die Verbreiterung war notwendig, um die neuen Panzer aufnehmen zu können.— Auf dem Neubau des Linienschiffes„C“ schreiten die Arbeiten rüstig fort.
heute nicht zur Oper gefahren,“ warf er mit anscheinender Gleichgiltigkeit hin,„ich werde mich bei ihr zum Thee einladen!“
„Dann wünsche ich viel Vergnügen!“ sagte der Doktor mit schlecht verhehlter Ironie im Tone, verbeugte sich und ging.
Kaum waren seine Schritte auf dem Vorsaal verhallt, als auch der Graf die Wohnung verließ.
Die beiden nahen Bekannten, die sich gegenseitig in ihre intimsten Beziehungen eingeweiht hatten, gingen doch verschiedene Wege, von denen der andere nichts wußte.
*„
„
„Du bist heute so zerstreut, verstimmt, Herbert!“ sagte Agnes zu dem Maler, indem sie die Arme um den Nacken des Geliebten schlang und ihm mit innigem Ausdruck in die Augen sah.„Willst Du mir nicht sagen, was Dich drückt, ist Dir etwas Unangenehmes begegnet?“
„Nichts von Bedeutung, mein liebes Mädchen,“ erwiderte der Künstler, einen Kuß auf ihre Wange drückend;„kleine Verdrießlichkeiten bleiben ja nicht aus im Leben, und auch ich hatte heute ein Differenz mit meinem Kunsthändler. Das ist alles. Du brauchst Dir also keine Gedanken darüber zu machen.“
Agnes bog sich ein wenig zurück, und ihr Blick ruhte fast vorwurfsvoll auf den schönen Zügen des jungen Mannes. Dann schüttelte sie das Haupt:
„Du verheimlichst mir etwas, Du bist nicht auf
Am 23. ds. wurde das von Krupp gelieferte große Schlußstück des Achterstevens eingesetzt.
— Verschiedene Zeitungen bringen die Meldung, daß im Ministerium des Innern der Entwurf einer neuen Polizeiverordnung über den Betrieb des Schankgewerbes aufgestellt und den Provinzialbehörden mitgeteilt worden sei. Diese Nachricht ist unzutreffend. Der Sachverhalt ist vielmehr der, daß der„Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke“ eine, übrigens im Buchhandel erschienene Denkschrift über die Bekämpfung der Trunksucht auch dem Ministerium des Innern eingereicht hat, in welcher in Form eines Vorschlages ein solcher„Entwurf“ enthalten war. Diese Denkschrift ist den Provinzialbehörden zur Kenntnisnahme und Prüfung mitgeteilt worden. In Uebereinstimmung mit den erstatteten Gutachten muß, vorbehaltlich einer Ergänzung der in verschiedenen Bezirken bestehenden polizeilichen Vorschriften nach der einen oder der anderen Richtung, der aufgestellte „Entwurf", insbesondere die Bestimmung des Geschäftsschlusses aller Gast= und Schankwirtschaften um 10 Uhr abends, als weit über das berechtigte Ziel hinausgehend und deshalb als nicht annehmbar bezeichnet werden.
— Der Prinz Rupprecht von Bayern erklärte am 27. Mai in der Delegirtenversammlung des bayrischen Landesverbandes des deutschen Flottenvereins, Deutschland brauche eine starke Flotte. Das Anwachsen des Flottenvereins in Bayern möge beweisen, daß Bayern stets bereit ist, aufs thätigste mitzuwirken, wenn es sich um das Wohl des gesamten deutschen Vaterlandes handelt.
— Die„Nordd. Allg. Ztg.“ berichtet: Der Unterstaatssekretär im Kultusministerium Bartsch, der an den Folgen einer schweren Influenza leidet, hat seine Versetzung in den Ruhestand erbeten.
— Ein eingetroffener Schooner meldete, auf den Karolinen sei seit ihrer Abtretung an Deutschland Friede und Wohlfahrt eingekehrt. Der Gouverneur walte mit Gerechtigkeit seines Amtes. Die Raubzüge der Häuptlinge einer Insel auf die anderen haben aufgehört. Die Häuptlinge, welche sich nicht fügten wurden bestraft. Einem japanischen Schooner, der mit Waffen und Munition zum Verkauf an die Eingeborenen der Küste von Ponape erschienen sei, sei 24 Stunden Frist zur Abfahrt gegeben worden bei Strafe der Beschlagnahme. Der Schooner sei verschwunden. Seitdem sei nicht wieder versucht worden, Waffen und Munition zu landen.
richtig gegen mich,“ sagte sie traurig, die Arme vom Halse des Malers lösend.
Eine leichte Röte stieg in Herberts Gesicht auf und bestärkte das junge Mädchen in ihrem Argwohn.
„Ich weiß nicht, wie Du auf diese seltsame Vermutung kommst, Agnes," beruhigte Wallburg die Geliebte.„Verdiene ich so wenig Glauben, daß alle meine Versicherungen vergebens sind, soll ich eine Unwahrheit erfinden, nur damit Du recht behälst?“
So leise diese Worte auch gesprochen waren, so lag doch eine gewisse Härte darin, ein unverkennbarer Vorwurf im Tone. So hatte er noch nicht zu Agnes gesprochen. Ihre Augen füllten sich mit Thränen, und ihre Stimme zitterte, als sie erwiderte:„Gut, Herbert, ich glaube Dir, sei mir nicht böse, aber ich war so besorgt um Dich. Nun Du mir aber sagst, es sei nicht von Belang, was Dich verstimmte, bin ich wieder ruhig.“
Es waren nicht die vollen, freudigen Brusttöne innerster Ueberzeugung, mit denen sie diese Worte sprach; auch Herbert fühlte recht wohl heraus, daß die Geliebte sich Zwang anthat, um unbefangen zu erscheinen, daß der Mangel an Aufrichtigkeit sie kränkte und verletzte.
Eine lange Pause entstand, nur unterbrochen von dem hellen Geschmetter des Kanarienvogels, der den warmen Strahlen der Nachmittagssonne entgegenjubelte.
Der Registrator war viel zu sehr in seine Lektüre vertieft, als daß er auf das Gespräch der jungen