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Amtliches Kreisblatt für den Kreis Ruhrort.
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*
Ruhrort. Verbunden mit der 8seit. Gratisbeilage„Illustrirtes Sonntagsblatt.“
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Dr
Nr.
26.
Montag, den 10. September 1888.
15. Jahrgang.
s=Kalender.
10. September 1870. In Nizza bricht ein Aufstand gegen die franzö
sischen Behörden aus.
Aussoll von Straßburg zurückgeschlagen.
Die französischen Kriegsschiffe räumen die Nordsce.
S
* Der Czar
hat mit seiner ganzen Familie die schon seit Jahr und Tag geplante Reise nach dem Kaukasus angetreten. Der Weg gehr über Südrußland, wo vorher den großen Truppenmanövern und Modilisationsversuchen beigewohnt wird. Die Reise ist eine Belohnung der asiatischen Unterthanen Rußlands für deren in der That erprodte Treue und Anhänglichkeit. So enorm schwer die Kämpfe waren, durch welche die unabhängigen und tapferen Stämme im Kaukasus und weiter nach Centralasien hinein bezwungen wurden, so treu haben sich die ehemaligen erbitterten Gegner dem Czaren erwiesen. Die Leibwache des russischen Kaiserpaares besteht bekanntlich aus Tscherkessen, und diese Leute sind treu wie Gold. Die Anhänglichkeit der Kaukasusstämme an Rußland zeigte sich auch im letzten russisch=türkischen Kriege. Um den Russen in Kleinasien Verlegenheiten zu bereiten, sandte die Türkei den Sohn Schamyls, des großen Führers der Kaukasusstämme im Kriege mit land, dorthin, der seine Landsleute zur Empörung gegen den Czaren bestimmen sollte. Die Erfolge waren aber nur sehr mäßig, ein ganz geringer Theil der Kaukasuskrieger ließ sich zum Aufstande fortreißen, und aus ihren Angriffen erwuchs der russischen Heeresleitung keinerlei Verlegenheit. Vom Nihilismus ist im Kaukasus seldstverständlich keine Rede, und so haben es die asiitischen Unterthanen des Czaren wirklich verdient, daß er in ihrer Mitte erscheint, um ihre Huldigungen entgegenzunehmen. Wie weit die Reise sich erstrecken wird, ist noch nicht genau bekannt; aber schwerlich wird sie auf den eigentlichen Kaukasus beschränkt bleiben, sich vielmiehr auch auf das transkaspische Gebiet ausdehnen. Geht auch der Czar nicht gerade bis zur alten Turkmenen=Hauptstadt Merw hinad, obgleich die Reise nach der Fertigstellung der transkaspischen Bahn keine allzuschwierige ist, wird er sich doch gewiß die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Turkmenen zu begrüßen, die sich gleichfalls aus haßerfüllten Gegnern Rußlands in unbedingt ergebene Unterthanen umgewandelt haben.
So verkehrt und wioersinnig die Verwaltung und die Regierungsprinzipien im europäischen Rußland sind, so vortrefflich steht es damit im asiatischen Ländergebiet des Czarenreiches. Hier muß auch der schlimmste Feind Rußlands offene Worte der Anerkennung aussprechen. Es sind tüchtige militärische Luistungen gewesen, welche die Russen in Centralasien und im Kaukasus gezeigt haben, aber viel bedeutender war ihre Kunst, die Eingeborenen dieser ungebeuern Ländermasse in ganz kurzer Zeit vollständig für sich zu gewinnen. Rußland stützt sich in Centralasien nicht so sehr auf seine eigene Armee, als auf die Truppen der Eingeborenen, und mit gutem Recht, denn diese sind werthoeller als die europäischen Soldaten. Diese undedingte Ergebenheit der Eingeborenen, das ist der Riesenvortheil, den in Centralasien der Russe vor dem Engländer voraus hat. Die Enzländer gewähren ihren eingeborenen Unterthanen in Indien und den angrenzenden Provinzen auch volle Freiheit und Selbstständigkeit, aber populär ist die britische Herrschaft durchaus nicht. Sie wird stellenweise sogar bitter gehaßt, wenn auch die englische Macht seit dem großen Sapoyaufstand in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, der den Untergang des britischen Regimentes in Indien anzukündigen schien, größere Rubestörungen zu verhindern gewußt hat. Die Indier wissen, daß sie das Schaf sind, welches von seinem Herrn zu dessen Vortheil geschoren wird, daher der Haß. Kein Hindu kann weiter in der britischen Armee oder Verwaltung eine höhere Stellung einnehmen, und dieser Umstand trägt wesentlich zur Echöhung der Abneigung bei. Ganz anders und weit klüger handelt Rußland. Nicht nur, daß den Eingeborenen ihre Rechte ungeschmälert gelassen werden, erhalten sie neue dazu, und alle kenntnißreichen Eingeborenen treten ohne weitere
Schwierigkeit in Militärdienst und Verwaltung über. Daß ein turkmenischer Häuptling russischer Oberst oder General, und auf der anderen Seite Gouverneur einer Provinz wird, ist sehr häufig, und das ist der Beweggrund, welcher schließlich die ganzen Stämme dem Russenthum in die Arme führt. Darum neigen auch zahlreiche unter englischer Herrschaft stehende Stämme weit mehr zu Rußland, als zu England, und dieses Verhältniß ist die Achillesferse der britischen Herrschaft in Centralasien. Das Vertrauen Rußlands zu seinen eingeborenen asiatischen Unterthanen geht außerordentlich weit, aber es wird auch gewürdigt. So ist es Thatsache, daß der erste
Häuptling der Turkmenen von Geop=Teke, welcher vor einem halben Dutzend Jahren die Russen auf Leben und Tod bekämpfte, jetzt Befehlshaber des wichtigsten russischen Grenzpostens gegen Afghanistan ist und Oberstenrang bekleidet. Der Mann war gefangen, wurde aus Klugheit vorzüglich behandelt und bot dem Czaren zum Dank seine Dienste an. Das Anerbieten wurde sofort acceptirt, und man hat den Entschluß nicht zu bereuen gehabt. Solcher Beispiele giebt es sehr viele.
Roltiche Machrichten.
Deutschland.
Berlin, 9. Sept. Kaiser Wilhelm II ist von seinem Ausfluge nach Posen zur Beiwohnung der Manöver der 10. Division sehr zufrieden wieder in Potsdam angekommen. Dem commandizenden General des 5. Armeecorps, General der Jufanterie Frhr. v. Meerscheidt=Hüllessem hat der Kaiser das Großkreuz des Rothen Adlerordens verliehen. Außerdem gab Se. Majestät dem Oberpräsidenten der Provinz Posen, Grafen von Trützschler dadurch einen Beweis seiner besonderen Gnade, daß er demselben die Erlaubniß ertheilte, die Uniform des Garde du Corps=Regimentes zu tragen, bei welchem der Graf einst activer Officier war.
— Am Sonnabend Vormittag nahm der Monarch mehrere Vorträge entgegen, arbeitete mit den Chefs des Militär= und Civilcadinets und ertheilte Audienzen. Um 1 Uhr fuhr der Kaiser nach dem Orte Rudow bei Cöpenick, um daselbst einer Einladung des Herrn von Benda, des bekannten nationalliberalen Abgeordneten, zur Hühnerjagd zu entsprechen. Am Abend erfolgte die Rückkehr nach Potsdam, wo der Kaiser auch am Sonntag verblied. Heute Montag findet die Kaiserparade über das brandenburgische Armeecorps statt, welches am Sonnabend in Berlin eingerückt ist. Ein Zapsenstreich war dieser Parade nicht vorausgegangen. Das Armeecorps hat seine Fahnen und Standarten nach dem alten Schloß an der Spree und nicht wie bisher nach dem Palais Kaiser Wilhelms I abgebracht. Die Standarten brachten die Brandenburger Kürassiere, die Fahnen das Leibregiment ab.
— In der Nacht zum Dienstag trifft der Kaiser in Bremerhaven zur Beiwohnung der Flottenmanöver ein. Mittwoch Nacht erfolgt die Rückreise nach Berlin. Auch die Theilnahme des Kaisers an den Feierlichkeiten zur Eröffnung des Hamburger Zollanschlusses ist nunmehr desinitiv zugesagt.
— Unser Kaiser begleitete am Sonntag Vormittag seine Gemahlin auf deren erstem Kirchgange nach der Gedurt des jüngsten Prinzen nach der Friebenskirche zu Potsdam. Die kaiserlichen Majestäten fuhren in einer vierspännigen offenen Hofequipage, welcher ein Spitzreiter voraufritt, während die Personen des kaiserlichen Gefolges in einer zweispännigen Hofequpage nachfolgten. Nath dem Gottesdienste kehrten die kaiserlichen Majestaten sosort nach dem Marmorpalais zurück, wo der Kaiser den Vortrag des Unterstaatssekretärs im Auswärtigen Amt Graf Berchem hörte. Am Nachmittag wurde der deutsch: Botschafter in Prris, Graf Münster, empfangen und mit einer Einladung zur Tafel beehrt.
— Kaiser Friedrich hat kein Testament hinterlassen! Die Nordd. Allg. Zig schreibt:„Gegenüber den in letzter Zeit durch die Zeitungen gebrachten Nachrichten über eine bevorstehende Veröffentlichung testamentarischer Bestimmungen Sr. Majestät des Hochseligen Kaisers Friedrich sind wir in der Lage, solchen Nachrichten auf das Bestimmteste zu widersprechen. Dieselben haben an maßgebender Stelle und auch insbesondere bei Ihrer Majestät der Kaiserin um so mehr Befremden erregen müssen, als letztwillige Bestimmungen des Hochseligen Kaisers überhaupt nicht bestehen.“
— Die Nachricht von der geplanten Errichtung eines Denkmales Kaiser Wilhelm's I auf der Berliner Schloßfreiheit erweist sich hinterher als ganz verfrüht, wenn nicht total unrichtig. Fest steht jedenfalls, daß bis zur Stunde nicht die geringsten Vorarbeiten für das Project stattgefunden haben; von einer Berechnung der Kosten 2c. kann also absolut noch nicht die Rede sein.
— Wie der„Pol. Corr.“ aus Rom gemeldet wird, ist dem päpstlichen Hosstaate, sowie den Officieren der vatikanischen Garde, mit Einschluß der auf Urlaub befindlichee, die Weisung zugegangen, sich am 19. und 20. October für das Ceremoniell, wie es bei den großen Empfängen von Souveränen üblich ist, bereit zu halten. Selbstverständlich wird diese Verfügung mit dem bevorstehenden Besuche des deutschen Kaisers in Rom in Zusammenhang gebracht.
— In dem Befinden des Vorsitzenden der deutschen Ciilgesetzgebungscommission, Geh. Rath Dr. Pape, ist am Sonntag eine erneute Verschlimmerung eingetreten. Die Hoffnung auf Erhaltung des Lebens ist gering, wenn keine schnelle Wendung eintritt.
— Auf das bei der Feier des 150 jährigen Jubiläums der Aufnahme Friedrichs des Großen in den Freimauerbund an Kaiser Wilhelm II abgesandte Huldigungstelegramm ist die nachstehende Antwort eingegangen:„Se. Majestät der Kaiser und König haben von dem Telegramm der am 14. August zur 150jährigen Gedenkfeier für Friedrich den Großen versammelten Freimauern gern Kenntniß genommen und mich zu beauftragen geruht, Ew. Hochwohlgeboren den allerhöchsten Dank für den Ausdruck der Treue und Liebe, sowie für die damit verbundenen Segenswünsche auszusprechen. Ich beeile mich, diesem allerhöchsten Befehle hierdurch nachzukommen. Der Chef des Civilcabinets. von Lucanus.
— Wie der„Staatsanzeiger für Württemberg“ mittheilt, ist die Massagecur, welcher sich der leidende König unterzogen hatte, beendet. Die neuralgischen Schmerzen sind noch nicht völlig geschwunden, aber eine Kräftigung der Muskulatur und Gebrauchsfähigkeit der Beine ist erreicht und sind die früheren Störungen des Blutumlaufes gehoben.
— Generalfeldmarschall Graf Moltke ist zum Curgebrauche in Cudowa angelommen.
— Das„Aerztliche Vereinsblatt für Deutschland“, Organ des fünftausend Mitglieder starken deutschen Aerzte=Vereinsbundes, veröffentlicht eine scharfe Erklärung gegen Mackenzie, in der es heißt, Mackenzie's Verhalten verdiene keine Entschuldigung. Nicht nur habe er durch die unrichtige Diagnose die erfolgreiche rechtzeitige Operation verhindert, er habe den damaligen Kconprinzen auch durch eine unnütze Treiberei von Ort zu Ort der Controle der deutschen Aerzte entzogen. Zudem habe er seine eigene Behandlung nicht einmal consequent durchgeführt.„Wir beklagen es also auf das Tiefste, daß das theure Haupt unseres Herrscherstammes eine so ungeeignete ärztliche Behandlung genoß und zugleich, daß auf deutsche Kunst und Wissenschaft, wenn auch vorübergehend, mit Unrecht ein Schatten fiel.“
— Es scheint nicht, daß die preußische Regierung in die Wahlbewegung mit irgend welchen Kundgebungen einzugreisen gedenkt, welche als ein politisches Programm für die nächste Zukunft aufzufassen wären. Auf allen politischen Gebieten sind die Aufgaben, mit welchen sich der Landtag in nächster Zeit zu beschäftigen haben wird, in starkes Dunkel
gehüllt, und die Absichten der Regierung schwer zu erkennen; so auf dem Gediete der inneren Verwaltungsreform, des Steuerwesens, der Kirchen= und Schulpolitik, und es soll nicht zu erwarten sein, daß vor den Wahlen noch wesentliche Aufklärungen erfolgen. Umsomehr wird es die Sache der Parteien sein, ihre Bestrebungen und Ziele auf allen Gebieten des inneren Staatslebens den Wählern klar zu machen. Ueber den Abschluß des neuen Budgets verlautet noch nichts Sicheres. Ankündigungen, es werde sich ein Ueberschuß von 100 Millionen ergeben, sind also mit Vorsicht auszunehmen.
— Die deutsche Reichsregierung hat nach einer der„Nat.=Ztg.“ zugehenden verbürgten Mittheilung vor wenigen Tagen an die englische Regierung in dem Beschwerdefall Königsberg ein Ultimatum gerichtet, und angekündigt, sie werde sich selbst Genugthuung verschaffen, wenn die Londoner Regierung nicht dafür sorge. Diese Angelegenheit ist seit lange über ein Jahr von der englischen Regierung durch vielerlei Winkelzüge und Ausflüchte verzögert, so daß es unseren Handelsinteressen nur dienlich sein kann und für unsere Landsleute draußen gewiß ermuthigend wirken wird, wenn der Behandlung, welcher Beschwerden deutscher Kaufleute bei der englischen Regierung begegnen, endlich energisch ein Ende gemacht würde. In dem vorliegenden Falle ist eine rasche Erledigung um so mehr gerechtfertigt, als der deutsche Kaufmann seiner gesammten Habe von der britischen RoyalNiger=Company beraubt wurde und dadurch in die peinlichsten Verhältnisse versetzt worden ist. Die colonialen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reiche und England scheinen sich überhaupt wieder zuzuspitzen, denn aus Ostasrika wird gemeldet, daß im Gebiet des unter deutschem Schutze stehenden Sultaus von Witu ein englischer Agent erschienen sei, welcher den Sultan gegen Deutschland einzunehmen versuche.
— Die deutsche ostafrikanische Gesellschaft hat 30000 Mark zu der deutschen Emin=Pascha=Expedition bewilligt.
— Auch die vor Kurzem verbreitete Nachricht, Fürst Bismarck wolle das preußische Handelsministerium abgeben, wird von der Nordd. Allg. Ztg. für unbegründet erklärt.
— Bremerhavener Blätter berichten: Der abgesetzte deutschfeindliche König der Samoa=Inseln, Malietoa, hat jetzt seine Freiheit wieder erlangt, und
Die Lieb' blüht nur einmal.
Novelle von M. Josephy.
(11. Fortsetzung.)
„Wie unheimlich es draußen ist,“ sagte die junge Frau sich ihrem Gaste zuwendend,„ich begreife Bernhard nicht. Und Sie, Baron Harding, wo kommen Sie denn eigentlich her?“
„Direkt von zu Hause.“
„Direkt von Klatten, bei diesem Unwetter! Was um Alles in der Welt trieb Sie“— sie verstummte, ehe sie die letzten Worte ausgesprochen, denn Fred Harding hatte sie so seltsam angeschaut. Und nun stand er schweigend da und wartete, daß sie weiter sprechen möchte, und sie wußte ihm doch nichts zu sagen.
„Möchten Sie sich nicht setzen?“ kam es endlich zögernd von ihren
Lippen.
Er verneigte sich dankend, blieb aber am Kamin gelehnt stehen, während sie ihren früheren Platz im Fauteuil wieder einnahm.
Und nun wieder eine lange, stumme Pause; fast mit einem Gefühle der Erbitterung schaute Irene zu dem vor ihr stehenden Manne empor; wenn er nur die fest verschlossenen Lippen öffnen, wenn er nur irgend etwas hätte sagen wollen! Er verstand ja so gewandt zu sprechen, warum nur ihr gegenüber dieses Schweigen, das sie so gut an ihm kannte, unter dem sie schon mehr als einmal gelitten hatte!
Sie sing an zu reden, sehr schnell und lebhaft: von dem gestrigen Ball, ihren gemeinsamen Bekannten, von dem herannahenden Winter, von Reiseprojekten, die sie im Augenblick des Sprechens ersand und zu denen sie ihren Mann überreden wollte,— sie war sich nicht klar bewußt, was sie Alles sprach, und sie hatte das Gefühl, daß Fred Harding es auch nicht wußte, gleichviel, nur nicht dieses beängstigende, herzbeklemmende Schweigen.
Und während sie sprach, heulte und tobte draußen der Sturm, daß er ihre Worte fast über onte, und nun ein pfeisender Windstoß, stärker als alle vorhergehenden, ein Rütteln und Schütteln, ein lautes Klirren,— Irene fuhr erschrocken empor.
„Es ist nichts,“ sagte Fred Harding,„der Wind hat den Fensterflügel aufgestoßen, den Sie vorhin zu öffnen versuchten.“
Er ging ihn zu schließen, und wie er sich hinausbog, den Riegel zu fassen, war es ihm, als ob von unten her einzelne, abgerissene Töne an sein Ohr drangen, er stand lauschend still; der mächtige Windstoß, der das Fenster aufgerissen hatte, sauste vorüber, und durch das schwächer gewordene Stöhnen und Aechten draußen klang es nun deutlich zu ihm empor: „Wenns Mailüsterl weht, schmilzt drauß' der Schnee—“
Ein im Sturm Umherirrender, der sich durch die Tone seines Leierkastens ein Obdach zu erbitten suchte. Es deuerte lange, ehe die Diener= schaft unten sich seiner erbarmte, unermüdlich, immer wieder von Neuem setzte er ein, und immer wieder dieselbe, alte, sehnsüchtize Weise:
„Doch d' Lieb blüht nur amol und naher ist's gar.“
Fred Harding stand oben am offenen Fenster und fühlte es nicht, wie ihm der Regen ins Gesicht peitschte; er stand und lauschte, dis der letzte Ton verklungen war, dann athmete er tief auf und schloß den Fensterflügel. Er schaute zu Irene hinüber; sie saß regungslos da und hatte die Auzen mit der Hand bedeckt, um ihre Lippen zuckte es.
„Gräfin,“ sagte Fred Harding leise.
Er trat vom Fenster zurück und stand nun hoch aufgerichtet in einiger Entfernung vor ihr.
„Ja, Gräfin, es hat eine Zeit gegeben, in der wir sehr glücklich gewesen sind,— wir beide, Sie und ich! Es ist lange her, aber— es giebt kein Vergessen.“
Es giebt kein Vergessen! Ihre Lippen bewegten sich, als ob sie diese Worte wiederholen wollten: kein Vergessen! Er sprach es aus, was sie tausendmal empfunden!
„Es hat sich seitdem viel, es hat sich Alles verändert,“ fuhr Fred Harding fort, und seine Stimme bebte in dem vergeblichen Bemühen ruhig zu reden,„auch wir selbst sind andere geworden. Das, was wir uns einst gewesen sind——“
„Baron Harding!“. Eine flehentliche Bitte, eine namenlose Angst lag in den Tönen, in denen sein Name gerufen wurde; mit großen, erschrockenen Augen schaute Irene zu dem vor ihr stehenden Manne auf.
„Ich soll es nicht aussprechen,“ sagte Fred Harding,„und doch, können wir es deshalb wegleugnen? Können Sie mir ins Auge schauen und behaupten wollen, daß es nicht eine Zeit gegeben hat“——
„Schweigen Sie!“ stieß Irene fast heftig hervor, und dann nach einer kleinen Pause, leise, mit zuckenden Lippen:„Machen Sie mich nicht noch elender, als wie ich es durch Ihr Verschulden ohnehin schon geworden bin!“
„Irene!“ In seinem Auge flammte es auf; die hohe, kraftvolle Gestalt des Mannes zitterte vor innerer Aufregung, aber er blieb bewegungslos an seinem Platze stehen, nicht um einen Schritt war er der jungen Frau näher getreten.
Irene hatte sich halb von ihm abgewendet und den Kopf an die Lehne ihres Fauteuils gestützt; er sah, wie sie am ganzen Körper debte. Er wußte, es war das gleiche Weh, das ihre und seine Brust erfullte, er wußte, daß sie ihn liebte, und er war ihr so nahe, nur wenige Schritte zwischen ihr und ihm! Drei Schritte etwa, und doch ein unermeßlicher Abgrund,— so nah und doch so unerreichbar fern!
Es war zwischen den Beiden still geworden; man hörte nichts wie die tiefen Athemzüge des erregten Mannes und das unaufhörliche Wuthen des Sturmes. Tobe nur, du wilder Sturmwind,— es ist dies die passendste Musik, die einzig richtige Begleitung zu dem heißen, leidenschaftlichen Weh, in dem die beiden jungen Herzen kämpfen und ringen!
„Baron Harding.“ kam es endlich leise, kuum verständlich von Irenes Lippen,„warum haben Sie mir das angethan?“
Er schwieg, weil er nicht wußte, was sie mit ihrer Frage meinte, da richtete die junge Frau sich plötzlich mit rascher Bewegung empor.
„Sie hatten recht mit dem, was Sie vorhin aussprechen wollten:„Ja, Fred Harding, ich hade Sie über Alles in der Welt geliebt, und Sie wuften das! Sie wußten, daß Ihre Macht über mich eine undegrenzte war, daß es allein in Ihrer Hand gelegen hat, was aus mir wurde! Das wußten Sie, und Sie haben mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin,— ein mit sich selbst zerfallenes, namenlos elendes Geschopf!“
Fred Harding zuckte unter diesen letzten Worten zusammen. Mit unsäglicher Bitterkei hatte Irene sie hervorgestoßen, und er sogte sich, daß sie wahr gesprochen! Wenn sie in der That elend geworden, so elend, wie sie es eben gesagt, so hatte er es zu verantworten, er hatte es verschuldet! Verschuldet!— Großer Gott, nein! Ein grausames, unerbittliches Schicksal
war es gewesen, das sie auseinandergerissen, das sie um Alles gehoffte und geträumte Glück ihres Lebens gebracht,— sie beide, ihn und sie, aber keine Schuld, nein, nein, nicht seine Schuld!
Und mußte er denn wirklich still halten unter dem schweren Vorwurf, den sie gegen ihn ausgesprochen? Mußte er es nicht schweigend hinnehmen, daß sie ihn für den schlechtesten und verrätherischesten unter den Menschen hielt? Er hatte es ja gar nicht anders erwarten dürfen, und diesen Gedanken so lange mit sich herumgeschleppt, viele Jahre hindurch,— aber jetzt, nach dem, was sie ihm soeben gesagt,— ach, es waren böse, schwere Worte gewesen, die sie gesprochen!
Irene blickte schweigend zu ihm auf, und wie sie ihn so vor sich stehen sah, mit dem Ausdruck tiefen Schmerzes in den so heiß geliebten Zügen, wie ihr Auge dem seinen begegnete, da fühlte sie nichts mehr von der Bitterkeit, die sie soeben erfüllt, nichts mehr von der Verzweiflung über ihr eigenes, verfehltes Dasein,— sie empfand nichts, als den einen, heißen Wunsch, daß sie ihn könnte gerechtfertigt vor sich sehen, daß sie ihn frei sprechen dürfte von Allem, was er gegen sie verschuldet, daß sie wieder zu ihm emporblicken könnte, wie sie es einst gethan, als zu dem Höchsten, Schönsten und Besten auf Erden.
Aber er blieb stumm und, wie sie auch in immer steigender Angst auf ein Wort von ihm harrte, seine Lippen blieben geschlossen. Und was, im Grunde genommen, erwartete sie denn eigentlich von ihm zu hören, was hätte er ihr sagen können?„Ich habe nicht mit Dir gespielt, ich habe Dich geliebt, wie Du mich“,— sie würde es ihm ja geglaubt haben, Alles, auch das Unwahrscheinlichste, das Unerklärlichste, und wenn es auch aller Ueberlegung und aller Vernunft Hohn sprechen sollte! Ihr Auge hing mit verzehrender Angst an seinen Zügen,— nur ein Wort, ein einziges Wort der Rechtfertigung!——
„Gräsin,“ kam es endlich nach tödtlich langem Schweigen von seinen Lippen; sie bog sich weit vor, als wollte sie die Worte von seinem Munde lesen, aber er verstummte plötzlich: ein Rufen und Sprechen, ein Hin= und Herlausen, Thür zuschlagen— und jetzt schwere, langsame Schritte, die die Treppen emporstiegen, ein leises Aechzen und geheimnißvolles Flüstern, ein zaghaftes Tasten, die Thür wurde leise geöffnet.
„Frau Gräfin,“— der Kammerdiener war eingetreten. Wie sah der sonst so stattliche, würdevolle Mann aus! Bleich bis an die Lippen, mit dem Ausdruck tödtlichsten Schreckens auf dem breiten behäbigen Gesicht; seine Augen irrten hülfesuchend umher und blieben an Fred Harding haften: „Herr Baron, wenn ich bitten dürfte, auf einen Moment!"
„Was giebt's?“ schrie Irene auf; sie war emporgesprungen und blickte starren Auges nach der Thür, die sich bereits hinter den beiden Männern geschlossen. Und nun,— waren nur wenige Minuten, war eine Ewigkeit seitdem vergangen?— kam Fred Harding wieder zurück; er trat an die junge Frau heran:.
„Gräfin, bitte, versuchen Sie es zu tragen, zeigen Sie Murh und Fassung,“— er stockte; er sah in ihr blasses, erstarrtes Gesicht, und sein Muth verließ ihn; seine Stimme schwankte, in seinen Augen standen Thränen: „Er ist bei dem Unwetter draußen im Walde gewesen,— ein stürzender Baum,— er traf ihn und— jetzt haben sie ihn gebracht,——“
„Todt,“ sagte Irene mit leiser Stimme, ein Schaudern ging durch ihren ganzen Körper,—„todt— und in dieser Stunde!"
(Fortsetzung folgt) 9 4